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Russland und China verschwinden im Reich der Kordeln

Rekordsieger fehlt ein Einpeitscher bei der Schach-Olympiade in Dresden / Deutsche Männer fallen zurück

von FM Hartmut Metz, 28. November 2008

 

Die Schach-Olympiade in Dresden beeindruckt Anatoli Karpow - doch die Legende bezieht dies mehr auf das Zuschauerinteresse als die Leistungen seiner Nachfolger im russischen Team. "Hier im Kongresszentrum sah ich - vielleicht die Olympiade 1994 in Moskau ausgenommen - mehr Zuschauer denn je", glaubt der Großmeister vom Ural, der 17 Jahre lang den WM-Titel trug. Vor der morgigen elften Runde drängelten sich insgesamt mehr als 15.000 zahlende Zuschauer an die rund 500 Bretter.

Dass dabei auch Ex-Weltmeister Wladimir Kramnik den Atem der Schachfans im Nacken spürt und nicht mehr weit entfernt von ihnen auf der Bühne sitzt, verschuldete der Topfavorit selbst. Das mit dem stärksten Team aller Zeiten angetretene Russland patzte nach dem 1,5:2,5 gegen Titelverteidiger Armenien am Samstag auch noch gegen die Ukraine. Ausgerechnet der nur an Brett vier aufgebotene Weltranglistenzweite Alexander Morosewitsch unterlag Zahar Jefimenko, die anderen drei Partien endeten friedlich. Trotz des anschließenden 3,5:0,5-Kantersiegs über Slowenien verschwinden die Russen mit 15:5 Punkten im Pulk der 146 Männer-Nationalmannschaften, die nur durch weiße Kordeln von den Schaulustigen getrennt sind.

Derlei Los bleibt Deutschland als Gastgeber erspart. Die Frauen um die Dresdner Bundesligaspielerin Elisabeth Pähtz spielten bisher schwach auf der Bühne und bekamen nach dem 2:2 gegen Nobody Luxemburg mit den Philippinen einen Aufbaugegner. Durch das 3:1 verbesserte sich das Quartett zwar auf 12:8 Punkte; eine Medaille liegt aber in weiter Ferne. Viel eher verdienen sich die Herren das Rampenlicht auf der Bühne: Seit dem 1,5:2,5 gegen Israel in der achten Runde wirken die Schützlinge von Uwe Bönsch jedoch ausgepumpt. Auf das 2:2 gegen Polen am Samstag folgte gestern Abend die zweite 1,5:2,5-Niederlage gegen die USA. Yuri Shulman nahm David Baramidze (Hamburger SK) als Erster einen ganzen Zähler ab, außerdem schlug Hikaru Nakamura am zweiten Brett Igor Khenkin (TV Tegernsee). Spitzenspieler Arkadij Naiditsch (OSG Baden-Baden) trennte sich von Ex-Vizeweltmeister Gata Kamsky remis. Der Mülheimer Daniel Fridman verkürzte gegen Alexander Onischuk. Bei jetzt 13:7 Punkten wird es morgen schwer, in der letzten Runde den angepeilten Platz in den Top Ten noch zu erreichen.

Dass Israel ein besonderes Kaliber ist, bewies der deutsche Bezwinger gegen Armenien. Der bis Samstag ungeschlagene Titelverteidiger mit dem Berliner Lewon Aronjan an der Spitze fiel jedoch nur kurzzeitig durch das 1,5:2,5 hinter die Israelis. Da diese anschließend dem Mitfavoriten Ukraine 1,5:2,5 unterlagen, zogen Letztere mit Armenien - zeitgleich 3:1-Sieger über Serbien - an die Tabellenspitze (beide 17:3 Punkte).

"Den Russen fehlt ein Einpeitscher, so wie ich und Garri Kasparow es früher waren", meint Karpow. Kramnik sei trotz seiner Klasse keiner, der seine Kameraden mitreiße oder gar bestimme, wer beim 24fachen Rekordsieger aufgestellt wird. Boris Spasski, der 1972 im legendärsten WM-Kampf der Schach-Geschichte von Bobby Fischer entthront wurde, assistiert: "Die sind kein Team", urteilte der Wahl-Franzose, der wie Karpow in Dresden als Olympiade-Botschafter fungiert.

Die zehnte Runde erwies sich selbst für den vermeintlichen absoluten Favoriten bei den Damen als vermaledeit: Die favorisierten Chinesinnen verlängerten gegen Georgien ihre Durststrecke auf 2:6 Punkte. Plötzlich führt Polen (17:3) vor Titelverteidiger Ukraine, Serbien und Georgien (16:4) - und das von der Bühne gestürzte China (14:6) verschwindet im Reich der Kordeln.


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