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Vegetarier macht Schachfest zum Schlachtfest

Einstiger Remiskönig Peter Leko WM-Herausforderer

von Hartmut Metz, Juli 2002

mehr Schachtexte von Hartmut Metz

 

   Das Schachfest in Dortmund war ein wahres Schlachtfest. Nur zwei der elf Partien im Halbfinale und Endspiel der Schachtage endeten mit Unentschieden. Dem oft zitierten Remistod des königlichen Spiels trotzte ausgerechnet der bisher als Remiskönig verschriene Peter Leko. Der Vegetarier eilte nach missratenem Start von Sieg zu Sieg. In sieben Partien feierte der 22-Jährige sechs Erfolge und gab lediglich ein Remis ab. Die Serie erinnerte an Lekos früheren Trainingspartner in Budapest, den legendären Bobby Fischer. Der geniale US-Amerikaner hatte auf dem Weg zum WM-Titel 1972 sogar 19 Begegnungen in Folge gewonnen.

  

Peter Leko

Peter Leko

 

   Die "Leistungsexplosion", die sich Leko selbst bescheinigte, geriet erst im Finale ins Stocken. 2:0 führte der einst mit 14 Jahren jüngste Großmeister aller Zeiten gegen Weselin Topalow. Den mit 100.000 Euro versüßten Matchball vor Augen patzte der perfekt Deutsch parlierende Ungar gegen den Bulgaren. "Kurz vor dem Ziel bekam ich das Nervenflattern", bekannte Leko ungewohnte Schwierigkeiten. Das dritte Duell verlor der Lokalmatador, der häufig mit Ehefrau Sofie bei den Schwiegereltern in Dortmund weilt, sogar noch. Im vierten Vergleich mühte er sich dann "aus Gewinnstellung heraus in 61 Zügen zum Remis. Nach dem 2,5:1,5 fühle ich mich völlig leer", gestand der Weltranglistenachte.

   Lohn der Angst ist im Frühjahr ein WM-Kampf gegen Wladimir Kramnik. Der Sieger dieses Endspiels, an dem die englische Einstein TV Gruppe die Rechte hält, soll hernach den WM-Titel mit dem Gewinner des Zweikampfs zwischen Ruslan Ponomarjow (Ukraine), Champion des Weltverbandes FIDE, und dem Weltranglistenersten Garri Kasparow (Russland) vereinigen. Dass die erste Aufgabe für ihn eine schwere wird, unterstrich Kramnik in Dortmund. Bei seiner negativen Bilanz von zwei Niederlagen mehr auf dem Konto sei Leko für ihn "der unangenehmste Gegner, den ich erwischen konnte". Hinzu kommt, dass der Einstein-Weltmeister nicht voll im Saft steht. Zuletzt gewann der Moskauer vor einem Jahr in der Westfalen-Metropole ein Turnier mit klassischer Bedenkzeit. Seitdem spielte er fast nur Showwettbewerbe wie am Samstag die Blitzpartie gegen Boxer Witali Klitschko, den er getreu seiner Ankündigung rasch ausknockte.

   In einer komfortablen Situation befindet sich Carsten Hensel. Der Mitorganisator der Schachtage ist sowohl Manager von Leko wie neuerdings auch von Kramnik. Einer seiner beiden Großmeister steht damit im lukrativen WM-Vereinigungsmatch. Zudem zeigt sich Hensel zuversichtlich, dass die finanziell klamme Einstein Group den angekündigten Preisfonds von einer Million Dollar für das Duell Kramnik - Leko zusammenbringt. "Es gibt genügend Global Player, für die solch ein Wettkampf interessant ist", meint der ehemalige Angestellte des Dortmunder Presseamtes. Die Westfalen-Metropole selbst "prüft bis zum 15. September, ob wir uns bewerben", kündigte Hensel an.

   Für das Image der Stadt tut Schach weltweit kaum weniger als Fußballmeister Borussia. Die rund 6.000 Besucher vor Ort waren lediglich die Spitze des Eisbergs. Internet-Vermarkter Chessgate AG zählte an den 16 Turniertagen jeweils bis zu 35.000 Live-Zuschauer gleichzeitig im virtuellen Stadion. Seitenaufrufe waren es über 30 Millionen - dabei die zahllosen anderen Webseiten, die die Partien zum Nachspielen oder Downloaden bereitstellten, gar nicht mitgerechnet. Kein Wunder, schwärmte Turnierdirektor Jürgen Grastat: "Wir erlebten im Sporttempel Westfalenhalle das Schach des 21. Jahrhunderts!" Lediglich der unterlegene Topalow mochte diese Ansicht nicht teilen. Nach über zwei Wochen ohne Erholungspause fragte der für seine kämpferische Einstellung bekannte Großmeister im Fahrstuhl nach oben auf sein Hotelzimmer mit matter Stimme: "Kennst du den Film ,Stirb langsam'?" Dabei wirkte der grazile Topalow so erschlagen, als habe er sich auch mit Witali Klitschko gemessen - allerdings 15 Runden lang im Boxring.

die Partien des Halbfinales und des Finales von Dortmund 2002 zum online Nachspielen


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