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"Der Göttliche" auf der Guillotine

Wiesbadener Großmeister Eric Lobron moderiert das Duell der Weltmeister

von Hartmut Metz, Foto Eric van Reem, Juni 2001

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   "Der Göttliche" nennen sie ihn in Schachkreisen. "Der Göttliche" sitzt aber nicht am Brett, wenn sich die Weltmeister in der Mainzer Rheingoldhalle duellieren. Eric Lobron steht nur vor und nach den zwei Partien zusammen mit Viswanathan Anand und Wladimir Kramnik. Der Wiesbadener parliert dabei mit den beiden Topstars über Sinn und Unsinn ihrer Züge und an welchen Stellen sie vielleicht hätten besser spielen können. Nach der vierten Partie faszinieren den Großmeister die Ausführungen Kramniks dermaßen, dass er zunächst vergisst, dem Braingames-Weltmeister das Mikrofon hinzuhalten.

 

Eric Lobron

Eric Lobron war bester Deutscher beim Ordix Open 2001

 

   Hätte es nicht zu mehr reichen können, als bei den Chess Classic Mainz zu moderieren? Stattdessen selbst als Weltmeister am Brett zu brüten? "Eigentlich nicht. Ich zolle den beiden enormen Respekt für das, was sie bringen", erklärt der 41-Jährige und setzt nach, "aber ich schaue nicht auf wie zum Olymp. Auch Weltmeister sind nur Menschen." Minderwertigkeitskomplexe haben Lobron bis dato nie geplagt. Auch jetzt nicht, als er aus den Top Ten in Deutschland fiel und nicht mehr zur Nationalmannschaft zählt. "Ich weiß, dass die alle nicht besser sind! Ich brauche gegen keinen Deutschen einen Zweikampf zu scheuen. Das habe ich hier in Mainz beim Ordix Open als bester Deutscher wieder bewiesen." Typische Sätze für Lobron. Deswegen erhielt er sicher auch den Spitznamen "Der Göttliche", den ihm einst seine Großmeister-Kollegen Ralf Lau und Stefan Kindermann verpassten. Sie bewunderten die Leichtigkeit, mit dem Lobron alles zuflog.

   Schachliches Potenzial besitzt der Solinger Bundesligaspieler zweifellos. Die Weltmeister sind sich nicht zu schade, mit ihm auf Augenhöhe die Varianten ihrer Partien zu diskutieren. Zu Beginn der 90er Jahre feierte der gebürtige US-Amerikaner einige internationale Erfolge und kletterte mit 2625 Elo-Punkten bis auf Platz 25 der Weltrangliste. Er träumte davon, zu den besten Zehn auf dem Globus aufzuschließen. Stattdessen stürzte Lobron ab, richtig tief. Mit der für Schachspieler typisch unbarmherzigen Objektivität räumt der Großmeister seine Verfehlungen ein. Sicher, die Scheidung von Frau und Kind "entmutigten" ihn. Für seine "laxe Arbeitsweise" und sein exzessives Leben gebe es aber keine Entschuldigung. Hinzu kommt seine lose Zunge, die Lobron "Scherereien" mit den Funktionären des Deutschen Schachbundes (DSB) einbrachte, auch wenn der Wiesbadener zurecht Missstände anprangert. Solche Spieler werden bei Misserfolgen als erste aus den Kadern geboxt.

   Die finanzielle Situation ist für den Profi - wie für all seine deutschen Kollegen - unbefriedigend. Gut dotierte Nebenjobs wie in Mainz sind eine Seltenheit, deshalb akzeptierte Lobron das Angebot des ihm wohlgesonnenen Organisators Hans-Walter Schmitt - obwohl sich der Großmeister als Moderator "unwohl fühlt und lieber selbst am Brett sitzt". Hiesige Talente schlagen den steinigen Weg zum Profi erst gar nicht ein, seit die Flutwelle besser ausgebildeter osteuropäischer Koryphäen herüberschwappte und der Kampf um die viel zu niedrigen Preisgelder extrem schwierig wurde. Die Kärrnerarbeit als Trainer von wissbegierigen Amateuren meidet Lobron im Gegensatz zur Konkurrenz. Immerhin erwägt der 41-Jährige, sich künftig einem herkömmlichen Broterwerb zu widmen.

 

Hans-Walter Schmitt

Hans-Walter Schmitt

 

   Aber ganz hat "Der Göttliche" seinen Glauben an sich selbst nicht begraben. Gewiss, da er nun mal eben "kein Kind von Traurigkeit" ist, beherrschen die "täglich Eröffnungstheorie büffelnden" Gegner die ersten Züge besser als Lobron. Übersteht der Wiesbadener jedoch die erste Partiephase halbwegs unbeschadet, "schlottern mir nicht die Knie vor den Super-Großmeistern mit einer höheren Elo-Zahl als 2600. Die beeindrucken mich nicht. Manchem fehlt, was ich im Überfluss besitze", posaunt der Ex-Nationalspieler heraus und pflegt das Image des unbeugsamen Rebellen. "Ohne Leute wie mich hätte es keine Französische Revolution gegeben." Ein Unterschied zu den Revolutionären von 1789 bis 1794 besteht allerdings: "Der Göttliche" hat seine Talente selbst auf die Guillotine getragen.


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