Zeitnot und Zugzwang fast überall beliebtDeutsche Begriffe bekommen nur bei Schachspielern noch negativeren Klangvon FM Hartmut Metz, 21. Juni 2009 |
Während englische Wörter dauernd in die deutsche Sprache einsickern, schaffen nur wenige deutsche den umgekehrten Weg. Im Sport verhält es sich nahezu genauso - man denke etwa an das Foul im Fußball. Ausgerechnet der Schachsport trotzt diesem - vermutlich auch, weil es die Sprache des königlichen Spiels im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts war. So wird etwa Max Lange als Urheber des Begriffs Zugzwang genannt. Der Schachmeister soll ihn 1858 in einem Artikel der Berliner Schachzeitung benutzt haben. Zugzwang beschreibt eine Situation auf dem Brett, in der eine Partei ziehen muss und daraus ein Nachteil erwächst. Zugzwang hat sich in zahlreichen Sprachen festgesetzt. Sogar ein populärer Roman des Iren Ronan Bennett über das Schachturnier 1914 in Sankt Petersburg erschien vor drei Jahren in allen Ländern mit dem kurzen wie prägnanten Titel "Zugzwang".
Noch erfolgreicher agiert international wohl Zeitnot: Weltsprachen wie Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch oder Russisch entlehnten das Wort unter anderem. Der Begriff kursiert derzeit besonders häufig in Schachzirkeln rund um den Globus. Zum einen, weil der Schachweltverband FIDE die Bedenkzeit bei Turnieren verkürzte und die Zeitnot-Gefahr erhöhte. Zum anderen bekommt Zeitnot am Brett eine neue Bedeutung. Gerieten die Spieler bisher erst gegen Ende einer Partie - zur Zeitkontrolle nach 40 oder 60 Zügen - in Zeitnot, droht ihnen diese Bredouille jetzt schon vor dem ersten Zug!
Ab 1. Juli schreibt die FIDE offiziell vor, dass die Akteure pünktlich hinter ihren Figurenreihen zu sitzen haben. Vorauseilenden Gehorsam bewies der chinesische Verband bei seinen Meisterschaften: In der achten Runde eilte die 15-jährige Frauen-Vizeweltmeisterin Hou Yifan ein paar Sekunden zu spät heran - und kassierte dadurch in Xinghua Jiangsu eine kampflose Null.
Gravierenderes ergab sich in der letzten Runde: Außenseiter Ding Liren heimste den vollen Zähler ein, weil Kontrahent Zhou Jianchou schon vor dem ersten Zug patzte und nicht am Tisch saß. Dem 16-jährigen neuen Star bescherte dies den Titel. Nicht ganz unverdient, weil Ding tags zuvor den führenden Wang Hao geschlagen hatte. Chinas stärkster Großmeister blieb nach dem kampflosen Sieg seines Bezwingers nichts anderes übrig, als mit seinen 8:2 Punkten erbarmungslos auf Sieg zu spielen, um vorne zu bleiben. Das misslang.
Nun schadet es gewiss nicht, all die notorischen Zuspätkommer zur Pünktlichkeit zu erziehen - in keiner anderen Sportart darf schließlich ein Teilnehmer bis zu einer Stunde zu spät antreten. Mancher befürchtet aber durch die neue Regelung, dass Punkte nun müheloser verschoben werden. Kann ja mal passieren, dass man ein paar Sekündchen zu spät kommt ... Sinnvoller erscheinen daher andere Strafen für "Zeitnot"-Spieler vor dem ersten Zug, beispielsweise ein Bußgeld. Bisher tickte nur die Uhr des Trödlers, was die Tunichtgute verschmerzten. Während Zeitnot und Zugzwang beliebt in vielen Sprachen sind, besitzen die Ausdrücke bei Schachspielern künftig eine noch negativere Färbung.
Keine Zeitnot musste der ehemals jüngste Großmeister Bu Xiangzhi gegen Li Chao fürchten. Er war pünktlich da und beendete das Duell mit einer forschen Attacke zeitig.
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Li,C (2643) - Bu,X (2704) [C42]
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