Nummer eins ohne Schachbrett"Traum erfüllt": 19-jähriger Magnus Carlsen "stolz" auf Rekordvon FM Hartmut Metz, 3. Januar 2010 |
Magnus Carlsen hört von Besuchern in Lommedalen häufig, "du musst doch hier zahllose Schachspiele rumstehen haben". Schließlich ist der Norweger seit gestern die offizielle Nummer eins auf dem Brett. Lakonisch pflegt der 19-Jährige den Laien zu antworten: "Womöglich haben wir irgendwo eines - aber ich bin mir nicht ganz sicher." Im Interview mit dem "Time Magazin" erläutert der jüngste Weltranglistenerste der Schach-Geschichte dem breiten Publikum, dass "ich kein Brett benutze, wenn ich für mich alleine trainiere".
Dass er mit 19 die Spitze erklimmt, macht Carlsen "stolz, weil es eine Leistung ist, dies bereits als Juniorenspieler zu erreichen". Der Großmeister hatte erst im Herbst die Grenze von 2800 Elo-Weltranglistenpunkten geknackt, die im Schach lange so etwas Ähnliches war wie im Weitsprung die 8,90 Meter von Bob Beamon. Dank des Turniersieges in London und einer leichten Steigerung um neun Zähler auf 2810 Elo überflügelte Carlsen nun den Bulgaren Wesselin Topalow (2805), der fünf Elo einbüßte. Das ist eine Nuance, die laut dem komplizierten mathematischen Ranglistensystem nicht einmal einem Prozent Leistungsdifferenz entspricht. Rang drei nimmt Weltmeister Viswanathan Anand (Indien/2790) vor dem wiedererstarkten Ex-Champion Wladimir Kramnik (Russland/2788) ein. "Ich erreichte ein langfristiges Ziel und erfüllte mir so einen Traum", bekennt Carlsen.
Der Baden-Badener Bundesligaspieler, der im Kader hinter Anand an Brett zwei steht, "dankt" neben seinen früheren Trainern Simen Agdestein - Großmeister und früherer norwegischer Fußball-Nationalspieler in Personalunion - und dem Dänen Peter Heine Nielsen vor allem Garri Kasparow. Die vor ihrem Rücktritt zwei Jahrzehnte lang dominierende Legende schätzt an ihrem Schützling weniger lange Variantenberechnungen, obwohl Carlsen laut eigener Aussage "je nach Stellung manchmal 15 bis 20 Züge weit rechnet". Die Stärke des Norwegers liege mehr in "der Intuition", sprich "den richtigen Zug zu erahnen". Nur in einem grenzt sich der 19-Jährige klar von dem russischen Oppositionellen ab: "Garri ist mein Schachtrainer. Wenn es zum Kampf mit Wladimir Putin kommt, will ich nicht darin verwickelt sein", betont der Jungstar.
Im Vergleich zu manch anderem Genie auf den 64 Feldern gibt sich Carlsen bodenständig. "Ich versuche den Leuten klarzumachen, dass ich zwar vielleicht im Schach sehr gut, aber kein Freak bin, sondern normal wie sie." Der Hobbyfußballer und frühere Skispringer sieht sich deshalb nicht "auf dem Weg, verrückt zu werden. Es ist leicht, dass man von Schach besessen wird". Die Besessenheit von verstorbenen Assen wie Bobby Fischer oder Paul Morphy "teile ich jedoch nicht. Ich liebe das Spiel und den Wettkampf - aber ich bin nicht davon besessen", unterstreicht Carlsen.
Im Turnierschach muss der 19-Jährige noch auf den Titel warten. Bei der Blitz-WM in Moskau wurde der Norweger aber bereits Weltmeister in den Duellen mit wenigen Minuten Bedenkzeit. Nachstehend sein Sieg aus Runde 38 über den zweitplatzierten Anand.
|
Anand,V (2788) - Carlsen,M (2801) [D35]
|