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"Die Suche nach Harmonie"

Roulettekugel entscheidet für Wassili Smyslow und gegen Robert Hübner

von FM Hartmut Metz, 13. April 2010

 

Wassili Smyslow, der vor zwei Wochen im Alter von 89 Jahren starb, war ein Schöngeist - im Leben wie auf den 64 Feldern. Den entthronten Weltmeister tröstete nach dem Titelverlust 1958 (siehe Schachspalte der Vorwoche) die Musik. "Ich finde in ihr Ablenkung von den Misserfolgen, die im Leben eines Schachspielers unausweichlich sind. Sie beruhigt mein Nervensystem und hilft mir, meine schachlichen Betätigungen ruhiger und philosophisch zu sehen."

Sein Credo beschrieb der Bariton, der Musikfreunde in New York und Amsterdam bei Konzerten begeisterte, wie folgt: "Wenn man versucht, es mit einem Wort zu umschreiben, dann ist es die Suche nach Harmonie. Alles in der Natur ist einem höchsten Harmonieprinzip unterworfen. Dieses spiegelt sich auch in vielen Gebieten der Kreativität wider: in der Mathematik, in der Musik und im Schach." Der Moskauer führte mit seinen Zügen oft die Harmonie der Figuren herbei und feierte so viele Turniersiege. "Einen besonderen ästhetischen Genuss bereitet es mir, eine Idee markant und schnörkellos umzusetzen", betonte Smyslow. Seine Leidenschaft lebte er in feinsinnigen Schachstudien aus, von denen er viele komponierte.

Selbst im Rentenalter feierte der neunfache Olympiade-Sieger mit der Sowjetunion noch Erfolge: 1991 wurde er in Bad Wörishofen der erste Senioren-Weltmeister. Eine einmalige Geschichte des ausgebildeten Opernsänger ist ebenfalls mit Deutschland verknüpft: Im WM-Kandidatenturnier spielte der Russe im Viertelfinale gegen Robert Hübner 7:7 - und im Casino von Velden (Österreich) fiel danach die Entscheidung durch eine Roulettekugel! Ein einmaliges Vorkommnis in der Welt der Logik. Anschließend eliminierte Smyslow den Ungarn Zoltan Ribli, ehe der spätere Weltmeister Garri Kasparow den 63-Jährigen im Endspiel des Kandidatenturniers stoppte.

In seinen letzten Jahren zog sich Smyslow wegen der zunehmenden Sehschwäche immer mehr zurück aus der Szene, in der er so beliebt wie kaum ein anderer war - und Feinde besaß der freundliche Großmeister, der immer die Harmonie geliebt und vorgelebt hat, sowieso keine.

Beim Capablanca Memorial 1964 in Havanna schlug Smyslow Carlos Bielicki.











Bielicki,C - Smyslow,W [A28]
Capablanca Memorial Havanna (Kuba), 1964

1.c4 e5 2.Sc3 Sf6 3.Sf3 Sc6 4.e3 Lb4 5.Dc2 0-0 6.a3 Lxc3 7.Dxc3 Te8 8.d3 d5 9.cxd5 Dxd5 10.Le2 e4 11.dxe4 Sxe4 12.Dc4 Df5 13.0-0 Le6 14.Dc2 Ld5 15.b4 De6 16.Lb2 a6 17.Sd4 Sxd4 18.Lxd4 c6 19.Ld3 h6 20.Lxe4 Lxe4 21.Dc3 Lxg2 22.Kxg2 Dg4+ 23.Kh1 Df3+ 24.Kg1 Te4 25.Le5 h5 26.Tfe1 Td8 27.Lg3 h4 28.Dc2 h3 29.Kf1 29...Tc4!-+ Mit dem wichtigen Zwischenzug vertreibt der Turm die Dame aus ihrer zentralen Lage im Zentrum. Gleich [ 29...Tg4 reicht nicht wegen 30.Ted1 Te8 31.Ke1 Txg3 32.hxg3 h2 33.Kd2 und der h-Bauer ist gestoppt.] 30.Db2 [ 30.Da2 ändert auch nichts an der schwarzen Fortsetzung.] 30...Tg4! [ 30...Tg4 Bielicki gab auf, weil nun kein Turm auf d1 den feindlichen Widersacher von d8 vertreiben kann. Nach 31.Tec1 ( 31.De2 raubt dem weißen Monarchen nur das letzte Schlupfloch und beschleunigt sein Ende mittels 31...Dg2# ) 31...Txg3 folgt unvermeidlich 32.hxg3 h2 33.Ke1 h1D# ] 0-1



Einen studienartigen Abschluss fand der 72-jährige Smyslow 1993 in Rostow am Don gegen den starken estnischen Großmeister Lembit Oll.











Smyslow,W (2530) - Oll,L (2585) [A81]
Rostow am Don (Russland), 1993

1.d4 f5 2.g3 Sf6 3.Lg2 g6 4.Sh3 Lg7 5.Sf4 c6 6.h4 d6 7.Sc3 e5 8.dxe5 dxe5 9.Dxd8+ Kxd8 10.Sd3 Sbd7 11.e4 Te8 12.Lg5 h6 13.Ld2 Sb6 14.0-0-0 Kc7 15.b3 fxe4 16.Sxe4 Sxe4 17.Lxe4 Lf5 18.Tde1 Tad8 19.Lc3 Sd7 20.Te2 Te7 21.h5 Lxe4 22.Txe4 gxh5 23.Txh5 Tde8 24.Th1 Lf6 25.Kd1 Lg5 26.Ke2 Kd6 27.Td1 Ke6 28.f4 Kf5? Diagramm [ 28...Lf6 leistet noch Widerstand, auch wenn Weiß nach 29.Kf3 Kf7 30.f5 fast auf Gewinn stehen sollte.] 29.g4+!! Mit diesem geistreichen Zug, der Oll nicht in den Sinn gekommen war, knüpft der Ex-Weltmeister auch ohne Dame auf dem Brett ein schönes Mattnetz. 29...Kxe4 Reumütige Königsrückzüge kosten einfach die Figur auf g5. 30.Sf2+! Kxf4 31.Tg1!! Schwarz gab auf, denn das Matt in zwei Zügen ist nicht mehr abzuwenden, etwa nach [ 31.Tg1 e4 ( 31...Lf6 32.Ld2# ) 32.Sh3# ] 1-0



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