Startseite Rochade Kuppenheim

Baden-Oos am Ganges in aller Munde

Indischer Star Anand punktet emsig in der Bundesliga

von FM Hartmut Metz, 21. Dezember 2002

mehr Schachtexte von Hartmut Metz

 

   Cricket und Schach versprühen beim europäischen Durchschnitts-Sportfan ungefähr das gleiche Flair: zum Sterben langweilig. Stundenlang scheint sich nichts zu rühren. Am Schluss hat eine Seite aus einem unerfindlichen Grund gewonnen. Dass die beiden Sportarten in Indien noch vor Tennis und Hockey die Gazetten beherrschen, resultiert beim Cricket aus der Tradition, die die britischen Kolonialherren begründeten. Beim Schach liegt es kaum daran, dass das Denkspiel mit Tschaturanga einen fast zwei Jahrtausende alten Vorläufer auf dem Subkontinent hat. Den Boom löste Viswanathan Anand auf seinem Weg zum Weltmeister-Titel aus.

   Ganze Seiten füllte der "Tiger von Madras" dabei. Fast jeder Atemzug Anands wurde von den Reportern für ihre Zeitungen mit Millionen-Auflagen beschrieben. Bei manchen Turnieren in Europa weilten mehr indische als einheimische Journalisten, um die Leser mit den neuesten Nachrichten über ihren Sportler des Jahres zu versorgen. Stuttgart wurde deshalb überall am Ganges erwähnt, weil der "Tiger von Madras" in Gerlingen seine Bundesliga-Bilanz mit zwei Siegen auf 3,5:0,5 Punkte ausbaute. Zunächst schlug der Großmeister beim 5:3-Erfolg seines SC Baden-Oos über die Stuttgarter Schachfreunde Rainer Buhmann. Nach der Pause am Samstag gegen Kellerkind SC Forchheim trumpfte der 33-Jährige auch am Sonntag auf. Allerdings nutzte Anands Punktgewinn über Igor Khenkin dem Aufsteiger nichts, unterlagen die Baden-Badener doch trotzdem dem TV Tegernsee mit 3,5:4,5. Die Stuttgarter SF gaben derweil dank des ersten Einsatzes von Spitzenspieler Jörg Hickl mit dem 4,5:3,5 gegen Forchheim die rote Laterne an die Bajuwaren ab.

 

Schachbundesliga

Auch der Tegernseer Igor Khenkin (links) unterlag gegen Viswanathan Anand. Peter Swidler (vorne) musste sich in Stuttgart mit dem einzigen Baden-Ooser Remis an den beiden Topbrettern bescheiden. Foto Gubler

 

   Ob die Schwaben nach den ersten zwei Punktgewinnen im siebten Spiel die Klasse noch halten können, wagt Anand nicht zu prognostizieren. "Dafür fehlt mir noch die Erfahrung. Ich bin zu kurz dabei", befindet der stärkste Bundesligaspieler aller Zeiten nach seinen ersten Einsätzen. Deutsch hat das Sprachtalent allerdings bereits gelernt. Rund zwei Monate im Jahr verbringt "Vishy", wie der Weltranglistendritte von Freunden wegen seines zungenbrecherischen Namens abgekürzt wird, in Deutschland. Meist in Bad Soden bei seinem Freund Hans-Walter Schmitt, der das weltweit bedeutendste Schnellschach-Turnier, die Chess Classic Mainz, organisiert. Im "Wimbledon des Schnellschachs" reiht der schnelle Brüter alljährlich einen Turniersieg an den anderen.

 

Schachbundesliga

Viswanathan Anand (links) analysiert vor zahlreichen Fans seine Partie mit Rainer Buhmann. Foto: Gubler

 

   Vom schnellen Durchblick durfte sich auch Buhmann überzeugen. Anand ratterte gegen den Stuttgarter Nationalspieler die Eröffnung herunter. Im 18. Zug unterlief ihm nach Ansicht des Inders bereits der entscheidende Fehler mit dem Springerzug nach b6 - das anschließende 20-zügige Siegeskonzept war rasch ausgearbeitet. "Das war ganz einfach", kommentierte der Ex-Weltmeister lapidar, der vor knapp einem Jahr im WM-Halbfinale scheiterte und den Titel des Weltverbandes FIDE an Ruslan Ponomarjow abgeben musste. Am Schluss hatte Buhmann nur noch 17 Sekunden seiner zwei Stunden Bedenkzeit übrig, während Anand kaum mehr als die Hälfte benötigte. Dass das Ergebnis anders ausgefallen wäre, hätte Buhmann vor der Partie ein paar Gedächtnispillen eingeworfen, für die sein Kontrahent in Indien wirbt, darf bezweifelt werden.

   Tags darauf flog die Koryphäe zurück nach Madrid, wo er mit Gattin Aruna rund sechs Monate des Jahres verbringt. Vom Basislager aus erreicht der einzige asiatische Weltmeister in der Schach-Historie die Topturniere in Europa leichter. "Das ist der Hauptgrund, warum ich in Spanien lebe. Der Rummel in Indien stört mich hingegen weniger. Das ist eher angenehm. Ich müsste mir mehr Sorgen machen, wenn sich keiner für mich als Sportler interessiert. Außerdem kreischen die Fans ja bei mir nicht wie bei einem Popstar", erklärt Anand. Immerhin sorgte der Boom dafür, dass in seinem Heimatland Schachschulen aus dem Boden schossen und hoffnungsvolle Talente heranwachsen. Das Milliarden-Volk kann vielleicht sogar in ein paar Jahren die Schach-Großmacht Russland als Nummer eins ablösen. "Wir machen gewaltige Fortschritte", stellt das Aushängeschild immer wieder bei seinen vierteljährlichen Aufenthalten in Chennai, wie Madras mittlerweile offiziell heißt, fest. Er freut sich auch, dass "die Internet-Schachseite von Yahoo in Indien eine der prominentesten ist, während in Deutschland oder Spanien unser Sport leider keine Erwähnung erfährt".

   Das aktuelle Geschachere um die WM-Titelvereinigung, an der der 33-Jährige nicht beteiligt ist, plagt Anand derzeit wenig. "Ich warte ab, was passiert", erklärt der Ex-Weltmeister und setzt sich zum Ziel, "ich will die nächsten Monate ein paar Turniere spielen und dabei Ratingpunkte gewinnen." In Wijk aan Zee und Linares möchte der Inder den Abstand auf Garri Kasparow und Wladimir Kramnik wieder verkürzen. Anschließend steht das Blind- und Schnellschachturnier in Monaco auf dem Programm. In der zweiten Jahreshälfte hat der Titelverteidiger bereits für die Chess Classic Mainz (13. bis 17. August) zugesagt.

 










W: Anand S: Buhmann

 

1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Sf6 4.e5 Sfd7 5.f4 c5 6.Sf3 Sc6 7.Le3 cxd4 8.Sxd4 Lc5 9.Dd2 0-0 10.0-0-0 a6 11.Kb1 Sxd4 12.Lxd4 Dc7 13.h4 b5 14.Th3 b4 15.Sa4 Lxd4 16.Dxd4 Tb8 17.Te3! a5 18.f5! Sb6? Nach zwei starken weißen Zügen unterläuft Buhmann laut Anand der entscheidende Fehler. Der Ex-Weltmeister berechnete folgendes interessante Damenopfer: [ 18...exf5 19.Dxd5 Lb7!? 20.Dxd7 Tbd8 21.e6! Txd7 22.exd7 Lc6 ( 22...Td8?? 23.Te8+ Txe8 24.dxe8T# matt.; Die Blockade des Bauern mit der Dame verliert ebenso: 22...Dd8 23.Lb5 Le4 Ansonsten folgt Te8. 24.Sc5 Db6 25.Sxe4 Dxe3 26.d8D und Weiß gewinnt.) 23.Sc5 Td8 und Schwarz kann sich verteidigen.] 19.Sxb6 Dxb6 20.f6 Dxd4 21.Txd4 gxf6 22.exf6 Tb6 23.Te5 Kh8 24.Tg4 Tg8 25.Txg8+ Kxg8 26.Tg5+ Kh8 27.Le2 Ld7 28.Lh5 Le8 29.g4 Tc6 30.b3 Tc3 31.Tg7 Tc7 32.g5 e5 33.Lg4 e4 34.Lf5 Tc3 35.Txh7+ Kg8 36.Tg7+ Kh8 37.g6 fxg6 38.Le6 Diagramm Weil gegen Tg8+ kein Kraut mehr gewachsen ist, gab Schwarz auf. [ 38.Le6 Lb5 erlaubt 39.Txg6 Kh7 40.Tg7+ Kh8 ( 40...Kh6 41.Lf5 e3 42.Th7# matt.) 41.Tg5 Kh7 42.f7 Tf3 43.Lf5+ Txf5 44.Txf5 und erneut wird der Bauer in eine Dame umgewandelt.] 1-0

vorherige Meko Meko-Übersicht nächste Meko