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Netter "Tiger von Madras" beißt nur am Brett

Ex-Weltmeister Viswanathan Anand begeistert Fans / Dritten "Narren" ausgetauscht

von Hartmut Metz, August 2002

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   Dass er in Windeseile 23 seiner Kontrahenten erledigte und nur drei in ein Remis entschlüpften, nahm Viswanathan Anand keiner krumm. Zum einen hatten die Gegner in dem Schach-Simultan an 26 Brettern allesamt damit gerechnet, dass der Ex-Weltmeister aus Indien das Gros von ihnen matt setzen würde. Zum anderen erwies sich der "Tiger von Madras" abseits des Brettes weit weniger bissig, ja die Fans waren begeistert von seiner netten Art.

 

Viswanathan Anand 2002

Viswanathan Anand gegen 26 Gegner in Baden-Baden (von rechts: Robert Sutterer und Toni Balzert)

 

   Der neue Spitzenspieler von Bundesliga-Aufsteiger SC Baden-Oos legte auch gerne eine Sonderschicht ein: Günther Tammert vom Oberligisten Rochade Kuppenheim hatte die Teilnahme am Simultan verpasst und durfte stattdessen mit der Koryphäe eine Blitzpartie austragen. Auch die gewann Anand trotz des Zeithandicaps von nur drei gegenüber fünf Minuten Bedenkzeit gegen den ehemaligen deutschen B-Kader-Spieler. Anschließend analysierte der Weltranglistendritte nebenbei beim Plausch noch die ein oder andere Partie mit seinen Widersachern.

   Das Duell mit gleichzeitig 26 Spielern hatte die Grenke Leasing AG als Abschluss der offiziellen Eröffnung des neuen Firmengebäudes in Baden-Oos organisiert. Sponsor Wolfgang Grenke bekam von Jürgen Gersinska, dem Vorsitzenden des Schachclubs, ein Holzbrett mit Anands Autogramm überreicht. Nach und nach sollen auch die anderen Großmeister des Damen- wie Herren-Erstligisten die 32 weißen Felder signieren. Der Ehrengast, der innerhalb des vergangenen Jahres bei seinem Bad Sodener Ziehvater Hans-Walter Schmitt (Organisator der Chess Classic Mainz) sehr gut Deutsch lernte, wies sogleich auf die Tücken dieses Präsents hin. Er berichtete, wie einem spanischen Freund alle Autogramme aus Linares abhanden kamen: Eine Putzfrau hatte das "verschmierte" Brett im Haus entdeckt und es fein säuberlich "gereinigt" ... Besonderes Pech, denn mancher darauf verewigte Denkstratege wie Miguel Najdorf ist mittlerweile verstorben.

   Am Samstag genoss Anand ein paar erholsame Stunden im Friedrichsbad. Außerdem interessierte er sich für die Geschichte der Thermen. Mit seiner zierlichen Gattin Aruna besuchte der Brahmane zudem das Casino - aber nur tags über, als Führungen angeboten wurden. Am Nachmittag eröffnete der Ex-Weltmeister dann im Kongresshaus den Infoscore-Cup, bei dem 281 Spieler um rund 7 000 Euro Preisgeld kämpften.

   Das Simultan absolvierte "Vishy" gegen starke Amateure - das Gros hatte über 2000 DWZ beziehungsweise Elo und reichte bis in die 2200 hinein - in rekordverdächtiger Zeit von 2:40 Stunden. Damit machte der bei Madrid lebende "schnelle Brüter" seinem weiteren Spitznamen "Speedy Gonzalez", in Anlehnung an die schnellste Maus von Mexiko, alle Ehre. Ganz wohl war Anand aber nicht immer in seiner Haut. Die Baden-Ooser Stefan Niessen und Frederik Beck, neues großes Talent des SC aus Keltern, und Volker Widmann (Wiesental) - bezeichnenderweise Referent Leistungssport des Badischen Schachverbandes - knöpften ihm ein Remis ab. Auch der Gelsenkirchener Heinz van der Veen stand völlig auf Gewinn. "Es war unglaublich: Ich hatte in einer Partie aus der Eröffnung heraus fünf Tempi mehr - konnte aber nicht gewinnen. Als ich einen Bauer einstellte, stand ich völlig platt", berichtete Anand. Auf "wundersame Weise" sei er in einigen Partien dem Verlust entronnen, bekannte der stets ansteckend gut gelaunte 32-Jährige.

   Mit Humor nahm der Inder auch den kleinen Fauxpas zum Auftakt der Partie gegen Klaus Harsch. Der Vorsitzende der Caissa Rastatt war ebenso wie der Gernsbacher Sven Lehmann und Heinz van der Veen in den Genuss eines verlosten Freiplatzes gekommen. Anstatt zwei Läufer und zwei Springer fand Anand am Brett von Harsch nur ein Ross und dafür drei Läufer vor. Kurzerhand zog er mit einem breiten Grinsen den auf dem Springerfeld g1 postierten Läufer wie einen Springer nach f3. Ehe der spitzfindige Anwalt Harsch den Zug "anfechten" konnte, war der "falsche Läufer" schon vom flinken Gersinska ausgetauscht. Offensichtlich kannte Anand das Bonmot von Alexander Aljechin, der den Namen des Läufers in Frankreich (fou bedeutet Narr) zu einem trefflichen Kommentar nutzte, als ein Patzer mit dem Läuferpaar nicht gewinnen konnte: "Zwei Narren gewinnen immer, aber drei nie!" Gegen nur zwei Narren war Harsch verloren.


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