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Geistreiche Falle

Schach-Weltmeister Anand baut dank tiefsinniger zehnzügiger Kombination Führung auf 3,5:1,5 aus

Von FM Hartmut Metz, 21. Oktober 2008

 

Bei der Schach-WM in Bonn zeichnen sich unerwartet klare Verhältnisse ab: Weltmeister Viswanathan Anand triumphierte zum zweiten Mal trotz des Nachteils mit den schwarzen Steinen und führt gegen Wladimir Kramnik mit 3,5:1,5. In der fünften Partie bewies der 38-Jährige einmal mehr seine herausragenden taktischen Fähigkeiten. Mit einer kaum zu erahnenden zehnzügigen Abwicklung trickste Anand den lieber positionell agierenden Russen aus und schloss die geniale Kombination mit einem Springeropfer ab.

Obwohl dem Inder damit nur noch drei Punkte zur Titelverteidigung fehlen und er in den sieben verbleibenden Partien viermal Weiß hat, hakte der Russe die Rückkehr auf den WM-Thron jedoch nicht ab: "Ich kann mir eine bessere Situation vorstellen. Aber meine Lage ist noch nicht völlig hoffnungslos", erklärte Kramnik trotz der zweiten Schlappe in Folge mit den weißen Steinen - eine Pleite, die dem Weltmeister von 2000 bis 2007 selten in seiner Karriere und gegen Anand noch nie unterlief.

Der "Tiger von Madras" hatte den in Zweikämpfen erfahrenen Herausforderer selbst als "leichten Favoriten" bezeichnet. Doch erneut zeigte sich in der Bundeskunsthalle, dass der Spitzenspieler der OSG Baden-Baden in dem mit für beide Großmeister mit 600.000 Euro dotierten Match besser vorbereitet ist. Bis zum 15. Zug wiederholte Kramnik die Variante aus der dritten Partie, die Anand spektakulär gewonnen hatte. Dann wich Anand als Erster ab und ergriff so in einer scharfen Stellung einmal mehr die Initiative. Die Entgegnung von Weiß hatte der 38-Jährige offensichtlich auch auf der Rechnung. Wieder verbrauchte Kramnik sehr viel Bedenkzeit, während sein Kontrahent die ihm schon bekannten Züge herunterspulte.

Als die Uhr des 33-Jährigen weniger als eine Viertel- der zwei Stunden für 40 Züge anzeigte, holte Anand zum entscheidenden Schlag aus. Im 28. Zug stellte er eine geistreiche Falle, in die Weiß in Zeitnot tappte: Kramnik opferte einen Springer im festen Glauben, diesen nach je sieben weißen und schwarzen Zügen zurückzugewinnen. Dem war auch so. Optisch schien alles bestens: Weiß besaß zwei verbundene Mehrbauern, die unter normalen Umständen den Sieg verbürgen.

Aber Anand hatte noch drei Züge weiter gerechnet! Der Champion entkorkte ein teuflisches Springeropfer. Kramnik musste es annehmen, wollte er nicht seinen Läufer einbüßen. Anschließend wurde ein schwarzer Bauer auf e3 so mächtig und konnte ungehindert zur Damenumwandlung vormarschieren. Der verbliebene weiße Turm konnte seinem König nicht mehr zu Hilfe eilen, weil ihn Anand in das schwarze Hinterland gelockt hatte. Von dort brauchte die Schwerfigur zu lange für eine Rückkehr und die Rettung. Erst im 35. Zug ging den rund 500 Zuschauern im Forum der Bundeskunsthalle und auch Kramnik die Tiefsinnigkeit der Kombination auf. Nach kurzem Nachdenken reckte der Russe daher die Hand zum Zeichen der Kapitulation über das Brett.


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