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Tortur ohne Züge

40-Stunden-Trip mit dem Auto von Frankfurt nach Sofia: Wegen des von der Vulkanasche geplagten Weltmeisters Anand beginnt WM einen Tag später

von FM Hartmut Metz, 23. April 2010

 

Eine Million gefühlte Schlaglöcher und 40 Stunden später fühlte sich Schach-Weltmeister Viswanathan Anand ermattet wie nie. Eine solche Fahrt mit einem vollgepackten Transporter hatten der Inder und seine Gattin Aruna "noch nie erlebt" und baten die bulgarischen Organisatoren nach der 2000 Kilometer langen Tortur zwischen Frankfurt und Sofia um einen späteren Beginn. Die Titelverteidigung gegen den einheimischen Herausforderer Wesselin Topalow beginnt nun erst am Samstag statt am Freitag.

Anand und der indische Verband ACIF hatten auf eine dreitägige Verschiebung gepocht, nachdem der "Tiger von Madras" wegen der Vulkanasche bei seinem kurzen Zwischenstopp in Frankfurt und seiner Eigentumswohnung in Bad Soden am Freitag nicht mehr abheben konnte. Um 10.05 Uhr wollte der 40-Jährige am Freitag abheben, eine Stunde vorher war der Flughafen geschlossen worden. Die Organisatoren um den bulgarischen Premierminister Bojko Borisow und Topalows Manager Silvio Danailow zeigten sich rigide. Jede Verschiebung der drei Millionen Euro teuren WM - davon erhält der Sieger 1,2 Millionen und der Verlierer 800000 Euro Preisgeld - koste mehrere zehntausend Euro, warfen sie ein und verwiesen zudem auf TV-Verträge. Dem Schach-Weltverband FIDE mangelte es zunächst auch an Einsicht. Letztlich rang sich FIDE-Vizepräsident Georgios Makropoulos auf Grund "eines Falls von höherer Gewalt" zu einem "Kompromiss nach längeren Diskussionen" durch, für den sich Anand bei der gerade noch erreichten Auftaktpressekonferenz bedankte.

Den ersten Zug im Zentralen Militärklub von Sofia führt so am Samstagmittag Topalow mit den weißen Steinen aus. Einen klaren Favoriten gibt es nicht. In der Weltrangliste liegen Topalow und Anand knapp hinter dem führenden Norweger Magnus Carlsen. Die bisherige Bilanz spricht mit 11:10 Siegen (bei 23 Remis) für den Ex-Weltmeister aus Salamanca, der wie der Titelverteidiger in Spanien lebt. Ein 6:6 nach zwölf Turnierpartien scheint nicht ausgeschlossen. Eine Verlängerung im Schnellschach am 13. Mai versucht Topalow aber mit allen Mitteln zu vermeiden. "Anand ist eine Siegesmaschine in allen Schachbereichen: Blitz- und Blindspiel wie Turnierschach", preist der 35-Jährige seinen Gegner aus der Nähe von Madrid als "geboren fürs Schach" und ergänzt, "er schafft es, schnell und ohne Fehler zu spielen - während ich langsam und gut spiele." Im Tiebreak wäre daher der 40-jährige Inder haushoher Favorit gegen den Weltranglistenzweiten. Schon gegen Wladimir Kramnik, der vor zwei Jahren in Bonn Anand unterlag, hatte Topalow 2006 in der Schnellschach-Verlängerung der WM verloren.

Die 40 Stunden Fahrt steckten Anand schwer in den Knochen, auch wenn die "Herr der Ringe"-Trilogie die Reise merklich auflockerte. Nachdem ein rechtzeitiger Flug nach Sofia ausgeschlossen schien, hatte Wolfgang Grenke - Sponsor des deutschen Mannschaftsmeisters OSG Baden-Baden - seinem Spitzenspieler den Transport in seinem Privatflugzeug angeboten. Doch dieses durfte auch nicht mehr vom Baden Airport in Richtung Balkan abheben. Obwohl sich der Inder ohne Führerschein besonders mit Zügen auskennt, klappte auch keine Mitreise in den überfüllten Zügen.

So heuerte Aruna Anand in Amstelveen (Niederlande) zwei Privatfahrer eines VIP-Services an, die die luxuriös ausgestatteten Transporter über Österreich, Ungarn und Rumänien dem Ziel entgegensteuerten. Die kürzeste Route über Belgrad blieb dem Weltranglistendritten und seinen Sekundanten verwehrt, weil Serbien im Gegensatz zu Rumänien von Indern ein Visum fordert. Wie es auf der populären Schach-Webseite "Chessbase.de" heißt, sahen die "erfahrenen Fahrer niemals zuvor solch schlechte Straßen wie in Rumänien". Kurz nach Mitternacht erreichten die Denkstrategen endlich bulgarischen Boden. Am Schlagbaum wurde der Weltmeister sofort von den Zöllnern erkannt und begrüßt. Als der schwarze Mercedes Sprinter mit holländischem Kennzeichen rund 100 Kilometer vor Sofia in einer 50er-Zone 74 km/h raste, stoppte die Polizei die Delegation. Der Verkehrssünder erklärte kurz, wen er an Bord hatte, wonach der freundliche Offizier sie lachend entließ: "Gut, fahren Sie Anand nach Sofia - aber nicht zu schnell bitte!"


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