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"Ich bin der rechtmäßige Herausforderer!"

Alexej Schirow im Interview über das Match zwischen Kasparow und Kramnik

von Hartmut Metz, Mai 2000

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Meko: Alexei Shirov

Alexei Shirov

   Alexej Schirow fühlt sich um ein WM-Match gegen Garri Kasparow geprellt. Anstatt sich mit dem sportlich qualifizierten Bundesliga-Spitzenspieler des Lübecker Schachvereins zu messen, bevorzugt der weltbeste Großmeister einen Wettkampf gegen seinen russischen Landsmann Wladimir Kramnik. Der 24-jährige Moskauer rückt nach dem gegenwärtigen Stand im Juli auf Position zwei der Weltrangliste vor. Im Interview mit unserem Mitarbeiter Hartmut Metz brachte der 27-jährige Schirow deutlich seinen Unmut zum Ausdruck über das vom 9. Oktober bis 9. November geplante Duell in London.

 

Herr Schirow, Sie schlugen 1998 im Herausforderer-Finale in Cazorla (Spanien) Wladimir Kramnik deutlich mit 5,5:3,5. Jetzt spielt plötzlich der Verlierer Kramnik gegen Kasparow um die Weltmeisterschaft.

Die haben kein Recht, es Weltmeisterschaft zu nennen. Natürlich kann niemand ihnen verbieten, ein privates Match zu spielen wie Kasparow 1998 in Prag gegen Timman.

 

Mit den Top 3 stehen Sie mittlerweile komplett auf Kriegsfuß. Der Inder Viswanathan Anand hatte erst ein Match gegen Kramnik abgelehnt. Als Sie Letzteren aber besiegten, wurde Anand plötzlich wieder als Kasparows Gegner ins Spiel gebracht und Sie ausgebootet. Wie werten Sie das Verhalten Ihrer Widersacher? Zunächst zu Kasparow.

Er stellt für gewöhnlich die Regeln auf und bricht sie dann selbst wieder. In diesem speziellen Fall plante er bereits 1997/98 ein Match gegen Kramnik. Ich durchkreuzte jedoch die Pläne, weil ich - für sie ziemlich überraschend - Kramnik schlug. Nichtsdestoweniger verbreitete Kramnik später im russischen Schach-Magazin 64: "Ich spiele so oder so eines Tages gegen Kasparow." Dieser Tag scheint nun gekommen.

 

Was fällt Ihnen zu Anand ein?

Er ging sehr zynisch an die Affäre heran und ließ sich nur vom Geld leiten. Er bekam für das angekündigte Match, das nie stattfand, 200.000 US-Dollar. Ich weiß nicht wofür.

 

Was sagen Sie zu Kramnik?

Genau dasselbe. "Geld ist die einzige Moral." Exakt das waren Kramniks Worte auf eine Frage des spanischen Journalisten Leontxo Garcia. Nein, Entschuldigung, seine genaue Antwort war: Das Angebot für London abzulehnen sei "schachlich gesehen unklug und unmoralisch". Da fehlen mir die Worte.

 

In Polen sollen Sie bei einer Party trotz Ihres Ärgers mit Anand geplauscht haben.

Das war nur oberflächliches Gerede. Ich konnte nichts dagegen haben, dass Anand eingeladen wurde, weil für die Gastgeber seine Teilnahme eine große Ehre bedeutete. Und während einer Party sollte man besser nicht die Stimmung verderben und diplomatisch bleiben, oder?

 

Immerhin lehnte Anand eine zweite Offerte Kasparows im März ab, weil ihm eine vorab zu zahlende Garantiesumme in Höhe von 300.000 Dollar verwehrt wurde. Verstehen Sie Anands Forderung nach Ihren persönlichen Erfahrungen?

Ich wollte auch eine Garantiesumme und hatte die im Vertrag für Cazorla stehen. Die Leute, die Anand 200.000 Dollar für die Absage des WM-Kampfs 1999 zahlten, sind ehrliche Menschen im Gegensatz zu Luis Rentero (Anmerkung: ein ehemaliger Ladenketten-Besitzer, der viele Jahre lang das Topturnier in Linares ausrichtete). Rentero frotzelte nur, er könne ja die Kopien der Verträge fressen ... Sicher, ich könnte ihn verklagen, doch was passiert, wenn ich hereingelegt wurde und deshalb verliere? Hätte Anand geklagt, wenn er das Geld nicht erhalten hätte? Doch um Ihre Frage zu beantworten: Er hatte das Recht nach den Vorfällen, die 300.000 Dollar vorab zu verlangen.

 

Kasparow verbreitete, Sie hätten 1998 Ihre Chance in Kalifornien bekommen. Stattdessen seien Sie aber ein Narr gewesen, den mit einer Million Dollar dotierten Wettkampf abzulehnen und ein Match in Spanien zu fordern.

Um meine Sicht der Dinge zu wiederholen: Für mein Empfinden gab es nie eine ernsthafte Offerte. Weil ich diese Ansicht zum Ausdruck brachte und um ein seriöses Angebot bat, verschwand dieses Angebot und Kasparow stempelte mich zum Sündenbock. Kurzum: Er lügt, dass sich die Balken biegen.

 

Im Gegensatz zu Ihnen bekam der unterlegene Kramnik aber eine Entschädigung.

Er bekam, soweit ich weiß, 100.000 Dollar abzüglich 25 Prozent Steuern. Insgesamt also 75.000 Dollar. Mein Preis bestand in dem Match gegen Kasparow, das einen Preisfond von zwei Millionen haben sollte. 100.000 Dollar davon wären, wie ich zusagte, nochmals an Kramnik gegangen. Für den Fall, dass das Match abgesagt würde - was ja auch später eintrat -, wurden mir 200.000 Dollar als Ersatz zugesichert. Gleiches galt für Kramnik. Bis dato habe ich keinen Cent gesehen.

 

Einerseits nennt Sie Kasparow oft in einem Atemzug mit Anand und Kramnik. Das zeugt doch von gewissem Respekt. Andererseits verbreitete er, Anand mit seinen 3:14 Siegen gegen ihn und vor allem Sie mit keinem Erfolg bei neun Niederlagen seien zu schwach. Zudem ergänzte Kasparow, er müsste sich nach einem leichten Match-Gewinn nur wieder Vorhaltungen anhören, er habe sich ein Schlachtopfer ausgesucht. Wie sehen Sie das?

Das ist alles Schwachsinn. Niemand hätte Kasparow Vorwürfe gemacht, weil ich der rechtmäßige Herausforderer bin. Ich habe überdies alle Zweikämpfe seit 1991 gewonnen! Neben dem Erfolg über Kramnik 1998 waren meines Erachtens der 5:1-Sieg über den Tschechen Hracek und im Vorjahr das 5,5:0,5 über Judit Polgar beeindruckend genug. Ich weiß, wie man Zweikämpfe zu spielen hat, und meine Chancen wären gegen Kasparow recht gut. Das ist der Grund, warum er die WM vermeidet.

 

Kramnik steht mit einer ausgeglichenen Bilanz von 3:3 gegen Kasparow zu Buche. Hat er eine Chance gegen ihn?

Ich bin mir sicher, dass er dieses Match nicht gewinnt.

 

Die Firma Braingames Network bot einen Fünf-Jahres-Vertrag für drei Weltmeisterschaften unter Kasparows Ägide. Im nächsten Zyklus sollen die 24 besten Spieler und ein Qualifikant aus dem Internet eingeladen werden. Spielen Sie mit?

Natürlich nicht. Zunächst sollte ich das Finale spielen.

 

Glauben Sie, dass das frische Geld von Braingames Network eine Stabilität in das WM-System bringt? Zuletzt verteidigte Kasparow vor fünf Jahren seinen Titel gegen Anand.

Es kann keine Stabilität geben. Erinnern Sie sich daran, wie es bisher war.

 

Sie nahmen auch an der Weltmeisterschaft des Weltverbandes Fide teil. Wie bewerten Sie den Stellenwert zwischen dieser Weltmeisterschaft und der von Kasparow?

Ich schätze die der Fide mehr. Als ich bei Kasparows Ausscheidung mitmachte, dachte ich, seine WM dürfe als WM-Alternative betrachtet werden. Nun denke ich, dass es sich lediglich um einen Alternativ-Wettbewerb ohne Regeln handelt.

 

Die Lübecker Schachfans sind natürlich begierig zu erfahren, ob der "Hexer von Riga" auch künftig für Lübeck ans Brett geht.

Ich hoffe doch. Diese Saison war zwar für mich wie für meine Mannschaft ein Desaster, aber wenn Lübeck auch mit mir den Vertrag verlängern will, gelobe ich deutliche Besserung!

 

Die Hälfte der Punkte aus neun Partien sind am Spitzenbrett nicht schlecht. Aber vom früheren Topscorer, der rund 80 Prozent der Punkte holte, erwarteten Ihre Anhänger doch mehr.

Nicht nur die. 50 Prozent sind zusammen mit meinem Resultat vor zwei Jahren für Dresden mein schlechtestes Ergebnis in der Bundesliga. Irgendwie scheint mir sonntags früh um 9 Uhr der Killerinstinkt verloren gegangen zu sein. Das will ich wieder ändern. Vielleicht muss ich mich mental umstellen. Psychologisch ist es für mich äußerst schwierig, weil die meisten Großmeister gegen mich nur ein Remis holen wollen. Ich möchte aber gewinnen. So wage ich zuweilen zu viel, wie gegen den Dresdner Raj Tischbierek, der mit einer Remisvariante gleich sein Ansinnen unterstrich.

 

An dem betreffenden Wochenende eilten Sie direkt aus dem spanischen Linares zur Bundesliga. Waren die Reisestrapazen schuld?

Nein, das lasse ich nicht als Ausrede gelten. Samstags verpasste ich gegen Alexander Beljawski trotz meiner Müdigkeit knapp den Sieg. Gegen Tischbierek war ich eigentlich wieder ausgeschlafen.

 

Mit einem stärkeren Alexej Schirow schneidet Lübeck als nominelle Nummer drei dann auch besser ab, als nur im hinteren Mittelfeld herumzudümpeln?

Ich hörte, dass eventuell ein weiterer starker Spieler zu uns kommen soll. Würde mich freuen. Es darf nur nicht Kramnik sein.

 

Obwohl Sie mit dem einst in Berlin das gefürchtetste Tandem der Liga bildeten ...

Mit dem spiele ich nicht in einer Mannschaft.

 

Bei den Frankfurt Chess Classic treffen Sie im Fujitsu Siemens Giants auf Kasparow, Anand und Kramnik. Sicher wollen Sie dort etwas beweisen.

Es ist Schnellschach. Dafür plane ich keine besondere Vorbereitung. Nachteilig wirkt sich sicher auch aus, dass ich direkt davor ein stark besetztes Turnier im mexikanischen Merida spiele. Vorrangig komme ich nach Frankfurt, um Spaß zu haben und Geld zu verdienen, weniger um auf den ersten Platz zu schielen.

 

Aber beim Blind- und Schnellschach-Wettbewerb in Monaco gewannen sie mit leichter Hand ...

Stimmt schon. Ich hätte bei den Chess Classic aber lieber eine andere Zeiteinteilung als die 25 Minuten für eine komplette Partie. Zum Beispiel so wie bei meinem Turniersieg 1996 in Frankfurt, als wir 20 Minuten plus fünf Sekunden pro ausgeführten Zug erhielten. Auch 15 Minuten plus zehn Sekunden wären eine Möglichkeit.

 

Organisator Hans-Walter Schmitt legte die 25 Minuten ohne Zugabe fest, damit die Zuschauer und Medien mit einer sicheren Zeitspanne kalkulieren können. Rundenstart soll stets zu einer vollen Stunde sein.

Verstehe ich natürlich. Dennoch kann ich mich besser auf das Schach spielen konzentrieren, wenn ich für jeden Zug wieder ein paar Sekunden dazu erhalte. Tickt die Uhr unaufhaltsam nach unten, muss man mehr Augenmerk auf die Zeiteinteilung legen.

 

Falls Sie vor der Wahl stünden im Fujitsu Siemens Giants: Zweimal Kasparow schlagen oder Erster zu werden, was würde Ihnen größere Befriedigung verschaffen?

Beides wäre fein! Ojala, wie wir in Spanien zu sagen pflegen.

 

Glauben Sie, den WM-Kampf zwischen Kasparow und Kramnik verhindern zu können?

Das Match sollte gestoppt werden. Bedauerlicherweise kann ich es allerdings nicht verhindern. So warte ich eben ab und schaue, was passiert.


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