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Kasparow bekam alles, was er wollte"

Interview mit Viswanathan Anand über die skandalöse WM-Titelvereinigung / Der "Tiger von Madras" spielt in der Bundesliga bei Baden-Oos / Im August in Mainz gegen Ponomarjow

von Hartmut Metz, Juni 2002

mehr Schachtexte von Hartmut Metz


   Im Kampf um die Rückkehr auf den WM-Thron ist Viswanathan Anand ins Abseits geraten. Der 32-jährige Inder wurde vom Weltverband FIDE ausgebootet. Anstatt den treu an seiner Seite stehenden Ex-Weltmeister bei der geplanten Titelvereinigung mit Konkurrenz-Champion Wladimir Kramnik zu unterstützen, gab FIDE-Präsident Kirsan Iljumschinow in Prag allen Forderungen von Garri Kasparow nach. Der Weltranglistenerste aus Russland hatte 1993 das Chaos mit zwei WM-Titeln verursacht und seit der Trennung mit verschiedenen eigenen Ein-Mann-Verbänden die FIDE bekriegt. Der "Tiger von Madras" will sich nun auf sein anstehendes Schnellschach-Match bei den Chess Classic Mainz (15. bis 18. August) gegen den neuen FIDE-Weltmeister Ruslan Ponomarjow und sein Bundesliga-Debüt bei Aufsteiger SC Baden-Oos konzentrieren. Hartmut Metz unterhielt sich mit Viswanathan Anand.

 

Viswanathan Anand

Viswanathan Anand

 

Metz: Herr Anand, Sie haben das Turnier in Prag gewonnen. Weil aber Kasparow, Ponomarjow, Kramnik und der Turniersieger von Dortmund im Juli um den WM-Titel spielen, gelten Sie und Halbfinalist Wassili Iwantschuk, der zuvor Garri Kasparow ausgeschaltet hatte, als die großen Verlierer von Prag.

Viswanathan Anand: Generell war das Turnier für mich ein Erfolg. Auch die geplante Titelvereinigung binnen zweier Jahre ist für das Schach gut. Was das diesbezügliche Meeting anlangt, in dem der Fahrplan bestimmt werden sollte, wurde mir tags zuvor schon klar, dass eine Teilnahme keinen Sinn macht. Ein Gespräch mit US-Großmeister Yasser Seirawan, der die Titelvereinigung ins Rollen gebracht hatte, bewies mir, dass bereits alles besiegelt war - mit Ausnahme von Wladimir Kramniks Standpunkt. Den mussten sie erst noch bearbeiten und unter Druck setzen. Das dauerte eine Weile, bis auch er in den sauren Apfel biss. So bestand kein Anlass mehr für mich und Iwantschuk, an dem Treffen teilzunehmen.

Metz: Fühlen Sie sich von der FIDE, die Sie und Vizeweltmeister Iwantschuk stets unterstützen, verraten und verkauft?

Anand: Ich habe keine Lust, mir Feinde zu schaffen. Ich war in keiner guten Verhandlungsposition und allein das zählte. Kasparows Verhandlungsposition war hingegen sehr stark und er bekam all das, was er wollte. Ich sehe das wie in einer Schachpartie: Der Typ mit der besten Position gewann. Für die FIDE hoffe ich, dass die Zukunft für alle Schachspieler wieder besser aussieht.

Metz: Sie und Iwantschuk lehnten es als einzige Top-Ten-Spieler in den vergangenen Jahren ab, im von der englischen Firma Braingames (Anmerkung: inzwischen Einstein-Gruppe) gesponserten WM-Zyklus teilzunehmen. Ihre Ausbootung muss doch für Sie eine herbe Enttäuschung sein.

Anand: Sicher. Ich bin nicht glücklich mit dem Ergebnis von Prag. Ich will aber nicht mein Leben deswegen mit Gram erfüllen. Ich schaue nach vorne, spiele im Juni in Leon mein Advanced-Chess-Match mit Kramnik, danach die Chess Classic in Mainz und künftig die Bundesliga. Außerdem verbringe ich mehr Zeit in Indien, wo ich eine Akademie für Talente eröffnen möchte. Ich hoffe, all dies entwickelt sich positiv - und ebenso die Titelvereinigung.

Metz: Sie nehmen die Entwicklung erstaunlich gelassen. Sollte der "Tiger von Madras" nicht mehr um seine Rechte kämpfen?

Anand: Gewiss, ich könnte Krach schlagen - aber was bringt es, wenn ich zu der Sitzung gehe? Es war alles entschieden. Und um weitere Argumente auszuschließen: Sie hatten ihre Entscheidung vorher mit allen bekannten Fakten gefällt, warum sollte das eine Meeting ihren Beschluss über den Haufen werfen? Deshalb sah ich keinen Sinn darin, dort hinzugehen.

Metz: Kasparow schlägt hingegen immer Krach.

Anand: Schon. Er ging aber auch nur hin, weil er alles bekam, was er wollte. Ich bin nicht zufrieden damit, wie es lief - aber ich lasse mich deswegen nicht verdrießen. Auch wütende Proteste würden wohl kaum fruchten. Wenn die Beteiligten von Prag meinen, dass alle Top-Ten-Spieler außer Iwantschuk und mir eine Chance verdienen, okay.

Metz: Zunächst hatte es geheißen, dass Sie mit Iwantschuk ein Qualifikationsmatch austragen.

Anand: Das Angebot hätte der FIDE Vorteile gebracht. Man hätte auch andere starke Spieler einbinden können, nicht nur Iwantschuk und mich.

Metz: Es gab die verschiedensten Varianten. Jaan Ehlvest nannte es jetzt "Dortmund II". Ein Turnier mit Ihnen, eventuell Kasparow, Iwantschuk, Alexander Grischuk, Peter Swidler, den Ex-Weltmeistern Alexander Khalifman und Anatoli Karpow, der weltbesten Dame Judit Polgar und einem Platz für den Ausrichter, beispielsweise Joel Lautier in Frankreich, wäre von der Besetzung her sogar attraktiver als Dortmund I.

Anand: Ja, das wäre sicher sehr interessant. Aber ohne die drei Hauptdarsteller FIDE, Kasparow und Bessel Kok, dem Organisator des Meetings, passiert nichts dergleichen. Generell würde ich natürlich wie alle anderen Spitzenspieler solch ein Turnier begrüßen. Ich mutmaße jedoch, dass der Vorschlag nicht über ein Planspiel hinausgeht. Die WM-Chancen der Genannten sind jetzt erst einmal für zwei Jahre eingefroren.

Metz: Alexej Schirow kann in Dortmund seine WM-Chancen wahren. Trotzdem nannte Ihr einstiger Gegner im WM-Finale 2000 die Entscheidung der finanziell bankrotten FIDE auch eine "moralische Bankrotterklärung".

Anand: Die Aussage geht mir zu weit. Ich war sehr enttäuscht von der Entscheidung. Dennoch besitze ich Respekt vor FIDE-Präsident Kirsan Iljumschinow. Er machte viel fürs Schach und pumpte viel Geld in Turniere. Deshalb will ich ihn jetzt nicht beleidigen.

Metz: Ein FIDE-Schiedsrichter aus Australien überschrieb das Abkommen von Prag und die letzten zehn Jahre im Schach schlicht mit "Kasparow-Terror". Pflichten Sie bei?

Anand: Kasparow ist ein großartiger Spieler. Es ist hingegen eine offene Frage, welche Rolle ihm in dem angesetzten WM-Zyklus zukommen sollte.

Metz: In der nächsten Saison spielen Sie bei Aufsteiger Baden-Oos. Mit dem Engagement in Baden-Baden sind Sie der Großmeister mit der höchsten Ratingzahl aller Zeiten in der Bundesliga.

Anand: Für mich ist das eine neue, interessante Erfahrung. 1999 stand ich bereits mit dem amtierenden deutschen Meister Lübeck in Verhandlungen. Damals klappte es aus terminlichen Gründen nicht, weil ungewiss war, wann das Match gegen Kasparow stattfinden sollte. Letztlich fiel auch das ins Wasser. Bisher habe ich so gut wie nie in einer Liga gespielt. Sporadisch in Frankreich für Lyon, zudem im Europapokal für Belgrad. Aber beide Wettbewerbe werden kompakter in kurzer Zeit gespielt, nicht wie die Bundesliga über mehrere Wochenenden hinweg. Natürlich verfolge ich auch regelmäßig das Geschehen in der Bundesliga, die zu den stärksten der Welt zählt. Die Top-Großmeister spielen ja meist in vier, fünf Ligen: in England, Frankreich, Spanien, Russland, Deutschland. Ich weiß, dass früher immer Köln-Porz Meister war, in den beiden letzten Jahren aber von Lübeck abgelöst wurde.

Metz: Wie oft werden Sie in den 15 Partien für Baden-Oos antreten?

Anand: Laut Kontrakt sechs- bis achtmal. Vermutlich in den wichtigen Duellen um die Meisterschaft mit Lübeck und Porz sowie in den Heimkämpfen.

Metz: Schachspieler sind Nachteulen und Langschläfer. Karpow oder Kramnik erwischt man auch mal um 13 Uhr noch im Morgenmantel.

Anand: Manche wie Kramnik bereiten sich bis nachts um 3 oder 4 Uhr vor und stehen erst direkt vor den Partien am Nachmittag auf. Ich versuche normalerweise um 9.30 Uhr aus dem Bett zu kommen (seine Frau Aruna schmunzelt bei den Worten).

Metz: Dann haben Sie ein Problem: Die Bundesliga-Runde am Sonntag beginnt bereits um 9 Uhr.

Anand: In der Tat ist das die bisher größte Herausforderung, der ich gegenüberstand (grinst)! Mich wundert es nicht, dass 90 Prozent der schnellen Remis in der Bundesliga am Sonntagmorgen gemacht werden. Vielleicht sollte ich um 9.50 Uhr aufstehen, bis 9.59 Uhr im Pyjama ans Brett eilen, den vorgeschriebenen ersten Zug innerhalb der ersten Stunde Spielzeit machen und mich wieder für eine halbe Stunde hinlegen. Dann hätte ich danach noch wie im Schnellschach eine halbe Stunde Bedenkzeit für die Partie. Das sollte reichen … (lacht).

Metz: Bei den Chess Classic Mainz spielen Sie vom 15. bis 18. August im Schnellschach gegen Ihren Nachfolger, Ruslan Ponomarjow. Kann der mit 18 Jahren jüngste Weltmeister aller Zeiten dem stärksten Schnellschachspieler Paroli bieten?

 

Ruslan Ponomarjow

Ruslan Ponomarjow

 

Anand: Bei der WM in Moskau stellte ich fest, dass er sehr gute Nerven hat. Zum Beispiel was er im Schnellschach-Tiebreak mit Jewgeni Barejew oder Sergej Tiwiakow anstellte. Sehr gute Nerven sind nützlich, um Schnellschach zu spielen. Ich werde ihn folglich nicht auf die leichte Schulter nehmen. Trotz seines Alters wird er nicht erst in Zukunft zu beachten sein, sondern ist jetzt schon enorm stark. Das Duell ist eine schöne Herausforderung, auf die ich mich alsbald vorbereite.

Metz: Würden Sie Ponomarjow von der stoischen Ruhe mit Kramnik vergleichen, der auch ungerührt am Brett sitzt?

Anand: Er erinnert mich mehr an Gata Kamsky - dabei nicht an die schlechten Seiten, die mit dem Namen verknüpft sind (lacht). Bei Ponomarjow muss ich mehr an Kamsky denken. Kramnik hat einen anderen Ansatz beim Schach als Ponomarjow. Er spielt ähnlich wie Karpow. Ich will dabei nicht die alten Floskeln bemühen, dass er aussieht wie der junge Karpow, aber es ist etwas dran, dass sich die beiden ähneln. Auch vom Spielstil her. Natürlich kann sich das noch ändern, weil Ponomarjow sehr jung ist. Aber letztlich erinnert er mich an Kamsky, besonders an Kamsky, vielleicht auch weil ich den jungen Karpow nicht kannte. Ponomarjow sieht wie Kamsky Schach mehr als Sport, Kramnik eher als Kunst. So oder so, der Ukrainer wird eine schwer zu knackende Nuss darstellen, speziell im Schnellschach.

Metz: Wen halten Sie hinter sich für den besten Schnellschachspieler der Welt?

Anand: Kasparow, Kramnik, Iwantschuk sind alle zu beachten. Beim früheren Schnellschach-Grand-Prix gewannen wir alle ein, zwei Turniere. Okay, bei den Chess Classic bin ich natürlich der erfolgreichste Akteur (grinst).


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