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Swidler braucht das Geld nötiger"

Phänomenaler Schlussspurt beschert Russen Platz eins im Chess960-Open

von Hartmut Metz, August 2002

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   „Ich erzähle jedem, dass mir die Tiger von Professor Freise Glück gebracht haben!", erklärte ein sichtlich gelöster Peter Swidler. Tags zuvor war der Weltranglisten-14. am späten Nachmittag noch ziemlich deprimiert gewesen. Mit lediglich drei Punkten hatte der St. Petersburger die ersten fünf Runden des Chess960-Open, bei dem die Grundstellung der Figuren ausgelost wird, abgeschlossen. Der Dauergast bei den Chess Classic Mainz durfte sich aber nicht in Trauer ergeben, sondern hatte am Abend noch ein Match gegen Eckhard Freise auszutragen. Der erste Gewinner der Million bei der populären Jauch-Quizshow trat mit einem Junior-Programm "bewaffnet" gegen den dreifachen russischen Champion an. Vor der 0,5:1,5-Niederlage hatte ihm der Münsteraner, der zum Dauergast bei den Chess Classic mit Einsätzen im Simultan sowie allen Open wurde, zwei Plüschtiger geschenkt. Für zu Hause, wo seit einer Woche Zwillinge für Unruhe sorgen. Der Herr Papa erfüllte trotzdem seinen Kontrakt in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt und wurde am zweiten Tag mit fünf Siegen in Folge belohnt. "In den Partien spielte ich sehr gut", urteilte Swidler mit Blick auf seine Erfolge über Alex Possajennikow, Henrik Teske, Murtas Kaschgalejew, Bogdan Lalic und Eric Lobron.

   Vor der Schlussrunde standen mit ihm, Viorel Bologan und Vadim Milov drei Spieler mit 8:2 Punkten zu Buche. Letztere beiden Großmeister waren im zehnten Durchgang aufeinander getroffen. Der Moldawier, der in Sewastopol lebt, fügte dabei dem Wahl-Schweizer die erste Niederlage zu. Mit sieben Siegen und zwei Unentschieden hatte Milov bis dahin wie der sichere Sieger gewirkt. Doch auch in der Schlussrunde unterlag der künftige Spieler von Zweitligist Weiße Dame Borbeck gegen seinen neuen Mannschaftskameraden Daniel Fridman. Der Lette überflügelte ihn hierdurch noch und belegte mit 8,5 Zählern Platz drei hauchdünn hinter dem russischen Meister Alexander Motilew (beide 52 Punktsumme). Der von ihm bezwungene Milov führte den Pulk jener Akteure mit acht Punkten an. Dahinter folgen Klaus Bischoff, der bester Deutscher wurde, und Leonid Milow, der zusammen mit Viesturs Meijers (20. mit 7,5 Punkten) als einziger IM in die Phalanx der GM eindringen konnte. Es ist wie beim Tischtennis, bei dem die Besten auch lamentierten, als der Zelluloidball von 38 auf 40 Millimeter Durchmesser vergrößert wurde: An den Kräfteverhältnissen änderte sich dadurch gar nichts. Beim Chess960 fanden sich unter den ersten 32 30 Großmeister!

   Ex-Europameister Pawel Tregubow wurde mit acht Punkten Achter, knapp davor lag Viorel Bologan. Der Trainer von Weltmeister Ruslan Ponomarjow hatte in der letzten Partie alle Möglichkeiten, den Turniersieg davonzutragen. "Bologan fand eine brillante Idee! Ich hatte Glück, dass ich ihm danach entwischte. Mein Erfolgsgeheimnis am zweiten Tag war, dass ich mit Schwarz präziser spielte", ordnete Swidler seinen Turniersieg ein und rief gleich daheim bei seiner Frau an, um ihr die frohe Botschaft zu überbringen - und um sich natürlich nach seinen zwei Sprösslingen zu erkundigen. Bologan nahm den siebten Rang, der ihn den mit 1.500 Euro dotierten ersten Preis kostete, mit Humor: "Peter ist letzte Woche Vater von zwei Söhnen geworden. Ich bin seit zwei Monaten Papa einer Tochter, Jekaterina. Mit zwei Kindern braucht Peter das Geld doch viel dringender!" Allerdings kommt zu den 1.500 Euro auch im nächsten Jahr sicher noch ein erkleckliches Startgeld hinzu. "Peter Swidler spielt 2003 ein Chess960-Match gegen Peter Leko", kündigte Organisator Hans-Walter Schmitt an. Zur Erinnerung: Der ungarische WM-Finalist hatte 2001 bei den Chess Classic das erste hochkarätige Match im Chess960 gegen Michael Adams gewonnen und war zum "Weltmeister im Fischer Random Chess" ausgerufen worden.

 

Vlastimil Hort

Vlastimil Hort

 

   Die über 30.000 Euro für die zwei Open wurden gemäß der geschätzten Teilnehmerzahl im Verhältnis 1:3 aufgeteilt. Da für das Ordix Open mindestens 400 Spieler erwartet wurden (letztlich waren es sogar 498), geht es dort um knapp 23.000 Euro. Die Preisgelder an die Chess960-Gewinner wurden bereits am Freitag übergeben. Schließlich verzichteten einige wenige wie Vlastimil Hort, der zwei Tage später die 20. Fernseh-Schachsendung moderierte, auf das Ordix Open. Hort, der schon mit Fischer die Klingen im normalen Schach wie im Fischer Random kreuzte, spielte phasenweise wie zu seinen besten Zeiten. Der Kölner überfuhr beispielsweise den Franzosen Murtas Kaschgalejew (Elo 2604) im zehnten Durchgang nach allen Regeln der Kunst. "Ich wünsche mir einen Chess960-Grand-Prix, damit sich dieses Spiel, das die Kreativität fördert, durchsetzt", erklärte der ehemalige Top-5-Spieler euphorisch. Der Gewinner des ersten Seniorenpreises, Lajos Portisch, wollte die Kirche lieber im Dorf lassen. "Ich habe mein ganzes Leben lang klassisches Schach gespielt. Es ist schöner. Chess960 ist ein Experiment, das man manchmal spielen kann. Zuweilen kommt es doch zu sehr ungewöhnlichen Stellungen. Das stört!" Zu seinen Erfahrungen mit Bobby Fischer äußerte sich der zigfache ungarische WM-Kandidat kaum. "Es stimmt, dass ich mit ihm Fischer Random spielte. Ich möchte aber nicht mehr dazu sagen", ist Portisch auch von dem ehemaligen Weltmeister aus den USA zum Schweigen verpflichtet worden. Bei den Damen setzte sich Natalia Kiselewa, die auf sieben Großmeister traf und Swidler in Runde fünf schlug, vor Anna Dergatschowa-Daus (beide 5,5) durch. Den wertvollsten Rating-Preis (Elo 2201 bis 2400) sicherte sich IM Klaus Klundt.

   In der siebten Runde gab es Schwierigkeiten bei der Auslosung. Das letzte Ergebnis, ein Remis zwischen Henrik Teske und Viorel Bologan, wurde zugunsten des Deutschen eingetragen. Deshalb wurde er "hochgelost" und sollte gegen Konstantin Asejew spielen. "Der ist zu stark", erklärte Teske und forderte eine neue, korrekte Auslosung. Dem gab die Turnierleitung natürlich statt. Pech allerdings für den Großmeister des TV Tegernsee - er kam gegen die Nummer eins der Setzliste, Peter Swidler. Der Weltranglisten-14. nutzte einen Patzer, um gegen Teske in nicht einmal 25 Zügen zu gewinnen ... Asejew geriet in der zehnten Runde zu einem der Protagonisten, diesmal in tragischerer Rolle: In einer Seeschlange gegen den sehr starken FM Witali Kunin, der Mörlenbacher weist 2459 Elo auf, erkämpfte der Russe ein aussichtsreiches Damen-Endspiel. In schätzungsweise 50 bis 60 Zügen war der einzige verbliebene Bauer immerhin schon von d5 bis nach d3 vorgedrungen. Weil beide Seiten zu ihren 20 Minuten pro Zug stets weitere fünf Sekunden erhielten, hätte die Partie durchaus bis an die 200 Züge dauern können. Mal ließen die Kontrahenten ihre Zeit bis auf zehn Sekunden nach unten ticken, mal bauten sie ihr Zeitpolster durch ein paar schnelle Schachs wieder bis auf eine Minute aus. Als Asejew in besagter obiger Stellung überlegte, wie er den Bauern nach d2 vordrücken könnte - der weiße Monarch versteckte sich derweil im entlegensten Winkel im Dreieck a7/a8/b8 - rauschte die Digitaluhr erneut nach unten. 30 Sekunden, 20 Sekunden, 15 Sekunden, 12 Sekunden, 10 Sekunden, acht Sekunden, sieben, sechs, fünf, vier - Asejew machte noch immer keine Anstalten zu ziehen -, drei, zwei - Asejew zog noch immer nicht -, eins, die Hand fuhr rasend schnell aus, flog übers Brett und auf die Uhr - doch zu spät. Die Anzeige vermerkte "-0,00" und geht auch unbarmherzig nicht mehr hoch, wenn sie erst dort anlangt. Mit versteinerter Miene gratulierte der trotzdem faire Russe seinem "Bezwinger" Kunin. Was in ihm vorging, war nicht zu erfahren. Angesichts der Augen konnte der Betrachter aber trotz des beherrschten Mienenspiels erahnen, welche Höllenqualen Asejew innerlich erlitt. Das Preisgeld war endgültig verloren. Kunin wurde nach einer Niederlage gegen Andrej Kharlow mit 6,5 Zählern 34., dass Asejew mit einem Schlussrunden-Erfolg über Possajennikow als 31. dank der besseren Punktsumme vorbeizog, blieb ein wertloser wie schwacher Trost.

   Keiner der 131 Teilnehmer blieb ungeschlagen! Das unterstreicht unter anderem die extrem niedrige Remisquote. In den 110 Partien der Top 10 gab es nur 24 Punkteteilungen! Mit vier Unentschieden zählte man schon zum erweiterten Kreis der "Remiskönige". Johannes Kribben aus Hofheim schaffte als einsamer Rekordhalter in dieser Sparte gar deren sechs Punkteteilungen und endete mit 5/11 auf Platz 90. Chess960 verspricht also zumindest mehr Entscheidungen als herkömmliches Schach. Wie schon 24 Stunden zuvor Ruslan Ponomarjow verfolgte Alexandra Kostenjuk die Szenerie gespannt. Mit ihrem französischen Manager Diego F. Garces tauschte sie auf Russisch die Möglichkeiten aus, wie man sich in der Stellung am besten entwickelt. Trotz eines gewissen Interesses an Chess960 erklärte die Vizeweltmeisterin: "Für mich ist das noch nichts. Das ist zu kompliziert", winkte die Grazie ab.

   Nachstehend finden sich Stimmen von Koryphäen, die sich zu ihren meist ersten Erfahrungen mit Chess960 äußern: Kiril Georgiew, ehemaliger Weltranglistenachter, findet Chess960 "interessant, obwohl ich Probleme bei der Eröffnung habe". Der Bulgare glaubt: "Diese Art von Schach hat Zukunft. Vielleicht etabliert sie sich in 20 Jahren neben der bekannten Variante." Für Dimitri Komarow, den Trainer von Weltmeister Ponomarjow, ist Chess960 "zu anstrengend. Man muss vom ersten Zug an kämpfen", klagt er - allerdings stand der Großmeister unter dem Einfluss von zwei Niederlagen, nachdem er mit 3/3 gestartet war. "Ich muss mir erst immer eine Strategie ausdenken. Manchmal mache ich dann Züge, die ich im normalen Schach nie ausführen würde", berichtete Krishnan Sasikiran. Der Inder (Elo 2651) empfiehlt allen, die zu ernsthaft ins Chess960 gehen, es "doch einfach locker zu sehen". Vlastimil Hort hat sich ein besonderes Ziel gesteckt: "Einmal auf die Bühne kommen und dann sterben." Seine Fans werden froh gewesen sein, dass er dieses Ziel knapp verfehlte. Der gute Bekannte von Bobby Fischer sieht im Gegensatz zu vielen anderen Großmeistern keine sonderlichen Nachteile, wenn man Schwarz hat. "Verlieren fällt einem hier bei den tollen Spielbedingungen ohnehin leichter", war dem Kölner nicht bange vor Niederlagen. 131 Teilnehmer für ein Chess960-Debüt hält der gebürtige Tscheche für "sehr gut. Ich freue mich, dass das so gut anläuft". Die einzige Furcht, die den ehemaligen Top-5-Spieler umtreibt, ist: "Ich habe fast Angst, eine normale Startstellung zu bekommen ..."

   Gerade dies wünscht sich Henrik Teske. "Das Spiel ist völlig daneben. Am besten schafft man es gleich wieder ab", schimpft der Tegernseer Bundesligaspieler. Richtig Spaß schien er nur an seiner Idee gehabt zu haben, in der fünften Partie die lange Rochade zu ermöglichen. Dabei stand der Monarch am Anfang auf b1 und der Turm auf a1. Besonders die Springer fehlen dem Großmeister bei der Verteidigung, wenn sie sich auf einem Flügel massieren. "Ganz blöd ist es beispielsweise, wenn die Springer auf f8 und h8 stehen", erkannte Teske gewisse Entwicklungsschwierigkeiten. "Weiß steht in vielen Partien viel besser", beklagte Swidler. Der nominelle Turnierfavorit belegte dies gleich mit seinem Resultat am ersten Tag: "Bei mir hat immer Weiß gewonnen! Im normalen Schach ist die Auftaktstellung viel ausgeglichener. Wenn man mit Schwarz nicht aufpasst, ist es in acht Zügen bereits mit einem vorbei ...", führte der Weltranglisten-14. aus. "Dass Chess960 Schach ersetzt, glaube ich nicht - aber es kann durchaus nebenher bestehen."

   In dieselbe Kerbe des vergrößerten Anzugsvorteils haut Michal Krasenkow. Der polnische Weltklasse-GM verweist auf die fünfte Runde. "Mein Gegner zog 1.d4 - und ich wusste nicht, wie ich vernünftig antworten sollte! Weiß hat manchmal einen zu großen Vorteil." Chess960 hält der gebürtige Russe für "sehr schwierig". Als gut empfindet Krasenkow, dass das Spiel in manchen Positionen noch taktischer wird als das herkömmliche Schach. Positiver äußert sich Natalia Kiselewa. Die angehende Studentin aus dem Ruhrgebiet lernte die Regeln erst auf der Herfahrt im Auto mit Daniel Fridman. Ihr Rezept, "erst die Bauern zu ziehen, dann die Figuren" und "gleich mit Weiß vor dem ersten Zug eine Strategie auszuarbeiten" ging voll auf. An Chess960 gefällt der Großmeisterin, dass dem "Tempo eine größere Bedeutung" zukommt. Turnierleiter Hans-Dieter Post stellte einen weiteren erfreulichen Effekt fest: "Es gibt viel weniger Unentschieden!" Das unterstreicht Joe Gallagher. "Das Spiel ist interessant und gut, wenn man auf Gewinn spielen will." Der Verlockung, der viele Akteure unterliegen, eine "herkömmliche" Stellung anzustreben, um auf Erfahrungswerte zurückzugreifen, widersteht der in die Schweiz ausgewanderte Engländer. Obwohl Gallagher als Eröffnungsexperte gilt - speziell im Königsgambit und Sizilianisch machte sich der Taktiker einen Namen als Buchautor -, schätzt er es, keine Eröffnungstheorie anwenden zu müssen. Weil schon die Startaufstellung schwierig sein könne, überlegte der Eidgenosse, wie er in den "ersten drei Zügen vorzugehen" hat. Diese Phase sei nämlich besonders wichtig, um einen durchschlagenden Plan zu finden. Der zwölfjährige Daniel Körnlein freute sich auch über die entfallende Theorie. "Da bin ich nämlich nicht der Beste. Ich habe gegen einen 2100er gewonnen. Gegen den wäre ich normalerweise schon in der Eröffnung vom Brett geflogen", meinte das Talent des SC Frankfurt-West. Körnleins Ansicht nach "gibt es immer lustige Stellungen. Man kann ja eventuell sogar schon im ersten Zug rochieren", stellte der Junior fest - und setzte das gleich gegen einen Vereinskameraden um. Zweimal Rochade, remis.

   Richtig fasziniert von Chess960 scheint Ruslan Ponomarjow zu sein! Der FIDE-Weltmeister verfolgte an seinem einzigen freien Tag bei den Chess Classic Mainz die Partien, speziell jene seines Trainers Dimitri Komarow und seines Sekundanten Viorel Bologan. Schon im Vorjahr beäugte er die Partien der ersten "Weltmeisterschaft" zwischen den Topspielern Peter Leko und Michael Adams. "Nur an die Partien kann ich mich nicht mehr erinnern", bemerkte Ponomarjow - schließlich muss man sich bei Chess960 nicht nur die Züge, sondern auch eine ungewohnte Ausgangsstellung einprägen ... "Chess960 ist interessant. Ich liebe es, da es keine Eröffnungsvarianten gibt, auch wenn das Spiel schwieriger ist, weil alles anders erscheint." Trotzdem arbeitete der Ukrainer gleich an seinem Chess960-Repertoire. "Bei der Dame auf h1 ist g4 der beste Zug, dann muss a4 folgen", kommentierte der 18-Jährige eine Stellung. Gegen die "Eröffnungs-Fabrik" von Garri Kasparow wäre es ein immenser Vorteil, auf dem Weg zur WM-Titelvereinigung Chess960 zu spielen, weiß Ponomarjow. "Doch gegen ihn muss ich normal spielen, das ist keine Show." Ganz anders sähe er das "Duell der Weltmeister" gegen Viswanathan Anand. Ponomarjow sagte am Vortag dazu: "Ich schlage vor, dass ich gegen Anand Chess960 spiele ..."

   Als Chess960-Koryphäe etabliert sich offenbar Daniel Fridman. Der Wahl-Essener hatte beim Schachfestival in Pardubice ein kleines Turnier mit 30 Teilnehmern gewonnen. Die 2.000 Kronen (umgerechnet rund 60 Euro) Preisgeld waren für den Letten nur Nebensache. "Ich wollte mich auf die Chess Classic vorbereiten. Daher passte es ganz gut, dass ich zwischen dem Turnier in Oberwarth und dem Open in Pardubice Zeit hatte, um direkt und früher anzureisen." Der Sieg in Tschechien fiel Fridman angesichts der nur zwei teilnehmenden Großmeister Janis Klowans und Pavel Blatny viel leichter als die Bronzemedaille in Mainz. "Das ist hier in der Spitze nicht nur ab der zweiten Runde ein Großmeister-Turnier, auch die Spielbedingungen sind fantastisch. Man trifft hier zahllose bekannte Leute und erhält die Möglichkeit, gutes Geld zu verdienen", meinte der Drittplatzierte. Chess960 sei "nur schlecht für Theoretiker. Mir kommt es sehr entgegen, weil ich mich in der Theorie nicht sonderlich auskenne". Dass Eröffnungsstrategien aber auch alsbald Einzug ins Chess960 hielten, "wenn es um mehr Geld geht", davon ist Fridman felsenfest überzeugt. Als Begründung liefert er nach: "Vor 100 Jahren gab's im Schach auch kaum nennenswerte Theorie, bevor sich das alles entwickelte." Um die Chancengleichheit beider Farben anzunähern, schlägt der Borbecker vor, "die Stellungen in vielleicht zweistelliger Zahl, die für Schwarz verloren sind", von der Stellungsauslosung auszunehmen. Bleibt nur die Frage: Heißt es dann irgendwann Chess904 oder so ähnlich?

   Rustem Dautov (7,5), der auf Platz zehn landete, hält die neue Schachvariante für "amüsant und eine Bereicherung der Chess Classic. Alles in allem hat mir das Turnier gefallen. Schachkenntnisse spielen keine so große Rolle wie normal. Außerdem kommt es noch mehr auf die Tagesform an. Das sieht man an Swidler. Gestern spielte er schlecht, heute sehr gut", urteilte der Großmeister über seinen Mannschaftskameraden bei Bundesliga-Aufsteiger SC Baden-Oos. Vadim Milov glaubt hingegen durchaus an Zusammenhänge in beiden Schachvarianten, wenn er mit Blick auf seine letzte Partie darauf verweist, "dass ich unbedingt gewinnen wollte. Ich hatte schließlich Weiß, und mein Gegner ist elomäßig schlechter". Ungeachtet des verpassten Turniersieges stufte der Viertplatzierte sein Spiel als "eigentlich sehr gut ein, vor allem gegen Motilew und Kiril Georgiew". Blitzspezialist Klaus Bischoff erweist sich einmal mehr als Pragmatiker in Reinkultur. Zur Eröffnung im Chess960 befand er: "Es ist wie im normalen Schach: Die Figuren stehen auf der Grundreihe und man muss sie rausziehen." Obwohl Bischoff am Vorabend seine Brille kaputt ging - sie fiel auf den Boden und ein Glas (3,5 Dioptrien) wurde zerstört - hatte er keine "Überseher" in seinen Partien und wurde bester Deutscher. Nur mit der Rochade sieht der Spieler von König Plauen Schwierigkeiten. "Die wird manchmal falsch eingeschätzt. Einmal hatte mein Gegner Angriffschancen. Mit einer kurzen Rochade von d8 nach g8 beförderte ich aber einfach meinen König aus der Gefahrenzone", lächelte der Schwabe verschmitzt, "außerdem rochierte ich einmal zum Damenflügel und konnte dadurch gleichzeitig meine Türme verdoppeln. Das war sehr angenehm. Im normalen Schach schafft man das nicht."

   Für Artur Jussupow, der bei sieben Punkten endete, obwohl er schon vor zwei Jahren bei den Chess Classic in einem Zweikampf gegen Fritz "trainierte", lautete die Quintessenz des ersten großen Chess960-Opens: "Ich muss noch üben!"


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