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Gutmütiger Kauz gegen schmalen Jüngling

Koryphäen sehen Wassili Iwantschuk im WM-Finale gegen Ruslan Ponomarjow leicht favorisiert

von Hartmut Metz, Januar 2002

mehr Schachtexte von Hartmut Metz

 

   Wassili Iwantschuk verfolgte gespannt eine abseits des Turniers gespielte Schachpartie zweier Patzer. Tief vergrub der Weltranglistenachte den Kopf in seinen Händen und folgte ohne eine Regung dem Geschehen. Nach einiger Zeit war dem Ukrainer ein Zug doch zu schlecht, weshalb er schüchtern eine Verbesserung vorschlug. "Wie wäre es denn damit?" Barsch wiesen die Amateure den Burschen zurecht, woraufhin dieser in seine vorherige stumme Denkerpose zurückfiel. Kurz darauf schlenderte John van der Wiel vorbei. Der Niederländer, der weit außerhalb der Top 100 platziert ist, blickte nur kurz aufs Brett, bevor er sich gelangweilt entfernte. Ehrfürchtig stieß daraufhin der eine Patzer den anderen an: "Hast du das gesehen? Großmeister van der Wiel hat uns zugeschaut!"

 

Wassili Iwantschuk

Sympathischer Großmeister mit großem Herzen für Amateure: WM-Finalist Wassili Iwantschuk
 

   Der noch amtierende Weltmeister Viswanathan Anand berichtete einst amüsiert von seiner Beobachtung in Monaco. Dem Inder verging jedoch das Lachen bei der WM im Dezember, als der "Tiger von Madras" im Halbfinale just gegen Iwantschuk mit 1,5:2,5 unterlag. Der 32-Jährige krönte damit den Schach-Herbst für die Ukraine: Zuvor hatte das Nationalteam die Mannschafts-WM durch einen Sieg über Russland gewonnen. Den Erfolg im entscheidenden Duell über den "großen Bruder" wie den Gesamtsieg verdankte die ehemalige Sowjetrepublik dem überragenden Ruslan Ponomarjow. Der 18-Jährige hatte am zweiten Brett hinter Iwantschuk mit 5,5:1,5 Punkten vier Siege und drei Remis zum WM-Titel beigesteuert. Ab heute sitzen sich die beiden Freunde im Einzel-Finale des Weltverbandes FIDE gegenüber. In den acht Partien im Moskauer Hotel Metropol geht es bis zum 26. Januar um rund 650.000 Euro Preisgeld.

   Wer dabei als neuer Weltmeister zwei Drittel einstreicht, scheint offen. Peter Swidler, der beim 1,5:2,5 in der Vorschlussrunde wie seine Landsleute Jewgeni Barejew und Alexander Morosewitsch Opfer des "Russen-Killers" Ponomarjow wurde, sieht den Aufsteiger des Jahres augenzwinkernd im Vorteil. "Von der Ratingzahl her ist er jetzt favorisiert", verweist Swidler auf Ponomarjows Satz in der neuesten Weltrangliste von Platz 20 auf sieben. Mit 2.727 Elo-Punkten liegt er mit zehn Elo mehr direkt vor dem bisherigen ukrainischen Aushängeschild. Ein logischer Kreis schlösse sich, bestiege Ponomarjow als jüngster Weltmeister aller Zeiten den Thron: Mit zwölf Jahren war das Wunderkind aus Kramatorsk bereits U18-Europameister, mit 13 U18-Weltmeister und mit 14 Jahren und 17 Tagen jüngster Großmeister aller Zeiten.

   Während sich die beiden Finalisten jegliche Prognose verkneifen, wähnt das Gros der Koryphäen Iwantschuk reif für den Titel. Im Gegensatz zu früher habe "Chuky bei dieser WM seine Nerven sehr gut im Zaum", hebt Anand hervor. Der Franzose Joel Lautier, der den Großmeister aus Lwow im Viertelfinale in die Blitzschach-Verlängerung zwang, ist sich "fast sicher, dass Iwantschuk gewinnen wird. Er spielt immer noch viel besser als Ponomarjow - und wenn er seine Leistung konserviert, hat der Junge keine Chance". Entsprechend dieser Prognose verlief die bisher einzige Turnierpartie beim Weltcup 2000, die Iwantschuk mit Weiß souverän gewann. Doch seitdem entwickelte sich Ponomarjow enorm - auch dank des Trainings seines Endspiel-Gegners.

 

Ruslan Ponomarjow

Mit 18 Jahren jüngster Weltmeister aller Zeiten? Es wäre nicht der erste Rekord für Ruslan Ponomarjow
 

   Differenziert betrachtet Garri Kasparow das Match: "Ponomarjow spielt sehr konstant und solide", befindet der Weltranglistenerste, der die WM im K.o.-Modus mit 128 Teilnehmern erneut boykottiert hatte. "Viel hängt von Iwantschuks Form ab." Der 32-Jährige agiere einmal auf allerhöchstem Niveau, dann wieder nur wie ein Nullachtfünfzehn-Großmeister. Kasparow taxiert Iwantschuks Aussichten auf die WM-Krone deshalb mit "55:45".

   Unabhängig davon, ob der als weltfremd beschriebene Kauz 17. Weltmeister der Schach-Geschichte wird oder sein Lebensziel knapp verfehlt: Auch künftig wird sich Iwantschuk neugierig Partien von Patzern widmen. Aber jetzt mit dem Unterschied, dass die Amateure mehr Herzklopfen verspüren, wenn sie seine Blicke spüren - und seine Ratschläge annehmen, anstatt einen vorbeilaufenden John van der Wiel zu bewundern.

 










Ponomarjow - Iwantschuk
WM-Finale (1), 16.01.2002

 

1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Sf6 4.Lg5 dxe4 5.Sxe4 Le7 6.Lxf6 Lxf6 7.Sf3 0-0 8.Dd2 Le7 9.0-0-0 Dd5 10.Sc3 Da5 11.a3 Sd7 12.Kb1 Db6 13.De3 Sf6 14.Se5 Td8 15.Lc4 Ld7 16.Lb3 Le8 17.The1 Lf8 18.g4 Sd5 19.Df3 c6 20.Se4 Dc7 21.c4 Se7 22.Sg5 Sc8 23.c5 1-0

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