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Nessie taucht auch nicht im Internet auf

Großmeister Nigel Short Opfer eines Streichs: Unbekannter gaukelt im Internet Comeback der Schach-Legende Bobby Fischer vor

von Hartmut Metz, Oktober 2001

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   "Ich spürte die Chance, das Ungeheuer von Loch Ness zu treffen", berichtete Schach-Großmeister Nigel Short von der ersten Kontaktaufnahme im Internet Chess Club (ICC). Ein Unbekannter hatte sich bei dem Engländer im Chat-Room erkundigt, ob er demnächst gegen einen besonders starken Gegner spielen wolle. Der Vizeweltmeister von 1993 stimmte zu, kursierten doch wieder einmal Gerüchte, Bobby Fischer streife inkognito durchs Netz.

   Der US-Amerikaner ist für Schachspieler das, was den Rock'-n-Roll-Fans Elvis Presley bedeutet: "Elvis lebt", lautet deren Motto, gefälligst das Gleiche soll für Bobby Fischer gelten. Der "King" auf den 64 Feldern ist zwar nicht tot, aber seit dem WM-Kampf des Jahrhunderts 1972 in Reykjavik kehrte Fischer nie mehr ans Brett zurück. Die einzige Ausnahme blieb 20 Jahre später das Revanche-Match in Sveti Stefan, als der Sohn des Berliner Physikers Gerhard Fischer den Russen Boris Spasski erneut schlug. Weil der geniale Amerikaner für eine Millionen-Börse die Sanktionen gegen Jugoslawien unterlief, steht der 58-Jährige immer noch auf der US-Fahndungsliste. In Budapest, Deutschland und inzwischen in Japan fand Fischer Unterschlupf.

   Zur weiteren Legendenbildung trugen seine enormen Erfolge bei. Der 1943 in Chicago geborene Robert James Fischer lehrte von Dezember 1962 bis zum WM-Sieg 1972 auf Island die geballte sowjetische Nomenklatura das Fürchten. Nur in zwei Turnieren konnte sie ihm, der die Russen wegen ihrer Ergebnis-Absprachen hasste, Platz eins streitig machen. Der mit einst 15 Jahren jüngste Großmeister aller Zeiten, in dessen phänomenales Gedächtnis sich alle eigenen Partien lückenlos einbrannten, höhnte schon 1962, er würde dem alternden Weltmeister Michail Botwinnik gerne in einem Match über 24 Partien zwei Punkte Vorsprung geben. Den Beweis seiner Überlegenheit trat der Weltranglistenerste zu Beginn der 70er Jahre an, als er auf dem Weg zum WM-Titel 19 Partien in Folge gewann. Ein Rekord für die Ewigkeit. Dass der Exzentriker gegen Spasski nach der verlorenen ersten Begegnung die zweite kampflos verschenkte, weil seine teils sinnlosen Forderungen unerfüllt blieben, hinderte den Amerikaner nicht an einem 12,5:8,5-Triumph.

 

Schach-Legende Bobby Fischer

Schach-Legende Bobby Fischer

 

   Die seitdem grassierende Fischer-Hysterie ergriff nun auch Short im Internet. "Wie eine Wanze zerquetscht" fühlte sich der Weltranglisten-23., der derzeit eine Ratingzahl von 2675 Elo besitzt. Wer anders als Fischer, der schon 19 Partien in Serie gewann und danach die Elo-Bestleistung von 2780 erreichte, konnte ihn sonst in Drei-Minuten-Blitzpartien mit 8:0 vernichten? Trotz obskurer Eröffnungszüge des Unbekannten vermochte der Großmeister die Bilanz nie auszugleichen. Listige Antworten blendeten den sonst so eloquenten 36-Jährigen weiter. "Kennen Sie Armando Acevedo?", stellte der Engländer eine vermeintliche Fangfrage. "Siegen 1970", kam es - nur für einen Schachspieler verständlich - zurück. In dem Städtchen an der Sieg hatte Fischer vor 31 Jahren bei der Schach-Olympiade Acevedo in 48 Zügen geschlagen.

   Dass jeder passionierte Fischer-Fan solcherlei aus unzähligen Schachbüchern, Internet-Seiten und gar Filmen - zuletzt drehte Paramount Pictures 1993 einen Kinostreifen mit dem Titel "Die Suche nach Bobby Fischer" (Produzent Sydney Pollack) - nachliest, kam Short zunächst nicht in den Sinn. "Zu 99 Prozent spielte ich gegen Fischer", beharrte er im "Sunday Telegraph". Dabei waren auch die Partien völlig untypisch für den US-Mythos. Stets versuchte der Ausnahmekönner den besten Zug zu machen. Selbst der zweitbeste, der ebenso zum Sieg reichte, fand keine Gnade vor seinen Augen. Und nun sollte der 58-Jährige im weltweiten Netz Short und andere Kontrahenten mit unsinnigen Zügen herabwürdigen? Der sonstige Flegel benahm sich während Partien stets tadellos.

   "Ich denke, dass er zu viel Achtung vor seinen Gegnern hat, als dass er solche Züge macht", bestätigt Peter Leko angesichts von stümperhaften Eröffnungen wie dem Bauernzug 1.f3 nebst anschließender Königswanderung nach f2 und gar e3. Der 21-jährige Weltranglistenfünfte hält seinen einstigen Trainingspartner in Budapest noch immer für gut genug, um "starke Großmeister zu schlagen", letztlich sei Fischer aber nicht der "Typ dafür, im Internet gegen x-beliebige Gegner anzutreten". Der vierfache Internet-Weltmeister Roland Schmaltz glaubt zwar an Fischers Spiel im weltweiten Netz - allerdings "wie für ihn üblich nur Fischer Random Chess. Der Rest waren Fakes, Computer oder irgendwelche Großmeister, die sich lustig machten". Sein Großmeister-Kollege Loek van Wely, seit Anfang Oktober am realen Brett Weltranglistenzehnter mit 2714 Elo und im Internet als King Loek schon in allen Sparten einmal Erster, scherzt bezüglich der 0:8-Schlappe für Short: "Ja, ich muss zugeben, ich war es! Andernfalls hielte ich eine Kombination von Mensch und Computer für wahrscheinlich."

   Loch Ness wie Fischer behält Short in schlechter Erinnerung. Als er 1993 beim WM-Kampf in London gegen Garri Kasparow hoffnungslos zurücklag, passte die Buchmacherkette Graham Hill eines Werbegags wegen die Siegesquote des Engländers den 150:1 an, die beim Auftauchen von "Nessie" ausbezahlt würden. Auf Fischers Comeback würde der einstige Vizeweltmeister nicht mehr wetten. "Ich bin einem Streich aufgesessen", räumt Short inzwischen ein und mutmaßt wie alle anderen, dass er einfach gegen ein von einem Scherzbold bedientes Computer-Programm verlor. 

   Da Shorts vermeintliche Partien gegen Bobby Fischer nicht gespeichert wurden, nachstehend einige Begegnungen, die der Amerikaner im Drei-Minuten-Blitz als "Guest71" auf dem ICC gegen Robert Fontaine gespielt haben soll. Der junge Franzose hatte dabei im Frühjahr 2451 Elo und als "Beber" beim ICC eine Wertungszahl von 2827. Hier die Partien zum online Nachspielen und Download.


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