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"Carlsen vom Schach" lässt der Hype kalt

19-jähriger Norweger jüngster Weltranglistenerster aller Zeiten

Von FM Hartmut Metz, 20. Dezember 2009

 

In den beiden letzten Partien flatterten bei Magnus Carlsen doch die Nerven. Der sonst so stoische 19-Jährige musste bei den Chess Classic London bange Momente gegen zwei Engländer überstehen, die ihn sonst kaum in die Bredouille bringen. Doch am Schluss entwischte der Norweger sowohl gegen Michael Adams wie Schlusslicht Nigel Short ins Remis. Damit stand 16 Tage nach seinem Geburtstag ein weiterer Fabelrekord fest: Mit dem Turniersieg vor Ex-Weltmeister Wladimir Kramnik (Russland) übernimmt "Carlsen vom Schach" in der nächsten Weltrangliste am 1. Januar als jüngster Spieler aller Zeiten die Spitze.

Der Hype darum lässt den Skandinavier kalt. "Es gibt noch genügend Rekorde zu brechen. Ich konzentriere mich darauf, Weltmeister zu werden", verkündete der Baden-Badener Bundesligaspieler schon vor Wochen in einer heimischen Talkshow. Zu der war Carlsen eingeladen worden, weil er im November als erst fünfter und jüngster Denkstratege die magische Grenze von 2800 Elo-Weltranglistenpunkten geknackt hatte. Mit fünf Jahren brachte ihm sein Vater Henrik in Lommedalen (bei Oslo) die ersten Figurenschritte bei, erst mit neun interessierte sich Magnus mehr dafür und wurde mit 13 Jahren und fast vier Monaten Großmeister - ausnahmsweise keine Bestleistung, weil der gleichaltrige Sergej Karjakin knapp neun Monate früher den "schwarzen Gürtel" des königlichen Spiels errungen hatte. Seitdem überflügelte Carlsen aber das andere Wunderkind, das aus der Ukraine stammt. Dass er nun mit 2810 Elo knapp vor dem Bulgaren Wesselin Topalow (2805), dem indischen Weltmeister Viswanathan Anand (2790) und dem wiedererstarkten Kramnik (2787) liegt, interessiert Carlsen nur am Rande. Genauso, dass die US-Legende Bobby Fischer als letzter Spieler aus dem Westen 1972 in Führung lag. "Ich will mich über die Weltrangliste direkt für das nächste WM-Kandidatenturnier qualifizieren", sieht der Norweger nur einen wesentlichen Vorzug seiner neuen Position.

Zum Liebling der Fans avancierte der frühere Skispringer 2004 in Reykjavik. Auf Island brachte der kleine Bube die Ikone Garri Kasparow im Schnellschach (Partien mit verkürzter Bedenkzeit) ins Wanken. Der Russe rettete sich mit Mühe in ein Remis. Fortan galt der Knabe als "Mozart des Schachs". Der steile Aufstieg begann. Die absolute Weltspitze führt Carlsen jedoch erst seit einem Vierteljahr vor. Der Grund ist der 2005 zurückgetretene Kasparow, der zwei Jahrzehnte lang ununterbrochen die Weltrangliste angeführt hatte und sich seitdem vergeblich als Politiker in Russland zu profilieren sucht. "Der König trainiert seinen Kronprinzen. Das ist das Traumgespann", jauchzte Carlsens Manager Espen Agdestein, als bekannt wurde, dass der 46-jährige Ex-Weltmeister seit August mit dem Norweger regelmäßig zusammenarbeitet.

Carlsen erkennt viele Vorzüge durch das kostspielige Engagement: "Jetzt fürchten meine Gegner nicht nur mich, sondern auch ihn." Vor allem die legendäre Eröffnungs-Datenbank Kasparows versetzt die Rivalen in Angst und Schrecken. "Er hat viel mehr Ideen im Computer gespeichert als ich", räumt Carlsen ein und spielt plötzlich frühere Spezialvarianten des "Ungeheuers von Baku". "Meine Gegner stehen bereits vor Partiebeginn unter Druck - so überlegen habe ich mich vorher nie gefühlt", betont Carlsen. Seinem positionelles Spiel bleibt der Norweger zwar treu, trotzdem hat ihn der aggressive Angriffsstils seines Coachs positiv beeinflusst. Eröffnungs-Guru Kasparow traut seinem Schützling bei "unermüdlichem Arbeitswillen einen Platz in der Schach-Geschichte zu".

Den hat sich Carlsen schon gesichert. Die ersten Früchte der Zusammenarbeit erntete der Defensiv-Kicker des FC Lommedalen in Nanjing. Beim Grand-Slam-Finale in China deklassierte der noch 18-Jährige den Weltranglistenersten Topalow um sensationelle 2,5 Punkte. In Moskau belegte der Jungstar trotz einer Grippe den zweiten Platz knapp hinter Kramnik. Nach seiner Genesung entschädigte sich Carlsen dort mit dem souveränen Sieg bei der anschließenden Blitz-WM vor Anand, der bisher als herausragend in den Partien mit fünf Minuten Bedenkzeit galt. In London schlug Carlsen gleich zum Auftakt Kramnik und übernahm durch zwei weitere Siege und vier Remis Platz eins in der Weltrangliste. Bisher schien in dieser Kasparows Bestmarke von 2851 Elo unantastbar. Carlsen zeigt allerdings auch vor diesem Rekord wenig Scheu. "2900 sind möglich", sagt der Schach-Mozart und nimmt Anlauf in eine neue Dimension.


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