Startseite Rochade Kuppenheim

Pasings Etat reicht nur für eine Münze

Münzwurf sollte über Auf- und Abstieg in der Zweiten Bundesliga Süd entscheiden

von Hartmut Metz

mehr Schachtexte von Hartmut Metz


   Die Schach-Bundesliga befindet sich im dritten Jahrzehnt ihres Bestehens in der Krise. Rückzüge der Mannschaften mangels privater Mäzene kulminierten heuer in gleich vierfachem Verzicht auf das Oberhaus der deutschen Denker: Der Tabellendritte Delmenhorster SK zog sich nach der erfolgreichsten Saison der Vereinsgeschichte freiwillig in die Zweite Bundesliga zurück. Der dadurch gerettete Viertletzte, der Dresdner SC, winkte ab und überließ den Platz lieber dem Tabellen-14. aus Plauen. Kaum besser gestaltet sich die Situation im Unterhaus. West-Meister Zeppelin Neu Herne wagte nicht den Versuch, in die dünne Luft aufzusteigen. Nach dem Abschied des Sponsors löst sich der Verein sogar auf. Die Reserve des deutschen Meisters SG Porz darf nicht hoch - so kommt jetzt der SC Gelsenkirchen als Dritter in den fragwürdigen Genuss, ohne große Geldgeber den Prügelknaben zu mimen.

   In der Zweiten Bundesliga, Staffel Süd, tat der SC Pasing kund, ebenfalls zu verzichten. Doch diesmal lag der Grund nicht allein in einem befürchteten finanziellen Desaster durch einen im niedrigen sechsstelligen Bereich liegenden Erstliga-Etat. Der Mannschaftsführer der Münchner hatte sich noch am Abend nach dem entscheidenden 4,5:3,5-Sieg über Absteiger VfL Sindelfingen zum Aufstieg gratulieren lassen. Wolfgang Zahn erklärte gegenüber Staffelleiter Hajo Gnirk (Schwäbisch Gmünd), man wolle das Wagnis „für ein Jahr" eingehen. Doch kurz darauf folgte die Kehrtwende. Nicht, weil Geldgeber absprangen, sondern weil Betrug ruchbar wurde und die Gemüter beruhigt werden sollten. Deshalb verbreiteten die Pasinger plötzlich, der Aufstieg käme zu früh, man verzichte zugunsten der SF 1982 Baiertal-Schatthausen.

   Vor der letzten laufenden Zweitliga-Partie zwischen Pasing und Sindelfingen stand es 3,5:3,5. Durch ungeschicktes Spiel hatte der Mexikaner Julian Estrada Nieto eine Gewinnstellung mit König, Turm und zwei Bauern gegen König und Turm des Pasingers Michael Gschwendtner ins Remis verdorben. Angesichts der anderen Resultate wurde den Mannschaften gewahr, dass bei einem 4:4 weder die Bajuwaren aufstiegen noch die Schwaben den Klassenerhalt vor dem Post SV Ulm schafften. Um der Malaise Abhilfe zu schaffen, trafen sich die Kapitäne Zahn und Armin Huber weit entfernt vom Schiedsrichter auf der Toilette. Geld hat der SK Pasing angeblich keines, aber eine Münze fand sich doch für einen Wurf. Dieser sollte entscheiden, wer sein Saisonziel noch erreicht. Pasing schien im Glück.

   Pech jedoch, dass die Stellung von Gschwendtner ungewinnbar wirkte. Daran änderte auch nichts, dass der bekannte Schnellspieler Estrada Nieto fortan wie sein Gegner kaum noch am Brett gesehen wurde und seine Bedenkzeit bis auf wenige Minuten ablaufen ließ, um hernach den Patzer des Jahres besser erklären zu können. „Es war keine normale Zeitnot", versucht Gschwendtner zu begründen, warum der Internationale Meister aus Mexiko seinen Turm durch einen Zug, für den man jedes Kleinkind tadelte, verlor. Die außergewöhnliche Belastung führt auch Mannschaftsführer Zahn an, für den zudem plötzlich schon vor dem letzten Spieltag der Pasinger Aufstiegsverzicht „klar war". Weil alle Partien der oberen Klassen veröffentlicht werden, rochen indes zahlreiche Schachspieler angesichts eines dubiosen Turmverlustes Lunte - vor allem die geprellten aus Baiertal-Schatthausen. Doch auch Staffelleiter Gnirk wurde von sich aus wegen „grober Unsportlichkeit" tätig. Während die Pasinger Strippenzieher Zahn und Gschwendtner nach Ausflüchten ringen, schweigen Huber und Estrada beharrlich zu den Vorwürfen. Reuige Sindelfinger Mannschaftskameraden räumten den Betrug jedoch ein.

   Staffelleiter Gnirk nahm die unsportlichen Pasinger in die Mangel. Er erkennt zwar die „verständliche menschliche Verführung", beim sich abzeichnenden 4:4 die Chancen auf einen 4,5:3,5-Sieg per Münzwurf „von null auf 50 Prozent zu erhöhen", an einer Bestrafung hielt der Schwäbisch Gmünder dennoch fest. Die beteiligten Spieler, der uneinsichtige Gschwendtner sowie Estrada (Gnirk: „Er soll mehrfach nachgefragt haben, ob er wirklich verlieren soll"), kommen ungeschoren davon. Auf ihnen lastete der „Gruppendruck", meint der Schwäbisch Gmünder. 100 Mark Bußgeld für Absteiger Sindelfingen und 200 Mark Strafe sowie Abzug der zwei Punkte für Pasing lauten die glimpflichen Urteile für die Vereine. „Höher kann ich laut Turnierordnung leider nicht gehen", erklärt Gnirk und macht kein Hehl daraus, dass er Pasing mit dem Zwangsabstieg belegen würde. Ungeheuerlich findet es auch der Geschäftsführer des Deutschen Schachbundes (DSB), Horst Metzing, dass Pasing mit einer „derart groben Unsportlichkeit" so billig davonkommt. „Solche Dinge müssen härter bestraft werden, ansonsten wird Schach unglaubwürdig." Sportdirektor Reinhold Kasper und das Bundesturniergericht nimmt er vor dem Vorwurf der Unfähigkeit in Schutz. Die Satzung ließe nicht so leicht harte Urteile wie einen Zwangsabstieg zu, gleichwohl Kasper Geldstrafen bis zu 2.000 Mark verhängen dürfe. Metzing regt an, die Bundesspiel-Kommission müsse sich Gedanken über eine Satzungsänderung machen, um in Zukunft solcherlei Betrug leichter ahnden zu können. Der DSB-Geschäftsführer leitete den Vorfall ans Präsidium weiter, damit sich dieses damit befasst.

   Die Gremien um Sportdirektor Kasper hatten in dieser Saison bereits mit mehreren merkwürdigen Entscheidungen für Unmut gesorgt. Leidtragende waren zuvor Damen-Bundesligist Karlsruher SF und der SK Freiburg-Zähringen. Tabellenführer Karlsruhe hatte sich vor dem Doppel-Spieltag gegen Turm Krefeld und Leipzig Gohlis bei Staffelleiter Peter Mielke wegen des Einsatzes mehrerer Spielerinnen rückversichert. Neben den Ausländerinnen Maia Lomineischwili und Yuliya Sheynina wollte der Spitzenreiter Nellya Vidonyak einsetzen. Diese war im Bundesliga-Heft als Deutsche geführt, obwohl Karlsruhe diese als Nicht-EU-Ausländerin gemeldet hatte. Mielke bestätigte per E-Mail die dortigen Angaben als „grundsätzlich" bindend und endgültig. Außerdem dürfe der Klub sogar, wenn er wolle, die Französin Muller einsetzen. Daraufhin boten die Badener alle drei Spielerinnen auf und fegten Leipzig mit 6:0 und Krefeld mit 4,5:1,5 von den Brettern. Groß die Verwunderung, als die Kantersiege der Karlsruher vom DSB wegen des Einsatzes dreier Ausländerinnen in zwei 0:6-Schlappen umgewandelt wurden. Leipzig blieb so anstatt Rotation Berlin im Oberhaus, Karlsruhe entging ein Stichkampf um die Meisterschaft mit Dresden und Emsdetten. Obwohl das Bundesliga-Heft und DSB-Funktionär Mielke für die Fehler verantwortlich sind, wurde der Verein bestraft, der durch seine zusätzliche Anfrage mehr als genügend Sorgfalt bewiesen hatte.

   Der SK Zähringen wurde in der siebten von neun Runden um einen im Abstiegskampf entscheidenden Mannschaftszähler betrogen - und ausgerechnet Pasing war wieder beteiligt. Der Zähringer Hubert Schuh besaß eine leicht gewonnene Stellung mit rund zehn Bauerneinheiten Vorteil auf dem Brett. Einziges Problem: Die Bedenkzeit war knapp. Als das Blättchen fiel, reklamierte Hilfsschiedsrichter Dieter Lamprecht (München) - Schiedsrichter Armin Herbst (München) hatte die Aufgabe delegiert, obwohl er in keinem anderen Duell benötigt wurde - Zeitüberschreitung zugunsten des Pasingers Klaus de Francesco. Als sich jedoch beim Nachspielen herauskristallisierte, dass bereits 41 Züge gespielt waren, änderte Pasings Sympathisant Lamprecht seine Aussage dahingehend, das Blättchen sei schon einen Zug vorher gefallen ... Dagegen wehrt sich der als untadeliger Sportsmann geltende Schuh: „Wären es 40 Züge gewesen, hätte ich die Entscheidung akzeptiert und mich nur über mich selbst geärgert, weil ich ruhig die Züge notierte. Ich bin mir aber wie meine Mannschaftskameraden Christof Herbrechtsmeier und Christian Maier hundertprozentig sicher, dass das Blättchen im tatsächlichen 40. Zug noch oben war. Für meinen 41. Zug überlegte ich nämlich ein paar Sekunden, ehe ich ihn ausführte und das Blättchen fiel." Die drei Zähringer boten nicht nur eine eidesstattliche Versicherung zu dem Vorfall an, sie benannten auch drei Pasinger als Zeugen für die Verhandlung. Die „vorsätzliche Falschaussage Lamprechts" (O-Ton Herbrechtsmeier) übernahm Kasper ohne Anhörung der von der Gegenseite vorgeschlagenen Akteure. Dieses von eigenartiger Beweisaufnahme geprägte Verfahren hätte auch zu eklatanter Wettbewerbsverzerrung geführt, hätte Zähringen seine Mannschaft nicht ohnehin zurückgezogen. Erst kurz vor dem letzten Spieltag (und nicht schon vor dem achten, was man angesichts der Brisanz erwartet) wurde die Entscheidung des Sportdirektors Zähringen zugestellt. Im Falle eines Punktgewinns der Breisgauer am grünen Tisch und einem daraus resultierenden Abstieg des Post SV Ulm hätte auch den Schwaben Grund zur Klage gegeben. Der DSB veröffentlichte weder die Entscheidung noch wurde Ulm bis heute offiziell darüber informiert, dass ein Protest den Kampf um den Klassenerhalt beeinflussen könnte.

   Mittlerweile hat Zähringens Vorsitzender Christoph Müller die Berufung doch zurückgezogen, obwohl DSB-Bundesrechtsberater Wolfgang Unzicker (pensionierter Richter und Großmeister) die Chancen auf einen Erfolg wegen der eklatanten Verfahrensmängel als gegeben sieht. Dass Ralph Alt (München) vom Bundesturniergericht trotzdem vorab in Zähringen insistierte und den Verein von dem Einspruch erfolgreich abbrachte, zeugt auch nicht gerade von Rechtsempfinden. „Herr Alt deutete mir gegenüber an, dass die Entscheidung in zweiter Instanz nicht anders ausfalle. Deshalb wollte ich die 700 Mark für den Einspruch nicht riskieren", erklärt Müller, zumal eine weitere Zweitliga-Saison für das badische Schach-Aushängeschild keinen Sinn mehr mache. Der Kader zerstreut sich in alle Himmelsrichtungen. Den kompletten Zerfall des vieljährigen Erstligisten kann der Vorsitzende vermutlich aber stoppen. „Die Chancen stehen 60:40, dass wir in der nächsten Saison in der Oberliga spielen", dementiert Müller die Rückzugsgerüchte.

   Was die DSB-Funktionäre anlangt: Vorerst zeigt nur Gnirks Entscheidung für Gerechtigkeit. Durch den Abzug der zwei Zähler gewinnt wenigstens Baiertal-Schatthausen die Meisterschaft - und das junge badische Team nimmt sogar das Aufstiegsrecht wahr.

Gschwendtner,M (2147) - Estrada Nieto,J (2360) [C54]
2.BLS 99/00 Pasing-Sindelfingen

1.e4 e5 2.Lc4 Sf6 3.d3 Lc5 4.Sf3 Sc6 5.c3 d6 6.Sbd2 a6 7.Lb3 La7 8.Sc4 Se7 9.Le3 b5 10.Lxa7 bxc4 11.La4+ Ld7 12.Le3 cxd3 13.Lxd7+ Dxd7 14.Dxd3 Db5 15.Dxb5+ axb5 16.Sd2 Kd7 17.f3 Ta4 18.Ke2 Tha8 19.a3 c5 20.Tad1 Kc6 21.Sb3 Sc8 22.Sa1 Sb6 23.Sc2 T4a7 24.Lg5 Se8 25.Lc1 d5 26.exd5+ Sxd5 27.Kf2 Td7 28.The1 f6 29.Se3 Sec7 30.c4 bxc4 31.Sxc4 Tad8 32.Le3 Se6 33.g3 Sxe3 34.Sxe3 Td2+ 35.Txd2 Txd2+ 36.Te2 Td3 37.Sc2 Tb3 38.Sa1 Td3 39.Sc2 Kd5 40.b4 Kc4 41.bxc5 Sxc5 42.h4 Kb3 43.Se1 Td7 44.Te3+ Kc4 45.Ke2 Sb3 46.f4 Td2+ 47.Kf1 exf4 48.Te4+ Kd5 49.Txf4 Ta2 50.Sf3 Txa3 51.h5 Ke6 52.Kg2 Ta2+ 53.Kh3 Sc5 54.g4 Ta3 55.Kg2 Ta2+ 56.Kh3 Ta3 57.Kg2 Sd3 58.Te4+ Kf7 59.Td4 Sc5 60.g5 Se6 61.Tg4 Sxg5 62.Sxg5+ fxg5 63.Txg5 Kf6 64.Tb5 Te3 65.h6 g5 66.Tb7 Te7 67.Tb1 Te6 68.Kg3 Kg6 69.Th1 Te4 70.Th2 Ta4 71.Th1 g4 72.Tb1 Kxh6 73.Kh4








Weiß hat glücklich eine theoretische Remisstellung erreicht.

73...Kg6 74.Tb5 h6 75.Tc5 Tb4 76.Ta5 Kf6 77.Th5 Kg6 78.Ta5 Kf6 79.Th5 Kg6 80.Ta5








   Jeder Spieler auf der Welt hätte an dieser Stelle dreifache Zugwiederholung reklamiert. Wer glaubt in solch einer Position schon an das Wunder eines gegnerischen Turmeinstellers oder an ein Selbstmatt? "Warum sollte ich ein Remis reklamieren, wenn das der Mannschaft nicht reicht? Ob ich verliere oder nicht, ist mir egal. Ich hänge nicht an dem halben Punkt", erläutert der "selbstlose" Michael Gschwendtner, warum er gegen den vermeintlich übermächtigen IM keine Punkteteilung einforderte.

80...Tc4 81.Tb5 Ta4 82.Tc5 Kf6 83.Th5 Kg6 84.Tb5 Tf4 85.Tb6+ Kf5 86.Tb5+ Kg6 87.Tb6+ Kf5 88.Tb5+ Kf6 89.Tb6+ Kg7 90.Tb7+ Kf6 91.Tb6+ Kf5 92.Tb5+ Ke4 93.Tb4+ Ke5 94.Tb5+ Kd4 95.Tb4+








95...Kc5!!

"Ich weiß nicht, warum er den Turm einstellte", sagt Gschwendtner. Andere wissen es mittlerweile.

96.Txf4

1-0


vorherige Meko

Meko-Übersicht

nächste Meko