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Russland wirbt "Jahrtausend-Talent" ab

Trendwende nach Aderlass von 100 Großmeistern: Ukrainer Karjakin erhofft sich in Moskau mehr Unterstützung

von FM Hartmut Metz, 18. Mai 2009

 

Der Aderlass im russischen Schach erfährt erstmals eine spektakuläre Umkehr: Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion rochierten mehr als 100 Großmeister in andere Länder und verstärkten nicht nur die deutsche Nationalmannschaft erheblich. Jetzt kehrt mit Sergej Karjakin der jüngste Großmeister aller Zeiten der Ukraine den Rücken und soll dem russischen Schachverband bald wieder den angestammten Platz auf dem WM-Thron sichern.

Das wohl letzte Turnier unter gelb-blauer Flagge spielte das laut Experten "Jahrtausend-Talent" ausgerechnet mit einer Weltauswahl gegen Aserbaidschan in Baku. Karjakin tritt mit dem Wechsel nämlich aus mehreren Gründen in die großen Fußstapfen des "Ungeheuers von Baku". So wurde der dort geborene Garri Kasparow ehrfürchtig genannt. Vor seinem Rücktritt 2005 mit 42 Jahren hatte Russland das Geschehen auf den 64 Feldern dominiert. Der heutige russische Oppositionspolitiker und Putin-Kritiker führte zwei Jahrzehnte lang ununterbrochen die Weltrangliste an. Zusammen mit dem verstorbenen Amerikaner Bobby Fischer gilt er als größter Schachspieler aller Zeiten.

Mit den beiden will Karjakin dereinst in einem Atemzug genannt werden. Einen Rekord der US-Legende pulverisierte der Weltranglisten-23. bereits: Mit zwölf Jahren und sieben Monaten wurde er jüngster Großmeister aller Zeiten. Als Bobby Fischer 1958 mit fünfzehneinhalb diesen "schwarzen Gürtel" des Denkspiels erobert hatte, galt dies als eine Bestmarke für die Ewigkeit. Diese dauerte aber nur 33 Jahre, ehe die Ungarin Judit Polgar noch zwei Monate früher den Rekord verbesserte. Scheibchenweise gelang das weiteren Supertalenten - bis Karjakin ein Quantensprung gelang. An ihn kam lediglich Magnus Carlsen annähernd heran, der im Alter von 13 Jahren und drei Monate den Großmeister-Titel errang.

Inzwischen hat der zehn Monate jüngere Norweger als Weltranglistendritter dem 19-Jährigen den Status als "Wunderkind Nummer eins" abgelaufen. Der Noch-Ukrainer stagnierte seit längerem trotz seines Sieges im Januar beim Topturnier in Wijk aan Zee (Niederlande). Der ehrgeizige Junge aus Simferopol macht dafür die mangelnde Förderung seines Verbandes verantwortlich. "Ich erhalte in der Ukraine nur ein bisschen Unterstützung durch private Sponsoren", klagt Karjakin und setzt fort, "ich muss mit guten Trainern arbeiten - und in Russland hat es gute Trainer. Deswegen wechsele ich vor allem." Besonders angetan hat es ihm Juri Dochojan. Der Großmeister fütterte als Coach seinen Schützling Kasparow mit immer neuen grandiosen Eröffnungs-Ideen. Auf die genialen Zugeinfälle hoffte auch Karjakin und heuerte Dochojan an - ehe der russische Schachverband dem eigenen Nationaltrainer die Zusammenarbeit mit einem "Ausländer" verbot.

Nun zieht der Ukrainer mit seinen Eltern nach Moskau. Vater Alexander Karjakin beantragte bereits die russische Staatsbürgerschaft und hofft: "Die russischen Trainer sollen Sergej helfen, seinen Traum zu erfüllen, Weltmeister zu werden." Karjakins bisherige Nationalmannschaftskollegen zeigen Verständnis für den Schritt. "Ich denke, Sergej hat mit der enormen Unterstützung des russischen Verbandes die Chance, nach dem Titel zu greifen. Als eines der größten Talente kann er so seine Fähigkeiten vervollkommnen", meint Weltklassespieler Pawel Eljanow. Andere Asse wie Ex-Weltmeister Ruslan Ponomarjow spielen inzwischen auch nicht mehr für die Ukraine angesichts miserabler Gagen. Nur Verbandschef Viktor Petrow geifert, Karjakin sei doch in Kramatorsk und auf der Krim als Kind kräftig gefördert worden.

Beim Duell der Weltauswahl gegen Aserbaidschan zeigte der 19-Jährige nach kurzer Zusammenarbeit mit Dochojan eine überzeugende Vorstellung. Mit 5:3 Punkten trug Karjakin dazu bei, dass die starken Aseris in dem Schnellschach-Wettbewerb eine unerwartete 10,5:21,5-Schlappe kassierten. Lediglich Teimour Radjabow, einer von Karjakins künftigen großen Gegenspielern, bot bei den Gastgebern mit einer ausgeglichenen Bilanz nach acht Runden eine passable Leistung. Weltmeister Viswanathan Anand (Indien) war bei der Weltauswahl einen halben Zähler besser als Karjakin, der inzwischen für Spanien spielende Alexej Schirow einen halben schlechter. Herausragend agierte jedoch Wladimir Kramnik. Der 33-jährige Ex-Weltmeister unterstrich mit grandiosen fünf Siegen und drei Remis, dass nicht nur mit den russischen Neubürgern zu rechnen ist.

Die folgende Partie gewann Karjakin vor zwei Jahren in großem Stil bei der russischen Mannschaftsmeisterschaft.











Karjakin,S (2686) - Ritschagow,A (2571) [C10]
Russische Mannschaftsmeisterschaft Dagomys, 13.05.2007

1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 dxe4 4.Sxe4 Sd7 5.Sf3 Sgf6 6.Sxf6+ Sxf6 7.c3 c5 8.Le3 Dc7 9.Se5 a6 10.Da4+ Sd7 11.0-0-0 cxd4 12.Sxd7 Lxd7 13.Dxd4 Lc6 14.Lc4 Td8 [ 14...Lxg2 ist riskant. Schwarz kann sich nach 15.The1 wegen der Schwäche auf g7 nicht richtig entwickeln und muss vor dem weißen Angriff auf der Hut sein.] 15.Dg4 Ld7?! Deaktiviert den Läufer. [ 15...h5 16.Dg5 De7 17.De5 Tc8 sieht besser aus, auch wenn Weiß über Entwicklungsvorteil und die besseren Chancen verfügt.] 16.Lb3 Da5? Eine weitere Ungenauigkeit. [ 16...b5 kommt in Betracht.] 17.Lg5 Tc8 [ 17...Le7 18.Lxe7 Kxe7 19.Dxg7 Df5 20.Dg3 Thg8 21.Dd6+ Ke8 22.La4 b5 23.Lc2 Dxf2 24.Td2 Da7 wahrt zwar das Materialgleichgewicht, führt indes aber auch zu einer verlorenen Position. 25.Thd1+- ] 18.The1 h5? [ 18...Tc6 muss geschehen.] 19.Lxe6! Ein hübscher taktischer Schlag. 19...La3 [ Die Annahme des Damenopfers führt sofort zum Matt: 19...hxg4 20.Lxd7# ; 19...fxe6 20.Txe6+ Kf7 21.Txd7+ Kg8 22.Df4 Th7 23.Df7+ Kh8 24.Le7 Lxe7 ( 24...Txc3+ 25.bxc3 Dxc3+ 26.Kb1 und Ritschagow gehen die vernünftigen Schachgebote bereits aus.) 25.Tdxe7 und Schwarz vermag das baldige Matt nicht mehr abzuwenden.; Bei 19...Txc3+ bedient sich Weiß natürlich nicht auf c3, sondern antwortet abgebrüht 20.Kb1 , wonach Schwarz nur einen Turm auf c3 hängen hat.] 20.Lxd7+ Kf8 21.Dg3 [ 21.Lxc8?? ist zu gierig: 21...Dxc3+ 22.Kb1 Dxb2# und plötzlich ist Weiß matt!] 21...h4 [ 21...Txc3+ stört Karjakin nicht weiter. 22.Kb1! Txg3 23.Te8# ] 22.De5 Schwarz gab wegen zu großer Materialeinbußen auf. 1-0



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