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Duell der Weltmeister in Mainz

Oberbürgermeister Beutel macht Frankfurt Chess Classic abspenstig

von Hartmut Metz, Mai 2001

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Mainz Chess Classic: Viswanathan Anand
         
Mainz Chess Classic: Wladimir Kramnik

Viswanathan Anand

Wladimir Kramnik

 

   Die Frankfurt Chess Classic sind Geschichte! Auf dem Höhepunkt ereilte das herausragende Turnier das Ende. Zum einzigen Mal in der 150-jährigen Historie des königlichen Spiels hatte der Wettbewerb die kompletten Top Ten vereint. Doch die Fans, die in Scharen zum bedeutendsten Schnellschach-Event der Welt pilgerten, brauchen nicht zu trauern. Der Nachfolger steht bereits fest: die Chess Classic Mainz (CCM). Organisator Hans-Walter Schmitt zog kurzerhand von der hessischen Metropole in die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt. "Mainz hat den einzigen Oberbürgermeister Deutschlands, der sich bedingungslos fürs Schach einsetzt", begründet der Bad Sodener den Umzug um 25 Kilometer und verspricht ein erneut spektakuläres Programm.

   Die Begeisterung von Jens Beutel hatte sich schon im Vorjahr bei den Chess Classic gezeigt. Der SPD-Politiker schwärmte von dem Denksport-Mekka und kündigte an, solch einen Event in Mainz aufbauen zu wollen. Den ehemaligen Oberliga-Schachspieler des SV Mombach, der aus beruflichen Gründen kaum noch im Verein trainiert, bestärkte dabei sicher sein außerordentliches Erfolgserlebnis gegen Garri Kasparow: Dem Weltranglistenersten aus Russland knöpfte er bei dessen Simultan eines von lediglich fünf Remis ab! Dieses Unentschieden nach nur 23 Zügen erboste Kasparow besonders, hatte er doch ansonsten mit den meisten der anderen 39 Kontrahenten leichtes Spiel.

   Letzteres galt nicht für Schmitt. Obwohl er in Frankfurt binnen sieben Jahren ein bedeutendes Turnier aus dem Boden gestampft hatte, ließ die Stadt erneut wenig Unterstützung erkennen. Schon in den Vorjahren war das Sport-Dezernat kaum behilflich bei der Suche nach geeigneten wie günstigen Spielstätten. Überdies verlängerte Hauptsponsor Fujitsu Siemens sein auf drei Jahre ausgerichtetes Engagement nicht, nachdem sich der Computer-Hersteller von zahlreichen ehemaligen Siemens-Nixdorf-Topmanagern, darunter Schmitt, getrennt hatte. Einen "Glücksfall" nennt der Schach-Organisator die "Rochade" nach Mainz. "Mit der Rheingoldhalle, dem Hilton und dem Congress Centrum haben wir endlich alles unter einem Dach zusammen. Obwohl wir am schönen Rhein liegen, spielen wir trotzdem mitten in der Stadt. Das setzt in mir Euphorie frei", gesteht der Turnierpräsident der Chess Classic Mainz. Auch Beutel besitzt wenig Zweifel am "Erfolg" der Veranstaltung, zumal er tatkräftig die Bemühungen um neue Sponsoren unterstützte. Das Loch von rund einer halben Million Mark durch den Ausstieg von Fujitsu Siemens war in der Kürze der Zeit nicht komplett zu stopfen. Dank der dafür als Hauptsponsor gewonnenen Landesbank Rheinland-Pfalz schrumpft der Etat aber lediglich von 850.000 auf rund 500.000 Mark (inklusive Sachleistungen).

   Trotz der geringeren Mittel ist Schmitt tatsächlich nach den kompletten Top Ten ein neuer Coup beim Debüt in Mainz gelungen: das Duell der Weltmeister! "Jede Chess Classic muss einen originellen Charakter haben und den Anspruch auf Einmaligkeit besitzen", frohlockt der 49-Jährige nach seinem jüngsten Husarenstück. Seit Viswanathan Anand den Titel des Weltverbandes FIDE gewann und Wladimir Kramnik den einst von der FIDE abtrünnigen Kasparow souverän bei der Braingames-WM schlug, träumen die Schach-Fans rund um den Globus von einem Vereinigungsmatch, das Kasparow stets abgelehnt hatte. Der Inder und der Russe gehen sich bei Turnieren nicht direkt aus dem Weg, aber Partien gegeneinander wurden seit den Titelgewinnen seltener zwischen dem "Tiger von Madras" und dem schier unbezwingbaren Moskauer. Jetzt zahlte es sich für Schmitt aus, dass er seit 1995 auf die richtigen "Pferde" gesetzt hat und um Anand und Kramnik herum ein Weltklasse-Turnier aufbaute. Die beiden Weltmeister konnten sich deshalb nicht dem Ansinnen entziehen, ein voller Prestige steckendes Schnellschach-Match auszutragen. Bereits 1998 saßen sich die Asse im Finale bei den Chess Classic gegenüber, nachdem Kasparow und der damalige Weltranglistenvierte Wassili Iwantschuk ins Spiel um Platz drei verwiesen worden waren. In einem dramatischen Showdown setzte sich Anand in der Verlängerung mit 4:3 gegen Kramnik durch. Der Vorjahressieger dürfte es in der Rheingoldhalle aber weit schwerer haben, diesen Sieg in den zehn Partien zu wiederholen. Wie ernst beide Akteure das Duell der Weltmeister vom 26. Juni bis 1. Juli (jeweils 17.30 Uhr Spielbeginn der ersten von zwei Begegnungen; sonntags 15 Uhr) nehmen, zeigte sich beim Gefeilsche um die Bedenkzeit. Erhielten die Top Ten im Vorjahr 25 Minuten für die gesamte Partie, beharrte Kramnik heuer auf zusätzliche zehn Sekunden pro ausgeführten Zug. Der zuweilen als "schneller Brüter" apostrophierte FIDE-Weltmeister Anand lenkte letztlich ein. Die Weltmeister pausieren am 26. Juni. Stattdessen soll ein attraktives Prominententurnier die Schaulustigen anlocken.

   Kommt das Fernsehen nicht zum Schach, geht der Denksport eben zum Sender - wie schon beim Auftritt von Anand im Aktuellen Sport-Studio 1999. In Mainz ist der Sitz des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF). "Erste Kontakte mit dem ZDF und dem Südwestrundfunk (SWR) bestehen. Die Medienpräsenz von Schach wird sicher höher sein als allgemein üblich", klingt Beutel optimistisch. Schmitt pflichtet bei: "Natürlich glaube ich, dass sich das ZDF eine solch hochkarätige und denkwürdige Veranstaltung nicht entgehen lässt. Zudem wirkt das Rheinland-Pfalz-Fernsehen der ARD sehr interessiert. Die indischen Medien wollen mit drei Teams kommen und auch die Printmedien sind gewiss wieder zahlreich vertreten."

   Das Programm der CCM vom 23. Juni bis 1. Juli umfasst weitere Höhepunkte. Eine Premiere stellt der Schnellschach-Wettkampf über acht Partien zwischen Michael Adams (England) und Peter Leko (Ungarn) im Fischer Random Chess dar. Vor den Begegnungen der Weltmeister testen der Weltranglistenvierte und -siebte dienstags bis freitags jeweils ab 15 Uhr die Idee des ehemaligen Champions Bobby Fischer. Um die ins uferlose ausartende Eröffnungstheorie einzuschränken, schlug der US-Amerikaner vor, die Grundstellung der Figuren nach bestimmten Regeln auszulosen. Das Vorprogramm am Samstag (13 Uhr) ergänzt ein Match Mensch - Maschine. Die Software des Hamburger Marktführers Chessbase soll dabei in vier Partien gegen Adams und Leko sein Können auf einem Handheld (kleiner Taschencomputer) beweisen.

   Amateure können im Internet unter der Adresse www.chesstigers.de ihre eigenen Duelle mit den Weltmeistern ersteigern. Jeweils 20 der 40 Bretter in den Simultans gegen Anand (Samstag, 23. Juni, 18.30 Uhr) und Kramnik (tags darauf, 18.30 Uhr) gehen an die Meistbietenden. Das Mindestgebot liegt bei 100 Mark. Das elfrundige Ordix Open (23./24. Juni), bei dem ein hochkarätiges Feld um 45.000 Mark Preisgeld kämpft, rundet die ersten Chess Classic in Mainz ab.

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