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Wunderkinder vertreiben alte Gesichter

Bei den Schach-Turnieren in Wijk aan Zee freut sich Ex-Weltmeister Kramnik über eine "starke neue Generation"

Fotos und Text von FM Hartmut Metz, 13. Februar 2010

 

"Ich kann die ganzen alten Gesichter am Brett nicht mehr sehen", äußert Wladimir Kramnik halb im Spaß und frohlockt, "endlich gibt es neue Gesichter!" Beim bedeutendsten Schach-Festival im holländischen Wijk aan Zee fühlt sich der Russe "an die 90er Jahre erinnert", als die späteren Weltmeister wie er selbst, Viswanathan Anand (Indien) und der Bulgare Wesselin Topalow auf die Bühne stürmten und die Arrivierten matt setzten. "Zum ersten Mal entdecke ich jetzt seitdem eine genauso starke Generation", analysiert der 34-Jährige.

Ein Name fällt ihm besonders ein: "Dieser Magnus Carlsen ist nicht schlecht", witzelt Kramnik mit Blick auf den 19-jährigen Norweger, der Anfang Januar als jüngster Spieler aller Zeiten die Führung in der Weltrangliste übernahm. Im nächsten Atemzug nennt er Anish Giri. "Der stößt bald in die Weltspitze vor!" Mit 14 wurde der in Russland geborene Sohn eines nepalesischen Hydrologen bereits Großmeister und zuletzt auch niederländischer Champion. Im B-Turnier in Wijk aan Zee demontiert der Schüler, der in 3,5 Jahren sein Abitur machen möchte, die Kontrahenten aus der erweiterten Weltspitze. Dreien gönnte Giri bis dato ein Remis, fünf schlug der Knirps. Mit 1,5 Punkten Vorsprung sieht der Neu-Holländer schon fünf Partien vor dem Ende wie der sichere Aufsteiger in die A-Gruppe 2011 aus. Nur Giri selbst warnt noch vor den Verfolgern wie dem 16-jährigen Filipino Wesley So, den Kramnik auch explizit lobt.

Und als wären damit nicht genug Wunderkinder genannt, beherrscht Ray Robson das C-Turnier mit 6:2 Zählern. Der Amerikaner erlernte mit drei Jahren von seinem Vater, einem Linguistikprofessor aus Guam, die ersten Züge. Mit zwölf unterbot Robson den Rekord der Legende Bobby Fischer als jüngster Teilnehmer der US-Meisterschaft. 2009 löste er mit 14 den ein halbes Jahr älteren Anish Giri zwischenzeitlich als jüngsten Großmeister auf dem Globus ab. Giri freundet sich sofort mit dem Hattrick der Jünglinge an. "Ich habe nichts dagegen - außer Carlsen und Robson wäre ich ja dann auch Erster."

Die schwerste Aufgabe fällt dabei offensichtlich dem "Norweger des Jahres 2009" zu. Nach einem spektakulären Remis gegen Alexej Schirow liegt Carlsen noch einen halben Punkt hinter dem Wahl-Spanier (6:2). "Ich bin mit Schwarz zufrieden mit dem Ergebnis", betont der Topfavorit, nachdem er 22 Züge lang seine sieben Monate alte Verlustpartie gegen Schirow mit dreifachem Bauernopfer herunterspulte, um den Spitzenreiter mit einem neuen Läufermanöver zu überraschen. Nach zehn weiteren Zügen fügten sich beide lieber in eine dreifache Zugwiederholung und den Friedensschluss, anstatt zu riskant auf Sieg zu spielen. Ein Feuerwerk der neuen Eröffnungsideen kann derweil Anand nicht abbrennen. Der 40-Jährige muss mit den wertvollen Zügen aus der Heimanalyse mit Computern haushalten - schließlich könnte bei der WM-Titelverteidigung im April in Sofia jede sogenannte Neuerung Gold wert sein! Um genügend Pfeile im Millionen-Match gegen Topalow im Köcher zu haben, verrät Anand in der Eröffnung keine Geheimnisse, nur acht Remis und ein neunter Platz unter 14 Großmeistern resultieren daraus. "Ich bin in schwacher Form", teilte der "Tiger von Madras" via Twitter seinen Fans offen mit.

Ganz anders trumpft sein Vorgänger auf dem WM-Thron auf: Kramnik schloss mit einem Erfolg über Hikaru Nakamura zum zweitplatzierten Carlsen auf. Ob auch der bis dahin vor ihm liegende Amerikaner (5:3) das Zeug zum Weltmeister besitze, erkundigt sich ein Landsmann für den Internet Chess Club. "Oh ja!", bestätigt Kramnik nach seinem überzeugenden Sieg und ergänzt nach einer minimalen Denkpause, "wenn wir alle zurücktreten!" Unter schallendem Gelächter der Umstehenden relativiert der Russe jedoch mit Blick auf Nakamura, der wie die anderen Wunderkinder mit 14 Großmeister wurde: "Ein kleiner Witz - nachdem er inzwischen ernsthaft trainiert, traue ich ihm die Top Ten und damit auch den Griff nach dem Titel zu." Die Turniere im windigen Wijk aan Zee belegen es: Die alten Gesichter müssen sich warm anziehen, wollen sie nicht von deutlich jüngeren hinweggefegt werden.

Anish Giri und Bianca Muhren
Anish Giri mit Bianca Muhren

Roy Robson
Roy Robson


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