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Den mentalen Remis-Block durchbrochen

Interview mit Peter Leko: WM-Herausforderer sieht sich nach Linares auf einer Höhe mit Weltmeister Kramnik, Kasparow und Anand

von FM Hartmut Metz, Mai 2003

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   Peter Leko eilt seit einem Jahr von Erfolg zu Erfolg. Im März belegte der 23-jährige Ungar aus Szeged sogar in Linares (Spanien) den ersten Platz vor den drei in der Weltrangliste führenden Wladimir Kramnik, Garri Kasparow und Viswanathan Anand. Beim Schnell- und Blindschachturnier in Monaco landete Leko nur hinter Anand, aber erneut vor dem Rest der versammelten Weltelite. Hartmut Metz sprach während dieses Turniers mit dem einst mit 14 Jahren jüngsten Großmeister aller Zeiten über seinen Leistungssprung, die derzeitige Hackordnung in der Weltspitze und sein anstehendes WM-Match gegen Kramnik.

 

Peter Leko

Peter Leko

 

Herr Leko, wer ist der derzeit weltbeste Schachspieler?

Ich denke, Linares hat gezeigt, dass derzeit im Grunde genommen keiner deutlich vorne liegt. Die Weltmeisterschafts-Duelle zwischen mir und "Wlad" sowie Kasparow und "Pono" können darüber mehr Aufschluss geben. Und natürlich darf man Vishy nicht vergessen, der auch ein fantastischer Spieler ist.

Frage: In Monaco belegten Sie Rang zwei hinter Anand, zuvor haben Sie in Linares, im Wimbledon des Schachs, gewonnen. Ihr bisher größter Erfolg?

Ich denke schon. Fürs eigene Prestige war der Erfolg unglaublich wichtig. Zum ersten Mal schlug ich dabei Vishy, zum anderen landete ich erstmals vor Kasparow - und ich hoffe, dass ich mich langsam daran gewöhne (lacht). Natürlich ist Dortmund nicht zu vergessen. Das Qualifikationsturnier war im Vorjahr insofern für mich bedeutsamer als Linares, weil ich dadurch die Möglichkeit habe, jetzt um die WM-Krone zu kämpfen. Beide Wettbewerbe gewonnen zu haben, ist auch deshalb sehr schön, weil alle Spieler, die in Dortmund dabei waren, nicht in Linares mitspielten. So bin ich prinzipiell vor allen gelandet!

Sehen Sie sich als alleiniger Sieger oder geteilter Sieger mit Wladimir Kramnik? Letztlich wurde ja als Feinwertung bei Punktgleichheit die Zahl der Partiegewinne herangezogen.

Für mich sind wir geteilter Sieger, das ist ganz klar. Wir besaßen beide dieselbe Punktzahl. Dass die Tradition in Linares, mit der Entscheidung durch die mehr gewonnenen Partien, für mich sprach, ist trotzdem erfreulich. Ich meine auch, dass unser beider Spielstil in Linares darauf hinwies, dass wir uns zielstrebig auf den WM-Kampf vorbereiten. "Wlad" spielte ganz schön solide, aber auch ganz schön kräftig: Wenn er eine Chance hatte, hat er sie auch genutzt. Er kam in keiner Partie in Verlustgefahr und überstand das Turnier ungeschlagen. Ich als Herausforderer muss sehr aggressiv spielen, weil mir in dem Match kein Unentschieden reicht. Deshalb strebte ich Verwicklungen an und versuchte große Spannung aufrechtzuerhalten. Ich kämpfte alle Partien aus, denn nur so hat man Chancen, die Krone zu erringen.

Bei der Siegerehrung rastete Garri Kasparow aus, weil seine Niederlage gegen Teimur Radjabow den Schönheitspreis erhielt. Einige Großmeister haben sich darüber königlich amüsiert. Wie sehen Sie den erneuten cholerischen Anfall des Weltranglistenersten?

Ich hatte eine besondere Rolle in dieser Affäre inne: Ich saß neben Kasparow. Als er von der Ehrung Radjabows hörte, kündigte er sofort an, dass er etwas zu unternehmen gedenke. Kaum ausgesprochen, rannte er auch schon los. Für mich war das daher kein Schock mehr. Ich kann ihn ein bisschen verstehen. Die Organisatoren machten einen kleinen Fehler, weil die Wahl durch die Journalisten etwas unprofessionell war. Ich glaube, die Journalisten haben sich schon im Vorfeld auf einen möglichen Skandal gefreut - und den haben sie auch bekommen. Letztlich tat der Vorfall niemandem gut. Auch Radjabow nicht. Er hatte mit der Sache nichts zu tun, war dann peinlich berührt und wusste gar nicht mehr, wie er reagieren soll. Die Partie war sicher die schockierendste des Turniers - die beste in Linares war sie aber auf gar keinen Fall.

Sie hätten ja auch ausfällig werden können, beispielsweise weil Ihr Weiß-Sieg über Radjabow nicht den Schönheitspreis erhielt. Die fand ich deutlich besser und brachte sie deshalb in meiner Schachspalte.

Ja, natürlich. Das war eine klare, gut herausgespielte Sache und kein Springerverlust wie in Kasparows Partie. Sicher wollten die sechs der 20 Journalisten, die für die Begegnung stimmten, die Sensation belohnen. Indes ist ein Sieg über Kasparow schon Belohnung genug.

Sie erwogen jedoch nicht, gleich mit Kasparow nach vorne zu springen und für Terror zu sorgen?

(Leko grinst): Nein, für mich war schließlich der Turniersieg schon das große Highlight. Zudem gewann ich ja einen zweiten Preis als der kämpferischste Spieler.

Steht Kasparow zu sehr unter Druck, weil er spürt, dass ein Wachwechsel ansteht? Sie sagen selbst, dass er derzeit nicht über den anderen steht. Oder war es die bloße Enttäuschung, seine Turnier-Erfolgsserie verloren zu haben?

Ich fühlte bereits vor dem Turnier eine sehr angespannte Atmosphäre, das schien greifbar. Vier Spieler kamen nach Linares, um zu gewinnen. Für mich gab es keinen Favoriten. Ich wusste nach einem halben Jahr Pause vom klassischen Schach nicht genau, ob es gut losgeht. Ich war jedoch ziemlich gut vorbereitet, motiviert und kämpferisch eingestellt. Es ist heutzutage sehr schwer im Spitzenschach, sein Bestes zu bringen. Kasparow besaß immer einen besonderen Status. Ich erinnere mich an das Match Russland gegen den Rest der Welt im Vorjahr in Moskau. Dort spielte er schlechter als gewohnt, sofort hieß es: Er sei nicht mehr der Alte. Danach gewann er bei der Olympiade in Bled fast alle Partien - anschließend spekulierte jeder, er sei stärker denn je ... Jetzt landet er nicht vorne, schon folgt wieder das Gerede, mit 40 könne er eben nicht mehr mithalten. Das ist nicht in Ordnung. Auch ein Kasparow kann nicht immer seine Bestform bringen, auch er ist nur ein Mensch. Zudem wird die Konkurrenz stärker und stärker.

Sie verteidigen ihn, obwohl er sich in einer Partie mit Ihnen nicht ganz korrekt benommen hat.

Ich habe für ihn Verständnis. Er war hochmotiviert, hat gekämpft - nur hat es eben nicht geklappt. In unserer ersten Begegnung gab es einen kleinen Skandal. Die Spannung darin war sehr groß, die Partie ging hin und her. Zuerst überspielte ich ihn, in dramatischer Zeitnot ließ ich jedoch den Gewinn aus. Anschließend besaß er gute Chancen. Nach sieben Stunden hatten wir beide noch etwa beide 30 Sekunden auf der Uhr. Ich reklamierte dann Stellungswiederholung, die zum vierten Mal auf dem Brett war. Doch weit und breit befand sich kein Schiedsrichter, der einschritt. Keiner wollte sich bei uns blicken lassen. Deshalb musste ich immer lauter und lauter reklamieren, obwohl es bereits die vierte Stellungswiederholung war. Die Schiris kamen noch immer nicht. Plötzlich wurde Garri böse und wollte wissen, warum ich immer lauter werde. Ich erklärte ihm, dass ich das nicht wegen ihm sagte, sondern zu den Schiedsrichtern. Sie kamen nicht, während wir miteinander schimpften. Erst nach fünf Minuten rückten die Unparteiischen an und erkundigten sich, was überhaupt los sei … Ich verwies auf die vierfache Stellungswiederholung, und wir unterschrieben die Partieformulare. Eine halbe Stunde später haben wir uns bei einem Spaziergang die Hand geschüttelt und nur noch über die Situation gelacht. In so einem Fall liegen eben die Nerven blank. Schiedsrichter braucht man wirklich sehr selten - aber wenn man sie braucht, sind sie oft nicht da.

Gegen Wladimir Kramnik und Viswanathan Anand remisieren Sie regelmäßig. Diesmal verloren Sie erst gegen den Inder, dann schlugen sie ihn in einem vermeintlich einfachen Turmendspiel. Hätten Sie gedacht, dass Sie ausgerechnet in diesem Remisendspiel Ihren ersten Erfolg über Anand feiern werden?

Seit sieben Jahren, seit 1996, remisierten Vishy und ich immer nur. Die erste Partie gegen ihn hatte ich in der Eröffnung verschenkt. Nach zehn Zügen stand ich total auf Verlust und musste unglaublich hart kämpfen, um wenigstens nicht in 20 oder 25 Zügen unterzugehen. Dass ich den Verlust bis zum 72. Zug hinauszögern konnte, war schon ein Erfolg. Die Niederlage und das Ende unserer Remisserie motivierten mich enorm für die zweite Begegnung. Ich wollte unbedingt zurückschlagen. Deshalb war die zweite Partie gegen ihn die wichtigste für mich. Zuvor hatte ich überdies gegen Vallejo eine Schlappe erlitten, weil ich ein zu hohes Risiko eingegangen war. Ich hatte das Turnier an diesem Tag schon entscheiden wollen, was in die Hose ging. So blieb mir keine andere Wahl, als gegen Vishy zu gewinnen. Ich setzte ihn von Anfang an unter Druck. In der Eröffnung brachte ich eine starke Neuerung und merkte, dass er überrascht war und nicht so schnell wie gewohnt zog. Er verbrauchte ganz schön viel Zeit, was mir weiteres Selbstvertrauen einflößte. Er verteidigte sich zunächst präzise. Aber wenn man nonstop die besten Züge machen muss, ist es nicht leicht, das ewig durchzuhalten. Plötzlich landete Vishy in diesem Turmendspiel, das theoretisch remis ist. Die letzten ein, zwei Jahre bewiesen jedoch, dass dieses Endspiel selbst auf Topniveau häufig gewonnen wird. Beispielsweise schlug Peter Swidler Wladimir Akopjan, zuvor hatte sich Akopjan selbst gegen Kiril Georgiew durchgesetzt und Rustem Dautov gewinnt dieses Endspiel ständig. Ich ging deshalb in das Endspiel, weil ich um die sehr guten praktischen Chancen wusste. Die Verteidigung fällt einem weit schwerer. Hinzu kommt ein psychologisches Moment: Schwarz verteidigt sich die ganze Zeit und entspannt, wenn er in dieses theoretische Remisendspiel kommt. Doch nach ein, zwei Ungenauigkeiten ist es manchmal zu spät zum Aufwachen. Ich denke, genau das passierte. Nachdem Vishy h5 versäumte und mich zu g4 kommen ließ, kletterten meine praktischen Chancen enorm.

Gerade an dem Versäumnis h5 entzündete sich die Kritik.

Dafür fehlte ihm auch die Zeit. Spielt er h5, kommt er mit seinem Turm nicht hinter meinen Bauern. Jeder Zug hatte einen Haken. Ohne den Turm hinter meinem a-Bauern hätte es auch zum Remis reichen können, es ist aber auch hier alles andere als leicht.

Hätten Sie sich richtig verteidigt?

(Leko schmunzelt): Schwer zu sagen. Man kann viel behaupten, von wegen "ich würde das leichter verteidigen". Letztlich ist es sehr schwer.

Bis zum zweiten Platz in Essen im Mai 2002 war die Schachszene geneigt, das Wort Remis in Leko umzubenennen. Seit dem Turnier läuft es blendend und Sie dürften auf Platz vier der Weltrangliste vorrücken. Wodurch vollzog sich der Wandel?

Sehr viele Leute haben vieles nicht verstanden. Vor zwei Jahren zog Arschak Petrosjan nach Szeged um, das war enorm wichtig. Wir fingen an, täglich sechs bis acht Stunden zu arbeiten. Der Wandel durch meinen festen Haupttrainer benötigte etwas Zeit. 2001 versuchte ich wirklich alles, aber es klappte noch nicht. Unserem Kreis war dennoch klar, dass irgendwann der Durchbruch kommt. In den Trainingspartien erkannte man den gewaltigen Unterschied. Eine ganz wichtige Rolle spielte die WM in Moskau. Mein frühes Aus war eine herbe Enttäuschung. Nach diesem Schock wussten wir aber auch: Ab jetzt kann's nur noch aufwärts gehen, schlechter wird's auf keinen Fall mehr. Ich fing an, sehr viel zu spielen und kam immer besser in Rhythmus. Bereits in Cannes 2002 begann es, ich bekam fast jeden Tag den Schönheitspreis für mein Spiel. In Monaco legte ich eine Serie von 7,5/8 gegen absolute Topleute hin, danach gewann ich in Dubai und beendete Essen mit +5. Danach setzte ich mich in Dortmund durch, was für mich - im Gegensatz zu außenstehenden Beobachtern - keine Überraschung mehr darstellte.

Sie galten aber auch vor 2001 nicht gerade als fauler Spieler und feilten selbst viel am eigenen Schach.

Schon. Ich hatte früher eigentlich weniger das Problem mit dem Einsatz, sondern mit dem Endergebnis. Die vielen Remis waren so eine Art mentaler Block. Man gewöhnt sich automatisch dran, wenn man ständig remisiert und damit identifiziert wird. Das zu durchbrechen, war schwer, aber ich habe es geschafft. Und nun spricht niemand mehr über diese Remis. Beispielsweise dachte auch jeder, Schirow sei mein Angstgegner. Ich hatte anfänglich eine schreckliche Bilanz gegen ihn. Doch im Halbfinale in Dortmund traf ich genau auf ihn. Als ich jung war, zwischen 1994 und 1996, verlor ich sehr, sehr oft gegen Schirow. Vielleicht habe ich -6 oder -8 gegen ihn, ich weiß es gar nicht genau. Seitdem glich sich die Situation aus. Seit Dortmund holte ich gegen ihn 4,5/5, das sieht schon ganz anders aus.

Ihr Schwiegervater Arschak Petrosjan hat sich auch schon als Nationaltrainer von Armenien Meriten verdient.

Bei der Olympiade in Bled war es eine angenehme Erfahrung, dass wir mit Ungarn auf Platz zwei lagen und er mit seinem armenischen Team als Dritter eine zweite Medaille mit nach Hause brachte.

Für wen ist er denn, wenn Ungarn auf Armenien trifft? Für seine Mannschaft oder seinen Schwiegersohn?

In Bled hatten wir das Glück, dass ein 2:2 gut genug für beide Mannschaften war, um unsere Plätze zu verteidigen.

Und wenn's wirklich hart auf hart käme?

Dann müssen wir spielen, schließlich sind wir Profis. In diesem Fall würde er natürlich den armenischen Spitzenspieler nicht gegen mich vorbereiten, das ist ganz klar. Ansonsten muss man kämpfen, und der Beste gewinnt.

Das Resultat von Linares dürfte Wasser auf die Mühlen Ihres Managers Carsten Hensel, der auch Wladimir Kramnik betreut, gewesen sein. Die beiden WM-Finalisten des Einstein-Zyklusses auf Platz eins und zwei, die Endspielteilnehmer der FIDE-WM mit Kasparow und Ruslan Ponomarjow auf den Plätzen drei und fünf.

Natürlich ist das für uns sehr wichtig. Mich interessiert aber nicht, wie Kasparow - Ponomarjow endet. Ich konzentriere mich auf mein Match. Ich stehe vor einer schweren Aufgabe. Kramnik ist ein sehr starker Weltmeister. Um ihn zu schlagen, benötige ich all meine Kräfte. Ich kann mir nicht den Luxus erlauben, über Kasparow - Ponomarjow Urteile zu fällen. Durch die zwei ersten Plätze wuchs das Interesse an unserem WM-Match, es ist das absolute Highlight. Ich erwarte auch ein spannendes Duell.

Wie sieht es um die Vermarktung der WM aus? Bahrain kommt wegen des Irak-Kriegs nicht mehr als Ausrichter in Betracht.

In diesen Tagen soll die Entscheidung fallen und bis Mitte April die erste Pressekonferenz stattfinden. Für uns Spieler ist es auch ganz wichtig, dass wir exakt planen können, wo und wann es losgeht. Wenn wir in der Luft hängen, ist die Vorbereitung einfach komplizierter.

Wann soll die WM beginnen? Anfang Juni war im Gespräch.

Ja, genau. Wir können davon ausgehen, dass wir Anfang Juni starten.

Welche Chancen rechnen Sie sich gegen Kramnik aus?

Selbstverständlich will ich gewinnen. Die Chancen sind meines Erachtens aber verteilt, 50:50. Wir sind füreinander unangenehme Gegner. Mein Score gegen "Wlad" ist sehr gut. Ich bin wohl der einzige Spieler auf der Welt, der im klassischen Schach eine positive Bilanz gegen ihn aufweist. Im Schnellschach behält er jedoch die Oberhand. Es ist also ziemlich ausgeglichen. Natürlich hängt auch viel von der Form in den 12, 14 oder 16 Partien ab. Die Zahl wird erst festgelegt, wenn der Austragungsort gefunden ist. Auf jeden Fall erwarte ich ein sehr knappes Match, das spannend bis zum Ende bleibt.

Ist es beim Melody Amber ein gewaltiger Unterschied, Blind-Schnellschach oder normales Schnellschach zu spielen?

Am Anfang existiert kaum einer. In der Blindpartie bekommen wir hier 20 Sekunden pro Zug dazu auf die 25 Minuten Grundbedenkzeit, im Schnellschach nur zehn. Große Unterschiede kommen erst zum Tragen, wenn man unter die Fünf-Minuten-Hürde gerät. Dann schießt einem das Adrenalin ins Blut. Nun im Blindspiel richtig die Partie zu verfolgen und sehr schnelle Entscheidungen zu treffen, ist natürlich deutlich schwieriger. Im Blindspiel kannst du nicht einfach was aus dem Bauch heraus ziehen wie im Blitz, sondern du musst alles richtig abwägen. Das raubt Zeit. Somit sinkt erst in dieser Zeitnotphase die Qualität. Manchmal ist aber auch das Gegenteil der Fall! Weil man sehr konzentriert ist, sieht man in nur wenigen Sekunden unglaubliche praktische Möglichkeiten.

Kasparow hält Blindschach für schädlich, die Furcht teilen Sie nicht? Viele Ihrer Kollegen sitzen sowieso oft am Brett und stieren in die Luft bei ihren Denkprozessen.

Ich freue mich, dass es dieses sehr schöne Turnier gibt. Die Schachwelt sieht sicher gerne einmal im Jahr, wie die Großmeister blind spielen. Ich persönlich nehme das Turnier nicht zu ernst, schließlich geht es um keine Weltranglistenpunkte. Allerdings ist das Melody Amber auch ein sehr prestigeträchtiger Wettbewerb, bei dem gewisser Wert auf ein gutes Abschneiden gelegt wird. Aber es ist nicht so, dass ich mich nach einer Blindpartie wie erschlagen fühle. Das kann ich nicht behaupten. Die Blindpartie strengt mich nicht mehr als eine normale Partie an.

Vom 14. bis 17. August spielen Sie bei den Chess Classic Mainz die WM im Chess960 aus, wie Organisator Hans-Walter Schmitt den Wettkampf gegen Peter Swidler tituliert. Wie bewerten Sie diese Art Schach, bei der die Grundstellung vor der Partie ausgelost wird?

Zunächst ist der Name Chess960 neu für mich. Bisher kannte ich es unter Fischer Random Chess. Da ich alle Arten von Schach mag, mag ich auch diese. Es ist mal etwas anderes. Das Duell mit Swidler verspricht einiges. Er zählt auch zur absoluten Weltspitze, selbst wenn er momentan "nur" in den Top 15 oder 20 steht. Er ist ein sehr, sehr guter Spieler mit großer Erfahrung. Im Chess960 kann alles passieren. Die Partien sind immer voller Leben.

Vor zwei Jahren gewannen Sie in Mainz gegen Michael Adams ganz knapp im Fischer Random mit 4,5:3,5. Damals ging es heiß her.

Die ersten zwei, drei Partien sind verwirrend und benötigt man, um reinzufinden. Gegen Ende des Matchs steigert man sich aber und spielt zunehmend besser. Ich denke, dass man auch dieses Jahr wieder spannendes Chess960 zu sehen bekommt.

Hat Chess960 Zukunft? Hans-Walter Schmitt will ja sogar in Mainz einen Weltverband gründen.

Das hängt von den Organisatoren ab. Wenn einige von ihnen bereit sind, dafür etwas zu tun, warum nicht? Ich verstehe aber auch die Spieler, die sagen: Wozu brauchen wir dieses Chess960? Schach ist noch nicht tot, es entwickeln sich noch immer neue Eröffnungen. Das trifft ebenso zu. Ich sehe mich als Botschafter des Chess960, aber ich sage deswegen nicht, man soll das klassische Schach einfach vergessen. Das auf keinen Fall. Ich finde es jedoch vollkommen richtig, Interessierten diese Abwechslung mit einem Turnier zu bieten.

Wenn Sie auch Swidler schlagen, könnten Sie erster "Doppel-Weltmeister" sein ...

(Leko lacht): Darüber mache ich mir noch keine Gedanken. Zuerst konzentriere ich mich auf "Wlad". Wenn ich ihn geschlagen habe, peile ich den Doppel-Titel an.


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