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Kramnik trumpft im alten Stil auf
Dortmunder Schachtage: Russe gelingt mit neuntem Sieg ein neuer Rekord
von FM Hartmut Metz, 20. Juli 2009
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Wladimir Kramnik hat in den vergangenen Jahren manchen Ärger von Fans zu spüren bekommen. Gerne präsentiert sich der Sohn eines Bildhauers als "Künstler" am Brett, der kristallklares, korrektes Spiel zeigt. Wenn dann ein Remis herauskommt, weil der Rivale auch sauber und fehlerlos spielt - wen juckt's? Kramnik hat kein Problem mit Friedensschlüssen, die er als normales Resultat erachtet. Zu viele schnelle Unentschieden mit einhergehenden blutleeren Partien werfen ihm Kritiker aber dafür vor. Sie erwarten statt "Arbeitsverweigerung" tollkühne Opfer, bei denen ihre Helden auch eine Niederlage nicht scheuen.
An einem Ort versteht es der Ex-Weltmeister stets, die Dauernörgler mundtot zu machen: in Dortmund. Beim alljährlichen Sparkassen Chess Meeting läuft der 34-Jährige zu Hochform auf. Mit 6,5:3,5 Punkten gewann Kramnik sein Lieblingsturnier souverän vor dem Ungarn Peter Leko, Magnus Carlsen (Norwegen) und seinem russischen Landsmann Dimitri Jakowenko (alle 5,5:4,5). Durch den Erfolg feierte er als erster Großmeister bei einem der drei traditionsreichen Klassiker den neunten Sieg. Bis dato lag die zurückgetretene Legende Garri Kasparow noch mit acht Siegen im spanischen Linares - dem dritten Turnier neben Wijk aan Zee (Niederlande) - gleichauf. "Ja, es ist schon eine denkwürdige Sache", gesteht Kramnik in einem interessanten Interview auf www.chessbase.de.
Selbst seine schärfsten Kritiker konnten einen Wandel in seinen Partien erkennen. "Ich freue mich auch darüber, dass ich dieses Mal schönes Angriffsschach gezeigt habe", betont der Wahl-Pariser und setzt fort, "es hat mir Spaß gemacht. Alle Gewinnpartien in Dortmund habe ich durch taktische Schläge entschieden. Sonst ist mein Stil ja eher strategisch angelegt, doch diesmal ergab sich kurioserweise mehrmals die Gelegenheit zum direkten Mattangriff." Nach der Niederlage des WM-Kampfs im Vorjahr in Bonn scheint sich generell ein Wandel bei Kramnik vollzogen zu haben. "Wie es zu dieser Änderung meines Schachstils kam, kann ich mir selbst nicht ganz erklären. Ich spielte so wie in jüngeren Jahren und riskierte auch mehr", berichtet Kramnik in seinem Fazit dem Chessbase-Mitarbeiter Dagobert Kohlmeyer etwas perplex.
Die wichtigste Partie in der achten Runde gewann der Russe in großem Stil. Damit überflügelte Kramnik den bis dahin führenden Weltranglistendritten Carlsen.
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Kramnik,W (2759) - Carlsen,M (2772) [D37]
Dortmund Dortmund, 10.07.2009
1.d4
d5
2.c4
e6
3.Sf3
Sf6
4.Sc3
[ Zuvor hatte Kramnik gerne 4.g3
und Katalanisch gegen Carlsen versucht.]
4...Le7
5.Lf4
0-0
6.e3
c5
7.dxc5
Lxc5
8.a3
Sc6
9.Dc2
Da5
10.Td1
[ Als Hauptvariante gilt 10.0-0-0
]
10...Le7
11.Le2
dxc4
12.Lxc4
Sh5
13.0-0!?
Eine Computerempfehlung. Menschen geben den Läufer nicht allzu gerne preis. Deshalb geschah zum Beispiel zwischen Francesco Vallejo Pons und Nigel Short dieses Jahr im niederländischen Wijk aan Zee [ 13.Ld3
g6
14.Lh6
Td8
15.0-0
Ld7
16.Le2
a6+/=
und Weiß verfügte über ein kleines Plus.]
13...Sxf4
14.exf4
Weiß erhält für das Läuferpaar die Kontrolle über e5. Deshalb hat der schwarze Läufer auf c8 Entwicklungsprobleme. So lange das so bleibt, hält der Anziehende die besseren Karten in Händen.
14...g6
[ 14...Td8?!
brachte Schwarz in Gupta - Kjartansson, Reykjavik 2009, in die Bredouille: 15.Txd8+
Dxd8
16.Td1
Ld7
17.f5!
Dc8?
( 17...De8!
18.fxe6
Lxe6
19.Lxe6
fxe6
20.Db3
Lf6
ist noch halbwegs haltbar.; 17...exf5
18.Db3
Dc8
( 18...De8
erlaubt 19.Lxf7+!
Dxf7
20.Dxb7
Td8
21.Txd7
) 19.Lxf7+
Kh8
20.Dd5
Le8
21.Lxe8
Dxe8
22.Dxf5
mit Mehrbauer.) 18.Dd3
Le8
19.fxe6
fxe6
20.Sd5!+-
und 20...exd5
verbietet sich wegen 21.Dxd5+
Kh8
22.Dg8#
]
15.g3
Td8
Eine Empfehlung der Theoriebibel Informator (Band 95).
16.Txd8+
Dxd8
17.Td1
Ld7
Carlsen droht sich mittels Tc8 endgültig zu befreien. Kramnik entwickelt jedoch einen interessanten Plan, der die Initiative verteidigt.
18.f5!
gxf5
[ 18...exf5?
taugt nichts wegen 19.Db3
.]
19.Dd2
Db6
20.Dh6
[ Bloß nicht 20.Dxd7??
Td8
und die Dame ist futsch!]
20...Le8
21.Sg5
Lxg5
22.Dxg5+
Kf8
23.Dh6+
Kg8
24.Dg5+
Kf8
Nachdem Kramnik durch die Zugwiederholung Zeit gespart hat, überlegt er, ob sich in der komfortablen Stellung mehr als ein Dauerschach findet.
25.Td6!
Dc7??
Der entscheidende Fehler. [ 25...Dc5
scheint zu gehen, aber selbst als Weltklasse-Großmeister mag man Züge wie den 27. höchst ungern machen und findet eine Variante wie die nachfolgende kaum: 26.Se4!
Dxc4
27.Sf6
Ke7!!
Allein dieser freiwillige Marsch ins Abzugsschach hält die Partie. 28.Td1
Sd4!
29.Sxe8+
( 29.Sxh7+?
beeindruckt den schwarzen König wenig. 29...Kd6
30.Df6
Kc5
31.b4+
Kb5
32.Dxd4
Dxd4
33.Txd4
Tc8
In diesem Endspiel kämpft der Anziehende ums Überleben.) 29...Kf8
30.Dg7+
Kxe8
31.Dh8+
Ke7
32.Dxa8
Se2+
33.Kg2
De4+
34.f3
Sf4+
35.gxf4
De2+
36.Kg3
Dxd1
37.Dxb7+
Dd7=
]
26.Dh6+
Ke7
[ 26...Kg8
scheitert an 27.Txe6!
Se7
( 27...fxe6
28.Lxe6+
Lf7
29.Sd5+-
mit Damengewinn.) 28.Txe7!
Dxc4
( 28...Dxe7
29.Sd5
De1+
30.Lf1
f6
31.Dxf6
Lf7
32.Se7+
Kf8
33.Sxf5
und gegen Dh8+ nebst Materialgewinn ist kein Kraut mehr gewachsen.) 29.Txb7+-
]
27.Dh4+
Kf8
[ 27...Kxd6
erweist sich ebenfalls als unzureichend. 28.Sb5+
Kd7
29.Lxe6+!
fxe6
30.Dxh7+
Se7
31.Sxc7
Lg6
32.Dg7
]
28.Dh6+
Ke7
29.Sb5!+-
Da5
[ 29...Db6
erlaubt 30.Txe6+!
fxe6
31.Dxe6+
Kd8
( 31...Kf8
32.Df6+
Lf7
33.Dxf7#
) 32.Dd6+
Ld7
33.Le6
Sb8
34.Df8+
Le8
35.Df6#
]
30.b4!
Sxb4
31.Txe6+!
Erneut der entscheidende Einschlag.
31...fxe6
32.Dxe6+
Kd8
33.Df6+
Kc8
34.Dxf5+
Kd8
[ 34...Ld7
35.Sd6+
Kc7
36.Dxa5+
]
35.Df6+
Kc8
36.axb4
[ 36.axb4
Carlsen gab auf angesichts von 36...Db6
37.Le6+
Ld7
38.Df8+
Dd8
39.Dc5+
Kb8
40.Lxd7
Dxd7
41.Df8+
Dc8
42.Dd6+
Dc7
43.Dxc7#
] 1-0
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