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"Das ist das Schach der Zukunft!"

Aronjan gewinnt Chess960-Open / Jussupow als einziger ungeschlagen

von FM Hartmut Metz, August 2003

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   Das Chess960-Open bei den Chess Classic Mainz, an dem 50 Großmeister teilnahmen, gewann der Armenier Levon Aronjan mit 9,5:1,5 Punkten vor den Russen Wadim Swagintsew und Konstantin Landa (beide Russland/9:2). 1.680 Euro kassierte der 20-Jährige - nicht zu vergessen das Recht, im nächsten Jahr in Mainz den Chess960-Weltmeister herauszufordern. Vierter und Fünfter wurden der Ungar Zoltan Varga und der Schweizer Vadim Milov (beide 8,5). Als bester Deutscher führte Artur Jussupow die Riege der Acht-Punkte-Leute an. Der Weltranglistensechste im normalen Schach, Alexander Grischuk, enttäuschte. Der vermeintliche Favorit landete mit 7:4 Punkten lediglich auf Platz 37. Einen Zähler dahinter folgte der beste Mainzer, Tillmann Vogler (TSV Schott), als 61. unter 179 Teilnehmern. Der Mainzer Oberbürgermeister Jens Beutel fiel nach seinem Traumstart mit dem Remis gegen Grischuk in ein tiefes Loch. Als er sich dann wieder an die 50-Prozent-Marke heranhangelte, hagelte es nochmals zwei Niederlagen. Mit 4/11 wurde der Präsident der in Mainz gegründeten World New Chess Association (WNCA) 150. 21 Plätze davor kam der Stammgast bei den Chess Classic Mainz, Eckhard Freise, ein. Der erste Quiz-Millionär bei der Jauch-Show holte 4,5 Zähler in diesem starken Feld. Dass die Großmeister auch beim Chess960 dominieren, dokumentiert die Siegerliste: Unter die ersten 35 schmuggelte sich lediglich ein Internationaler Meister, der Balte Viesturs Meijers.

   Bei den zahlreichen gut dotierten Sonderwertungen lagen folgende Akteure vorne, Ratinggruppe 2201 bis 2400 Elo: 1. Georgios Souleidis (Katernberg), 2. Inna Gaponenko (Ukraine), 3. Klaus Klundt (Tegernsee) alle 6,5 Punkte; Ratinggruppe 2001 bis 2200: 1. Peter Skovgaard (Dänemark), 2. Tom Weber (Trier-Süd) beide 6,5, 3. Leonid Kunin (Darmstadt) 6; Ratinggruppe 1751 bis 2000: 1. Daniel Körnlein (Frankfurt-West) 5,5, 2. Max-Günter Raimann (Lister Turm), 3. Markus Mandery (Mutterstadt) beide 5; Ratinggruppe unter 1750: 1. Marco Siebarth (Stadtilm) 5,5, 2. Gerhard Lutz (Mainaschaff) 4,5, 3. Ekaterina Jussupow (SK Krumbach) 4; Frauen: 1. Inna Gaponenko (Ukraine) 6,5, 2. Elisabeth Pähtz (Dresdner SC), 3. Jovanka Houska (Hofheim), 4. Anna Dergatschowa-Daus (Holsterhausen) alle 6, 5. Natalia Kiselewa (Ukraine) 5,5; Senioren: 1. Klaus Klundt (Tegernsee), 2. Sinisa Joksic (Serbien&Montenegro) beide 6,5, 3. Anatoli Dontschenko (Hungen-Lich) 6; U18: 1. Andrei Wolokitin (Ukraine) 8, 2. David Baramidze (Dortmund-Brackel) 6, 3. Florian Armbrust (Schott Mainz) 5,5; U14: 1. Peter Skovgaard (Dänemark) 6,5, 2. Daniel Körnlein (Frankfurt-West) 5,5, 3. Maria Ignacz (Ungarn) 5.

   Bei der Statistik fällt auf, dass es viel, viel seltener Remis gibt als im normalen Schach. Rekordhalter ist der einzige ungeschlagen gebliebene Teilnehmer, Artur Jussupow, mit sechs Friedensschlüssen. Zur Ehrenrettung des erfahrensten Chess960-Großmeisters auf der Welt - der Solinger Bundesliga-Crack spielte bereits im dritten Mal das neue Schach bei den Chess Classic! - sei erwähnt, dass der ehemalige WM-Kandidat jedoch alle Partien voll auskämpfte. Die Großmeister Attila Groszpeter und Felix Levin folgen bei den Unentschieden mit deren fünf. Das Gros der 179 Spieler weist indes nur ein oder zwei Remis in elf Runden auf! Kein einziges Unentschieden verbuchten 40 Teilnehmer!

 

"Die Rauferei fängt gleich an"

Stimmen zum Chess960-Open

 

   Andrej Wolokitin (Gewinner der U18-Wertung): Chess960 finde ich interessant. Die Eröffnungstheorie fällt weg, so dass man vom ersten Zug an denken muss - das habe ich gern, auch wenn's schwierig ist, sofort grübeln zu müssen. Meine acht Punkte sind okay, im Ordix Open will ich aber besser abschneiden.

   Konstantin Landa (Dritter der Gesamtwertung, der nur das Chess960 mitspielte): Ich habe das Turnier nicht zu ernst genommen. Weil ich zum ersten Mal Chess960 spielte, trat ich ohne große Hoffnung an. Chess960 ist meiner Ansicht nach das Schach der Zukunft! Im Turnierschach gibt es zu viel Theorie, zu viel Vorbereitung ist erforderlich. Chess960 ist Schach pur!

   Levon Aronjan (Turniersieger): Obwohl ich kein großer Theoretiker bin, mag ich es eigentlich nicht, schon ab dem ersten Zug denken zu müssen. Ich war bereits nach der ersten Runde müde ... Beim Chess960 bekommt man verrückte Stellungen aufs Brett, die meisten wünschen sich aber "normale" und streben diese an. Ich liege irgendwo dazwischen. Ich will extravagant spielen, aber ich wickele auch gerne in eine normale Stellung ab, wenn die aussichtsreich für mich ist. Meiner Ansicht nach ist es im Chess960 wichtig, zunächst Platz für die Läufer zu schaffen. Alle Großmeister machen das so. In einigen Ausgangsstellungen steht Weiß klar besser, so dass es unangenehm ist, Schwarz zu haben. Ich hatte in der letzten Runde gegen Kiril Georgiew sehr viel Glück. Ich stand auf Verlust. Bei meiner einzigen Niederlage die Runde zuvor verschenkte ich jedoch eine bessere Stellung, und Landa nutzte diese. So gleicht sich alles aus.

   Artur Jussupow (Sechster der Gesamtwertung, einziger ungeschlagener Teilnehmer): Das Turnier ist sehr schön. Auch wenn ich als einziger die Erfahrung von drei Chess960-Turnieren habe, bleibt Chess960 sehr kompliziert. Es gibt keine Routine, die man in die Waagschale werfen könnte. Bogdan Lalic übersah gegen mich eine Rochade-Möglichkeit. Dabei wusste er nicht, dass ich den König von b1 nach c1 stellen darf und mit dem Turm von a1 nach d1 gehen kann, wenn er mit der Dame die d-Linie kontrolliert. Schließlich rochiert der König nicht über ein bedrohtes Feld. Das kostete Lalic zwei Tempi. Trotzdem verteidigte er noch ein Remis. Mit meinem Abschneiden bin ich zufrieden. In solch einem starken Turnier hatte ich weniger erwartet. Unsere Familie schaffte leider insgesamt nicht ganz 50 Prozent. Vor der letzten Runde sah es noch danach aus (Anmerkung: Jussupows Frau Nadja, Tochter Ekaterina und Sohnemann Alexander spielten mit).

   Liviu-Dieter Nisipeanu (Gesamtneunter): Chess960 ist sehr originell, das muss man sagen. Es hätte mir auch Spaß gemacht, wenn ich nur sechs anstatt acht Punkte geholt hätte! Gegen Swagintsew stand ich wegen der ausgelosten Position schon nach zwei Zügen auf Verlust! Im Gegensatz zu ihm, der im Chess960 von seinem originellen Stil profitiert, bin ich eher ein klassischer Spieler. Leider gibt es beim Chess960 keinen Isolani ... Das Open war sehr schwer. Gegen starke Konkurrenz braucht man +6 oder +7, um ganz nach vorne zu stoßen. Vor allem der erste Preis ist attraktiv: Weniger das Geld, sondern das Recht, im nächsten Jahr um die WM zu spielen.

   Zoltan Almasi (der ungarische Weltklassespieler blieb als 27. außerhalb der Preisränge): Schon der erste Zug kann entscheidend sein. Weiß verfügt manchmal über einen großen Vorteil. Ich denke, Weiß gewinnt viel häufiger. Man muss mit beiden Farben ständig auf der Hut sein. Ich spielte zum ersten Mal Chess960. Für mich war es deshalb schwierig, gleich elf Runden an zwei Tagen mit wenig Bedenkzeit pro Partie zu bestreiten. Mein Finish war mit 1/3 schlecht, so dass ich nur auf sieben Punkte kam. Ich denke, ich werde nächstes Jahr trotzdem wieder mitspielen.

   Christoph Pfrommer (Zweitligaspieler der Karlsruher SF und Bezwinger von Jens Beutel, dem Präsidenten der in Mainz gegründeten World New Chess Association): Auf dem Internet-Schachserver ICC habe ich Chess960 schon geübt. Dort nennt es sich unter den Schachvarianten einfach Nr. 22. Dort fand ich es gut, hier am Brett weniger toll. Ich liebe offene Spiele - und die gibt es hier nicht ... Meine fünf Punkte sind eine "Katastrophe" (meinte er scherzhaft). Ich spielte vermutlich zu verpflichtend.

   Martin Preiß (ebenfalls Zweitligaspieler der Karlsruher SF): Ich denke, letztlich besteht kein so großer Unterschied zwischen Schach und Chess960. Letzteres finde ich aber schwieriger zu spielen. Meine sechs Punkte kamen glücklich zu Stande. In der vorletzten Runde gewann ich gegen Lothar Vogt lediglich dank eines Turmeinstellers.

   Vadim Milov (Gesamtfünfter; im Vorjahr nach 8/9 noch auf der Zielgeraden abgefangen): Ich bin nach dem neuerlichen guten Abschneiden einer der besten Chess960-Spieler der Welt. Ernsthaft: Ich spiele Chess960 nicht besser als normales Schach. Mir liegt einfach die kürzere Bedenkzeit, weil mir die Geduld für längere Partien fehlt.

   Wadim Swagintsew (Gesamtzweiter): Im normalen Schach ist es schwierig, gleich Spannung aufs Brett zu bringen. Beim Chess960 gelingt dies in bestimmten Stellungen. Dann fängt die Rauferei gleich an. Das Spiel ist trotzdem mehr strategisch als taktisch! Man muss vom ersten Zug an seine Figuren auf die richtigen Felder setzen. Natürlich hat mir das Turnier gefallen, wenn ich Zweiter werde. Das hätte ich bei meinem Chess960-Debüt nie erwartet. Ich komme nächstes Jahr wieder gerne.

 

 

Levon Aronian

Souveräner Sieger mit 9,5/11: Levon Aronian. Foto: Gubler

 

Zoltan Almasi

Der Ungar Zoltan Almasi schnitt zwar für seine Verhältnisse schlecht ab, möchte aber wieder ein Chess960-Turnier wagen.

 

Jens Beutel, Alexander Grischuk

Der frisch gekürte WNCA-Präsident Jens Beutel (links) knöpfte dem Weltranglistensechsten Alexander Grischuk ein Remis ab.

 

Vlastimil Hort

Vlastimil Hort zog es nach dem Turnier ins Studio, zur Aufzeichnung der Fernsehpartie.

 

Artur Jussupow, Wadim Swagintsew

Auch Wadim Swagintsew (rechts) konnte Artur Jussupow nicht schlagen.

 

Konstantin Landa, Levon Aronjan

Die Anstrengung während der wichtigen zehnten Runde ist Konstantin Landa (links) wie Levon Aronjan anzusehen.

 

Medaillengewinner Wadim Swagintsew, Lev Aronjan und Konstantin Landa

Die Medaillengewinner hatten allen Grund zur Freude: Wadim Swagintsew (von links), vor allem Lev Aronjan und Konstantin Landa.

 

Zoltan Varga

Ein weiterer erfolgreicher Ungar in Mainz: Zoltan Varga.

 

mehr über die Chess Classic Mainz 2003 auf der Seite der Chesstigers


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