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Hartmut Metz, Harald Fietz, Viswanathan Anand, Artur Jussupow:
Frankfurt Chess Classic 2000

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Pussycat" neuer Weltmeister

Interview mit Viswanathan Anand: Seit Frankfurt wieder in Form

 

   Viswanathan Anand hat nach zwei für ihn schwächeren Jahren bei den Frankfurt Chess Classic 2000 wieder zu alter Form gefunden. Das hatte sich sein Trainer Elisbar Ubilawa im Interview nach dem Gewinn der Schnellschach-WM ersehnt. Bei seinem Lieblingsturnier siegte der Inder vor Garri Kasparow und Wladimir Kramnik. Anschließend holte Anand den Weltcup sowie jetzt die FIDE-Weltmeisterschaft durch ein glanzvolles 3,5:0,5 im Finale über Alexej Schirow. Zusammen mit der Blitz-Weltmeisterschaft machte der 31-Jährige den „Grand Slam" perfekt. Zu Beginn seines sensationellen zweiten Halbjahres sprach Hartmut Metz mit dem „Tiger von Madras". In dem Exklusiv-Interview, das Anand für das vor kurzem erschienene Buch „Premiere der Top Ten! Frankfurt Chess Classic 2000" gab, machte er einige interessante Äußerungen zur Weltmeisterschaft sowie seinen Hauptkonkurrenten Kramnik und Kasparow. Nachstehend ein Auszug aus dem neunseitigen Interview.

   Das Buch „Premiere der Top Ten!" (Autoren neben Metz und Anand, der alle seine Gewinnpartien dafür kommentierte, sind Artur Jussupow und Harald Fietz) kann direkt hier bestellt werden. Obwohl bisher nur dem Verlag Edition FCC erste äußerst positive Kritiken vorliegen (die Schachzeitungen, Schach-Webseiten und einige Tageszeitungen werden im Januar Besprechungen veröffentlichen), scheint das hochwertige Buch ein Renner zu werden. Entgegen äußerst vorsichtiger Prognosen von Buchhändlern im Vorfeld der Produktion scheint sich Qualität doch noch auf dem Schachbuch-Markt zu lohnen. Die Hardcover-Luxusausgabe (59,80 Mark) ist bei Edition FCC bereits bis auf wenige Exemplare vergriffen! Der kartonierte Band (49,80 Mark) hat auch binnen dreier Wochen reißenden Absatz gefunden! Sichern Sie sich also umgehend ein Exemplar und greifen Sie jetzt zu!


Herr Anand, wollen Sie über die Weltmeisterschaft reden?

Nein, bloß das nicht. Das ist die einschläferndste Diskussion im Schach überhaupt! Darüber reden wir seit 1993.

Sie selbst schlugen einen zweiten WM-Kampf gegen Garri Kasparow aus, weil Ihnen keine finanziellen Garantien geboten wurden.

Das ist ein paar Monate her, für mich ist das vorbei, Geschichte.

Dafür rückte Wladimir Kramnik nach. Wer gewinnt das Match?

Wer weiß? Deshalb spielen sie ja das Match, damit wir es wissen (lacht).

Welche schachlichen Unterschiede gibt es zwischen Ihnen, Kramnik und Kasparow?

Wir haben drei verschiedene Stile. Mir macht es einfach Spaß zu spielen, die Figuren übers Brett zu zerstreuen. Ich denke, ich bin ganz gut im praktischen Spiel am Brett. Kasparow ist ein sehr aggressiver Spieler. Seine Eröffnungsvorbereitung ist einfach beeindruckend. Sie ist immer noch voller Fehler (grinst) und alles andere als perfekt, aber wir anderen machen eben noch mehr Fehler. Heutzutage ist es so, dass man eine neue Idee einmal, höchstens zweimal benutzen kann. Kasparow ist einfach sehr gut darin, neue Ideen zu finden. Ich denke, darin liegt der Schlüssel. Er produziert viele Ideen und ist dadurch auf dem Gebiet der Eröffnungstheorie allen anderen ein Stückchen voraus. Kramnik ist diesbezüglich ebenfalls sehr stark, während Leute wie zum Beispiel Adams oder ich eher dazu tendieren „zu spielen". Wir arbeiten natürlich auch hart, aber uns geht es eher darum, aus der Eröffnung heraus eine spielbare Stellung zu bekommen. Kasparow und Kramnik dagegen gehören einer anderen Schule an, sie betreiben die Eröffnungsvorbereitung sehr akribisch und wollen am liebsten alles bis zum Matt ausanalysieren. Außerdem denke ich, dass sich Kasparow einfach länger als die meisten am Brett konzentrieren kann, er steckt sehr viel Energie in jede Partie. So etwas bringt hier und da ein paar halbe Punkte - und die ergeben den ganzen Unterschied! Wladis größter Vorzug besteht meines Erachtens darin, dass er ein solch hohes Schachverständnis besitzt. Er fühlt einfach die positionellen Erfordernisse. Deshalb spielt er Schach auf einem sehr hohen positionellen Niveau. Das heißt jedoch nicht, dass er stärker ist als die anderen.

Die Physis könnte man trainieren, um ebenfalls bis zum Schluss auf der Höhe zu sein. Trotzdem unterlassen dies einige Spitzenspieler laut unserer Umfrage bei den FCC. Wie sieht Ihr Trainingsplan aus?

Normalerweise gehe ich morgens gerne ein paar Stunden ins Fitness-Studio. Am Nachmittag trainieren Ubilawa und ich dann etwa fünf bis sechs Stunden. Wir fangen so gegen 15 oder 16 Uhr an und arbeiten bis 21 oder 22 Uhr. Diesen Zeitplan halte ich aber auch nur so lange ein, wie es Spaß bereitet und interessant bleibt. Ansonsten hören wir auf und legen eine Pause ein. Kurz vor Beginn eines Turniers trete ich normalerweise ein bisschen kürzer, denn dann ist es sehr wichtig, wieder Appetit auf Schach zu bekommen

Sie priesen Kramniks hohes Schachverständnis. Ist das der Grund, warum Kasparow gegen Kramnik auf keinen grünen Zweig kommt?

In der Tat spielt Kasparow im Allgemeinen sehr gehemmt gegen Kramnik, ja geradezu fürchterlich. Ständig hat er Angst vor irgendetwas. Mit Schwarz muss er immer hart ums Remis kämpfen und mit Weiß macht er schnelle Remisen. Natürlich ist Kramnik ein exzellenter Spieler, aber wenn Sie einmal ihre Partien ansehen, wenn Kasparow Weiß hat, remisieren sie immer in 16 Zügen! Ich denke, das hat psychologische Gründe, Kasparow scheint Kramnik sehr zu fürchten.

Masters-Teilnehmer Robert Rabiega meinte: Kramnik spielt immer die Wahrheit - er lässt aber zu selten das Blut spritzen!

Das scheint zu stimmen, bei seinen vielen Unentschieden und den wenigen Siegen.

Umso verwunderlicher ist es doch, dass der im ganzen Leben so aggressive Kasparow plötzlich vor Kramnik zurückzuckt.

Ich meine, der Schachstil ist das Abbild des Charakters. Kasparow ist aggressiv im Leben und im Schach.

Worauf ich hinaus will: Sie gelten dagegen als freundlich, nett. Mehr Pussycat als wilder Tiger. Sind Sie zu nett, um Weltmeister im klassischen Schach zu werden?

Ich weiß nicht. Ich meine, man kann nur so Weltmeister werden, wie man ist. Man wird nicht Weltmeister, indem man seinen Charakter ändert.

Wenn man Sie aber mit den aggressiven Kasparow oder Fischer vergleicht ...

Ich kann sagen, was ich will. Es wird immer heißen: Ja, gut, aber du hast noch immer nicht das Gegenteil bewiesen. Wenn ich Weltmeister geworden bin, habe ich bessere Argumente und die Leute können nichts dagegen vorbringen ...

So sehen Sie auch keinen Unterschied zwischen Ihrem Willen und dem von Kasparow?

Ich verfüge über genügend Willenskraft. Die Leute beharren auf ihre Vorurteile: Wladi ist friedfertig, Vishy ist nett, Kasparow ist aggressiv. Journalisten brauchen immer etwas zu schreiben. Sie verbreiten es so oft, bis es irgendwann zum Klischee wird. Es hat jedoch nichts mit der Realität zu tun. Danach kann man erzählen, was man will. Was ich ausdrücken möchte: Jeder hat seinen eigenen Ansatz. Es hängt vom Charakter ab. Wenn Kasparow versuchen würde, so wie ich zu sein, würde das auch nicht funktionieren. Letztlich ist dann einer Weltmeister, was bedeutet, dass der andere es nicht ist. Wenn ich Weltmeister würde, bedeutete das nicht, dass jeder freundlich und nett sein muss, um Weltmeister zu werden. Es erscheint mir unsinnig zu sagen, du musst so und so sein, um Weltmeister zu werden.


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