Was ist Schönheit im Schach? Die neue Ausgabe des laut Eigenwerbung "kulturellen Schachmagazins Karl" beschäftigt sich mit dieser Frage. Die meisten lieben wilde Opferpartien, manche positionelle Züge oder subtile Manöver. Wie in der Kunst sind die Geschmäcker der Schachspieler verschieden.    Der "Karl" beleuchtet das Thema von zahlreichen Seiten: Aus Sicht der Denkstrategen am Brett, von Buchautoren, Studienkomponisten und auch von Schachsammlern. Passend dazu ist der Nachruf auf den verstorbenen Großmeister Eduard Gufeld, der immer wortreich seine Partien "richtig" in Szene zu setzen wusste. Treffender Titel dazu: "Der schöne Schein". Sehr gelungen wirkt überdies der Beitrag von Richard Forster zu Raschid Neschmetdinow. Der "Schachzauberer aus der Steppe" (1912-1974) ist in Westeuropa kaum bekannt geworden, da ihm die ganz großen Erfolge versagt blieben. Sein bester Platz bei den sowjetischen Meisterschaften blieb Rang sieben 1954 in Kiew. In einzelnen Partien spielte Neschmetdinow jedoch fantastisch und schlug die namhaftesten Kontrahenten. Nachstehend ein Beispiel aus Sotschi 1958. Sein Opfer ist kein Geringerer als der mehrfache WM-Kandidat Lew Polugajewski. Kaum ein anderer Spieler strebte so "kompromisslos nach Schönheit wie Neschmetdinow", urteilt Forster. Man mag ihm angesichts der nachfolgenden Partie, die einige Buchautoren zu den besten des 20. Jahrhunderts zählen, glauben.

 

W: Polugajewski S: Neschmetdinow   1.d4 Sf6 2.c4 d6 3.Sc3 e5 4.e4 exd4 5.Dxd4 Sc6 6.Dd2 g6 7.b3 Lg7 8.Lb2 0-0 9.Ld3 Sg4 10.Sge2 Dh4 11.Sg3 Sge5 12.0-0 f5! [ Auf 12...Sg4 13.h3 Sxf2 verzichtete Neschmetdinow wegen des Damenopfers 14.Dxf2! ( 14.Kxf2? Ld4+ 15.Kf3 Se5+ ) 14...Ld4 15.Dxd4 Sxd4 16.Sd5 Schwarz steht besser, aber Weiß hat durchaus Konterchancen.] 13.f3 Lh6 14.Dd1 f4 15.Sge2 g5 16.Sd5 g4 17.g3 fxg3 18.hxg3 Dh3 19.f4 Le6! [ 19...Sf3+ 20.Kf2 Dh2+ 21.Ke3 führt zu nichts, weil Schwarz nun reumütig die Dame nach h5 zurückziehen muss, um seine stärkste Figur nicht einzubüßen.] 20.Lc2 [ 20.fxe5? Lxd5 und die Drohung Le3+ entscheidet.; 20.Sxc7 führt zum Dauerschach: 20...Txf4! ( 20...Lxf4 21.Txf4 ( 21.Sxf4 Dxg3+ 22.Sg2 Txf1+ 23.Kxf1 Tf8+ 24.Kg1 Sf3+ 25.Kf1 Sh4+ 26.Ke2 Df2# ) 21...Txf4 22.Sxa8 Sf3+ 23.Kf2 Tf8 24.Sc7 Sfe5+ 25.Kg1 ( 25.Ke3 Tf3+ 26.Kd2 Txd3+ ) 25...Sf3+ 26.Kf2 ist ebenso remis.) 21.gxf4 g3 22.Sxg3 Dxg3+ 23.Kh1 Dh3+ 24.Kg1 Dg3+ ] 20...Tf7 21.Kf2 Dh2+ 22.Ke3 Dort wähnte Polugajewski seinen König in Sicherheit. 22...Lxd5 23.cxd5 Sb4 24.Th1?? [ 24.a3 Sxc2+ 25.Dxc2 ist ungefähr ausgeglichen. Der vermeintliche Damengewinn durch den Turmzug führt jedoch in den Abgrund.] 24...Txf4!! 25.Txh2 [ 25.gxf4 Lxf4+ 26.Sxf4 Sxc2+ 27.Dxc2 Dxc2 ist sofort aus.] 25...Tf3+ 26.Kd4 Lg7! [ Oder 26...c5+ 27.dxc6 b5! 28.Ld3 ( 28.Txh6 Sexc6# ) 28...Sexc6+ 29.Kc3 Lg7+ 30.Kd2 Txd3+ 31.Ke1 Txd1+ 32.Txd1 Lxb2 gewinnt dank der miserablen weißen Königsstellung Material, weil der Monarch ansonsten matt gesetzt wird.] 27.a4 Will ein erneutes b5 ausschalten. In dieser Position wurden schon viele Verteidigungsmöglichkeiten analysiert. Aber Weiß ist immer verloren. Eine hübsche Variante stellt [ 27.Sg1 Txg3 28.Se2 Tf3 29.Sg1 Sed3+ 30.Kc4 Sxb2+ 31.Kxb4 Lc3+ 32.Ka3 b5!! 33.Dd4 Lxd4 34.Sxf3 Lc3! 35.b4 Sc4+ 36.Kb3 Lxa1 dar.] 27...c5+ Jetzt geht der Anziehende unweigerlich matt! 28.dxc6 bxc6 29.Ld3 Sexd3+ 30.Kc4 d5+ 31.exd5 cxd5+ 32.Kb5 Tb8+ 33.Ka5 Sc6+ [ 33...Sc6+ 34.Ka6 Sc5# ergibt ein herrliches Mattbild! Wahre Schönheit im Schach!] 0-1

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