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Jung opfert sich der Vereinsräson

Vorsitzender des Zweitligisten SC Baden-Oos beendet Provinzposse mit Rücktritt

von Hartmut Metz, August 2001

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   Reiner Jung war 16 Jahre lang ein guter Regent. Gewiss der fleißigste Funktionär des königlichen Spiels in der Kurstadt. Und wie alle klugen Monarchen trat er ab, als es die "Staatsräson" erforderte. In diesem Fall beim SC Baden-Oos. Dem ehemaligen Bereichsligisten bekam offensichtlich nicht in allen Bereichen der rasche Aufstieg. Das Damoklesschwert eines Rückzugs beider Zweitliga-Mannschaften schwebte über den Häuptern.

   Dank Sponsor Wolfgang Grenke, Mehrheitseigner des gleichnamigen Leasing-Unternehmens, war der Schachclub durch vier Ligen marschiert und klopft in der im Oktober beginnenden Zweitliga-Saison ans Tor zum Oberhaus. Dies gilt sowohl für das Herren- wie Damenteam, die beide mit internationalen Titelträgern und Nationalspielern gespickt sind. Auch wenn mancher Alteingesessene (ebenso wie Neider anderer Vereine) die Entwicklung des Klubs argwöhnisch verfolgte, herrschte zumindest an der Spitze Einigkeit über die Ziele. Grenke möchte nicht nur das Schulschach in Baden-Baden fördern, sondern auch eine Schach-Hochburg bilden.

   Im Frühjahr wuchsen sich die Diadochen-Kämpfe jedoch zur Provinzposse aus. Nachdem es Reiner Jung langsam leid war, stets nur für die "Drecksarbeit" zuständig zu sein, bei Höhepunkten wie den Besuchen von Ex-Weltmeister Anatoli Karpow aber stets regelmäßig in die zweite Reihe gedrängt zu werden, kam es zum endgültigen Bruch mit seinem Stellvertreter Christian Bossert. Daraus entsponnen sich "größere Differenzen mit dem Sponsor", wie der 40-Jährige formuliert. Bossert ist nämlich ein enger Mitarbeiter Grenkes, auf dessen Mitwirkung an vorderster Front der Geldgeber partout nicht verzichten wollte. Das galt, obwohl Bossert angesichts der Widerstände bei einigen Mitgliedern im März zum Rücktritt bereit war.

   "Nicht ganz freiwillig" geschah dies nun auch bei Jung. "Ich wollte, dass der Sponsor Christian Bossert durch Thomas Bittner, einem anderen Mitarbeiter von Herrn Grenke, ersetzt." Vor der außerordentlichen Sitzung wurde dem rührigen Vorsitzenden dennoch die Pistole auf die Brust gesetzt: entweder er oder der Mäzen. Da ihm natürlich nach 30 Jahren Mitgliedschaft der SC Baden-Oos immer noch am Herzen liegt, opferte sich der Multifunktionär selbst. "Wenn das alles seine Vision ist, soll der Sponsor das eben durchziehen", lautete Jungs Entschluss, auf die zunächst erwogene geheime Kampfabstimmung zu verzichten. Obwohl ihm übel mitgespielt wurde, will er die neue Führungscrew "nicht im Regen stehen lassen" und für einen reibungslosen Übergang sorgen.

   Jürgen Gersinska heißt sein Nachfolger. Der ehemalige Bezirksvorsitzende möchte die "Ein-Mann-Struktur" im Verein abschaffen und verfügt über ein schlagkräftiges Team, das das Vertrauen Grenkes genießt. Helmut Zanner, der als Moderator der Sitzung für "mahnende Worte" (Jung) sorgte und den Diskussionen die Spitzen nahm, wurde zweiter Vorsitzender. Für den ebenfalls zurückgetretenen Alt-Ooser Bernhard Ast rückt Thomas Bittner zum Schatzmeister auf. Stefan Niessen erkoren die Mitglieder zum Schriftführer und Thilo Gubler zum Teammanager der beiden Zweitliga-Mannschaften. Insbesondere das neueste Mitglied Gubler sieht Jung als Glücksgriff. Er habe schon beim Ex-Bundesligisten Baiertal-Schatthausen "hervorragende Arbeit" geleistet.

   Gersinska sieht die "Kommunikationsprobleme, die bei solch einem rasanten Aufstieg nach dem vorherigen Dornröschenschlaf normal sind", behoben. Als dringlichste Aufgaben in seiner zweijährigen Amtszeit sieht der Muggensturmer die "Gründung eines Fördervereins nebst Abschluss eines Sponsoringvertrags. Ich gehe davon aus, dass es mit Grenke Leasing weitergeht". In einem langfristigen Konzept sei festzulegen, ob das Ziel nur Klassenerhalt in der ersten Bundesliga laute oder der SC nach dem Titel greifen möchte.

   Jung glaubt an neue "geordnete Bahnen" beim Zweitligisten, zumal Gersinska "auch mit dem Hintergedanken an seine Frau" - die deutsche Nummer eins, Großmeisterin Ketino Kachiani-Gersinska, spielt im Damenteam am Spitzenbrett - Interesse an Kontinuität im Baden-Badener Schachleben habe. Auch wenn den Ooser die Ernennung zum Ehrenvorsitzenden ein wenig besänftigt haben mag, einen Vorwurf bezüglich laxer Jugendarbeit verwindet er nicht: "In sieben Jahren holten wir elf Titel. Die U12 wurde in der vergangenen Saison badischer Jugendmeister, die U16 Zweiter. Jetzt sollen sie zeigen, dass sie es besser können."

Ketino Kachiani-Gersinska

Der Ooser Neuzugang Peter Swidler (rechts) im Duell mit seinem russischen Nationalmannschaftskollegen Sergej Rublewski

 

   Die Mannschaften des SC Baden-Oos sind mit starken Spielern gespickt. Nach der Verpflichtung des Weltranglisten-15. Peter Swidler (Russland), des ehemaligen Top-Ten-Spielers Michal Krasenkow (Polen) und dem vieljährigen deutschen Aushängeschild Robert Hübner (bisher Solingen) für die Spitzenbretter sollte der Durchmarsch in die erste Liga kein Problem sein. Am fünften und sechsten Brett treten mit Ludger Keitlinghaus und Philipp Schlosser noch Großmeister an, zudem zieren das Stammteam drei Internationale Meister. Die Damen könnten bereits in der jetzigen Aufstellung im Oberhaus um den Titel kämpfen! Hinter Deutschlands Nummer eins, Ketino Kachiani-Gersinska (2453 Elo), meldeten die Kurstädter die auf Position sieben der Weltrangliste geführte Russin Jekaterina Kowalewskaja (Russland/2507). Nino Khurtsidse (2446) ist als 22. nur drei Plätze schlechter klassiert als Kachiani-Gersinska. Die Großmeisterinnen Jekaterina Borulja und Tamara Klink, die frisch gebackene deutsche Meisterin Jessica Nill, Nationalspielerin Anke Koglin (an 7!) und Iamze Tammert bilden das Gerippe des Aufstiegsaspiranten.

Ketino Kachiani-Gersinska

Die deutsche Spitzenspielerin Ketino Kachiani-Gersinska spielt in Baden-Oos am ersten Brett

 

Philipp Schlosser

In Passau noch einst in der Bundesliga das erste Brett, nun in Liga zwei lediglich noch Nummer sechs: Philipp Schlosser

 

Baden-Ooser Kader der Herren: 1. Swidler, 2. Hübner, 3. Krasenkow, 4. Schenk, 5. Keitlinghaus, 6. Schlosser, 7. Beikert, 8. Schwarz, 9. Borulja, 10. J. Nill, 11. Koglin, 12. I. Tammert, 13. Steinwachs, 14. O. Nill.

Kader der Damen: 1. Kachiani-Gersinska, 2. Kowalewskaja, 3. Khurtsidse, 4. Borulja, 5. Klink, 6. J. Nill, 7. Koglin, 8. I. Tammert, 9. Stock.


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