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Der Hecht in Sofias Karpfen-Aquarium

"Ein Fisch namens Iwantschuk" setzt alle matt: Fantastische Vorrunden-Serie

von FM Hartmut Metz, 8. Juni 2008

 

Wassili Iwantschuk sorgt zuweilen für unfreiwillige Komik, die an Qualitäten des Kultfilms "Ein Fisch namens Wanda" heranreicht. Beim Weltklasse-Schachturnier in Sofia hat der Großmeister aus Lemberg aber wohl mehr an einen Hecht im Karpfenteich erinnert! Im hermetisch abgeschirmten Glaskasten, der wie ein Aquarium wirkte, gebärdete sich der Ukrainer in der Vorrunde wie ein Raubfisch. Iwantschuk gewann ungeachtet der dicken Fische auf der anderen Brettseite alle fünf Partien!

Die sensationelle Leistung rief unweigerlich die einzigartige Serie von Bobby Fischer ins Gedächtnis. Die Anfang des Jahres verstorbene US-Legende hatte beim Sturm auf den WM-Titel 1972 einst 19 Partien in Folge gewonnen. Derlei ist heute nicht mehr möglich. In der Rückrunde bremsten die Kontrahenten Iwantschuk zumindest ein bisschen aus. Am Turniersieg konnte selbst Ex-Weltmeister Wesselin Topalow freilich nichts mehr ändern. Nach vier Unentschieden schlug Iwantschuk zum Abschluss den Bulgaren Iwan Tscheparinow und triumphierte beim 4. M-Tel Masters mit grandiosen 8:2 Punkten - diese bedeuteten mit einer Elo-Performance von 2977 eine der besten Turnierleistungen aller Zeiten. Damit rückt der von Weltranglistenplatz zwei auf elf abgestürzte 39-Jährige wieder näher an die Spitze heran

Vorjahressieger Topalow überzeugte ebenfalls, aber die 6,5:3,5 Zähler waren diesmal zu wenig. Platz drei ging an den Aserbaidschaner Teimour Radjabow (5,5:4,5) vor Tscheparinow (4:6), dem Chinesen Bu Xiangzhi und dem enttäuschenden armenischen Mitfavoriten Lewon Aronjan (je 3:7).

Der rasch mit dem Spitznamen "Aquarium" versehene Glaskasten hatte in Sofia ernsten Hintergrund. Zum einen störten die Geräusche des Publikums die Hauptakteure nicht mehr. Zum anderen sollte aber auch jeder Zweifel ausgeräumt werden, dass die Teilnehmer elektronische Hilfe erhalten. Ausgerechnet Lokalmatador Topalow war im Vorjahr in den Ruch geraten, Zeichen von seinem Manager Silvio Danailow zu bekommen. Sie sollten signalisieren, welche Züge ein Schachprogramm empfiehlt. Um derlei Vorwürfe zu torpedieren, verdunkelte Danailow als Organisator den Saal rund um das "Aquarium".

In der dritten Runde schenkte Bu Xiangzhi die Partie regelrecht ab. Nach acht Zügen stand Iwantschuk bereits auf Gewinn.











Iwantschuk (2740) - Bu (2708) [A11]
4. M-Tel Masters Sofia BUL, 10.05.2008

1.Sf3 Sf6 2.c4 c6 3.Sc3 d5 4.e3 a6 5.Dc2 b5 6.b3 Lg4 7.Se5 Lh5? Der Zug sieht normal aus in der Slawischen Verteidigung - hat aber in dieser Stellung einen Haken! In der aktuellen Megabase der Hamburger Softwarefirma Chessbase, die mehrere Millionen Partien enthält, wird dieser Zug sogar als Fehler gegeißelt. Der französische Großmeister Eric Prie erwähnte den schlechten Läuferzug bei der Analyse seiner Begegnung 2007 gegen Dimitri Komarow. Doch offenbar kennen auch Topspieler nicht alle Stellen "ihrer" elektronischen Bibel! [ Die erwähnte Partie verlief wie folgt: 7...Le6 8.Lb2 Dc7 9.cxd5 cxd5 10.Tc1 Sbd7 11.Lxb5 axb5 12.Sxb5 Dxc2 13.Txc2 Sxe5 14.Sc7+ Kd8 15.Sxa8 Sd3+ 16.Ke2 Sxb2 17.Txb2 Lc8 18.b4 Lb7 19.Sb6 e5 20.a4 Sd7 21.Sxd7 Kxd7 22.a5 d4 23.Ta1 Lxg2 24.f3 e4 25.fxe4 Lxe4 26.d3 Lg6 27.a6 Le7 28.a7 Ta8 29.exd4 Kc7 30.Tc2+ Kb6 31.d5 Ld8 32.d6 Lf5 33.Tc5 Lg4+ 34.Kd2 Ld7 35.Tf1 f5 36.Tg1 g6 37.h4 Txa7 38.h5 g5 39.Ke3 Kb7 40.Kd4 h6 41.Ke5 Ta2 42.Te1 f4 43.Ke4 Lc6+ 44.Kf5 f3 45.Tec1 Ld7+ 46.Kg6 f2 47.Kxh6 g4 48.Kg7 g3 0:1. Komarow,D (2540)-Prie,E (2516), Frankreich 2007.] 8.cxb5 cxb5?! Diagramm. [ In der Partie Agamaljew-Khaghani (Teheran 2005) schwante Schwarz mittlerweile Böses, weshalb er 8...Dc7 versuchte, aber nach 9.Sxc6 Sxc6 10.bxc6 Dxc6 11.b4 e5 12.b5 De6 13.bxa6 Ld6 14.Da4+ Sd7 15.Lb5+- auch auf verlorenem Posten stand. Der starke Chinese Bu tappt jedoch nichts ahnend in die Falle.] 9.Lxb5+! axb5 [ Nach 9...Sbd7 10.Sxd5! Tc8 ( 10...Sxd5? 11.Lxd7+ ) 11.Sxf6+ exf6 12.Dxc8 Dxc8 13.Lxd7+ Dxd7 14.Sxd7 Kxd7 kann Schwarz mit Minusqualität und -bauer getrost aufgeben.] 10.Sxb5+- Nun ist gegen das fatale Springerschach auf c7 nichts Gutes mehr zu erfinden. Bu hätte die Waffen strecken können - aber sicher wollte der mit 13 Jahren einst jüngste Großmeister aller Zeiten nicht auch mit der kürzesten Verlustpartie bei Weltklasseturnieren in die Annalen eingehen. Also schleppte er die peinliche Darbietung lieber noch eine Weile hin. 10...e6 [ 10...Sa6 pariert zwar die Hauptdrohung auf c7, gibt jedoch das Feld c6 preis: 11.Dc6+ Sd7 12.Sxd7 Dxd7 ( 12...Tc8 gestattet ein Matt durch 13.Sf6# ) 13.Dxa8+ Dd8 14.Dxa6 ] 11.Sc7+ Ke7 12.Sxa8 Sfd7 13.La3+ Kf6 Trotz des Beschwichtigungsopfers bleibt der schwarze König unter Beschuss. 14.Lb2 Sxe5 15.f4 Sbd7 16.Sc7 Lg6 17.Lxe5+ Sxe5 18.fxe5+ Kxe5 19.Dc3+ Kf5 20.0-0+ [ 20.e4+ ist noch präziser. 20...dxe4 21.0-0+ Kg5 22.De3+ Kh5 23.g4+ Kxg4 24.Tf4+ Kg5 25.Taf1 und Weiß setzt in spätestens fünf Zügen matt.] 20...Kg5 21.a4 Kh6 22.Tf3 Lf5 23.Taf1 Ld6 24.Sb5 Lb8 25.Sd4 Le4 26.Th3+ Kg6 27.d3 Lf5 28.Thf3 Le5 29.De1 Lxd4 30.Tg3+ Kh6 31.exd4 g6 32.Tgf3 und Bu stellte die Strafaktion gegen sich selbst endlich ein. 1-0



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