Startseite Rochade Kuppenheim

Gerne der Märchenonkel für Unbedarfte

Großmeister Helmut Pfleger ist seit 25 Jahren Deutschlands Schach-Guru

von FM Hartmut Metz, 9. August 2003

mehr Schachtexte von Hartmut Metz

 

Wladimir Kramnik gratuliert Dr. Helmut Pfleger zu seinem 60. Geburtstag

Weltmeister Wladimir Kramnik (links) gratuliert Dr. Helmut Pfleger zu seinem 60. Geburtstag. Foto: Dagobert Kohlmeyer

 

   "Ein Skorpion kommt an den Nil und will ans andere Ufer. Daher bittet er das Nilpferd, ihn doch auf die andere Seite zu bringen. Das Nilpferd sagt zum Skorpion: ,So dumm werde ich nicht sein. Dann stichst du mich und ich bin tot.' ,Aber nein', entgegnet der Skorpion, "das wäre doch dumm. Dann würde ich ja auch auf dem Fluss mit untergehen.' Das überzeugt das Nilpferd und nimmt den Skorpion auf den Rücken. Und, als sie in der Mitte des Flusses sind, sticht der Skorpion doch zu. Das Nilpferd ganz entsetzt: ,Was hast du getan? Jetzt gehen wir beide unter.' Der Skorpion sagt: ,Ja, ich weiß - aber ich kann nicht wider meiner Natur!'." Helmut Pfleger verliert sich gerne in derlei Geschichten - auch wenn sie auf den ersten Blick mit seinem Metier, Schach, wenig zu tun haben. "Ich halte dies für eine sehr weise Geschichte", kontert der TV-Moderator und erklärt, "sie gibt den Stil mancher Schachspieler wieder: Sie schreiben sich Besonnenheit auf die Fahne und wollen vernünftig spielen - bis der Gaul mit ihnen durchgeht und sie wie der Skorpion nicht anders können."

   Manch lausiger Hobbyspieler vergöttert Pfleger ob solch leicht verständlicher Kost. Das bringt ihnen das Geschehen auf den 64 kleinkarierten Feldern näher, macht es ein klein wenig verständlicher. Sie verpassen daher keine Fernsehsendung des Großmeisters wie jene am Dienstag im WDR (0.30 Uhr) über die Dortmunder Schachtage und versuchen seit 22 Jahren angestrengt, aber oft vergeblich, seine wöchentliche Schachaufgabe in der "Zeit" zu lösen. Bei einigen seiner Großmeister-Kollegen ist der Münchner indes wenig gelitten. "Märchenonkel" nennt ihn manch einer verächtlich. Das Etikett missfällt Pfleger. "Es hat etwas Herablassendes, Despektierliches. Ich versuche, den Zuschauern das Schach mit Metaphern und Allegorien näher zu bringen, ohne mich auf den rein technischen Part zu beschränken. Das mache ich, weil man ansonsten viele einfach abschrecken würde", schiebt der 60-Jährige, der heute seinen runden Geburtstag feiert, als Begründung nach, "für viele Schachspieler, besonders die guten, zählen mehr die langen Analysen. Aber für die mache ich nicht die Sendungen, für die schreibe ich nicht meine Artikel, das ist ganz klar. Die Mehrzahl, die große Mehrzahl der Zuschauer oder Leser ist relativ unbedarft. An den wenigen, die wirklich sehr gut sind, mögen meine Beiträge vorbeigehen."

   Den Psychotherapeuten "schmerzen natürlich die Anfeindungen". Gleichzeitig stimmen sie die ehemalige deutsche Nummer zwei "nachdenklich: Ich hinterfrage mich, ob ich nicht nüchterner oder sachlicher kommentieren sollte". Doch letztlich weiß er: Seine lautesten Kritiker treibt "der Neid, der Futterneid" um. Vergeblich versuchen sie seit 25 Jahren, ihm seine Sendungen im WDR oder die Schachspalten in der "Zeit" und der "Welt am Sonntag" oder seine Rolle als Kommentator bei großen Turnieren "abspenstig zu machen". Profi-Schach ist ein hartes Gewerbe. Eine Handvoll bringt es zum Millionär. Der große Rest lebt von der Hand im Mund. Von Open zu Open ziehen die anderen Berufsspieler. Mehr als freie Kost und Logis gibt es selten. Wenn's gut läuft, gewinnen sie nach neun Tagen 1.500 oder 2.000 Euro. Unterläuft dem Großmeister nur ein Fehler und er verliert deswegen die Partie, reicht das Preisgeld nicht einmal mehr für die monatliche Miete zu Hause.

   Pfleger hat sich die Tantalusqualen, wie er es gewiss nennen würde, nie auferlegt. Nicht, weil der von 1963 bis 1985 zu den Leistungsträgern des Nationalteams zählende Franke schlauer als seine Mannschaftskollegen war. "Früher lief bei mir so viel unbewusst und neurotisch ab, vieles ging einfach an mir vorbei. Es spricht also gar nichts dafür, dass ich vernünftig war. Es war mir immer irgendwie klar, dass ich einen anständigen Beruf wie die Medizin ergreife. Dass sich mir nie die Frage nach dem Profitum stellte, ist also eher schon wieder bedenklich, obwohl mir Schach sehr viel bedeutete. Ich nahm leidenschaftlich gerne an Turnieren teil", analysiert sich der Psychotherapeut selbst (Fortsetzung in der nächsten Schachspalte).

   In Dortmund war Kommentator Pfleger vom Sieg des 16-jährigen Teimour Radjabow über den Baden-Ooser Spitzenspieler Viswanathan Anand besonders angetan.

 










W: Anand S: Radjabow

1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 e5 5.Sb5 d6 6.c4 Le7 7.b3 f5 8.exf5 Lxf5 9.Ld3 e4 10.Le2 a6 11.S5c3 Lf6 12.0-0 Sge7 13.a3 0-0 14.Ta2 Da5 15.b4 De5 16.Te1 b5 17.cxb5 axb5 18.Lxb5 Sd4 19.Lf1 d5 20.Td2 Le6 21.f4? [ Die komplizierte Variante 21.Lb2 Sec6 22.Sb5 Df4 23.Sxd4 Sxd4 24.Lxd4 Lxd4 25.Txd4 Dxf2+ 26.Kh1 Lg4! 27.Td2! ( 27.Dxg4?? Dxf1+ 28.Txf1 Txf1# erlaubt ein Grundlinienmatt.) 27...Lxd1 28.Txf2 Txf2 29.Txd1 e3 30.Ld3 sollte Weiß die besseren Chancen belassen.] 21...Dxf4 22.Tf2 Dxf2+! Das hat Anand wohl in seinen Vorausberechnungen übersehen. 23.Kxf2 Sb5 24.Kg1 [ Bloß nicht 24.Sxb5?? Ld4+ Ein Doppelschach, weshalb der König ziehen muss. 25.Kg3 ( 25.Ke2 Tf2# ) 25...Lf2# ] 24...Sxc3 25.Sxc3 Lxc3 26.Lb5? Vermutlich der zweite Fehler, der die Stellung endgültig aus der Balance wirft. Ausgeglichen ist die Partie nach [ 26.Te3 ] 26...Lxe1 27.Dxe1 Sf5 28.Lb2 Tac8 29.La4 Tf7 30.h3 h5 31.b5 h4 32.Le5 d4 33.b6 e3 34.Kh2 d3 Die schwarzen Zentrumsbauern sind viel gefährlicher als die weißen Flügelbauern. 35.Db4 e2 36.Lc3 Txc3! 37.Dxc3 Sg3 38.b7 Txb7 39.Da5 Tb8 Die Bauern sind auf dem Weg zur Dame nicht mehr aufzuhalten. Daher: 0-1

vorherige Meko Meko-Übersicht nächste Meko