Startseite Rochade Kuppenheim

"Endlich in der ersten Klasse angekommen"

Interview: Hamburger Urgestein Jan Gustafsson erhofft sich durch Wechsel nach Baden-Baden einen neuen Schub in seiner Karriere

Foto und Text von FM Hartmut Metz, 15. Dezember 2009

 

Der Hamburger SK hat mit Jan Gustafsson seinen Vorzeigespieler verloren. Der bisherige Spitzenspieler entflieht dem Bundesliga-Mittelfeld, um mit der OSG Baden-Baden endlich auch einen Titel zu gewinnen. Der 30-Jährige, der als Jugendlicher in fast allen Altersklassen deutscher Meister war, hofft, dass ihn der Wechsel in seiner Karriere voranbringt. Qualitäten besitzt die deutsche Nummer vier durchaus - ansonsten hätte ihn der ehemalige Vizeweltmeister Peter Leko (Ungarn) kaum als Sekundant für eine längerfristige Zusammenarbeit verpflichtet. Der Themen Faul- und Feigheit ist Gustafsson zwar überdrüssig - im Interview mit Hartmut Metz nahm der eloquente Hanseat aber dennoch genauso Stellung dazu wie zum Pokern und seinem Poker-Buch.

Frage: Sie geißeln sich öffentlich, am Brett "sehr faul" und "feige" zu sein. Was ist schlimmer?
Gustafsson: Faulheit ist die schlimmste Charaktereigenschaft, die man haben kann. Das glaube ich, weil sich Arbeit immer gegen Talent durchsetzen wird. Dass das Thema bei mir dauernd hochkocht, liegt sicher daran, dass es in den Medien gerne aufgegriffen wird. Deshalb werde ich ständig gefragt, wie unglaublich faul und feige ich denn wäre. Es ist auch egal, was ich darauf sage - es steht wieder etwas da zum Thema und eine Überschrift wird daraus.

Frage: Nun gut, ich versuche, Fragen zu Faul- und Feigheit nicht zu überstrapazieren. Nur kurz zur Differenzierung noch: Was halten Sie für schlimmer, die Faul- oder die Feigheit?
Gustafsson: Feigheit ist zwar negativ belegt, ist aber wie Angst nicht nur etwas Schlechtes! Sie hält uns davon ab, dumme Sachen zu machen. Natürlich hält Feigheit einen auch zurück, bestimmte Dinge zu unternehmen. Aber für völlig negativ halte ich Feigheit nicht. Jeder Mensch birgt Faulheit in sich, die muss man wirklich überwinden.

Frage: Im Vorjahr verkündeten Sie allerdings auch, "manchmal keine Lust auf Schach" zu haben. Wie verträgt sich das mit dem Wechsel zur OSG Baden-Baden. Haben die einen Schlaffi verpflichtet oder hat sich die "Lust" geändert?
Gustafsson: Hmm (überlegt kurz), jein. Die Aussage mit der Lust besteht nach wie vor: Obwohl ich im vergangenen halben Jahr kaum spielte, hatte ich in dieser Zeit so viel mit Schach zu tun wie noch nie in meinem Leben. Ich war fast die ganze Zeit im Einsatz und arbeitete als Trainer mit Jan Smeets und Peter Leko. Nur in den vergangenen sechs Wochen hatte ich sozusagen frei und verspürte nach dem halben Jahr Arbeit rund um die Uhr überhaupt keine Lust mehr auf Schach. Die Pause tat mir gut, und jetzt habe ich wieder Lust. So war es auch im vergangenen Jahr: Nach ein, zwei Monaten Pause kehrt die Lust zurück und ich habe das Verlangen, mich mit Schach zu beschäftigen. Insofern bin ich froh über die freie Zeit im Sommer gewesen - nur schade, dass ich mir das mit dem Armbruch etwas versaute.

Frage: Sie stürzten mit dem Fahrrad. Ihrem rechten Arm geht es wieder besser?
Gustafsson: Spielen kam für mich mit Ausnahme des Mannschaftssimultans der OSG Baden-Baden damit kaum in Frage. Der Arm lässt sich wieder zu 80 Prozent bewegen, ich muss halt noch regelmäßig zur Krankengymnastik rennen.

Frage: Immerhin haben Sie nun bei der OSG Baden-Baden angeheuert. Beim Hamburger SK mag man die Eigenwilligkeit des Eigengewächses dulden - beim Meister zählt nur der Erfolg.
Gustafsson: Was heißt Eigenwilligkeit? Das klingt so vorwurfsvoll. Was soll ich verbrochen haben?

Frage: Ich meine die Koketterie, nicht alles aus sich und seiner Karriere herausgeholt zu haben. Bei einem Star-Ensemble wie Baden-Baden nimmt man weniger Rücksicht auf einzelne Spieler. Der Hamburger SK ist auf den Spitzenspieler Gustafsson angewiesen, egal mit welcher Spiellaune.
Gustafsson: Ja, der Hintergedanke des Wechsels bestand darin, eine neue Herausforderung zu finden und mich zu verbessern. In Hamburg hatte ich mich bis an Brett eins vorgearbeitet. In Baden-Baden stehe ich jetzt fast ganz unten und muss mich wieder mit guten Leistungen hocharbeiten. Ich hoffe aber auch, von den neuen Kollegen einiges mitzunehmen und zu lernen. In Deutschland gibt es kaum Möglichkeiten, mit solchen Weltklassespielern in Kontakt zu kommen - diesbezüglich ist Baden-Baden für mich die erste Adresse. Daher bin ich froh, dass der Wechsel klappte. Ohnehin schien mir die Zeit reif. Ich bin nun schon 30 und erreichte in Hamburg, was man bei dem Verein erreichen konnte.

Frage: Fühlten Sie sich zu eingefahren beim heimeligen HSK?
Gustafsson: Natürlich fiel mir der Abschied nicht leicht. Ich hatte zunächst gehofft, mich dort weiterentwickeln zu können, dass neue Leute kommen. Ich spielte jetzt fünf, sechs Jahre an vorderster Front. Es war dann, wie Sie sagten, alles ein bisschen eingefahren. Wir landeten meist im Mittelfeld. Ich hatte solide, aber nie spannend gespielt. Das war in Ordnung, aber ein bisschen Druck und eine neue Welt tut mir vielleicht ganz gut - oder auch nicht, das wird sich zeigen.

Frage: Was zeichnet den größten Klub Deutschlands, den HSK mit seinen mehr als 400 Mitgliedern, aus?
Gustafsson: Der HSK ist in der Breite kaum zu schlagen. Er hat 20 Mannschaften im Erwachsenenbereich, dazu 15 Jugendmannschaften. So ist für jeden etwas dabei. Ich als junger Spieler konnte mich - was wohl kaum bei einem anderen Verein so möglich gewesen wäre - durch all die Mannschaften hochdienen. Ich fing in der zwölften Mannschaft oder so an, rückte auf in die Stadt- und Oberliga, in die zweite Liga bis in die Erste an Brett acht. Und von dort ging es weiter nach vorne. Organisatorisch steht der Klub ebenso an der Spitze: Christian Zickelbein absolvierte ein unglaubliches Arbeitspensum. Zudem beherrscht er das Zwischenmenschliche, vermag die Mitglieder zu motivieren und bei der Stange zu halten. Ohne Christian wäre das nicht gegangen, auch für mich nicht. Für mich war es ein sehr prägendes Erlebnis, als ich ihn mit elf Jahren kennen lernte. Er überzeugte mich lange, dem Verein die Treue zu halten, schließlich erwog ich bereits früher, den Klub zu wechseln. Was dem Verein - ich will nicht sagen "nicht auszeichnet" - nie gelang, auch, weil es vielleicht nie gewünscht war, ist die Professionalisierung der ersten Mannschaft. Man fand keine Sponsoren, um sich zu verstärken und ganz oben eingreifen zu können. Das Konzept ist zwar lobenswert, ähnlich wie Baden-Baden, meist mit vier Deutschen zu spielen. Doch weil wir uns keine finanziellen Sprünge leisten konnten, reichte es nie nach ganz oben. Ich kann wirklich nichts Negatives über den HSK sagen, mir ging es einfach darum, dass ich für meine schachliche Entwicklung jetzt eine Veränderung brauchte.

Frage: Ein verständlicher Wunsch für einen deutschen Spitzenspieler, auch mal deutscher Meister werden zu wollen. Und das Konzept des HSK erlaubt kaum den Griff nach dem Titel.
Gustafsson: Ja, jungen Talenten würde ich den Verein ans Herz legen, um nach vorne zu kommen. Ich kann schließlich nicht klagen, habe dort Karriere gemacht und die Ränge bis auf Brett eins durchlaufen.

Frage: Haben Sie HSK-Urgestein Christian Zickelbein mit dem Wechsel nicht das Herz gebrochen?
Gustafsson: Natürlich fiel mir das schwer. Zuletzt war er aber nicht mehr ganz so dicht an der ersten Mannschaft dran, nachdem er das Kapitänsamt abgegeben hatte und nicht mehr mit zu jedem Spiel fuhr. Zudem hat Christian, meine ich, die Beweggründe ganz gut verstanden - klar, glücklich wird er durch den Schritt kaum geworden sein. Indes kam der Wechsel für ihn kaum aus heiterem Himmel. Ich bleibe dem HSK weiterhin verbunden. Ich schaue mal im Verein vorbei, nehme an Simultanveranstaltungen teil, so ist das ja nicht.

Frage: Sie mussten also nicht wochenlang mit sich ringen, wie bringe ich ihm den Wechsel am schonendsten bei?
Gustafsson: Nein, nein, dafür bin ich schon erwachsen genug, um so eine Entscheidung zu vertreten.

Frage: Was erwarten Sie mit Baden-Baden? Endlich deutscher Meister zu werden?
Gustafsson: Selbstverständlich! Wie sagt man so schön: Ich bin jetzt in der Phase meiner Karriere, in der nur noch die Titel zählen (lacht), Titel holen, Titel holen. Das finde ich spannend. Hinzu kommt, so blöde es zunächst klingt: Das niedrigere Brett stellt eine neue Herausforderung für mich dar. Am ersten Brett machte ich halt meine Remisen, das ist eine Welt, in der ich mich sehr gut auskenne - jetzt lerne ich den Druck kennen, Leute schlagen zu müssen. Das finde ich interessant. Ein weiterer Pluspunkt von Baden-Baden ist: Francisco Vallejo Pons, Peter Heine Nielsen und Peter Swidler sind die drei besten oder einige der besten Freunde, die ich in der Schachwelt habe. Daher freue ich mich, mit ihnen in einer Mannschaft zu spielen. Im Allgemeinen finde ich die Baden-Badener Mannschaft sehr angenehm, kann deutscher Meister werden und das Geld ist auch nicht viel schlechter als in Hamburg (grinst). Das Gesamtpaket stimmt folglich, und Baden-Baden ist außerdem eine schöne Stadt.

Frage: Letzteres kann ich als Baden-Badener bestätigen. Bedarf es einer sonderlichen mentalen Umstellung, konsequenter auf Sieg zu spielen? Vorne war für Sie gegen Weltklasse-Großmeister ein Remis stets in Ordnung.
Gustafsson: Selbstredend. Auch innerhalb der Mannschaft traute sich beim HSK keiner zu meckern: "Was hast du denn da für einen Quatsch gemacht?"

Frage: Ja, die Ehrfurcht vor dem eigenen Spitzenspieler.
Gustafsson: Eben. Wenn in Baden-Baden bessere Spieler als ich in der Mannschaft sind, sieht das anders aus. Damit stehst du mehr unter Beobachtung. Durch den Druck bin ich eher gewillt, mich seriöser vorzubereiten. Aber ich freue mich darauf!

Frage: Werder Bremen scheint der einzige ernsthafte Konkurrent zu sein.
Gustafsson: Bremen ist stark. Mülheim gilt es ebenfalls zu beachten. Die haben zwar nicht ganz die Tiefe im Kader wie Baden-Baden oder neuerdings auch Werder, in Bestbesetzung kann Mülheim dennoch gefährlich werden. Werder gilt allerdings als Hauptkonkurrent.

Frage: Sehen Sie im Oberhaus die Drei-Klassen-Gesellschaft zementiert? Vorne wenige Topteams, die für den Titel in Betracht kommen, einige Etablierte im Mittelfeld und hinten die üblichen Verdächtigen mit Hang zur Fahrstuhlmannschaft.
Gustafsson: Ja, als Mitglied einer Mittelklasse-Mannschaft störte mich das stets an der Bundesliga. Für uns als Mittelklasse-Team ging es eigentlich nie um viel. Für vorne waren wir zu schwach, für hinten zu stark. Das ändert sich für mich gottlob mit Baden-Baden. Hamburg und Wattenscheid dümpeln seit Jahren im Mittelfeld auf den Rängen vier bis zehn. Solingen besitzt jetzt immerhin einen sehr starken Kader und könnte etwas nach oben ausbrechen. Tegels Konzept finde ich sympathisch, mit ihren Deutschen alle zwei Jahre in der Bundesliga zu spielen. Ich denke, Heidelberg-Handschuhsheim wird es ebenso schwer haben. Die restlichen Absteiger muss man abwarten. In Frage kommen stets die vielen Aufsteiger, die zu schwach sind. So bleibt es bei der Zementierung der Drei-Klassen-Gesellschaft. Ich freue mich jedenfalls, endlich in der ersten Klasse angekommen zu sein.

Frage: Kokettieren Sie nur mit Ihrem Talent oder sind Sie so schlecht, wie Sie sich manchmal einschätzen?
Gustafsson: Hmm, erstens ist es so, dass ich nicht weiß, ob ich besonders viel Talent besaß. Ich habe das Gefühl, dass ich mir meine Spielstärke erarbeitete - auch wenn die Faulheit in jedem Interview auftaucht.

Frage: Wir haben die bösen F-Worte aber seit dem Anfang tapfer vermieden!
Gustafsson: Stimmt. Ich habe mich jedenfalls viel mit Schach beschäftigt und kam dorthin, wo ich jetzt stehe. Ich sah mich allerdings auch nie als Vollprofi. Es kam Poker dazwischen. Davor studierte ich Rechtswissenschaften, allerdings nicht bis zum Ende. Ich verspürte zudem nie Lust darauf, diese Open zu spielen, und konzentrierte mich auf anderes. Deshalb stand ich nie so voll im Saft, wie es hätte sein können. Das ist ganz nett, weil ich stattdessen mein Bewusstsein erweiterte. Wenn ich jetzt 2680 Elo hätte, von einem Turnier zum anderen hetzte und mich nur mit Schach beschäftigte, änderte sich mein Leben nicht so "doll". Ich genieße die Freiheiten, anderes nebenbei zu machen.

Frage: In Dortmund 2008 durften Sie ausnahmsweise mal gegen die Weltelite spielen - und trumpften gleich als Zweiter auf. Danach ließe es sich doch trefflich vom Aufstieg in die Top 20 träumen. Kein Schlüsselerlebnis für Sie?
Gustafsson: Natürlich war es ein Schlüsselerlebnis. Das Problem besteht nur darin, dass es danach nicht weiterging. Ich würde gerne jeden Monat gegen die Weltelite spielen. Wenn das Telefon geklingelt hätte, wäre ich sofort jeder Einladung von Organisatoren gefolgt. Direkt nach Dortmund war ich sehr motiviert - doch die folgende Zeit desillusionierte mich. Es folgten keine weiteren Einladungen, und den Drang, bei Open über die Dörfer zu ziehen, verspürte ich eben nie. Die Freiheit nahm ich mir stets, keine Open zu spielen, die mich weder schachlich, finanziell noch von der Location her ansprechen. So nahm ich den Leko-Job an. Zuvor arbeitete ich bereits mit Jan Smeets. Auch, um näher am Topschach zu sein. Das ist die Welt, die mich interessiert. Dabei kann ich meine Vorzüge einbringen: Meine Eröffnungsvorbereitung, dass ich weiß, wie ich da arbeiten muss, um Ideen zu finden.

Frage: Bevor wir auf Ihre Arbeit als gefragter Sekundant zu sprechen kommen, noch kurz zum ersten Themenkomplex eine abschließende Frage: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum keine weiteren Einladungen folgten nach der Topleistung in Dortmund?
Gustafsson: Ich habe absolut kein Recht zu jammern, denn es geht jedem so mit einer ähnlichen Elo-Zahl wie meiner. Ich freute mich natürlich über die Einladung nach Dortmund und arbeitete sehr ernsthaft darauf hin. Genauso wie auf die Olympiade, wo ich in Dresden passabel spielte, wenn auch nicht ganz so gut wie erhofft. Insofern hatte ich genug Betrieb im zweiten Halbjahr 2008. Dennoch wünschte ich mir mehr geschlossene Turniere in Deutschland. Schauen wir mal neidisch über die Grenze nach Holland, wo Jan Smeets sehr viel zu tun hat, weil er Holländer ist und dort ständig Einladungen erhält. Das ist klasse für ihn, andererseits teilen mein Schicksal viele andere. Ich meinte nie, Schach schulde mir etwas - ich freue mich, wenn mich jemand anruft und Turniere ausrichtet. Und wenn nicht, dann verfluche ich deswegen nicht die Welt. In Deutschland steht eben die Förderung der Breite statt der Spitze im Vordergrund.

Frage: Sie schnitten das Thema bereits an: Weltklassespieler wie Smeets und jetzt vor allem Peter Leko scheinen Ihre Vorzüge zu erkennen und verpflichteten Sie als Sekundant. Das spricht für Ihre Talente.
Gustafsson: Ja, natürlich (grinst). Gut, Leko hat mich natürlich nur angeheuert, weil ich ihn in Dortmund gewinnen ließ ... Das war Teil des Deals ... (lacht) Ich muss ganz ehrlich sagen - über Leko reden wir gleich weiter -, Smeets hat einen Sprung gemacht. Wir hatten vor Wijk aan Zee zwei Trainingseinheiten, dann betreute ich ihn dort im Januar. Er spielte sehr, sehr gut. Ebenso bei den folgenden Turnieren. Ich hoffe, da etwas beigetragen zu haben. Mit Leko läuft es ähnlich ... Was er in mir sieht, ist mir allerdings nicht ganz klar (lacht).

Frage: Im Ernst, was schätzt die Weltklasse an Ihnen?
Gustafsson: Es ist, wie erwähnt: Der Eröffnungsbereich zählt zu meinen Stärken. Ich weiß, wie man daran arbeitet und wie man die Computer richtig bedient und Ideen findet. Bei Peter kommt hinzu, dass sich unser Repertoire stark überschneidet. Er spielt also Sachen, in denen ich mich auskenne. Außerdem wollte er beidhändig beginnen, also vermehrt e4 und d4 anwenden. Dafür benötigte er einen d4-Spieler. Des Weiteren bin ich ein sehr angenehmer Mensch (grinst) - ist natürlich auch wichtig, dass man mit seinem Sekundanten klarkommt.

Frage: Sicher, mit einem unterhaltsamen Typen arbeitet man natürlich lieber zusammen als mit einem Griesgram.
Gustafsson: In Dortmund hatte ich deswegen meinen Freund Vallejo dabei. Es gilt beim Turnier auch, einen bei Laune zu halten und dafür zu sorgen, dass er schachlich nicht durchdreht. Allerdings ist es manchmal schwierig: Wenn man so viel Zeit miteinander verbringt wie Peter und ich, hat man sich manchmal nichts mehr zu sagen. Nach vier Monaten wird es schwierig, neue Themen zu finden. Eigentlich lief es gut mit ihm und ich bin gespannt, was er in Zukunft bringt - wenn er noch aufhört, jede Letztrunden-Partie zu verlieren, besitzt er einiges Potenzial (grinst)!

Frage: Das stimmt. Zuletzt spielte er erfolgreicher, nachdem sich vorher eine gewisse Stagnation - wenn auch auf hohem Niveau in den Top Ten - eingestellt hatte.
Gustafsson: Ich finde, dass er nach der vielen Arbeit in der Eröffnung nun breiter aufgestellt ist und flexibler wurde. Das ist für die absoluten Topleute heutzutage wichtig und notwendig. Nur in Dortmund war Peter schlapp und remisierte zu oft, was seinem Ruf schadete. Beim Grand Prix in Armenien war ich nicht dabei. Aus der Ferne sah es gut aus, nur die Letztrunden-Niederlage verdarb das Turnier. Er besitzt viel Potenzial und steht den anderen Topjungs eigentlich in nichts nach. Da wollen wir hin, in kleinen Schritten gilt es das ein oder andere zu verbessern .

Frage: Wenn Sie sagen "wir", klingt das nach längerfristiger Zusammenarbeit.
Gustafsson: Dazu kann ich noch nichts sagen. Zunächst arbeiten wir bis Ende des Jahres zusammen. Ich gehe davon aus, dass es irgendwie weitergeht. Den Rahmen muss man aber abwarten.

Frage: Magnus Carlsen arbeitet nun mit Garri Kasparow zusammen. Ist das das Traumpaar, das zusammen künftig alle anderen in den Schatten stellt?
Gustafsson: Ich bin gespannt, was dabei herauskommt. Aus meiner Sicht hat Magnus viel über seine Spielfreude und sein unglaubliches Talent erreicht, als ich jetzt von "relentless work" (Anmerkung: unermüdliche Arbeit) der beiden gelesen habe, war ich mir nicht so sicher, ob das so sein Ding ist. Aber natürlich ist es eine tolle Gelegenheit für ihn.

Frage: Stellten Sie Unterschiede zwischen Ihnen und der Kundschaft fest?
Gustafsson: Peter ist in vielen Bereichen deutlich stärker als ich, das steht außer Frage. Mir fehlte plötzlich die Praxis. Ich spielte wenig - und als ich bei dem einem Turnier antrat und dachte, jetzt weiß ich alles und mache alle fertig, spielte ich schwach beim Mitropa-Cup. Das Arbeiten mit dem Computer und an den Eröffnungen ist eben doch etwas anderes, als selbst zu spielen. Beim Mitropa-Cup konnte ich keine zwei Züge weit rechnen. Ich hoffe, dass ich das wieder in den Griff kriege. Spielerisch bin ich deshalb unsicher, wo ich momentan stehe. Natürlich lernte ich wahnsinnig viel von Peter und hoffe, dass sich das langfristig in meinem Spiel niederschlagen wird.

Frage: Sie spielen zu wenige Partien.
Gustafsson: Ein bisschen mag das sein. Meine schlechten Ergebnisse hängen eher damit zusammen, wie mein Kopf drauf ist. Ich beschäftigte mich ja dieses Jahr viel mit Schach - doch ich war durch diese ganze Computerarbeit in den Denkstrukturen der Programme gefangen. Wenn du vor Rybka sitzt und auf den nächsten Zug wartest, neigst du dazu, den Kopf abzuschalten, obwohl du was mit Schach macht. Da glaubt man, man wisse jetzt alles in der Eröffnung - aber selbst zu denken, wenn man die ganze Zeit den Computer denken lässt, erweist sich als gewaltiger Unterschied. Zuletzt stand die Trainertätigkeit exzessiv im Vordergrund. Ich kam nicht dazu, selbst zu spielen. Als ich nun Zeit hatte, brach ich mir den rechten Arm - und mit links zu ziehen ist eben nicht meine Stärke ... Also ließ ich es entgegen meiner Absicht die vergangenen zwei Monate eben ganz sein. Nun beginnt jedoch wieder die Bundesliga, die Mannschafts-Europameisterschaft möchte ich spielen, für den Weltcup bin ich qualifiziert. Vielleicht ergibt sich noch eine weitere Möglichkeit. Also ein paar Turniere kommen nun zusammen.

Frage: Nachdem Sie sich mit einer starken Leistung dafür qualifizierten, freuen Sie sich sicher auf den Weltcup.
Gustafsson: Ja, minus 27 Grad in Chanty-Mansijsk sind angenehm ... Aber natürlich freue ich mich, es wird spannend.

Frage: Was erhoffen Sie sich in Sibirien?
Gustafsson: Bereits die erste Runde wird für einen Spieler mit meiner Elo-Zahl schwer. Da erhalte ich einen Kontrahenten mit ungefähr meiner Stärke. In der zweiten Runde bekam ich das letzte Mal Lewon Aronjan zugelost. Deshalb gedenke ich mich gut auf die erste Runde vorzubereiten und sehe danach, wie's kommt. Mehr darf ich realistischerweise nicht erwarten.

Frage: Im Vorjahr befand ein Journalist, ihr Spielverständnis gepaart mit dem Selbstbewusstsein von Arkadij Naiditsch ergäbe den deutschen Weltklassespieler.
Gustafsson: Damit tut man seinem Spielverständnis unrecht. Er hat zuletzt sehr viel gespielt und befindet sich dadurch auf einem ganz anderen Level als ich - ungeachtet meines grandiosen Spielverständnisses ... (grinst) Grundsätzlich stimme ich zu, dass es im Schach hilft, ein gesundes Selbstbewusstsein zu besitzen. Es ist besser, sich etwas zu überschätzen, anstatt wie ich pessimistisch veranlagt zu sein. Das dürfte ebenso für das normale Leben gelten. Selbstvertrauen und Selbstüberschätzung bringen einen eher weiter, als dass es einen zurückhält. Was will ich machen? Ich bin eben der nicht so Optimistische oder Realistische, wie wir Pessimisten sagen. Ich weiß nicht, ob ich deswegen beim Weltcup gegen Aronjan verlor ...

Frage: Charakterlich stark haben Sie sich in meinen Augen im Vorjahr in Dresden gezeigt. Als die jüngeren Nationalspielerinnen wegen "mangelnder Leistung" öffentlich von Ihren Mitspielerinnen angeklagt wurden, sprangen Sie in die Bresche und verteidigten sie.
Gustafsson: Das war selbstverständlich. Ich finde es auch heute noch unter aller Sau, wenn sich die drei erfahrenen Spielerinnen, die alle nicht toll gespielt haben, hinstehen und verkünden: "Hier die beiden Neulinge waren schuld und haben uns reingerissen." Das war lächerlich.

Frage: Pardon, ich weiß, Sie mögen neben den beiden F-Worten ein anderes Thema ebenso wenig: Sie haben ein Poker-Buch geschrieben. Fesselt Sie Poker noch immer beziehungsweise erzielen Sie einen erklecklichen Teil Ihres Einkommens durch das Kartenspiel?
Gustafsson: Zu meinem Einkommen möchte ich nichts sagen. Im vergangenen Jahr spielte ich sehr, sehr wenig Poker. Jetzt die letzten sechs Wochen, als ich frei hatte, spielte ich davon ein, zwei Wochen. Poker-Bücher laufen vielleicht ein bisschen besser als Schachbücher, letztlich bleibt beides reine Liebhaberei. Ich saß so lange an dem Werk - und im Vergleich dazu, was man daran verdient ... Ich war froh, mal ein Buch geschrieben zu haben. Das war ein neuer Schritt.

Frage: Helfen Fertigkeiten des Schachspielers beim Poker? Es gibt ja einige Großmeister und Großmeisterinnen, die sich mittlerweile in beiden Metiers verdingen. Almira Skriptschenko soll erfolgreich sein, wurde in Schachkreisen verbreitet.
Gustafsson: Von Almiras Erfolgen habe ich noch gar nichts gehört. Prinzipiell stimmt es, dass sich viele Schachspieler verdingen. Ich weiß nicht, ob die Fähigkeiten helfen - es entspricht jedoch dem Lebensstil von uns faulen Schachspielern: Wenn man gerne zu Hause sitzt, gerne spielt und gerne spät aufsteht, erweist sich Poker als naheliegende, verlockende Möglichkeit. Ob Schachspieler das besonders können? Es ist kein sonderlich kompliziertes Spiel. Sofern man sich selbst gut einschätzen kann und Poker ein bisschen gelernt hat, braucht man kein Schachspieler zu sein, um beim Poker ein paar Cent zu verdienen.

Frage: Profitiert ein Schachspieler von Fertigkeiten des Pokerspielers, etwa durch ein Pokerface oder das Bluffen?
Gustafsson: Schwierig zu beurteilen. Im Internet benötigt man kein Pokerface, und Bluffen bringt im Schach nichts, weil beide Seiten sehen, was auf dem Brett los ist. Hier wie dort gilt: Man muss den Kopf einschalten und zum Rechnen bringen.

Frage: Wie zeigt sich die Feigheit bei Ihnen im normalen Leben?
Gustafsson: Ich gehe wenige Risiken ein, auch im Leben. Ich gehe ungern auf Menschen zu und habe komischerweise manchmal Angst vor Zurückweisung. Ich bin schüchtern, was ich für keine gute Eigenschaft halte. Aber sonst geht es mir gut im Leben, alles hat seine zwei Seiten.

Frage: Mit dem Hasardeur-Mut eines Wesselin Topalow oder Alexej Schirow am Brett wären Sie einer der Größten auf den 64 Feldern und mit den Karten?
Gustafsson: Das ist ein Vorurteil. Topalow und Schirow spielen so, wie sie es am besten können. Sie lieben dynamische Stellungen. Man kann aber auch mit einem anderen Charakter, etwa wie Leko oder Kramnik mit Abstrichen, erfolgreich im Schach sein. Ein Hasardeur muss ebenfalls ein möglichst kompletter Spieler sein. Jede Art von Mensch kann meines Erachtens im Schach erfolgreich sein, solange man ernsthaft arbeitet, sich konzentriert und seine Stärken nutzt.

Jan Gustafsson
Jan Gustafsson, Baden-Baden 2009


Meko 2009
Meko-Übersicht
Startseite