Startseite Rochade Kuppenheim

Ein 17-jähriger Großmeister ohne Euphorie

Der Dortmunder Arkadij Naiditsch wagt nach seinen Remis gegen Schach-Weltmeister Kramnik ein Jahr Schulpause

von FM Hartmut Metz, August 2003

mehr Schachtexte von Hartmut Metz

 

Arkadij Naiditsch

Arkadij Naiditsch

 

   "Ich bin nie zufrieden und habe kein gutes Resultat erzielt." Arkadij Naiditsch zeigt erstaunlich wenig Euphorie für einen 17-Jährigen, der gerade bei den Dortmunder Schachtagen die vier Partien gegen Weltmeister Wladimir Kramnik (Russland) und dessen Herausforderer Peter Leko (Ungarn) ungeschlagen überstand. Sicher, gegen Kramnik "lief es super" und die zwei Remis seien auch "ein tolles Gefühl" gewesen, doch mehr wurmt den Dortmunder Lokalmatador bei seinem ersten Auftritt in der Elite die Niederlage gegen Ex-Weltmeister Viswanathan Anand (Indien). "Der war nach seinem Fehlstart angeschlagen - und dann verliere ich nahezu kampflos gegen ihn."

   Das derzeit größte Talent des Deutschen Schachbundes (DSB) ebnete zudem Viorel Bologan den Weg zum Sensationssieg. Dem 31-jährigen Moldawier, der sich mit einem Erfolg beim Aeroflot-Open in Moskau für das Grand-Slam-Turnier qualifiziert hatte, unterlag Naiditsch zweimal. Mit 6,5:3,5 Punkten beendete der Weltranglisten-42. überraschend die Serie des sechsfachen Dortmund-Gewinners Kramnik, der mit Anand (beide 5,5:4,5) Platz zwei belegte. Bologan hatte sich vor den Schachtagen erstaunlicherweise weniger mit den Bauern auf dem Brett beschäftigt, als sich selbst als solcher betätigt: "Wir haben eine Datscha auf der Krim gekauft, und Viorel hat einen Monat lang die Erde umgepflügt. Er träumt von einem schönen großen Garten", berichtete seine Ehefrau Margarita.

   Naiditsch wurde hinter Teimour Radjabow (5:5) und Leko (4:6) mit 3,5 Punkten zwar nur Letzter, der Weltranglisten-180. erwies sich aber nicht als das Schlachtopfer, für das ihn mancher Experte gehalten hatte. Und das trotz mangelnder Erfahrung gegen die Topleute. "Für mich war das das erste große Turnier. Radjabow wird schon seit eineinhalb Jahren regelmäßig zu solchen Wettbewerben eingeladen", verweist der 17-Jährige auf den großen Unterschied zu dem 16-jährigen Aserbaidschaner. Weitere Vergleiche drängen sich auf, denn beide eroberten unglaublich früh den Großmeister-Titel: Naiditsch mit 15, Radjabow gar mit 14. Damit befinden sie sich in der Dimension von Schach-Legenden wie Bobby Fischer und Judit Polgar.

   Ansonsten sind sie gegensätzlich. "Radjabow spielt ganz anderes Schach, immer spektakulär nach vorne, ich spiele dagegen positionell", erläutert Naiditsch. Im direkten Duell setzte sich jeder der beiden Turnier-Youngsters einmal durch. Während der Weltranglisten-45. fest davon überzeugt scheint, wie der ebenfalls in Baku geborene Garri Kasparow einmal Weltmeister zu werden, ist sich Naiditsch nicht einmal sicher, ob es ihm zu einem Platz unter die ersten Zehn langt. "Ach, das mit dem großen Talent ist doch so eine Sache. Ob es ganz nach oben reicht, ist alles Spekulation", klingt der gebürtige Rigaer weit weniger enthusiastisch. Versuchen will es der ehemalige Schüler-Europameister und Vizeweltmeister dennoch. "Ich lasse mich jetzt ein Jahr vom Unterricht freistellen", berichtet der Elftklässler, "das kann ich riskieren." Ein guter Schüler sei er ohnehin nie gewesen. "Wenn man zwei Stunden Eröffnungen paukt, hat man anschließend keine Lust mehr auf Spanisch-Vokabeln", erklärt der Hobby-Fußballer, der gelegentlich die Borussen im Westfalenstadion ansieht.

   Trotzdem will Naiditsch an die Gesamtschule zurückkehren, sollte er keinen Riesensatz nach vorne machen. "Nur als Top-Ten-Spieler kann man gut vom Schach leben. Alles andere ist zu wenig", weiß Naiditsch. "Wen interessiert schon die Nummer 50 in der Welt?", ergänzt sein Betreuer Stefan Koth. "Arkadij muss sehen, ob er künftig Hobbyspieler mit einem geregelten Beruf und Einkommen wird oder Schach-Profi." Erstes gutes Geld kann sein Schützling gleich bei "Schach der Großmeister" am 19. August verdienen. In der WDR-Fernsehsendung trifft Naiditsch auf Jan Timman. Dem ehemaligen Vizeweltmeister aus den Niederlanden hatte der 17-Jährige schon 2002 bei den Dortmunder Schachtagen ein 4:4 abgetrotzt.

   Der Rohdiamant muss ansonsten wohl wie in den vergangenen sieben Jahren seit der Übersiedlung aus Lettland auf Unterstützung seines Vereins Dortmund-Brackel bauen. Die DSB-Funktionäre warfen Naiditsch und seiner Familie, in der offenbar auch die drei jüngeren Schwestern vom Vater das Spiel sehr gut gelehrt bekamen, mehr Knüppel zwischen die Beine, als dass sie ihr größtes Talent im B-Kader förderten. Dabei bedürfte die überalterte Nationalmannschaft, in der Christopher Lutz mit 32 der Jüngste ist, dringender Blutauffrischung. "Vielleicht klappt es endlich 2004 mit der Einbürgerung", hört sich Naiditsch auch in diesem Fall desillusioniert an.

die Dortmunder Schachpartien von Arkadij Naiditsch zum Nachspielen


zur Meko