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Duell gegen einen unverständigen Straßenräuber

Schach-Weltmeister Kramnik kontra weltbestes PC-Programm

von Hartmut Metz, Oktober 2002

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   Zwei, drei Schachzüge bedenkt der Mensch binnen einer Sekunde. Starke Computer-Programme durcheilen in derselben Zeit drei, vier Millionen Züge. Quantität bedeutet dabei viel Datenmüll und nur Bruchteile davon garantieren Qualität. Das will Weltmeister Wladimir Kramnik vom 4. bis 19. Oktober in Manama, der Hauptstadt Bahrains, beweisen. Der 27-jährige Russe trifft in acht Partien, in denen es um eine Million Dollar Preisgeld geht, auf Deep Fritz 7. Das Programm der Hamburger Schachsoftware-Schmiede Chessbase ist Erster der Computer-Weltrangliste und kostet 99 Euro. Hartmut Metz unterhielt sich mit Wladimir Kramnik, der sich in Weiskirchen (zwischen Trier und Saarbrücken) auf das Match "Brains in Bahrain" vorbereitete.

 

Schach-Weltmeister Wladimir Kramnik

Schach-Weltmeister Wladimir Kramnik kontra weltbestes PC-Programm (Foto: Chessbase)

 

Frage: Welches Gefühl beschlich Sie, als Ihnen Garri Kasparow und die FIDE drei Tage vor Beginn Ihres Computer-Matchs ein eigenes in Israel gegen Deep Junior vor die Nase setzten? Empfanden Sie das als Kriegserklärung?

Wladimir Kramnik: Ich kann nur von meiner Warte aus antworten: Ich führe keinen Krieg. Wenn Kasparow und FIDE-Präsident Kirsan Iljumschinow gegen jemanden kämpfen wollen, sollen sie das tun. Mich störte es nicht, dass die auch ein Computer-Match ansetzten.

Frage: So verspürten Sie auch keine Freude, als die FIDE und Kasparow den Wettkampf in Jerusalem auf Dezember verlegen mussten und Ihnen nun doch nicht die Schau stehlen?

Kramnik: Ich kenne die Hintergründe nicht, die zur Absage führten. Deswegen will ich mich dazu auch nicht sonderlich äußern. Ich habe genug damit zu tun, mich voll auf meinen Wettkampf in Bahrain zu konzentrieren.

Frage: Trotzdem wirkt es so, als ob sich zwei ehemalige Feinde zu einer unheiligen Allianz gegen Sie verbündeten. Haben die beiden neuen Freunde Kasparow und Iljumschinow Sie nicht schon in Prag bei der vereinbarten Titelvereinigung über den Tisch gezogen?

Kramnik: Das sehe ich anders. In dem Prager Abkommen geht's nicht darum, wer gegen wen spielt, sondern um die Zukunft des Schachs und seine künftige Struktur. Wenn ich will, kann ich jederzeit gegen Kasparow spielen. Dazu brauche ich die FIDE nicht. Gleiches gilt für ein Duell gegen Ruslan Ponomarjow oder der kann wiederum gegen Viswanathan Anand spielen, wenn er möchte. Es gibt hochkarätige Sponsoren wie Microsoft, die an Schach interessiert sind. Um diese für unseren Sport zu gewinnen, bedarf es jedoch klarer Regeln: Einen transparenten Turniermodus inklusive der Qualifikationsmöglichkeiten, einen garantierten Preisfonds - und nur einen Weltmeister. Diese wesentlichen Punkte sind in meinem WM-Zyklus umgesetzt worden. Die FIDE hat indes Kasparow gegen Ponomarjow gesetzt und damit Spieler wie Anand und Iwantschuk ausgeschlossen. Das halte ich nicht für richtig, aber es ist nur ein Aspekt des Ganzen. Mir missfällt deshalb, dass es in den Medien nun nur noch darum geht, wer gegen wen spielt und warum. Nach meinem gegenwärtigen Kenntnisstand tut sich nämlich auf Seiten der FIDE gar nichts, um die Vereinigung voranzutreiben. Ursprünglich hieß es im April, Bessel Kok präsentiere innerhalb von 90 Tagen einen konkreten Wirtschaftsplan. Darauf wartet die Schachgemeinde noch heute. Ich könnte deshalb sofort abspringen - doch ich halte still, breche das Abkommen nicht und beschädige es auch keinesfalls. Der Plan erscheint mir weiterhin erhaltenswert - nur ist es jetzt höchste Zeit für die FIDE, etwas zu unternehmen! Man kann solch eine WM in nicht an einem Tag aus dem Boden stampfen. Sie müssen sich beeilen, wenn Kasparow noch zeitig gegen Ponomarjow spielen soll.

Frage: Würden Sie einen Wechsel an der FIDE-Spitze begrüßen? Ignatius Leong zog seine Kandidatur gegen Iljumschinow zurück, hält sie aber nun nach einem neuerlichen Zwist mit ihm doch aufrecht.

Kramnik: Ich will mich nicht zu sehr einmischen, da ich momentan nicht unter den Fittichen der FIDE spiele. Viel schlechter könnte es allerdings dadurch auch nicht werden. Leong scheint zumindest ein ganz netter Kerl zu sein.

Frage: Gilt das auch für Iljumschinow?

Kramnik: Privat kenne ich ihn zu wenig. Als Schach-Politiker verkörpert er zwei Seiten: Natürlich sponsert er Wettbewerbe und steckt Geld ins Schach, aber seine Entscheidungen, die er hie und da fällt, sind nicht sonderlich demokratisch. Deswegen kann ich seine Rolle nicht als gänzlich positiv oder negativ beschreiben. Mit Sicherheit ist er aber nicht perfekt als Präsident.

Frage: Merkwürdig ist doch vor allem seine Beziehung zu Kasparow. Viele Jahre sind sie verfeindet, plötzlich präsentieren sie sich als beste Freunde.

Kramnik: In der Tat fand eine unglaubliche Metamorphose statt. Ich erinnere mich noch an ein paar Kasparow-Interviews wenige Monate vor Prag. In einer großen russischen Zeitung bedachte er Iljumschinow mit Kraftausdrücken, die ich nicht einmal zitieren möchte. Diese Worte führe ich niemals in meinem Wortschatz, denn selbst deren bloße Wiedergabe stellt noch immer eine Beleidigung dar. Weil die harschen Worte von beiden Seiten kamen, wirkt diese Allianz wirklich seltsam. Ich bin jedoch nicht ihr Richter, sie sollen machen, was sie wollen.

Frage: Trotzdem bleibt die Wandlung verblüffend.

Kramnik: Ja, beide zeigten, dass die Schachwelt ein bisschen krank ist. Solche Dinge sollten nicht passieren. Wenn mich jemand derartig beleidigt, würde er garantiert nicht mein Freund werden. So lange ich gegen Kasparow gewinne, bin ich sein Feind. Nun gut, jeder hat seine eigene Haltung.

Frage: Ruslan Ponomarjow berichtete bei den Chess Classic Mainz, die FIDE und der israelische Großmeister Boris Alterman hätten ihm das Match gegen Deep Junior auch angeboten - allerdings für 30.000 Dollar Preisgeld anstatt der einen Million, um die es mit Kasparow im Dezember geht. Zur Wiedervereinigung hörte der FIDE-Weltmeister gar nichts vom Weltverband. Dabei soll er gegen Kasparow spielen. Ist Ponomarjow der größte Verlierer der geplanten Wiedervereinigung?

Kramnik: Nein, ich sehe ihn nicht als Verlierer. Ich sagte schon in Prag, dass es ein großer Fehler war, ihn nicht einzuladen. Soweit ich mich erinnere, verbreitete Iljumschinow damals, er habe mit Ponomarjow gesprochen und alles sei geklärt. Nach einigen Interviews von Ruslan habe ich natürlich inzwischen Zweifel, dass das stimmte. Er wurde nie informiert, geschweige denn hat er das Abkommen unterzeichnet. Er könnte sich durchaus auf den Standpunkt stellen: Ich habe einen Vertrag, an der nächsten WM teilzunehmen - aber warum sollte ich gegen Kasparow antreten? Dass die nicht mal ihren eigenen Weltmeister informieren, amüsiert mich. Aber nochmals: Das ist das Problem der FIDE, nicht meines. Das gilt ebenso für das Computer-Match. Es ist wirklich nicht meine Art, andere zu beurteilen - jedoch würde ich mich nicht so wie die FIDE verhalten. Sie versprachen Ponomarjow das Match mit dem Computer und nun spielt ein anderer. So sollte ein großer internationaler Verband nicht handeln.

Frage: Ungeachtet der Verschiebung, die die Konkurrenz beider Computer-Duelle mildert, warum soll Ihr Match gegen Deep Fritz interessanter sein als das von Kasparow gegen Deep Junior?

Kramnik (lacht): Keine Ahnung. Für Kasparow könnte das Match etwas einfacher sein, weil er mehr Erfahrung in diesen Vergleichen besitzt als ich. Ich beschreite mit solch einem langen Vergleich über acht Partien völliges Neuland. Es bringt einem nämlich nichts, eine Halbstunden-Partie gegen Fritz zu spielen. Ich trete gegen ein neues Programm an, auf das ich nur zwei Wochen Zeit habe, mich hier bei der Vorbereitung in Deutschland einzustellen. Die Entwickler leisteten in den vergangenen Monaten ganze Arbeit. Die Fritz-Bahrain-Version wurde noch einmal deutlich verbessert. Mit der kommerziellen Version Deep Fritz 7, die auf Platz eins der Computerrangliste steht, hat das Bahrain-Programm nur noch den Namen gemein. Es wird unglaublich schwer, gegen dieses Monster etwas auszurichten. Ich bin mir sicher, dass ich das mit Abstand stärkste Schachprogramm der Welt zum Gegner habe. Der Status meines Wettkampfs ist auf jeden Fall höher, beachtet man die Fakten: Ich schlug Kasparow, und Deep Fritz bezwang Deep Junior im Qualifikations-Match mit 14:12. Jeder kann daraus seine eigenen Schlüsse ziehen …

Frage: Nach dem Wettkampf Russland gegen den Rest der Welt, bei dem er Judit Polgar unterlag, könnte man auch noch chauvinistisch anfügen: Neuerdings verliert Kasparow sogar gegen Frauen ...

Kramnik: Er war außer Form. Das galt allerdings auch für mich. Dass der Rest der Welt die meines Erachtens stärkere russische Mannschaft schlug, lag am Spielort. Überall auf dem Globus hätten wir gute Chancen auf den Sieg gehabt - nur nicht in Moskau. Vor lauter Journalisten im Kreml konnten wir uns nicht auf das Spiel konzentrieren. Die Journalistenmeute stürzte sich natürlich vor allem auf mich, Kasparow und Karpow. Das war einer der Gründe, warum wir nicht überzeugten. Ich will's nicht allein darauf schieben, wir trugen selbst unser Scherflein zurr Niederlage bei. Es fehlte jedoch die Konzentration auf das Hauptgeschehen, denn kaum bist du vom Brett weg, springen hundert Leute um dich herum, die etwas von dir wollen … Deshalb fiel es unter diesen Bedingungen schwer, optimale Leistungen zu bringen. Ich spielte wirklich schlecht und bedauere es, dass wir deswegen das Match verloren. Wenn nur Kasparow oder ich ein normales, kein gutes Resultat erzielt hätten, hätte Russland gewonnen. Dass wir beide gleichzeitig in so schlechter Verfassung sind, kommt wirklich selten vor. Egal, wir können es nicht mehr ändern. Kommt's irgendwann zur Revanche, bin ich jedenfalls sehr zuversichtlich, dass sich dann Russland durchsetzt. Am besten gleich morgen, dann sind wir voll motiviert. Ich fürchte, wir hatten den Gegner auch ein bisschen unterschätzt.

Frage: Letztlich unterschied sich der Vergleich sowieso von jenen anno 1970 und 1984, in denen die Sowjetunion die Oberhand behielt.

Kramnik: Diesmal war es mehr oder minder Sowjetunion kontra Sowjetunion. Nur vier Spieler - Anand, Leko, Polgar und Short - stammten nicht aus der ehemaligen Sowjetunion. Trotzdem: Das nächste Mal ist Russland besser gewappnet. Auch Kasparow gelangte zu der Ansicht, dann keinesfalls mehr in Moskau zu spielen. Das klingt alles nach einer billigen Ausrede, aber es bleibt ein großer Teil der Wahrheit. Letztlich verlief das Match sehr ausgeglichen und Russland hätte noch selbst in der Schlussrunde den Rückstand wettmachen können.

Frage: Seit Sie Weltmeister sind, lassen Ihre Resultate im Vergleich zu früher aber generell zu wünschen übrig.

Kramnik: Sie haben vollkommen Recht. Auch hier könnte ich wieder Ausflüchte suchen. Mein oberstes Ziel besteht darin, in jedes WM-Match optimal vorbereitet zu gehen. Viele werden sagen, der erzählt Käse. Man kann nicht in jedem Turnier das Optimum bringen. Trotzdem versuche ich das natürlich. Mein Hauptziel besteht indes darin, die nächste Weltmeisterschaft gegen Peter Leko zu gewinnen. Danach womöglich das Vereinigungsmatch. Alle Turniere betrachte ich als eine Art Vorbereitung darauf. Ein anderer Grund meiner schwachen Leistung ist gewisses Pech. Zum einen gibt es nur wenige interessante Turniere, zum anderen fielen alle Wettbewerbe, bei denen ich in Schwung kommen wollte, flach. Ich möchte gerne spielen, doch es lief alles unglücklich. Erst sagte ich wegen des Matchs gegen Deep Fritz Wijk aan Zee ab, dann auch noch Linares, anschließend fiel Astana aus und Dortmund konnte ich diesmal nicht spielen, weil es als WM-Qualifikationsturnier galt. Ohne Praxis kann keiner seine Bestform halten. Was soll ich tun? Ich spielte nur ein paar Partien in der französischen Liga. Ich weiß um die Gerüchte, die mir vorwerfen, ich wolle nicht mehr antreten. Das stimmt einfach nicht. Wenn man mir Turniere anbietet, werde ich spielen. Ich trete im Januar in Wijk aan Zee an, wünschte mir aber auch, dass es ein gutes Turnier im November oder Dezember gibt. Je nachdem, ob das WM-Match gegen Peter im April oder Mai stattfindet, spiele ich zudem im Februar in Linares.

Frage: Apropos Unkenrufe: Lästermäuler prophezeien Ihrem WM-Kampf über 16 Partien gegen Leko 16 Remis …

Kramnik: Ein starker Profi würde so etwas nie behaupten. Mein Stil wird von Journalisten ebenso falsch als langweilig charakterisiert wie jener von Peter. Sie unterscheiden sich gewaltig von dem, was in den Gazetten behauptet wird. Ich habe eine Vorstellung, was Peter und ich für eine Art von Schachspielern sind. Und gewiss ist das keine, die uns als langweilige Klötzchenschieber sieht. Ich bin mir sicher, dass es nicht so viele Remis gibt und deutlich weniger als in meinem Match gegen Kasparow. Es besteht also kein Grund, sich Sorgen zu machen (grinst).

Frage: Leko zeigte in Essen, als er auf die zweite Garde traf, dass er durchaus verwickelte Partien spielen kann. In der Form machte er in Dortmund weiter. Braucht man manchmal einfach ein Erfolgserlebnis, um in der Spielauffassung selbst Fortschritte zu erzielen?

Kramnik: Jeder hat Phasen, in denen er stagniert. Das galt auch eineinhalb Jahre lang für Peter. Jetzt änderte sich etwas und er tritt ganz anders am Brett auf. Bei mir war es ähnlich: Ich spielte 1995 ganz anders als 1998 und 2001 erneut ganz anders. Schon allein deshalb ist es schwer zu sagen, so und so wird das WM-Match laufen. Es ist keine Werbung in eigener Sache, wenn ich ankündige: Das wird ein harter Zweikampf. Ich halte ihn (hält einen Moment inne und überlegt), ja, für den stärksten möglichen Kontrahenten, den ich bekommen konnte. Ja, den stärksten - selbst ohne Vishy Anand abzuwerten, der ein genialer Schachspieler ist. Über 16 Partien ist Peter der gefährlichste Gegner für mich. Ich liebe aber diese Herausforderung, die mich zwingt, konzentriert zu arbeiten. Er ist auch ein harter Arbeiter, weshalb das Match etwas Besonderes bieten sollte und die Theorie weiterentwickeln wird. Langweilig wird das Duell also bestimmt nicht.

Frage: Sie erhielten zur Vorbereitung auf Bahrain die komplette Hard- und Software von Deep Fritz. Konnten Sie die Schwächen des Programms ausloten?

Kramnik: Ich habe natürlich Ideen, wie ich den Computer schlagen kann. Sie aber auch auf das Brett zu bringen, ist eine andere Sache. Schon die Eröffnungsphase ist schwierig gegen einen Computer. Gegen einen Menschen kann ich einschränken: Der spielt diese Eröffnung und vielleicht jene. Der Computer hat aber alle bekannten Varianten in seiner Datenbank. Vor einem Jahr bereitete ich mich bereits einen Monat auf das verschobene Match vor. Die Zeit ist nicht völlig verloren, auch wenn ich nun auf ein komplett anderes Programm treffe. Insgesamt investierte ich nochmals vier Wochen in die Vorbereitung - und ich bin mir nicht sicher, ob das reicht. Nach vier oder sechs Partien in Bahrain bin ich klüger und wüsste wohl, wie ich dem Computer beikomme - bleibt nur die Frage, ob es da nicht schon zu spät ist …

Frage: Was bereitet Ihnen beim Spiel gegen Computer am meisten Probleme?

Kramnik: Computer besitzen keinen Schach-Verstand oder -Ausbildung. Manchmal spielen sie merkwürdige Züge, auf die kein vernünftiger Mensch käme. Dieses Manko kompensieren die Computer mit dermaßen viel Rechengewalt, der nichts entgeht. So gebärden sie sich am Brett wie dreiste Straßenräuber, die einem frech alles Hab und Gut wegnehmen. Mir ist deswegen eines klar: Ich muss körperlich in Topform sein und mein Kopf muss "eins a" funktionieren. Wenn mir das nicht gelangt, habe ich keine Chance. Das habe ich bereits nach den ersten Testpartien gesehen.

Frage: Ungeachtet dessen schob Ihnen CD-Hersteller Chessbase die Favoritenrolle zu. Sie dürften schließlich mit dem Programm samt Hardware, die in Bahrain eingesetzt wird, alles ausprobieren. Nur die Hashtables, die berechnete Varianten speichern und so die Spielstärke dramatisch steigern, dürfen verändert werden.

Kramnik: Natürlich versucht Chessbase den Außenseiter zu mimen. Dann haben sie weniger Druck. Ich könnte auch behaupten, ich wäre chancenlos … Im Ernst: Ich habe das Programm hier in Deutschland nur zwei Wochen zur Verfügung. Da kann ich nicht alle Eröffnungen abklopfen - und zudem bereiten sie sich schon seit eineinhalb Jahren auf mich vor und kennen mein gesamtes Eröffnungsrepertoire und alle Partien. Ich kann hingegen seine Partien nicht ständig wiederholen und dadurch immer wieder gewinnen: Die Hashtables verhindern, dass der Computer denselben Fehler zweimal begeht. Wenn ich eine andere Eröffnung spiele, kennt Deep Fritz diese dagegen ebenso in- und auswendig. Es sind alle Varianten gespeichert. Ich muss mich hingegen an die ellenlangen Abspiele erst einmal erinnern. Kurzum: Ich sehe nicht, warum ich in einer besseren Position als die sein soll.

Frage: Seit Kasparows Schlappe 1997 gegen den IBM-Großrechner Deep Blue hält Ex-Weltmeister Anand Vergleiche mit Computern für "sinnlos". Die Allgemeinheit habe das Thema abgehakt, weil die Maschine den Menschen bezwang.

Kramnik: IBM mag das als Werbung verbreiten. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Werbung auch der Wahrheit entspricht. Manche messen meinem Wettkampf mehr Bedeutung bei als dem Kasparows 1997. Aber auch wenn ich gewinnen sollte, wird es weiter Menschen geben, die Kasparows Niederlage mehr in Erinnerung behalten. Ich denke nicht zu viel darüber nach, ob ich nun die "Ehre der Menschheit" wieder herstelle oder nicht. So ambitioniert bin ich nicht. Ich bin Profi und will den Zweikampf gewinnen.

Frage: Selbst Kasparow beklagt, er werde nicht wegen seiner unzähligen Erfolge in die Geschichte eingehen, sondern als erster Schach-Weltmeister, der der Maschine unterlag. Den Makel versucht er mit wüsten Vorwürfen, IBM habe getrickst, abzustreifen.

Kramnik: Das ist Kasparows Art der Werbung. Ich fühle mich der Realität verpflichtet - und die sieht anders aus. Mich schert es nicht so sehr, was die Menschheit in 100 Jahren über mich denkt, ob ich der zweite Schach-Weltmeister bin, der gegen einen Computer verlor. Was hat das schon zu sagen, wenn ich verliere? Es kann auch dann wieder einen geben, der die Maschine schlägt. Natürlich werden sie stärker und stärker. In ein paar Jahren wird es nahezu unmöglich sein, die Computer in die Knie zu zwingen.

Frage: In Sciencefiction-Filmen werden Fehler des Bordcomputers gerne dadurch ausgemacht, dass der überraschend im Schach gegen ein Crew-Mitglied wie Mr. Spock verliert. In wie viel Jahren werden Ihrer Ansicht nicht nur 99,9 Prozent, sondern alle Menschen chancenlos gegen Schach-Programme sein?

Kramnik: Ich bin kein Soft- oder Hardware-Experte. Deshalb werten Sie meine Prognose nicht als Fakt, den der große K verbreitet. Vom Gefühl her würde ich sagen, dass es in fünf bis zehn Jahren so weit ist. Der Fortschritt ist nicht zu stoppen. Wenn ich die Spiele mit Fritz vor zwei Jahren und heute vergleiche, sind das unterschiedliche Welten. Fragen Sie mich besser nochmals nach dem Match, dann kann ich präziser Auskunft geben. Schach ist ein sehr, sehr kompliziertes Spiel, aber eben doch auch pure Mathematik. Spaßigerweise reichen die zwei, drei guten Züge des Menschen, die er in der Sekunde berechnet, immer noch durchaus, um mit den Millionen des Computers konkurrieren zu können. Sicher kommt aber der Zeitpunkt, an dem die zwei, drei Züge nicht mehr genug sind - ich hoffe bloß, dass er nicht schon in diesem Oktober kommt.

Frage: Wenn's nicht klappt, können Sie sich ja dank Ihrer zwei Treffer an der Torwand des Aktuellen Sport-Studios bei ein paar Fußball-Profiklubs bewerben. Diesbezüglich sind Maschinen noch nicht so weit …

Kramnik: Tatsächlich war ich mit den zwei Treffern unzufrieden. Mit ein bisschen Training hätte ich wohl auch oben mindestens einmal treffen können. Unten ging's viel einfacher.

Frage: Zwei Erfolge sind dennoch beachtlich. Der Rekord liegt bei fünf. Mancher Fußballstar ging im Gegensatz zu Ihnen gänzlich leer aus.

Kramnik: Ich bin eben Maximalist und will am liebsten den Ball sechsmal versenken. Ich wusste bis zu meinem Auftritt nicht viel über das Torwandschießen, nur dass die Gäste sich daran versuchen. Zunächst glaubte ich, zwei Treffer seien nicht viel. Erst später erfuhr ich, dass das ein durchaus respektables Ergebnis war. Nächstes Mal will ich dennoch mehr reinhauen!

Frage: Das wäre ideal, weil die meisten Schachspieler für unsportlich halten.

Kramnik: Der Eindruck ist wirklich falsch. In unserer russischen Schach-Mannschaft haben wir gute, kräftige Fußballer. Es gibt welche, die spielen Tennis, schwimmen oder laufen. Ohne körperliche Fitness kann man kaum im Topschach bestehen. Deswegen legen alle auch Wert darauf und es kam zum Wandel: Schach ist nicht mehr nur ein intellektuelles Spiel älterer Herren. Ich hatte schon früher die Idee eines Mehrkampfs für verschiedene Sportler im Tennis, Fußball, Schach und so fort. Natürlich bräuchten dabei alle nicht in ihrer Domäne antreten. Ich bin mir sicher, dass Schachspieler dabei gut abschneiden würden, weil sie die Spiele schnell analysieren und rasch eine gute Taktik entwerfen.

Frage: Passend zum Thema Sport die letzte Frage: Artur Jussupow erklärte wegen der Dopingkontrollen, die bei der Olympiade durchgeführt werden und die der deutsche Spitzenspieler für unsinnig hält, seinen Rücktritt aus der deutschen Nationalmannschaft. Was halten Sie von Dopingkontrollen und dem wohl inzwischen gescheiterten Bestreben, olympische Sportart zu werden?

Kramnik: Wir haben eine andere Art von Doping! Ich halte Computer-Kontrollen für viel dringlicher. Ich bin mir sicher, dass auf Topniveau keiner im Schach betrügt, aber in Open ist der Manipulation Tür und Tor geöffnet. Die FIDE sollte lieber dagegen etwas unternehmen. Beim WM-Kampf gegen Kasparow hatten wir auch Sicherheitskontrollen auf Computer. Bei der WM mit Peter Leko werden wir diese erneut haben, auch wenn ich mir sicher bin, dass Peter nicht betrügt. Generell müssten diese Kontrollen bei jeder Meisterschaft eingeführt werden. Mich stören Dopingkontrollen nicht unbedingt, auch wenn ich das Prozedere ungern über mich ergehen ließe. Ich sehe vor allem keinen Sinn darin. Mittelchen, die einem beim Schach helfen, existieren nicht. Deshalb verstehe ich die Spieler, die sich den Kontrollen verweigern. Diese wurden ja nur eingeführt, um womöglich in die olympische Bewegung aufgenommen zu werden. Ich halte das aber nicht einmal für erstrebenswert. Schnellschach könnte man dort spielen. Ein richtiges Turnier über zwei Wochen hinweg fände jedoch bei Olympia kein Interesse. Deswegen ist es wichtiger, die Spieler auf Pocket-Programme in ihren Taschen zu kontrollieren.


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