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Remake eines Klassikers auf dem Schachbrett

Kasparow droht erneute Niederlage gegen Computer

von FM Hartmut Metz, Foto von Harald Fietz, Februar 2003

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   „Ein Computer wird niemals in der Lage sein, einen zehnjährigen Jungen im Schach zu schlagen", behauptete Herbert Dreyfus Mitte der 60er. Zu der Prognose ließ sich der Wissenschaftler verleiten, weil die Möglichkeiten eines Partieverlaufs die Zahl der Atome im Weltall (die Eddington'sche Zahl) mit 10 hoch 80 Möglichkeiten weit übersteigt. Seit 18 Jahren führt Garri Kasparow nahezu ununterbrochen die Schach-Weltrangliste an - und hat trotzdem seine liebe Müh mit den Elektronenhirnen. 1997 kassierte er als erster Weltmeister eine 2,5:3,5-Niederlage gegen den IBM-Großrechner Deep Blue. Nun bahnt sich an gleicher Stätte in New York die zweite Schlappe an: Gegen den kleinen Bruder des tonnenschweren IBM-Schranks, eine simple CD namens Deep Junior, wirkt der Ablauf des Matchs wie ein Remake von 1997.

 

Garri Kasparow

Garri Kasparow

 

   Kasparow zog wie damals gleich in Front, kassierte aber anschließend den Ausgleich. In der dritten Partie bei der Computer-WM des Weltverbandes FIDE verschmähte der 39-Jährige Remisfortsetzungen und verlor. Am Mittwochabend (Ortszeit) scheiterte überdies der Versuch des Moskauers, sich dank der weißen Steine wieder in Front zu bringen. Der Vorteil des ersten Zuges nutzte dem besten Schachspieler aller Zeiten nichts. Fast wie einen zehnjährigen Schulbuben ließ ihn Deep Junior aussehen, als das israelische Programm mit einem Läuferopfer auf h2 den Bauernschutzschild des weißen Monarchen zerstörte. Zahlreiche Großmeister hielten das Standardmotiv in dieser Position für einen Schnitzer. Der Computer-Weltmeister wies jedoch die Korrektheit nach. Zähneknirschend fügte sich Kasparow wegen seiner luftigen Königsstellung in die Zugwiederholung und das Remis zum 2,5:2,5-Zwischenstand.

   Ausgerechnet 19 Züge dauerte die vorletzte Begegnung des mit einer Million Dollar dotierten Zweikampfs. Kein gutes Omen für den abergläubischen Zahlenjongleur aus Russland. In just 19 Zügen hatte ihn Deep Blue vor sechs Jahren im letzten Spiel zertrümmert. Heute Nacht wird Kasparow deshalb nicht nur gegen die kleine, silberne Scheibe der Programmierer Amir Ban und Shay Bushinsky ankämpfen müssen, sondern auch gegen ungute Erinnerungen.

   Der Ex-Weltmeister hat inzwischen aber selbst den Kampf gegen die Rechenungetüme langfristig abgehakt. Den Experten für Künstliche Intelligenz (KI), die im New York Athletic Club mit großem Interesse das Geschehen verfolgen, pflichtet die Nummer eins auf dem Globus bei: Die Zukunft sehe für den Menschen zumindest auf den 64 Feldern schwarz aus. In ein, zwei Generationen sei "jeder einzelne Sieg über den Computer ein Sieg für die Menschheit".

   Der Triumph der Maschinen soll aber nicht nur auf ihre zunehmende Rechenkraft fußen. Schach-Computer versuchen mehr und mehr, die Denkweisen von Menschen zu kopieren. Vor allem Deep Junior besticht durch derlei Ansätze. Auch KI-Wissenschaftler, die nicht nur aufs Brett fixiert sind, klingen zuversichtlich. Mitsubishi Heavy Industries hat in Japan diese Woche einen ein Meter großen gelben Roboter namens "Wakamaru" vorgestellt, der zahlreiche Arbeiten im Haus erledigt. Die "eierlegende Wollmilchsau" für eine Million Yen (rund 7.800 Euro), die 10.000 Wörter versteht, begrüßt seinen Herrn und Gebieter auch schon mal mit einem vorwurfsvollen "Du kommst spät. Was hast du heute gemacht?".

   Stephen Hawking warnte angesichts der rasanten Entwicklung im Vorjahr davor, dass Computer eine "echte Gefahr" für die Menschheit darstellen könnten. Sie würden irgendwann "Intelligenz entwickeln und das Geschehen diktieren". Ganz wie "HAL". Der Schachcomputer in Stanley Kubricks Klassiker "2001 - Odyssee im Weltraum" wollte auch die Regie im All übernehmen. Ganz irdisch gibt sich heute Abend Kasparow und will die Computer-Herrschaft bei einem Denkspiel hinauszögern.

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