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Gewissenhafter Arbeiter verfällt nicht dem Wahnsinn

Christopher Lutz scheitert in der Vorrunde der Dortmunder WM-Qualifikation

von Hartmut Metz, Juli 2002

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   Kein Geringerer als Anatoli Karpow prophezeite Christopher Lutz 1992 eine glanzvolle Karriere. Der 21-Jährige hatte soeben beim Weltklasse-Turnier in Baden-Baden den zweiten Platz hinter dem Schach-Genie aus dem Ural belegt. Nur Karpow und der gebürtige Duisburger blieben in allen elf Partien ungeschlagen. Ja, würde dieser immer so spielen, meinte der zwölfte Weltmeister der Schach-Geschichte, könnte ihn Lutz durchaus auf dem Thron beerben.

   Erst zehn Jahre danach schien die Chance greifbar. Dazu bedurfte es aber einer Wildcard für das WM-Qualifikationsturnier bei den 30. Dortmunder Schachtagen. Vermag Karpow auf den 64 Feldern weit vorauszudenken, verkalkulierte sich der Russe bei Lutz' Aufstieg gewaltig. Der verlief nämlich alles andere als steil, geschweige denn, dass er in die Fußstapfen der großen Deutschen wie Emanuel Lasker, Rekord-Weltmeister von 1894 bis 1921, treten konnte. Nach Baden-Baden spielte Lutz solide, selten überragend, stets irgendwo auf dem Niveau der Weltranglistenplätze 50 bis 100.

   In der Bundesliga bot ihn sein Mentor Wilfried Hilgert trotzdem immer seit 1992 am Spitzenbrett des Kölner Renommierklubs SG Porz auf. Selbst als Alexander Khalifman für kurze Zeit Weltmeister war, musste der St. Petersburger hinter dem ehemaligen Informatik-Studenten Platz nehmen. "Ich will deutsche Spieler fördern", nennt Hilgert einen Grund für die Unterstützung. Der Kölner Reeder und Immobilien-König räumt allerdings auch ein, dass er für Lutz die besseren Großmeister pikierte, weil dieser "so zuverlässig" sei. "Er ist in jeder Beziehung ein Vorbild und meine Nummer eins", betont Mäzen Hilgert. Lutz kümmert sich um die 13 Jugend-Mannschaften des Klubs, Lutz trainiert die 17-jährige WM-Achtelfinalistin Elisabeth Pähtz, Lutz betreut den bei der deutschen Meisterschaft direkt hinter ihm zweitplatzierten Florian Handke.

   Bundestrainer Uwe Bönsch schätzt den 31-Jährigen ebenso: Als "sehr gewissenhaften Arbeiter, der sich gründlich auf seine Gegner vorbereitet". Von dieser Sorte solider Großmeister besitzt der Hallenser mehrere. Als Team sind sie kaum zu schlagen. Vierter bei der WM, Dritter bei der EM und gar Zweiter bei der Schach-Olympiade lauten die formidablen Resultate des deutschen Nationalteams seit 2000. Man fühlt sich an die deutschen Rumpel-Fußballer erinnert. Der Star muss die Mannschaft sein, weil es beim Schach nicht einmal einen Torwart gibt. Und einen Ronaldo auf den 64 Feldern hat die Bönsch-Auswahl natürlich auch nicht. Lutz ist vielleicht ein bisschen wie Didi Hamann. Unauffällig, aber dann zur Stelle, wenn sein Einsatz erforderlich wird.

 

Christopher Lutz

In der Weltrangliste auf Platz 39 geklettert, aber gegen die absolute Spitze mit Schwarz doch überfordert: Christopher Lutz

 

   In Dortmund erhielt der Weltranglisten-39. wie die Stars 15.000 Euro Startgeld plus weitere 10.000 Euro nach dem Ausscheiden. Viel Geld für einen Großmeister fern der Top Ten. Zu mehr reichte es allerdings nicht. In der Vorrunde verlor Lutz alle Partien mit Schwarz und konnte die drei Duelle mit Anzugsvorteil nur zu Unentschieden nutzen. Souverän zogen der Wahl-Spanier Alexej Schirow und der Bulgare Weselin Topalow (beide 4/6) vor Boris Gelfand (Israel/2,5) ins Halbfinale ein. In Gruppe 2 setzte sich Jewgeni Barejew (Russland/4) mit einigem Glück vor Peter Leko (Ungarn/3,5), dem gescheiterten Mitfavoriten Michael Adams (England/2,5) und Unglücksrabe Alexander Morosewitsch (Russland/2) durch.

 

Alexej Schirow gegen Christopher Lutz

Alexej Schirow (links) musste sich im Endspiel einiges einfallen lassen, um Christopher Lutz in die Knie zu zwingen

 

   "Gegen Schirow und Gelfand ist mein Score sehr schlecht. Beide habe ich noch nie geschlagen", wusste der Außenseiter vor der mit 300.000 Euro dotierten WM-Qualifikation. Den derzeit überragend spielenden Weltranglistenfünften Topalow hatte er indes im bisher einzigen Duell bezwungen. Doch ausgerechnet der Bulgare setzte ihn gleich beim Auftakt nach einem brillanten Springeropfer matt. Die Hoffnung, "dass sie gegen mich mehr Risiko in Kauf nehmen und sich dadurch Chancen ergeben", schlug ins Gegenteil um. Vielmehr bewahrheitete sich die Furcht von Bönsch, der sich fragte, ob Lutz die "ganze Partie durchhält". Nein, das nicht. Doch dafür wird der deutsche Meister ein ganzes Leben durchhalten, während manch einer seiner genialen Kontrahenten in Dortmund bei herben Niederlagen ein weiteres Stück dem Wahnsinn und der Verzweiflung näher rückt.

   

Weselin Topalow

Weselin Topalow zauberte mit 27.Sf6+!! einen Glanzzug aufs Brett


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