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Eisenmann quält sich zu 51 Zügen

Simultan gegen Schach-Anand ein besonderes Erlebnis für Jürgen Zäck

von Hartmut Metz, Fotos Eric van Reem, Juni 2001

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   „Ich halte das Spiel in der Tat für aufregender und gefährlicher als Boxen, Formel-1-Rennen oder Stierkampf und will meine Gesundheit keinesfalls mehr einer solchen Gefährdung aussetzen", begründete Patrick Süskind die Ablehnung des „ehrenvollen Angebots, gegen den Weltmeister anzutreten". Der Autor des Romans „Das Parfum" verspürte, „obwohl ich nur ein leidlicher Spieler bin", bei seinem letzten Einsatz vor 20 Jahren „Herzjagen, Schweißausbrüche und Panikattacken". Welch kühner Kerle bedarf es, um derlei riskanten Sport zu betreiben?

 

Prominenz beim Anand-Simultan

Prominenz beim Anand-Simultan: Jürgen Zäck (links) und Eckhard Freise

 

   Eisenmann Jürgen Zäck erschüttert wenig und stellte sich tapfer der Herausforderung. Schließlich musste der Koblenzer Triathlet dabei keine 3,8 Kilometer schwimmen, 180 Kilometer Rad fahren und einen Marathon laufen, sondern nur sitzen. Und grübeln. Anstatt den sechsten Sieg beim Ironman Europe in Roth anzupeilen, wo er sich im Vorjahr mit dem Organisator überworfen hatte, maß er sich lieber in der Mainzer Rheingoldhalle im Simultan mit Schach-Weltmeister Viswanathan Anand (Das Prominententurnier fünf Tage danach musste Zäck jedoch sausen lassen, weil er dauernd als Gesprächspartner gefragt war, nachdem Roth seinen Ironman-Status verlor). Die Koryphäe auf den 64 Feldern musste sieben Kilometer von Brett zu Brett marschieren, ehe nach viereinhalb Stunden seine 36 Siege, zwei Unentschieden und zwei Niederlagen feststanden.

 

Anand-Simultan bei den Chess Classic Mainz 2001

Anand-Simultan bei den Chess Classic Mainz 2001

 

   Das ist natürlich nichts im Vergleich zu den Energieleistungen, die Zäck in seinen Wettbewerben vollbringt. Allgemein werden die „Klötzchenschieber" aber als Sportler unterschätzt. In Cartoons werden sie bevorzugt so verspottet: Stundenlanges Sinnieren, ohne eine Regung zu zeigen oder einen Zug zu machen, so dass sich sogar Spinnweben zwischen Brett und Spieler bilden. Tatsächlich zehrt die Anspannung, sich auch nicht den kleinsten Fehler leisten zu dürfen, an den Nerven. Ein neun- oder elftägiges Turnier lässt die Spieler körperlich wie geistig ermatten und endet bei angestrengtem Brüten mit Gewichtsverlust. Die Faszination des königlichen Spiels hat Süskind verstanden, wie er in seiner trefflichen Kurzgeschichte „Ein Kampf" (aus dem Diogenes-Bändchen „Drei Geschichten") beweist.

   Extremsportler Zäck gibt Schach vor dem Training den entscheidenden Kick. „Bei vier Stunden auf dem Rad oder beim Laufen wird man lethargisch. Spiele ich Blitzschach, rast der Adrenalinspiegel nach oben und ich bin wie aufgedreht", berichtet der Triathlet von Poseidon Koblenz. Nach seinem Lieblings-„Aufwärmtraining" hält sich der 35-Jährige für „leistungsbereiter". Genau vermag es Zäck nicht zu erklären, „Botenstoffe im Gehirn, die sich auf den Körper auswirken, lassen mich aber besser trainieren", hat der vierfache deutsche Meister festgestellt. Dies gilt jedoch nur für Blitzpartien mit zwei, zehn oder maximal 20 Minuten Bedenkzeit pro Partie. „Lange Spiele über drei Stunden bewirken das Gegenteil und laugen mich aus", erzählt der Mann, der 1997 für den Ironman in Roth weniger als acht Stunden benötigte, was bis heute die zweitbeste Zeit darstellt.

   Obwohl Zäck selbst merkt, dass er gegen versierte Vereinsspieler „rasch" an seine „Grenzen komme und Lehrstunden erhalte", betreibt er Schach mit großer Passion. Vor drei Jahren wäre er dem Reiz fast gänzlich erlegen, als er wie viele in einem Kaffeehaus - im Koblenzer „Faustus" oder in seiner zweiten Wahlheimat in San Diego - zig Stunden zockte und dabei die Umwelt nicht mehr wahrnahm. Eine Partie, noch eine Partie ... „Ich phantasierte sogar während des Triathlon-Trainings", erinnert sich Zäck und zieht mittlerweile aus der Sucht den größtmöglichen Nutzen. So stellt das königliche Spiel einen wichtigen Gradmesser für seinen körperlichen Zustand dar. „Wenn ich im Schach schlecht bin, ist das ein Warnsignal. Mir fehlt dann der mentale Biss, was sich auf den 64 Feldern widerspiegelt. Danach lasse ich das Training lockerer angehen." Lockerer bedeutet bei dem 35-Jährigen aber immer noch mindestens zwei Stunden per pedes, auf dem Rad oder im Schwimmbassin. Bei zahlreichen Triathleten steht Schach nicht nur deshalb hoch im Kurs, weil sie einen „wenigstens dort schlagen wollen", wenn es schon im Triathlon misslingt: „Blitzschach hilft mir, auf gewisse Situationen im Wettkampf sofort reagieren zu können. Ich sehe die Kontrahenten wie Schachfiguren und versuche, bestimmte Lösungen vorher zu durchdenken und automatisch parat zu haben. Somit verzweifelt man seltener und nutzt selbst die kleinste Chance." 

   Manchmal wirkt zu viel Objektivität jedoch deprimierend. „Schachspieler schätzen ihre Möglichkeiten und die des Gegners realistisch ein. Wenn man aussichtslos zurückliegt, muss man das eben akzeptieren." Den eigenen Ratschlag schlug der Eisenmann indes gegen den „Tiger von Madras", dessen „beeindruckende Energie ich regelrecht spürte", in den Wind. Während Kabarettist Matthias Deutschmann mit der Eröffnung gegen Anand haderte und „chancenlos verlor", scherte sich Jürgen Zäck überhaupt nicht um Kleinigkeiten wie einen Figurennachteil. Die Eröffnungsphase überstand der Vallendarer ganz gut, schließlich unterstützte ihn am Anfang sein Simultan-Mitspieler zur Linken, Eckhard Freise. Der Professor für mittelalterliche Geschichte ist der erste Millionen-Gewinner bei der Jauch-Quizshow - und konnte als einer von zwei Spielern den Weltmeister in einer famosen Partie schlagen! Zäck zog frei von der Leber weg und ließ sich auch nicht von einem Damenopfer des Weltmeisters beeindrucken, das ihn nach einer folgenden Springergabel eine Figur kostete. Obwohl ein guter Vereinsspieler danach sofort die Waffen strecken würde, zögerte der fünfmalige Gewinner des Ironman Europe in Roth die Niederlage bis zum 51. Zug hinaus. Dann konnte Zäck ein einzügiges Matt nicht mehr abwehren. „Man merkte, dass er ein Eisenmann ist, so lange wie er nicht aufgab", scherzte Anand ob des zwecklosen Widerstandes.

   Für den Triathleten stellte es einen Erfolg dar, zu den letzten fünf Akteuren zu zählen. Vor der Partie hatte er sich nur das Ziel gesteckt, länger als die Klitschko-Brüder durchzuhalten. Die Box-Asse waren wenige Tage zuvor in Leipzig gegen Ex-Champion Garri Kasparow (Russland) angetreten, gingen jedoch nach lediglich 15 Zügen k.o. „Es war schon Wahnsinn, wie Anand im Vorbeigehen solch starke Leute abgefertigt hat", staunte Zäck nach dem Simultan, „als immer mehr ausschieden, kam er immer schneller wieder. Am Ende hatte ich nur noch ein bis zwei Minuten Zeit zum Überlegen, da geriet ich unter Druck." Den Schach-Weltmeister und dessen Frau Aruna hatte Zäck schon einige Stunden zuvor kurz kennen gelernt. Da Triathlon in Indien im Gegensatz zu Schach (dank Anand die Nummer zwei aller Sportarten hinter Cricket!) unpopulär ist, frischte der Ironman das Gedächtnis des Schachkünstlers mit den genauen Daten seiner Sportart auf. Ein bisschen wusste Anand immerhin über Triathlon - und Indien erfuhr mehr über den Dreikampf, weil fünf Reporter wie Kletten am Weltmeister hängen und natürlich auch über solche Begegnungen mit einem aus ihrer Warte „Sport-Exoten" gerne in der Heimat berichten. „Anand macht einen sympathischen Eindruck", erkannte Zäck rasch, dass der 31-Jährige nicht umsonst zu den beliebtesten Großmeistern zählt. Die Begegnung mit dem in Spanien lebenden Weltmeister wertete er als „einmalig. Das werde ich nie vergessen!"


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