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Erschöpfter Mensch, hellwache Maschine

Weltmeister Wladimir Kramnik und Deep Fritz trennen sich 4:4

von FM Hartmut Metz, Oktober 2002

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   „Ich fühle mich wie ausgepumpt", gestand Schach-Weltmeister Wladimir Kramnik. Der Mensch hatte schlecht geschlafen und war nach einem anstrengenden zweiwöchigen Wettkampf gegen den Computer der Anspannung kaum mehr gewachsen. Die Programmierer von Deep Fritz wollten auch nichts mehr riskieren, nachdem ihr Geisteskind den 0,5:2,5-Rückstand im fünften und sechsten Duell ausgeglichen hatte. Wie schon der siebte Vergleich endete auch die acht Partie am Samstag mit einem müden Remis in 21 Zügen. Der Endstand von 4:4 bewahrt die "Ehre der Menschheit", freut den Hersteller des Computer-Weltranglistenersten, die Hamburger Firma Chessbase - und bereitete den Boden für eine Revanche.

   Das Königreich Bahrain durfte sich dabei gleich der Unterstützung Kramniks gewiss sein, erneut im Mind Sports Center in der Hauptstadt Manama anzutreten. Der kleine Golfstaat war während des Duells wie noch nie zuvor in den Mittelpunkt der Sportwelt gerückt. Millionen von Schachspielern frönten den Live-Übertragungen auf zahlreichen Webseiten im Internet. Die Gazetten überschlugen sich mit Berichten. Noch größere Resonanz fanden die Denkstrategen lediglich bisher zweimal in ihrer 151-jährigen Turniergeschichte: Anno 1972, als auf Island zwischen Bobby Fischer (USA) und Boris Spasski (Sowjetunion) die Weltmeisterschaft als Kampf der Systeme galt, und 25 Jahre später elektrisierten Deep Blue und Garri Kasparow die Massen, weil der IBM-Großrechner 1997 den Weltmeister mit 3,5:2,5 schlug.

 

Schach-Weltmeister Wladimir Kramnik

Schach-Weltmeister Wladimir Kramnik kontra weltbestes PC-Programm (Foto: Chessbase)

 

   Solch eine Niederlage blieb Kasparows Nachfolger erspart. Das Unentschieden beschert Kramnik 800.000 Dollar Preisgeld. Die 200.000 Dollar für Deep Fritz spendet Chessbase der Stiftung Europäisches Jugendschach, die Schul- und Kinderschach-Projekte fördert. Lehrreich war das Match für beide Seiten. Die Programmierer Frans Morsch, Alex Kure und Mathias Feist änderten nach dem verpatzten Start mit zwei Niederlagen und zwei Remis die Bewertungsparameter von Deep Fritz. Fortan vermied das Elektronenhirn den Abtausch der Dame, der stärksten und gefährlichsten Figur auf dem Brett. Der Weltmeister zeigte sich auch ansonsten "angetan von den rasanten Fortschritten" seines Kontrahenten: "Dass der Computer alles genau berechnet, war klar. Deep Fritz agierte indes auch positionell sehr gut und spielte menschliche Züge!"

   Zum Verhängnis wurde dem 27-Jährigen eine besondere Kunst des Elektronenhirns. "Der Rechner verteidigt sich perfekt", weiß der Großmeister seit der sechsten Partie. Kramnik hatte in dieser einen fulminanten Angriff eingeleitet, den Deep Fritz in genialer Manier abschlug. Der Gegner aus Fleisch und Blut streckte daraufhin mit einem Springer weniger die Waffen - und ärgerte sich später, weil er ähnliche Qualitäten vermissen ließ. Erzrivale Kasparow hatte in einer Analyse nachgewiesen, dass Kramnik mit der Aufgabe einen halben Punkt verschenkte. Mit einem undurchdringlichen Verteidigungswall hätte sein Landsmann ein Remis sichern können.

   Wann wird der Mensch der Maschine endgültig unterliegen? Frederic Friedel, einer der Chessbase-Eigentümer, kündigt an: "In ein paar Jahren wird es soweit sein. Deep Fritz ist ein Taktik-Monster und wird die Menschen unter ständigen Angriffsdruck setzen. Die nächste Generation von Fritz wird enorm von diesem Wettkampf profitieren." Kramnik zeigte sich optimistischer, was die Chancen seiner Spezies anlangt. "Ich glaube, dass noch einige Jahre ins Land ziehen werden, bevor wir die Computer nicht mehr schlagen können. Ich bin zwar zufrieden mit dem Niveau meines Spiels, aber leider reichte es nur zu einem Unentschieden", referierte der Schach-Weltmeister und blickte nach vorne, "ich hoffe, dass ich mich beim nächsten Mal durchsetze."

   Einen guten Ratschlag dafür hatten die Klitschkos parat. Die ukrainischen Boxer weilten zu einer Stippvisite in der Hamburger Chessbase-Zentrale. Witali Klitschko trat am Tag vor der achten Partie via Server gegen Deep Fritz in Bahrain an. Der passionierte Hobbyspieler ging zwar wie zu Hause gegen die käufliche Version k.o., der Bruder von "Dr. Faust" gab aber eine aussichtsreiche Taktik für den nächsten Zweikampf aus: "Ich glaube nicht, dass wir den Rechner müde machen können. Ich kann ihn höchstens kaputtmachen."

 










W: Kramnik S: Deep Fritz, 8. Partie

 

1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sf3 d5 4.Sc3 c6 5.Lg5 Le7 6.e3 0-0 7.Ld3 Sbd7 8.0-0 dxc4 9.Lxc4 Sd5 10.Lxe7 Dxe7 11.Tc1 Sxc3 12.Txc3 e5 13.Lb3 exd4 14.exd4 Sf6 15.Te1 Dd6 16.h3 Lf5 17.Tce3 Tae8 18.Te5 Lg6 19.a3 Dd8 20.Txe8 Sxe8 21.Dd2 1/2-1/2

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