Houston hat wieder ein Problem - der berühmte Satz aus der gescheiterten Apollo-13-Mission anno 1970 ist allerdings diesmal nicht lebensbedrohlich. Auf der Internationalen Space Station (ISS), die mit rund acht Kilometern pro Sekunde um die Erde rast, äußert sich das eher so, dass ein US-Astronaut verzweifelt eine Schachfigur sucht. "Einer meiner Türme verschwand für 24 Stunden spurlos", erzählte Gregory Chamitoff und atmete auf, als er das vermisste Plastikteil "in einem der Luftfilter im US-Labor fand".
Der Turmverlust war für Chamitoff kurzfristig ein herber Rückschlag. Mehr Grund zur Klage haben aber die sechs Bodenstationen, die an den Experimenten der "Expedition 17" beteiligt sind. In einer ersten Partie führte sie Chamitoff regelrecht vor. Dabei benötigte er nicht einmal die Hilfe der zwei Kosmonmauten aus der Schachnation Nummer eins, Russland. Während Oleg Kononenko und Sergej Wolkow, der der erste Sohn eines Kosmonauten ist, der seinem Vater ins All folgte, nur gelegentliche Blicke aufs Schachbrett in der ISS warfen, mussten sich die sechs Bodenstationen abwechseln.
"Greg hat damit sein Ziel erreicht, indem er uns klarmachte, dass wir ihn nur schlagen können, wenn wir als Team zusammenarbeiten", befand Heather Rarick, die verantwortliche Flugdirektorin der "Expedition 17". Die zweite Lektion erteilte Chamitoff seinen Kollegen in nur 30 Zügen. Dann streckten NASA&Co. in aussichtsloser Lage die Waffen. Mittlerweile hat die Revanche als Simultan begonnen: Damit der Vorteil für den Astronauten geringer ausfällt, müssen die sechs Bodenstationen nun nicht mehr abwechselnd ziehen. Chamitoff spielt daher gegen jede eine Partie, wobei er sich meist einen Tag Zeit lässt für einen Zug.
Der 46-Jährige, der am 6. August seinen Geburtstag auf der Internationalen Raumstation feierte, befindet sich seit 31. Mai auf seiner Mission. Ein halbes Jahr bis zum November kreist er mit den beiden Russen im Orbit, um zahlreiche Experimente in der Schwerelosigkeit durchzuführen. Wegen dieser musste sich der Schachamateur, dessen Vater die Leidenschaft von Kindesbeinen an gefördert hatte, schon frühzeitig etwas einfallen lassen - schließlich sollten nicht alle 32 Figürchen als Geschosse durch die ISS fliegen. "Seit Expedition 6 habe ich mir Gedanken darüber gemacht", berichtete Chamitoff dem Magazin "Florida Chess", für das Redakteur Harvey Lerman ein Interview per E-Mail führte.
Sein auserkorenes Magnetschach durfte der Astronaut aber nicht mit auf die ISS nehmen. Sicherheitsexperten der NASA befürchteten technische Probleme an Bord durch die Magnete. Die Lösung lautete danach: Klettverschlüsse der Marke Velcro. Unter neu erworbene Plastikfiguren brachte Chamitoff "zu später Stunde an einem Wochenende" auf der ISS die mühsam zurechtgeschnittenen Klettverschlüsse an. "Die hohlen Plastikfiguren waren auch leichter", erzählte er von einem Gewichtsvorteil, weil jedes Crewmitglied nur wenige persönliche Dinge mitnehmen darf.
Auf der Erde ist die Frage derzeit offen, ob Weltmeister Viswanathan Anand, sein Herausforderer Wladimir Kramnik, der 17-jährige Magnus Carlsen oder gar ein anderer am stärksten spielt - im Universum ist die Lage dagegen eindeutig. "Ich halte Ausschau nach Außerirdischen, die Schach spielen", berichtete Chamitoff mit einem Augenzwinkern. Bis er fündig wird, trägt aber nur einer den Titel als Weltallmeister!
Nachstehend die erste Partie, in der Chamitoff mit einer gewissen Unbeschwertheit die NASA&Co. in die Knie zwang.
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ISS Crew - NASA [D00]
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