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Gerne der Märchenonkel für Unbedarfte

Interview mit Helmut Pfleger / TV-Schachmoderator verbringt 60. Geburtstag im Studio

von FM Hartmut Metz, August 2003

mehr Schachtexte von Hartmut Metz

 

   Hobbyspieler in der Bundesrepublik kennen höchstens zwei deutsche Schach-Großmeister: den ehemaligen WM-Kandidaten Dr. Robert Hübner und Dr. Helmut Pfleger. Letzterer war in den 70er Jahren die Nummer zwei hinter Hübner. Dem breiten Publikum bekannt wurde der in Teplitz-Schönau geborene Pfleger aber erst durch seine wöchentliche Kolumne in der "Zeit" und seine Schachsendungen im WDR. Seit 25 Jahren steht der Münchner Arzt regelmäßig vor der Kamera und berichtet über das königliche Spiel. Am 7. August (0.15 Uhr) macht er es während der Dortmunder Schachtage nicht anders, auch wenn der Psychotherapeut am Tag zuvor seinen 60. Geburtstag feiert. Mit Helmut Pfleger sprach Hartmut Metz.

 

Helmut Pfleger (links) mit Klaus Bischoff in der Kommentatorkabine bei den Dortmunder Schachtagen 2002

 

Frage: Herr Pfleger, wie gefällt Ihnen Ihr Etikett Märchenonkel?

Helmut Pfleger: Mein Gott, nicht so besonders, weil es auch etwas Herablassendes, Despektierliches hat. Was ich natürlich versuche, ist den Zuschauern das Schach mit Metaphern und Allegorien näher zu bringen, ohne mich auf den rein technischen Part zu beschränken. Das mache ich, weil man ansonsten viele einfach abschrecken würde.

 

Frage: Spricht aus dem Etikett der Neid mancher Großmeister-Kollegen, die es nicht aus Ihrem Schatten - sei es im Fernsehen, als Kommentator bei Turnieren wie in der Popularität - heraus schafften?

Pfleger: Das nehme ich an, dass es sich zumindest teilweise so verhält. Zum einen ist es nicht jedermanns Sache, wenn ich Anekdoten erzähle. Für viele Schachspieler, besonders die guten, zählen mehr die langen Analysen. Aber für die mache ich nicht die Sendungen, für die schreibe ich nicht meine Artikel, das ist ganz klar. Die Mehrzahl, die große Mehrzahl der Zuschauer oder Leser sind relativ unbedarft. An den wenigen, die wirklich sehr gut sind, mögen meine Beiträge vorbeigehen.

 

Frage: Schmerzen die gelegentlichen Anfeindungen oder laufen diese eher hinter Ihrem Rücken ab?

Pfleger: Die gehen mehr hintenrum. Direkt sagen sie es weniger. Was ich im Allgemeinen höre, ist das Lob von Leuten, die berichten, "ich schaue ihre Sendungen sehr gerne an" oder "lese gerne ihre Spalten". Die Mehrzahl trägt einem lieber Lob zu, als "das war furchtbar". Aber selbst das erlebte ich bereits, beispielsweise sei mein "fränkischer Dialekt nicht auszuhalten". Natürlich schmerzen die Anfeindungen - und gleichzeitig stimmen sie mich auch nachdenklich: Ich hinterfrage mich, ob ich nicht nüchterner oder sachlicher kommentieren sollte. Manchmal ist es eben der Neid, der Futterneid. So versuchten manche schon, mir meine Spalten in der "Zeit", der "Welt am Sonntag" oder die Sendungen im Fernsehen abspenstig zu machen. Das geschieht dann mit Kritik oder Aussagen wie "der Pfleger und der Hort machen das schon ewig lang. Da wird es mal Zeit, dass es jüngere Leute machen" (lacht).

 

Frage: Sie parlieren gern von Rappen und Schimmeln. Muss das sein?

Pfleger: Die Bezeichnungen benutze ich heutzutage kaum noch. Das war eine Periode. Ich glaube, jede Sprache hat so ihre Zeit. Nichts gegen die Rappen und Schimmel damals, heute würde es nicht mehr so passen. Ich bin doch teilweise in der Sprache nüchterner geworden. Deshalb benutze ich jetzt meist den schlichten Ausdruck Springer.

 

Frage: Sie nennen Ihre naiven Fragen, "den dummen August" mimen. Erniedrigung angesichts Ihres enormen Schachwissens, um eine Dienstleistung am TV-Kunden zu vollbringen?

Pfleger: Ja, ja, zumindest wenn es um Wechselspiele mit Vlastimil Hort geht. Dann schlüpft mal der eine, dann mal der andere in diese Rolle hinein. Vielleicht ist es auch zu viel des Guten, ich weiß es nicht. Gerade wenn dann nicht eine, sondern zwei negative Reaktionen kommen, frage ich mich schon, war es heute zu viel?

 

Frage: Haben Sie mit Vlastimil Hort einen kongenialen Partner für Ihre Sendungen gefunden?

Pfleger: Wobei zeitweilig mit Vlastimil Hort durchaus eine Rivalität herrschte. Macht er es besser, komme ich besser an? Insgesamt sprechen wir aber weitgehend dieselbe Sprache. Sie sagten "kongenialen Partner gefunden": Ich glaube es wirklich. Ich habe es auch gemerkt, als wir beispielsweise bei den Chess Classic Mainz zusammen tagelang kommentierten. Mit ihm ist es einfach angenehm. Die Gefahr besteht natürlich auch darin, dass wir uns zu sehr verlieren im, mein Gott, Drumherum und irgendwelchen Geschichten. In Dortmund verhält es sich mit Klaus Bischoff seit Jahren anders. Wichtig ist dabei allerdings auch, dass wir uns menschlich gut verstehen, sonst würde es über viele Stunden nahezu unerträglich. Klaus Bischoff übernimmt mehr den technischen Part und führt mich immer wieder (schmunzelt) auf den Pfad der Tugend zurück: "Moment Mal, jetzt wollen wir aber bei der Stellung bleiben." Gleichzeitig halte ich es für ganz gut, wenigstens ab und an abzuschweifen und sich nicht nur auf die Schwäche des Isolanis zu konzentrieren und auszuführen, wie man diesen am besten belagern kann.

 

Frage: Alte Haudegen wie Sie und Vlastimil Hort stecken voller Histörchen, ganz anders als Jungspunde.

Pfleger: Das mag eine Schwäche sein. Wir sind eine andere Generation: Ich werde in ein paar Tagen 60, Vlastimil in ein paar Monaten. Wir kommentieren praktisch Partien von Leuten, die unsere Kinder oder gar Enkel sein könnten. Wir sind deshalb vielleicht ruhiger und alles wirkt getragener. Alles hat seine Vor- und Nachteile. Früher kommentierte ich teilweise viel engagierter.

 

Frage: Wie ist Ihr Verhältnis zueinander abseits der Kommentierung, jetzt, mit weniger Rivalität zwischen den alten Schlachtrössern?

Pfleger: Wir gehen nicht zusammen in die Pilze. Aber das liegt auch daran, dass er nicht in München lebt. Ansonsten wäre der Kontakt privat sicher intensiver.

 

Frage: Stimmen Sie vor der Sendung ab, wer heute welche Rolle übernimmt?

Pfleger: Überhaupt nicht. Wir reden nie, nie vor der Sendung über dergleichen. Wir improvisieren frei.

 

Frage: Welche Stärken zeichnen Sie aus? Sehen Sie auch Schwächen bei Ihnen?

Pfleger: Stärken sind vielleicht eine bilderreiche Sprache.

 

Frage: So wie vorher: "In die Pilze gehen." Das hört man kaum, stattdessen hätten andere "um die Häuser ziehen" gesagt.

Pfleger: In dem Fall hat es sogar einen realistischen Hintergrund und ist nicht ganz abwegig: Ich war früher häufig auf Pilzexkursionen und Vlastimil Hort auch. Was meine Sprache anlangt und mein Bestreben, Schach nicht rein technisch zu sehen, bin ich geprägt von meinem ersten Schachbuch: Das war das Knaur-Schachbuch von Martin Beheim-Schwarzbach. Der war bestimmt kein großer Schachspieler, schilderte aber alles sehr lebendig - und das hat mir gefallen. Ich habe das immer gesucht und wahrscheinlich auch unbewusst verfolgt.

 

Frage: Und Schwächen? Sind Sie beispielsweise nervös vor Sendungen.

Pfleger: Nein, ich war nie sehr nervös vor den Sendungen und bin im Allgemeinen relativ ruhig. Die Gelassenheit ist also eher eine Stärke von mir, so dass ich nicht vor Nervosität zerfließe. Das macht es einfacher für mich. Schwäche vielleicht wirklich, dass ich mich in solchen Anekdoten und Bildern verlieren kann, das mag schon mal sein.

 

Frage: Sind andere mit Schach im Fernsehen gescheitert, weil sie zu analytisch an die Kommentierung herangingen? Eric Lobron hatte auch einmal eine Sendung.

Pfleger: Das war bei Eurosport. Da lag mir das Angebot vor, ich lehnte jedoch ab, weil die Bedingungen miserabel waren. Wobei ich finde, dass er es noch durchaus gut gemacht hat. Es lag also nicht an ihm. Man konnte beispielsweise die Bretter auf dem Bildschirm nicht mehr erkennen. Wenn also ich, der nun wirklich etwas vom Schach versteht, nicht mehr mitbekommt, wie es da eigentlich steht, wie soll es da anderen erst gehen? Folglich musste er an den Voraussetzungen scheitern. Ansonsten hängt es schon mit dem Anspruch zusammen, den einer verficht. Mit Lobron kommentierte ich einmal ein Jahr in Dortmund. Dabei wollte er nicht so zusammen im Wechselspiel arbeiten, um die reine Lehre des Schachspiels zu bewahren. Deshalb kommentierte jeder für sich die Partien auf zwei Kanälen und jeder Zuschauer konnte - wie teilweise bei den Chess Classic Mainz - wählen, was ihm lieber ist. Ich glaube wirklich, dass meine Anmerkungen abwechslungsreicher sind und die meisten es doch lieber hören. Im nächsten Jahr wurde Lobron jedenfalls nicht mehr verpflichtet.

 

Frage: Wie bewerten Sie die Entwicklung des Schachs im Fernsehen?

Pfleger: Miserabel natürlich, wenn man es mit früher, den goldenen Zeiten, als es noch wirklich viel Schach im Fernsehen gab, vergleicht. Da liefen die Sendungen zu guten Sendezeiten in allen dritten Programmen und teilweise in 3Sat und im ZDF. Es war einfach viel, viel mehr. Im ZDF-Sport machte ich Lehrsendungen oder die dritten Programme arbeiteten noch zusammen und die Sendezeiten lagen um 10 Uhr abends und nicht wie heute nach Mitternacht. Durch die privaten Sender hat sich einiges geändert. Es war früher bei den Öffentlich-Rechtlichen auch viel mehr Geld da. Es hat sich alles verschlechtert und man muss heilfroh sein, dass es den Claus Spahn gibt. Er setzte sich als Redakteur stets beim WDR ein. Er schied jetzt zwar aus, hat sich aber ausbedungen, dass die Schach-Sendungen zumindest noch bis 2005 weitergehen. Ich befürchte, dass sie danach ohne Fürsprecher auslaufen.

 

Frage: Dabei brüsten sich doch gerne Entscheider und Promis mit ihren Schachkünsten und mimen den Intellektuellen.

Pfleger: Ich habe noch nie einen erlebt, der an entscheidender Stelle das Schach förderte. Ein Intendant oder Programmdirektor könnte dies mit einem Federstrich tun.

 

Frage: Die WM-Bücher waren ab 1993 nicht mehr die Bestseller wie vorher. Sie selbst sahen in den Medien eine Zäsur für das königliche Spiel mit der WM-Abspaltung von Kasparow.

Pfleger: Ja, auf jeden Fall, auf jeden Fall und zwar ganz entscheidend. Das gilt bis zum heutigen Tag mit diesem Chaos. Kein Mensch weiß mehr, wer eigentlich Weltmeister ist. Insofern herrschte früher viel mehr Interesse an diesen WM-Kämpfen. Hinzu gesellt sich das Tohuwabohu im Weltverband. Die Ordnung fehlt. Früher gab es einen regelmäßigen Zyklus und es war klar, dass es nur einen Weltmeister gab. Jedes Mal wenn ich heute einen Artikel schreibe, muss ich eine Litanei herunterbeten: Kramnik, der Weltmeister, der Kasparow entthronte und so weiter. Und dann taucht plötzlich in dem Text der Weltmeister Ponomarjow auf ... Es ist einfach nicht mehr schön. Ich hoffe wirklich, dass es zu einer Wiedervereinigung der Titel kommt. Das ganze Theater ist so schädlich. Die Abspaltung von Kasparow war eine Riesendummheit, die ihm selbst schadete.

 

Frage: Die Klagen der Schachspieler verstummen nie, sie kämen auch in den Printmedien zu schlecht weg. Im Vergleich zu anderen Randsportarten scheint mir das aber nicht zu stimmen. Ihre Kolumnen werden doch gerne und häufig veröffentlicht.

Pfleger: Ich denke aber auch hier, dass es weniger wurde. Es gibt weniger Schachspalten in Magazinen. Beispielsweise Manfred Mädler hat all seine Schachspalten verloren. Sie und ich brauchen sich da vielleicht noch nicht zu beklagen, aber insgesamt ließ es nach.

 

Frage: Besonders Ihre Kolumne im Wochenmagazin "Die Zeit" ist berühmt. Die gesammelten Werke erscheinen zudem regelmäßig in Buchform. Wie kam es zu der Spalte und auf welche Inhalte legen Sie dort Woche für Woche wert?

Pfleger: Zeit-Redakteur Wolfram Runkel sprach mich 1981 an, ob ich das machen könnte. Die Spalte läuft also seit 22 Jahren. Ich versuche sie dabei nicht nur rein schachlich, sondern etwas feuilletonistisch zu machen. Ich versuche eine Geschichte zu schreiben, mit allgemeinen oder philosophischen Erwägungen. Oder Anekdoten. Ich versuche dabei selbstverständlich, den schachlichen Inhalt nicht aus dem Auge zu verlieren. Roswin Finkenzeller dagegen schreibt in der FAZ über irgendetwas und kommt dann oft fast gewaltsam zur Schachaufgabe. Unlängst klagte ein Leser, die Aufgaben seien zu leicht. Ich glaube jedoch, dass sie immer noch zu schwer sind für den Durchschnittsleser. Manchmal kann ich eine schwere Aufgabe allerdings nicht vermeiden: Eine gute Geschichte ist mir wichtiger als die Auswahl einer leichten Aufgabe. Gerade heute erhielt ich wieder einen Brief vom ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Er sagte einst zu mir, dass er allenfalls ein Drittel der Aufgaben lösen könne. Dabei ist er ein Amateur, der durchaus etwas vom Schach versteht. Mir schreibt auch ein Problemfreund regelmäßig sehr humorvoll. Ich bringe dann auch ab und zu ein Problem - doch die sind für mindestens 90 Prozent der Leser zu schwierig. Höchstens bei einem einfachen Zweizüger geht es noch. Manchmal erlaube ich mir dennoch mehr.

 

Frage: Sie haben gerne in Ihrer Kolumne mit einem Augenzwinkern über Ihren Verein Bamberg berichtet. Sie spielen inzwischen nicht mehr für den SC, der einstige ruhmreiche deutsche Meister von 1966, 1976 und 1977 stieg gar in die Oberliga ab.

Pfleger: Hier ist die Zeit, darüber zu schreiben, auch vorbei. In der zweiten Liga wurde am Wochenende ein Kampf bestritten. Und soll ich nun für einen Kampf von München aus nach Leipzig fahren? Ich habe so viele andere Dinge um die Ohren, so dass es mir zu viel mit dem Spielen wurde. Schließlich müsste man sich dann auch noch vorbereiten - und wenn man es unterlässt, steht man nach der Eröffnung bereits halb jenseits von Gut und Böse. Danach versucht man mühevoll, noch zu überleben. Das ist nicht das, was ich wirklich möchte.

 

Frage: Das hört sich zumindest aber so an, als besäßen Sie gewissen Ehrgeiz, wenn sie doch ausnahmsweise am Brett sitzen.

Pfleger: Natürlich. Ich würde auch noch gerne Blitz- oder Schnellschachturniere spielen. Seit fünf Jahren kann es nachts vorkommen, dass ich plötzlich aus völliger Ruhe heraus unter Rhythmusstörungen des Herzens leide. Das nennt man Vorhofflimmern. Um das zu vermeiden, lass ich es eben auch. Eine Blitzpartie ist unweigerlich mit einer Adrenalinausschüttung und schnellem Herzschlag verbunden. So weit, so gut. Geht dieser Herzschlag jedoch in einen unregelmäßigen über, ist es nicht mehr so schön. Im Alter wird das nicht besser, weshalb ich versuche, solche Auslöser zu meiden.

 

Frage: Sie waren zeitweilig die nationale Nummer zwei hinter Robert Hübner. Hätte ein Klon - zusammengesetzt aus der Spielkunst des medienscheuen Hübners und der Medien-Eloquenz eines Helmut Pfleger - das deutsche Schach wachküssen können?

Pfleger: Das weiß ich nicht. Gerade Robert Hübner wirkte, so wie er war, auch interessant für den Leser. So ein 08/15-Typ, immer lieb, immer freundlich und zugänglich, gibt weniger her als jene, die im Guten oder Schlechten herausragen. Er stand auf Position drei der Weltrangliste und hätte um ein Haar gegen Karpow um die Weltmeisterschaft gespielt.

 

Frage: Was muss passieren, damit Schach wieder den Stellenwert der 70er oder 80er Jahre erhält im TV?

Pfleger: Es geht langsam, aber stetig bergab. Leider können wir keinen deutschen Topspieler forcieren. Wir haben kein Ass mehr wie Ungarn, England oder Frankreich. Worauf ich baue, ist, dass Deutschland dank der Firma Chessbase im Computer-Schach führend ist. Deren Programm "Fritz&Fertig" ist wirklich hervorragend und gewann alle erdenklichen Preise - ausgerechnet ein Schachspiel! Ich hoffe darauf, dass durch "Fritz&Fertig" wieder viele zum Schachspiel finden. In Asien, in Indien und China, gab es einen Aufschwung, vielleicht kehrt der wieder irgendwann zurück. Schach besitzt viele Werte, die ich hier nicht aufzählen muss, die andere Spiele einfach nicht haben.

 

Frage: Sie moderierten auch viele Jahre die Telekolleg-Serien Biologie und Chemie. Dazu praktizieren Sie als Internist immer noch en passant als Psychotherapeut. Haben Sie es als einst großes Talent - ich erinnere mich an Ihr fantastisches Resultat 1964 bei der Schach-Olympiade in Tel Aviv mit 12,5/15, als Deutschland auch dank Ihrer Leistung die Sowjets mit 3:1 schlug und die Bronzemedaille gewann - nie bereut, nicht Schach-Profi zu werden?

Pfleger: Bis auf eine Olympiade erzielte ich immer sehr gute Ergebnisse für die Länderauswahl. Von 1963 bis 1985 bei der Mannschafts-Weltmeisterschaft war ich, glaube ich, ein wichtiger Teil des deutschen Teams. Ich war kein Unzicker, der zu seiner Zeit der deutsche Vorkämpfer war, ich war auch kein Hübner, aber doch ein wichtiger Bestandteil der deutschen Mannschaft. Die Frage, Profi zu werden, hat sich mir aber nie gestellt. Ich frag' mich selbst warum. Früher lief bei mir so viel unbewusst und neurotisch ab, vieles ging einfach an mir vorbei. Möglicherweise auch einfach das. Es spricht also gar nichts dafür, dass ich vernünftig war. Es war mir immer irgendwie klar, dass ich einen anständigen Beruf wie die Medizin ergreife. Dass sich mir nie die Frage nach dem Profitum stellte, ist also eher schon wieder bedenklich, obwohl mir Schach sehr viel bedeutete. Ich nahm leidenschaftlich gerne an Turnieren teil.

 

Frage: Bereuen Sie das Versäumnis, nicht ganz auf die Karte Schach gesetzt zu haben?

Pfleger: Nein, eigentlich nicht. Um ganz nach oben zu kommen, hätte mir sicher etwas gefehlt. Ich war nie ein Hübner, der hier zu Lande als ganz besonderes Talent gilt. Auch wenn sich viel Fleiß dazugesellt hätte, wäre mir mein ganz schlechtes Gedächtnis im Wege gestanden. Selbst wenn ich kräftig gepaukt hätte, hätte ich alles auch schnell wieder vergessen. Das Training besaß früher zwar noch nicht diese Bedeutung, aber trotz alledem hätte es nicht gereicht. Ein Manko wäre geblieben, mit dem ich hätte leben müssen. Ich war kein Rundumschachspieler. Die Taktik und vor allem der Kampf lagen mir mehr, wenn der Gegner sich auf mich stürzte. Langfristige Pläne schmieden, die große Strategie, das war nie mein Fall. Diese Defizite hätte ich nicht beseitigen können.

 

Frage: Wie lange dürfen die deutschen Schachspieler noch auf Sie als königlicher Medien-Guru zählen?

Pfleger: Ich wünschte mir, noch sehr lange - ich fürchte aber wirklich, dass es mit dem Jahr 2005 beim WDR zu Ende geht. Hoffnung auf eine Fortsetzung besteht jedoch immer, auch in meinem ureigensten Interesse (lacht). Wenn einer wie Sportminister Otto Schily wieder in der nächsten Sendung dabei ist, kann das nur förderlich sein. Ich lade auch Richard von Weizsäcker häufig ein, doch er möchte nicht mehr so richtig. Oder Fußballtrainer Felix Magath. Wenn sich solche Prominenten zum Schach bekennen, hilft es unserem Sport. Davon hängt das Wohl und Wehe des Schachs ab.

 

Frage: Direkt nach Ihrem 60. Geburtstag am 6. August stehen Sie ab 0.15 Uhr vor der Kamera. Gibt es da noch eine Geburtstagstorte mit Schoko-Rappen und -Schimmeln, Burgfräulein und Monarchen?

Pfleger: Ich finde es unglücklich und ist mir nicht recht. Ich feierte meine Geburtstage kaum. Diesmal hätte ich gerne etwas mehr gemacht - doch ausgerechnet heuer findet Dortmund später denn je statt. Ich werde meinen Geburtstag insofern gar nicht feiern, nur im ganz kleinen Familienkreise mit meinem Sohn. Mit sehr guten Freunden fahren wir später nach Italien, wo wir die Feier dann etwas nachholen werden. In der Sendung selbst werde ich mit Sicherheit nichts machen. Auf welche Ideen Hort oder Spahn kommen und Anspielungen machen, denen ich mich nicht entziehen kann, weiß ich nicht.

 

Frage: Erzählen Sie uns am Schluss die Lieblings-Anekdote des Märchenonkels Helmut.

Pfleger: Ich kann Ihnen eine Geschichte erzählen, die über Schach hinausgeht, mir aber sehr gut gefällt: Ein Skorpion kommt an den Nil und will ans andere Ufer. Daher bittet er das Nilpferd, ihn doch auf die andere Seite zu bringen. Das Nilpferd sagt zum Skorpion: "So dumm werde ich nicht sein. Dann stichst du mich und ich bin tot." "Aber nein", entgegnet der Skorpion, "das wäre doch dumm. Dann würde ich ja auch auf dem Fluss mit untergehen." Das überzeugt das Nilpferd und nimmt den Skorpion auf den Rücken. Und, als sie in der Mitte des Flusses sind, sticht der Skorpion doch zu. Das Nilpferd ganz entsetzt: "Was hast du gemacht? Jetzt gehen wir beide unter." Der Skorpion sagt: "Ja, ich weiß - aber ich kann nicht wider meiner Natur!" Ich halte dies zum einen für eine sehr weise Geschichte, zum anderen gibt sie den Stil mancher Schachspieler wieder. Sie schreiben sich Besonnenheit auf die Fahne und wollen vernünftig spielen - bis der Gaul mit ihnen durchgeht und sie wie der Skorpion nicht anders können.


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