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Glücklich, keinen Schachspieler geheiratet zu haben

Interview mit Judit Polgar

von FM Hartmut Metz, August 2003

mehr Schachtexte von Hartmut Metz

 

   Von "weiblicher Logik" halten viele Schachspieler nichts. Sicher mit ein Grund, dass der Frauenanteil im Deutschen Schachbund (DSB) mit nur rund sieben Prozent der niedrigste aller Sportarten ist. Weltweit kann auch nur eine Dame die Könige der Männer auf den 64 Feldern matt setzen: die 26-jährige Judit Polgar. Der Budapester Pädagoge Laszlo Polgar wollte zeigen, dass Genies eine Frage der Erziehung sind. Zu beweisen gedachte er dies im Schach, weil dort - im Vergleich zur Mathematik - Leistungen gemessen werden können. Zusammen mit seiner Frau Klara unterrichtete das Lehrer-Ehepaar die drei Töchter entgegen der bis dahin in Ungarn bestehenden Schulpflicht selbst. Der Erfolg gibt den Polgars Recht: Susan (34) wurde Weltmeisterin, Sofia (28) zählte lange zu den Top Ten und Judit führt seit rund einem Jahrzehnt unangefochten die Damen-Weltrangliste an. Mit 15 Jahren brach das Nesthäkchen den legendären Rekord von Bobby Fischer, der bis dahin jüngster Herren-Großmeister aller Zeiten war.

   Weil sie der schachliche Vergleich mit Frauen anödet, tritt Judit Polgar nur gegen Männer an. Während Weltmeisterin Zhu Chen nur auf Platz 685 der Herren-Weltrangliste liegt, nimmt die Ungarin derzeit mit 2711 Elo-Punkten Platz 11 ein - trotz aller Widrigkeiten im Top-Schach. Die einzige Frau im Schach-Zirkus muss sich gegen manche Anfeindung und Chauvinismus zur Wehr setzen. Hartmut Metz unterhielt sich darüber mit Judit Polgar.

 

Judit Polgar

Steht am Brett ihren Mann: Judit Polgar

 

Metz: Frau Polgar, ausgerechnet die Frau, die nie bei den Damen mitspielen will, ist nun beim deutschen Frauen-Meister SK Turm Emsdetten gelandet. Hat sich bei Ihnen ein Sinneswandel vollzogen?

Judit Polgar: Nein, ich werde auch in nächster Zukunft ausschließlich bei Männer-Turnieren spielen. Ich bin vor allem für das Emsdettener Zweitliga-Herrenteam verpflichtet worden.

Metz: Das heißt, Sie spielen nie in der Frauenmannschaft?

Polgar: Man soll nie nie sagen. Wenn ein ganz wichtiges Spiel für den SK Turm ansteht, trete ich eventuell doch einmal an. Generell bin ich aber nicht am Frauenschach interessiert. Nur wenn sich zufällig in einem Turnier eine Partie gegen eine andere Frau ergibt, spiele ich gegen sie. So traf ich vor wenigen Wochen in Buenos Aires auf die Chinesin Xie Jun.

Metz: Die Emsdettener Herren stehen in der zweiten Bundesliga West als Aufsteiger fest. Der Vorsitzende Raimo Vollstädt kann sich vorstellen, wenigstens einmal in der Männer-Bundesliga mit einem kompletten Frauenteam anzutreten. Damit hätten Sie keine Probleme?

Polgar: Überhaupt nicht, ich habe kein Problem, in einem Frauenteam gegen Männer zu spielen. Mein Ziel besteht darin, mich in möglichst starken Wettbewerben zu messen - und das geht nur bei den Herren.

Metz: Sie spielten bisher erst zweimal in Frauenturnieren mit: Bei den Schach-Olympiaden 1988 und 1990 unterbrachen Sie mit Ihren Schwestern Susan und Sofia die Siegesserie der übermächtigen Sowjetunion. Anschließend trat "Polgarien" bei den Damen nie mehr für Ungarn an. Die Gründe?

Polgar: Die zwei Ausnahmen rührten daher, dass der ungarische Schachverband gerne den Titel gewinnen wollte. Deshalb beugten wir uns deren Willen. Nach dem zweiten Erfolg war klar, dass diese Olympiaden keine Herausforderung für mich darstellen. Wir gewannen fast jeden Kampf 2,5:0,5 und am Schluss hatte ich 12,5 von 13 möglichen Punkten auf dem Konto. Es ging nicht um knappe, spannende Resultate mit zwei oder drei Gewinnpartien mehr auf dem Habenkonto, sondern gleich um ein Plus von zehn oder zwölf Siegen.

Metz: Kurzum: Frauenschach langweilt Sie.

Polgar: Ich habe kein Problem mit Frauen, sondern nur mit dem Niveau ihres Schachspiels. Als wir bei den Olympiaden spielten, war das Leistungsgefälle noch krasser. Das ehemalige sowjetische Team verdiente als einziges die Bezeichnung Gegner. Heutzutage ist das Feld zwar ausgeglichener, aber interessiert mich noch immer nicht sonderlich.

Metz: Ihre Schwestern Susan und Sofia wendeten sich aber später wieder dem Frauenschach zu. Susan wurde sogar Weltmeisterin. Vollzogen sie den Sinneswandel, weil sie feststellten, dass sie bei den Herren nicht gut genug für die Spitze sind?

Polgar: Ich denke, sie hat festgestellt, dass es nicht für die Herren-Weltmeisterschaft reicht und sah deshalb den Frauentitel als ihre Herausforderung an. Susan wollte vor Gründung einer Familie ihre Chance nutzen, Weltmeisterin zu werden. Sie war eindeutig favorisiert und wollte zeigen, dass sie die Beste ist.

Metz: Außerhalb der Familie Polgar.

Polgar: Ja (schmunzelt). Und Sofia spielt fast überhaupt nicht mehr, weder bei den Männern noch bei den Frauen.

Metz: Warum haben Sie sich dagegen bei den Herren durchgebissen? Besitzen Sie mehr Talent oder würden Sie die größere Spielstärke den Erfahrungen zuschreiben, die Ihre Eltern Klara und Laszlo bei ihrem Erziehungs-Experiment sammelten, so dass die Jüngste davon profitierte?

Polgar: Das auf jeden Fall. Hinzu kommt, dass ich von negativen Erfahrungen verschont geblieben bin, im Gegensatz zum Beispiel von Susan. Sofia verbuchte zunächst auch die besseren Resultate als Susan, hatte dann aber das Pech, dass ich noch besser spielte, sie deshalb in meinem Schatten verschwand und an Selbstvertrauen verlor. Womöglich besaß ich auch mehr Interesse an dem Spiel, war sehr viel erfolgreicher und gewann dadurch mehr Selbstvertrauen hinzu. Das alles zusammen genommen puscht einen nach vorne.

Metz: Ihre älteste Schwester Susan, die in New York verheiratet ist, trat nach dem WM-Gewinn nie mehr an. Warum?

Polgar: Sie hatte Ärger mit der Fide, die Zeit ging ins Land mit der Weltmeisterschaft - und dann gebar sie eben ein Kind. Inzwischen hat sie ein zweites bekommen.

Metz: Wird sie Ihrer Ansicht nochmals ans Brett zurückkehren oder hat sie mit ihrer Karriere abgeschlossen?

Polgar: Wer weiß? Von der Spielstärke her kann sie jederzeit ein Comeback feiern. Es fehlt ihr nur die Praxis.

Metz: Vor wenigen Tagen besuchten Sie Ihre Schwester in New York. Welche Themen stehen bei Ihren Gesprächen im Mittelpunkt? Schach?

Polgar: Das zählt nicht zu unseren Hauptthemen. Lieber plaudern wir über die Familie, die Kinder (lacht).

Metz: So verkneift sich die ältere Schwester Tipps für Ihre Karriere?

Polgar: Im Schach herrscht nie Stillstand. Wenn man wie Susan nicht mehr ganz so involviert ist und einiges verpasst, weil sie zwei Kinder aufzieht, gibt man eher selten Hinweise.

Metz: Auch Ihre zweite Schwester Sofia, die mit dem israelischen Großmeister Jona Kosaschwili verheiratet ist, fällt mehr durch die Mitarbeit auf der Schachseite www.Kasparovchess.com auf als durch Turnier-Teilnahmen.

Polgar: Seit Eröffnung des Kasparov Chess Club im Internet arbeitet sie dort. Der Fulltimejob nimmt sie ganz in Beschlag.

Metz: Auch wenn jetzt zwei seiner drei Töchter kaum mehr Schach spielen, würden Sie das Experiment Ihres Vaters Laszlo, der behauptete, Genies könne man durch bloße Erziehung produzieren, als gelungen betrachten?

Polgar: Ich denke, er bewies, dass seine These stimmt, auch wenn das große Ziel, von dem er träumte, bisher nicht erreicht wurde. Er brachte uns an die Spitze. Andere versuchten ähnliche Erfolge zu haben, kamen aber nicht einmal in die Nähe der Spitze. Ich bin der Ansicht, dass er seine Arbeit sehr gut gemacht hat.

Metz: In Ungarn besteht keine Schulpflicht mehr, nachdem Ihr Vater Laszlo bewies, dass es bei Pädagogen als Eltern besser ohne Schule geht?

Polgar: Als mein Vater uns nicht zur Schule schickte und uns mit meiner Mutter Klara selbst unterrichtete, verstieß das gegen das Gesetz. Inzwischen sind die Bestimmungen in Ungarn gelockert. Ob das ein Verdienst meines Vaters ist, weiß ich nicht.

Metz: Sein Traum, einen Weltmeister bei den Männern hervorzubringen, bleibt bisher unerfüllt. Trauen Sie es sich zu, ihm diesen Wunsch zu erfüllen? Mit 25 Jahren sind Sie ja im besten Schachalter.

Polgar: Ich trainiere und arbeite für mein Schach, würde aber nie sagen: Ich gebe mein Leben für diesen Titel. Durch den K.o.-Modus bei der WM haben sich meine Chancen sicher verbessert, allerdings dürfen auch andere Großmeister Hoffnungen hegen.

Metz: Sie sagen, Sie würden nicht Ihr Leben dafür geben. Besteht also auch bei Ihnen der feine Unterschied zwischen Frauen und Männern, von denen manche alles für den WM-Titel opfern würden?

Polgar: Ich kann auch alles aufgeben, um in der Weltrangliste nach oben zu klettern oder Weltmeister zu werden. Aber es ist ziemlich schwer, wenn man es nicht mit aller Konsequenz will. Offensichtlich ist es einfacher, wenn man nur ein Ziel kennt, nämlich der Beste der Besten im Schach zu sein. Dafür muss man viel opfern. Ich traf die Entscheidung, dass Schach für mich wichtig ist, aber auch andere Dinge große Bedeutung besitzen. Frauen können genauso fanatisch in ihrer Arbeit aufgehen. Das hängt nicht zwingend vom Geschlecht ab. Gründen sie eine Familie, kleben sie weniger an ihrer Arbeit. Das kann sich später aber wieder ändern.

Metz: Männer machen weniger Abstriche ...

Polgar: Es gibt solche und solche. Offensichtlich kennt Kasparow nichts anderes als Schach, und ich könnte problemlos 500 weitere Spieler dieser Sorte benennen. Das ist Sache der Einstellung und der Willenskraft.

Metz: Und wie steht es mit Ihrer Willenskraft, Weltmeister zu werden? Reicht sie für den Titel?

Polgar: Ich arbeite nicht Tag für Tag dafür wie manche Männer. Ich versuche es eben auf meine Art.

Metz: Ist es als einzige Frau manchmal schwer, einem ansonsten geschlossenen Männerzirkel ausgesetzt zu sein? Oder bringt es ebenso Vorteile mit sich?

Polgar: Ich habe Gott sei Dank Zeit genug gehabt, mich daran zu gewöhnen. Für mich ist es normal geworden, die einzige Frau bei Turnieren zu sein. Die meisten akzeptieren mich als Kollegin. Es ist nur einfach, wenn man seine eigene Identität, seinen Charakter wahrt. Manchmal gerät man jedoch in Situationen, die lediglich passieren, weil man die einzige Frau ist. Ich habe mich damit aber arrangiert.

Metz: Um welche Situationen handelt es sich?

Polgar: Ich versuche es zu verdrängen und nicht in Erinnerung zu rufen.

Metz: Zahlreiche Großmeister lästern über das Frauenschach. Existiert im Schach zu viel Chauvinismus?

Polgar: Nicht nur im Schach! Das gilt generell.

Metz: Werden Sie am Brett damit konfrontiert?

Polgar: Mir ins Gesicht sagen sie es nicht, dass Frauen kein Schach spielen können. Vielleicht machen sie es hinter meinem Rücken. Aber dann höre ich es nicht. Insgesamt habe ich jedoch das Gefühl, dass sie mich mehr oder minder akzeptieren - vor allem wenn ich ihnen persönlich am Brett beweise, dass ich zur "Firma" gehöre.

Metz: Wer ist der größte Chauvinist, der Ihnen bisher begegnete?

Polgar: Ich weiß nicht, ich sammele diese Burschen nicht.

Metz: Ex-Weltmeister Garri Kasparow hat sich bis vor kurzem, als er in Linares mit zwei Remis zufrieden sein musste, nur abfällig über Sie geäußert.

Polgar: Die Jahre über hat er viel erzählt. Aber er hat auch über all die anderen Spieler seine speziellen Ansichten. Es ist klar, dass er nicht daran glaubte, dass Frauen hervorragende Ergebnisse im Schach erzielen können. Solche Leute kann man nur durch gute Resultate eines Besseren belehren, durch nichts anderes. Generell habe ich keine Probleme mit ihm, er hatte wohl eher Probleme mit mir. Manchmal ist es für die eigene Gesundheit von Vorteil, nicht alle Interviews von ihm in Schachzeitungen zu lesen ...

Metz: Einer Ihrer Gegner bei der Europameisterschaft, der deutsche Großmeister Alexander Graf, der als 63. in der Weltrangliste 43 Plätze hinter Ihnen liegt, verkündete lauthals in einem Interview, Sie verstünden nichts vom positionellen Schach.

Polgar: Was soll ich über solche Leute sagen? Er behauptete auch, mehr vom Schach als Kasparow zu verstehen, nimmt man diesem seine Eröffnungstheorie. Bei der Europameisterschaft belegte ich Platz vier und er lag hinter mir. In der Partie konnte er mich auch nicht schlagen, stimmt's? Davon unabhängig: Ich fühlte bereits in unserer Begegnung, dass er ziemlich überzeugt von sich ist. Er benahm sich nicht sonderlich fair. Als ich ein Remis anbot, lehnte er es ab. Als es ganz am Ende trotzdem auf die Punkteteilung hinauslief, bot er kein Unentschieden an, sondern reckte mir nur die Hand entgegen und sagte: "Okay, remis." So, als ob ich immer zu akzeptieren hätte, wenn er das Remis verkündet. Natürlich war die Stellung ausgeglichen, aber normalerweise hat man das Remis anzubieten und der andere nimmt es an oder nicht. Aber nein, er schob seine Hand übers Brett und sagte: "Remis." Offenbar hat er keinerlei Probleme mit dem eigenen Selbstvertrauen, das ist klar.

Metz: Meinen Sie, er ist neidisch oder verärgert, dass die breite Masse in Deutschland nur fünf, sechs Schachspieler kennt. Kasparow, Karpow, Kramnik, Anand, Judit Polgar und vielleicht Hübner als einzigen Deutschen?

Polgar: Ich bin mir sicher, dass es viele neidische Schachspieler gibt. Sie denken nicht nach, bevor sie solches Zeug reden. Ich habe ebenfalls viel Zeit und Energie investiert, um ein guter Schachspieler zu werden. Vielleicht bin ich nicht besser als mancher von ihnen, ich musste aber auch einen steinigen Weg beschreiten. Mit meinen Schwestern zusammen stand ich bereits früh im Rampenlicht. Die Leute nervten mit Vorurteilen wie "ihr seid Mädchen, ihr könnt das nicht" und so fort. Dass meine Rolle positiv fürs Schach ist, sehen sie nicht. Offensichtlich finden Organisatoren die Teilnahme der einzigen Frau in einer ansonsten geschlossenen Männergesellschaft als äußerst reizvoll. Vor allem steigt dadurch auch die Publicity für das Turnier. Natürlich ziehe ich jetzt daraus finanziellen Nutzen. Der Lohn fiel mir allerdings nicht in den Schoß. Ich musste vieles unter schwierigen Umständen hart erarbeiten und wurde nur so gut, wie ich jetzt bin, weil ich besondere Willenskraft besitze - und vor allem die Stärke habe, all diese unmöglichen Spitzen zu ignorieren! Anscheinend vergessen die Leute gerne, dass auch bei mir die Götter vor den Erfolg den Schweiß gesetzt haben. Lieber fällen sie ihr Urteil nach wenigen Augenblicken.

Metz: Ihr Vorteil gegenüber anderen Frauen besteht somit zum Teil darin, dass Sie das Geschwätz der Männer leichter verdauen?

Polgar: Einer meiner Vorteile besteht darin, dass ich nicht so viele Zeitungen und Schach-Zeitschriften lese und nicht darauf höre, was andere über mich tratschen - ansonsten würde ich rasch graue Haare bekommen ... Ich versuche dem Klatsch keinerlei Aufmerksamkeit zu schenken. Ich bin genug mit dem Leben beschäftigt und spare meine Energie für Wichtigeres.

Metz: Im Gegensatz zu verbissenen Kollegen lachen Sie viel und machen Ihre Scherze. Sorgt Ihre Fröhlichkeit dafür, dass Sie manchen Blödsinn einfach mit Humor ertragen?

Polgar: Ja, manchmal ist es wirklich die einzige Möglichkeit, damit umzugehen. Wenn ich auch noch anfinge zu flennen, würde es die Situation dramatisch verschärfen. Lachen ist zweifellos die bessere Alternative, manchmal hilft auch eine zynische Betrachtungsweise des Ganzen.

Metz: Haben Sie als einzige Frau Vorteile, wenn Sie gegen Männer spielen? Mancher klagt, er könne bei den seltenen Duellen mit Frauen nicht seine volle Leistungsstärke entfalten.

Polgar: Ich bin mir sicher, dass die Männer Probleme damit haben. Erstens fehlt ihnen in der Tat regelmäßiges Spiel mit Frauen. Zweitens entsteht für manche psychischer Druck, weil sie fürchten zu verlieren und dann von ihren Mannschaftskameraden gehänselt würden. So machen sie lieber ein Remis, um bloß keine Niederlage zu kassieren. Folglich hat es jeder Mann, der zu sehr Wert auf das Ansehen bei anderen legt, gegen Frauen extrem schwer.

Metz: Nerven Sie männliche Schachspieler, so dass Sie sich privat lieber mit anderen umgeben? Ihr Ehemann Gusztav Font ist Tierarzt und hat wenig mit Schach am Hut.

 

Judit Polgar mit Ehemann Gusztav Font

Judit Polgar mit ihrem Ehemann Gusztav Font

 

Polgar: Ich hatte mir nie vorgenommen, dass mein Gatte auf keinen Fall Schachspieler sein sollte. Aber ich bin wirklich sehr glücklich darüber, einen Nicht-Schachspieler geheiratet zu haben. Nicht weil es im Schach keine netten Spieler gibt. Vielleicht hätte ich mit dem ein oder anderen Probleme wegen seiner Lebenseinstellung. Einige können damit sehr gut umgehen, denselben Beruf wie ihr Ehemann auszuüben. Ich wollte das nicht unbedingt und sträubte mich deshalb nicht dagegen, dass sich mein Leben in eine andere Richtung entwickelte.

Metz: Sie erwähnten auch "nette" Jungs im Großmeister-Zirkel. Welche Gegenbeispiele zu den Chauvinisten schätzen Sie besonders?

Polgar: Ich pflege keine übermäßigen sozialen Bindungen im Schach. Mit den meisten Spielern komme ich gut aus, ohne dass ich ganz eng mit einem von ihnen befreundet wäre. Während der Turniere bin ich lieber alleine, mit meinem Ehemann zusammen. Manchmal ist auch meine Mutter dabei. Ich konzentriere mich lieber auf meine eigenen Angelegenheiten.

Metz: Wodurch erklären Sie die Leistungsstärke zwischen Frauen und Männern im Schach? Liegen die Gründe allein in einer weniger egoistisch ausgeprägten Psyche des schwachen Geschlechts? Oder einfach daran, dass deutlich weniger Frauen das Spiel auf den 64 Feldern schätzen und ausüben?

Polgar: Zunächst gibt es zu wenige Spielerinnen. Das größte Problem besteht aber in der Tradition und der Gesellschaft. Bei den Anfängern liegt der Frauenanteil bei 50 Prozent, später verschiebt sich dies aber zusehends. Es gilt noch immer als anormal, dass Frauen Schach-Profis werden. Ich glaube, dass sich das in Zukunft ändern wird.

Metz: Weltmeister Wladimir Kramnik traut einigen Chinesinnen zu, sich in ein paar Jahren vielleicht auch bei den Männern durchzusetzen. Sehen Sie dort, dank der staatlichen Förderung, die größte Konkurrenz und womöglich einen Angriff auf Ihre Ausnahmestellung in der Frauen-Weltrangliste?

Polgar: Ich möchte erwähnen, dass sie nicht grundsätzlich so stark sind, weil sie Chinesinnen sind, sondern weil sie unterstützt werden. Sie betreiben Schach richtig ernsthaft. Möglich, dass in fünf oder zehn Jahren jemand auf meinem Niveau spielt - das muss aber nicht unbedingt eine Chinesin sein. Im Schach gilt wie in vielen Bereichen, dass alles voranschreitet, die Entwicklungen immer schneller und schneller über einen hinwegfegen. Das sieht man doch an meinem "Wunder", als ich mit 15 Jahren Bobby Fischers legendären Rekord als jüngster Großmeister aller Zeiten brach. Im vergangenen Jahrzehnt wurde auch dieser verbessert. Erst stand er bei 14, dann bei 13, mich würde es nicht wundern, wenn demnächst ein Zwölfjähriger den Großmeister-Titel erringt.

Metz: Träfe es Sie, wenn eine andere Schachspielerin Ihre Ausnahmestellung bedrohen würde?

Polgar: Ich würde es nicht bedauern, wenn andere Frauen so gut wie ich spielen. Das würde doch einiges mehr beweisen als bisher. Es gibt genug Schachspieler, die sagen: Okay, die spielt so gut wie Männer - aber die Ausnahme bestätigt die Regel. Mit den anderen Damen wären die Typen zu überzeugen, dass gutes Schach nichts mit dem Geschlecht zu tun hat. In den nächsten zwei Jahren sehe ich jedoch niemanden, der zu mir aufschließen könnte. Womöglich sieht es dann anders aus, dass plötzlich eine junge Chinesin nach oben schießt und mich schnappt.

Metz: Wenn solch eine Herausforderung bestünde, sprich die Langeweile für Sie verschwände, würden Sie dann an Frauen-Wettbewerben teilnehmen?

Polgar: Dann könnte ich es mir vorstellen. Generell verstehe ich aber den Grund nicht, warum die Aufteilung in Frauen und Männer überhaupt im Schach besteht.

Metz: Sie träumten bereits vor ein paar Jahren von eigenen Kinder. Muss man bald mit Ihrem Rückzug aus dem Schachleben rechnen?

Polgar: Momentan haben mein Mann und ich noch nicht geplant, die Familie zu vergrößern. Aber wenn es dazu kommt, muss man sehen, inwieweit ich es unter einen Hut bekomme, Schach zu spielen und Mutter zu sein.

Metz: Ihre Schwester Susan spielt nicht mehr, seit sie Mutter wurde ...

Polgar: Natürlich dient es nicht meiner Karriere, ein paar Kinder zu haben. Aber wenn ich über genügend Interesse an beidem verfüge, über genügend Willenskraft und Organisationsgeschick verfüge, dann sollte ich meine Laufbahn irgendwie fortsetzen können. Das alles muss aber wirklich von ganz Innen heraus kommen und man muss es unbedingt wollen. Ob mir dies tatsächlich gelingt, wenn ich erst einmal Mutter bin, kann ich jetzt schlecht voraussagen. Die Situation vorab zu analysieren, scheitert in diesem Fall.

Metz: Wenn Sie dann Kinder haben: Werden Sie Ihren Nachwuchs im Schach auch so fördern wie Ihr Vater Laszlo oder mehr Freiheiten zur eigenen Entwicklung gewähren?

Polgar: Sicher bringe ich ihnen Schach bei. Ich habe aber enorme Zweifel, dass sie Profi-Schachspieler werden. Auf jeden Fall will ich sie breit gefächerter erziehen als nur in diesem begrenzten Bereich. Ob sie wie meine Schwestern und ich ganz aus der Schule wegbleiben oder zum Teil den Unterricht besuchen, weiß ich jetzt noch nicht. Manchmal fördert die Schule bei Kindern nicht einmal die Hälfte eines Talents.


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