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Relativitätstheorie im Schach

Peter Leko und Weselin Topalow im Finale der Dortmunder Schachtage

von Hartmut Metz, Juli 2002

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   Einstein-Weltmeister. Der Titel klingt zunächst im Zusammenhang mit Schach ziemlich gut. E=mc2. Einstein hat etwas von Genie. Der Wert des Einstein-WM-Titels bleibt aber nicht nur in der Theorie relativ. "Es ist der Öffentlichkeit schwer zu vermitteln, dass es einen FIDE-Weltmeister Ruslan Ponomarjow, einen Einstein-Weltmeister Wladimir Kramnik und dann noch den weltbesten Spieler Garri Kasparow gibt", stellt der beste deutsche Schach-Großmeister, Christopher Lutz, unumwunden fest und plädiert deshalb für ein Vereinigungsmatch, damit sich "herausstellt, wer der wahre Weltmeister ist".

   Zustände wie im Boxen herrschen nämlich seit 1993 im einst königlichen Spiel. Herabgewirtschaftet haben es der souveräne Weltranglistenerste Kasparow und sein vieljähriger Gegenspieler Kirsan Iljumschinow. Letzterer seines Zeichens Präsident der russischen Republik Kalmückien und des Schach-Weltverbandes FIDE. Bis vor kurzem vereinte Kasparow und Iljumschinow nur, dass sie den Denksport für ihre Zwecke missbrauchten. Neuerdings sind die Protagonisten nach Zeter und Mordio - vor allem Kasparow rückte den kalmückischen Millionär bevorzugt in die Ecke eines Mafiosi, der dreckige Rubel unters Schachvolk streue - ein Herz und eine Seele.

   Kasparow hatte sich vor dem WM-Finale gegen Herausforderer Nigel Short mit dem Weltverband überworfen und firmierte fortan unter allerlei Namen wie Profischach-(PCA) oder Braingames-Weltmeister. Zuletzt hatte die Einstein Group die Firma Braingames aufgekauft und wollte die Schach-Titelrechte zu umfangreichen Sendungen in ihrer TV-Sparte nutzen. Nachdem Kasparow 2000 in London gegen Kramnik überraschend unterlag und sein russischer Landsmann ihm keine Revanche gönnte, brauchte Kasparow einen Verbündeten gegen den "Königsmörder". Sein 27-jähriger Bezwinger pochte nämlich auf eine reguläre Qualifikation, die der entthronte Champion seit 1995 nie zu Stande gebracht hatte. Bei den 30. Dortmunder Schachtagen ermitteln Peter Leko und Weselin Topalow Kramniks Gegner. Der mit phänomenalen 4,5:0,5 Punkten in Serie zu Höchstform aufgelaufene Leko hatte im Halbfinale Alexej Schirow in nur drei Partien (2,5:0,5) ausgeschaltet. Der Weltranglistensechste aus Bulgarien musste hingegen über die volle Distanz, um den Russen Jewgeni Barejew nach einem 2:2 im Schnellschach-Tiebreak mit nur 40.000 Euro Preisgeld zu verabschieden. Nach Topalows erneut spektakulären Partien, in denen er sich mit 1,5:0,5 durchsetzte, trägt der 27-Jährige nun ein offenes Match über vier Partien gegen den fünf Jahre jüngeren Leko aus.

   Kasparow forderte indes Sonderrechte und war sich zu schade, durch die Dortmunder Mühle zu gehen. So opponierte er erfolgreich und rang seinem neuen Verbündeten Iljumschinow in Prag Zugeständnisse ab. Der 39-Jährige spielt wieder bei FIDE-Turnieren mit, dafür wurde ihm der frisch gebackene FIDE-Weltmeister Ponomarjow zum Fraße vorgeworfen. Der zurückhaltende 18-jährige Ukrainer äußerte sich bisher kaum darüber, dass der Sieger dieses Zweikampfs dann gegen Kramnik oder seinen Bezwinger den einzigen Weltmeister ermitteln soll.

   Hingegen formierte sich Widerstand unter den anderen Topspielern. Selbst die durch die Teilnahme in Dortmund begünstigten Großmeister unterschrieben offene Briefe, in denen sie den Ausschluss von Ex-Weltmeister Viswanathan Anand und Vizeweltmeister Wassili Iwantschuk verurteilten. Der Inder wie der Ukrainer hatten mit Nibelungentreue zum Weltverband gestanden und verweigerten sich der gegnerischen WM-Qualifikation in Dortmund. "Ich denke, der genaue Modus für die Vereinigung sollte noch einmal überdacht werden, weil es nicht fair ist, solche Spieler mehrere Jahre aus dem WM-Zyklus auszuschließen", brach Lutz schon vor seinem Ausscheiden in Dortmund eine Lanze für Anand und Iwantschuk, obwohl er durch deren Verzicht erst eine Wildcard erhalten hatte. Iljumschinow nahm den Verrat an den treuen Gefolgsleuten jedoch billigend in Kauf.

   Anand&Co. bleibt nur der Genuss, die Ränkespiele der Beteiligten schadlos verfolgen zu können. Ob der Sieger von Dortmund tatsächlich im Frühjahr um eine Million Dollar gegen Kramnik antritt, kann aus verschiedenen Gründen scheitern: Zum einen brachte Iljumschinow ein baldiges Duell nur mit Kramnik, Ponomarjow und Kasparow ins Gespräch, damit die anderen Großmeister nicht zu lange auf die nächste WM warten müssten. Zum anderen droht aber auch der Einstein Group, das Geld auszugehen. Die syrische Milliardärs-Witwe Nahed Ojjeh - ihr Ehemann Akram Ojjeh verdiente sich einen Teil seines Vermögens mit Waffenhandel - rettete mit einer Spende von 300.000 Euro den Preisfonds bei den Schachtagen. Ohne eine weitere milde Gabe der 41-Jährigen aus Frankreich, die in Paris einen eigenen Schachklub namens NAO unterhält und Schach als Erziehungsmittel in zahlreichen Ländern propagiert, gibt es kaum ein Einstein-WM-Finale.

   Der Handel war Anfang Juli in London sogar ausgesetzt worden, als die Aktien der Einstein Group auf 0,5 Pence sackten. Das Unternehmen hatte mit dreimonatiger Verspätung einen Jahresverlust von rund 4,5 Millionen Pfund bekannt gegeben. Just als Toby Murcott, Chef der Einstein TV-Sparte, zur Eröffnungszeremonie in Dortmund weilte, setzte der Handel mit den Aktien wieder ein. Auch wenn das Wertpapier auf 1,3 Pence "kletterte", klang die Ankündigung von Dr. Murcott vor dem Turnier eher tragikomisch: "Wohin Einstein auch geht, Schach geht mit." Ganz wird auch Einstein das königliche Spiel nicht ruinieren können. Das versuchten auch schon Kasparow und Iljumschinow vergebens.


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