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Die Einschläge der Kanonenkugeln erheitern

Rätselkönig Sam Loyd erfand zahlreiche lustige Geschichten rund um seine Schachprobleme

von FM Hartmut Metz, 30. April 2011

 

Sam Loyd gilt als Rätselkönig des 19. Jahrhunderts. Neben unterhaltsamen und dadurch einträglichen Knobeleien schuf der vor 100 Jahren verstorbene Amerikaner vor allem zahlreiche witzige Schachprobleme (Fortsetzung von Teil 1 aus der Vorwoche). Zu den Spezialitäten des findigen Loyd gehörte es so zum Beispiel ab 1877, Buchstaben in einem Schach-Diagramm darzustellen und gleichzeitig waren diese ein Matt-Problem. So illustrierte er die Titelseite des Eröffnungsbuchs von Henry Bird, indem er vier Matt-Aufgaben ersann, bei denen die Spielsteine ein B, I, R und D stilisierten.

Legendär sind auch seine "Katzen von Kilkenny". Zog man einen Strich um die aufgestellten Figuren auf dem Brett, schienen sie zwei Katzen abzubilden. Erstaunlich dabei: Die Figuren wurden im zweiten Problem um nur eine Reihe nach links verschoben - und schon ergab sich eine gänzlich neue Lösung! "God save the Queen", "lustige Mönche" und andere Geschichten dienten immer wieder aufs Neue der Erheiterung des Publikums, das Loyd in zahllosen Kolumnen unermüdlich bediente.

Am berühmtesten dürfte indes die erfundene Geschichte mit "Karl XII. in Bender" aus dem Jahre 1859 sein. Trotz einer nur jeweils leicht modifizierten Schach-Stellung veränderte sich die Aufgabenstellung wie die Lösung stets. Wie Daniel Willard Fiske als Verantwortlicher bei der amerikanischen Zeitschrift "Chess Monthly" zusammen mit Loyd schrieb, habe sich bei der Belagerung der Türken in Bender 1713 Folgendes zugetragen: Karl XII. von Schweden habe sich die Zeit mit Exerzieren und Schachspielen vertrieben. Seinem Minister Christian Albert Grothusen kündigte der König gerade ein Matt in drei Zügen in der folgenden Stellung an.











Kanonenkugel 1
Matt in 3 Zügen, 1859

1.Txg3! Lxg3 2.Sf3 Lxh2 3.g4#



"Kaum hatte er ausgesprochen, als eine türkische Kugel durchs Fenster flog und den weißen Springer vom Brett herab und in Trümmer schlug. Grothusen sprang hastig auf. Karl jedoch bat ihn mit größter Ruhe, sich wieder zu setzen." Rasch stellte der König "lächelnd fest: ,Wir brauchen den Springer nicht. Den kann ich Ihnen schenken und doch in vier Zügen mattsetzen!'











Kanonenkugel 2
Matt in 4 Zügen, 1859

1.hxg3 Le3 [ 1...Lxg3 2.Txg3 Kh4 3.Th3# ] 2.Tg4 Lg5 3.Th4+ Lxh4 4.g4#



Loyd und Fiske erzählten weiter von Karl XII. von Schweden und seinem Minister: "Kaum ist ihm das letzte Wort über die Lippen gekommen, als - es ist kaum zu glauben - eine zweite Kugel durch den Raum sauste und der Bauer auf h2 das Schicksal des Springers teilte.

"Sie haben unsere guten Freunde, die Türken, auf Ihrer Seite", sagte der König sorglos. "Es ist kaum anzunehmen, dass ich mich gegen solche seltsamen Mächte werde behaupten können, aber ich will doch einmal sehen, ob ich diesen unglücklichen Bauern nicht missen kann. Ich hab's", frohlockte er mit dröhnendem Lachen. "Mit größtem Vergnügen teile ich Ihnen mit, dass ohne Zweifel jetzt in fünf Zügen matt ist."











Kanonenkugel 3
Matt in 5 Zügen, 1859

1.Tb7 Lg1 2.Tb1 Lh2 3.Te1 Kh4 4.Kg6 Kg4 5.Te4#



Die höchst unterhaltsame Geschichte samt Mattaufgaben erfuhr im Jahre 1900 eine Ergänzung: Friedrich Amelung publizierte in den "Baltischen Schachblättern", dass Karl XII. auch dann sorglos hätte weiterspielen können, wenn die Türken-Kugel am Anfang den Turm statt des Schimmels vernichtet hätte! Ein Matt in sechs Zügen fände sich immerhin noch!











Kanonenkugel 4
Matt in 6 Zügen, 1900

1.Sf3 Le1 [ 1...Le3 2.hxg3 Lb6 3.g4# ] 2.Sxe1 Kh4 [ 2...gxh2 3.Sf3 h1D 4.g4# ] 3.h3 Kh5 4.Sd3 Kh4 5.Sf4 h5 6.Sg6#



Das Schaffenswerk des Amerikaners illustriert das Buch "Sam Loyd und seine Schachaufgaben" von 1926 sehr gut. In dem leider auch vergriffenen Reprint von Edition Olms finden sich 748 Diagrammpositionen. 631 geben Probleme im engeren Sinne mit Zwei- bis Fünfzügern wieder. Zudem schuf Loyd 87 Vielzüger, Selbstmatts oder Schachscherze. Autor des Originals ist Alain C. White, der dieser Tage vor 50 Jahren starb, und ebenso ein berühmter Schachkomponist war.

Sam Loyd war laut Wikipedia zu seiner besten Zeit 1870 mit einer historischen Elo-Weltranglistenzahl von 2445 die Nummer 16 auf dem Globus. Vermutlich wäre der Amerikaner noch viel weiter nach vorne gekommen, hätte er seine breitgefächerten Talente auf eines beschnitten! Obwohl Loyd mit vielen seiner zahllosen Aufgaben bewies, dass er ein Schachgenie ist, spielte der Rätselkönig nur ein internationales Turnier. 1867 in Paris landete er dabei weit hinter dem Sieger Ignaz von Kolisch, Simon Winawer und dem späteren Weltmeister Wilhelm Steinitz. Den lediglich sechs Siegen und einem Remis standen 17 Niederlagen gegenüber. Wahrscheinlich huldigte die 70 Jahre alt gewordene Legende Sam Loyd auch in Partien zu sehr seinem Drang nach Originalität, statt konsequent den vollen Punkt anzustreben.

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