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Das "Match des Jahrhunderts"
Bobby Fischer, Teil VI: Die Schach-WM von 1972 als Stellvertreterkrieg zwischen West und Ost / Henry Kissinger ruft in Nixons Auftrag an
von FM Hartmut Metz, 1. März 2008
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Bobby Fischer hat 1972 nur noch ein Schritt zur Erfüllung seines Traums gefehlt: Schach-Weltmeister (Fortsetzung des fünften Teils der Vorwoche )! Doch selbst dafür gab die Legende, die im Januar mit 64 Jahren in Island starb, ihre Prinzipien nicht auf. Bereits im Vorfeld der WM gegen Boris Spasski beharrte der Amerikaner auf zahllose Forderungen. Sollte ursprünglich der Wettkampf über maximal 24 Partien zwischen Belgrad und Reykjavik aufgeteilt werden, resignierten irgendwann die zermürbten Jugoslawien - obwohl Fischer dort vergöttert wurde.
Und als am 2. Juli 1972 der erste Zug ausgeführt werden sollte, waren die Verhandlungen wieder einmal an einem toten Punkt angekommen. Der Weltranglistenerste saß in New York und verlangte eine höhere Gage. Die damals astronomischen 125000 Dollar waren ihm nicht genug. Zudem wollte Fischer prozentuale Beteiligungen an den Eintritts- und Fernsehgeldern. Die WM wäre wohl geplatzt, wäre der britische Bankier James Slater nicht so begierig gewesen, das "Match des Jahrhunderts" zu sehen. Aus seiner Privatschatulle steuerte er 50000 Pfund bei und verdoppelte so den Preisfonds. Fischer landete tags darauf am 4. Juli in Reykjavik.
War damit das Duell gesichert? Noch lange nicht. Am 11. Juli wurde aber endlich der erste Zug ausgeführt. Der Amerikaner machte einen für ihn unglaublichen Schnitzer, weil er "unbedingt gewinnen wollte", fraß mit dem Läufer einen vergifteten Bauern, wonach die Figur eingekesselt und von Spasski erobert wurde. Fischer gab den zu laut surrenden Fernsehkameras die Schuld und forderte, dass diese ausgebaut werden. Beim zweiten Duell musste der Bamberger Schiedsrichter Lothar Schmid, Großmeister und Karl-May-Verleger, die Uhr anstellen, als Fischer nicht auftauchte. Sein sowjetischer Kontrahent wartete eine Stunde und ging danach kampflos mit 2:0 in Führung! "Es ist jammerschade", murmelte Spasski danach betrübt.
"Der Nervenkrieg von Reykjavik" ging weiter. Der spätere US-Außenminister Henry Kissinger soll Fischer angerufen haben, um im Auftrag von Präsident Richard Nixon die nationale Wichtigkeit des Wettkampfs gegen die Sowjets zu betonen. Der Amerikaner buchte dennoch für jeden Flieger, der Island am 16. Juli verließ, ein Ticket. Er wolle nur antreten, wenn in einem separaten Raum ohne Kameras gespielt werde - die Russen stimmten zu, einen Tischtennisraum in der Halle auszuräumen und die beiden Großmeister dort ans Brett zu setzen. Der Herausforderer riss sich nun zusammen und hatte nach 41 Zügen eine Gewinnstellung erreicht! Die sowjetische Sekundanten-Armada konnte in der Hängepartie keine Rettung mehr gegen den Einzelkämpfer aus Pasadena finden. Spasski gab ohne Fortsetzung auf. Das war der Anfang vom Ende des Titelverteidigers!
Fischer gewann bis zur elften Begegnungen vier weitere Duelle und remisierte drei. So führte er 6,5:3,5. Spasski konnte anschließend verkürzen. Kurz darauf kam Runde 13, die zweifellos zu den spektakulärsten der WM-Geschichte zählt. Mit fünf Bauern für einen Turm spielte Fischer gewohnt bedingungslos auf Sieg - nach langer Verteidigung patzte Spasski und unterlag vorentscheidend.
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Spasski (2660) - Fischer (2785) WM Reykjavik (Island), 10.08.1972
1.e4
Sf6
Bobby Fischer stellte von Sizilianisch auf Aljechin-Verteidigung um, nachdem er in der elften Runde mit seiner geliebten Bauernraub-Variante Schiffbruch erlitten hatte.
2.e5
Sd5
3.d4
d6
4.Sf3
g6
5.Lc4
Sb6
6.Lb3
Lg7
7.Sbd2?!
Ein ungewöhnlicher Zug. [ 7.a4
; 7.De2
und; 7.0-0
sind gängigere Fortsetzungen.]
7...0-0
8.h3
a5!
9.a4?!
[ 9.c3
kommt in Betracht, damit der a-Bauer nicht so schwach wird wie im Partieverlauf.]
9...dxe5
10.dxe5
Sa6
11.0-0
Sc5
12.De2
De8
Nimmt den a-Bauern bereits ins Visier.
13.Se4
Sbxa4
14.Lxa4
Sxa4
15.Te1
[ Der Bauernrückgewinn 15.Dc4
verspricht Schwarz eine komfortable bessere Stellung dank des Läuferpaars: 15...b5
16.Dxc7
Lf5
17.Sg3
Tc8
18.Dxa5
Lxc2-/+
]
15...Sb6
16.Ld2
a4
17.Lg5
h6
18.Lh4
Lf5
Eine Alternative ist [ 18...Ld7
mit der Idee Lb5 und Sc4.]
19.g4
[ 19.Sd4!
Lxe4
( 19...Lxe5
ist zu riskant. 20.Sxf5
gxf5
21.Sg3
Lxb2
22.Ta2
a3
23.Sxf5
mit weißen Angriffschancen.) 20.Dxe4N
empfahl Ex-Weltmeister Wassili Smyslow. Weiß dürfte dann Ausgleich haben.]
19...Le6
20.Sd4
Lc4
21.Dd2
Dd7
22.Tad1
Tfe8?
[ 22...Lxe5!
23.Dxh6
Lg7
empfiehlt Garri Kasparow in dem Buch über seinen Vorgänger auf dem WM-Thron.]
23.f4
Ld5
24.Sc5
Dc8
25.Dc3?
Unterbindet den Vorstoß nach a3. Ein famoser Zug ist das von Smyslow analysierte [ 25.e6!!
Sc4
26.De2
Sxb2
mit der Pointe 27.Sf5!~~
. Danach ist bei 27...Sxd1
28.Sxg7
Kxg7
29.De5+
f6
( 29...Kh7
30.Dxd5
Td8
31.Df3
a3
32.Lxe7
a2
33.Sb3
Te8
34.exf7
Txe7
35.Txe7
Df8
36.Txc7
a1D
37.Sxa1
Txa1
38.Kg2+-
) 30.Dxd5
Sb2
31.g5!
fxg5
( 31...Dd8
32.Sd7
) 32.fxg5
Kh7
33.gxh6
Tg8
( 33...Ta5
34.Dd4+-
) 34.Lxe7
eine zweischneidige Stellung entstanden, die Weiß den Sieg verheißt! 34...c6
35.Df3
De8
36.Df7+
Dxf7
37.exf7
Tgc8
38.Se6+-
]
25...e6
26.Kh2
Sd7?!
[ Kasparow hält 26...Lf8
für angezeigt.]
27.Sd3?
[ 27.Sxd7!
Dxd7
28.Dd3
b6
29.Sxe6!
fxe6
30.c4
führt laut Kasparow zu unklarem Spiel.]
27...c5
28.Sb5
Dc6
29.Sd6
Dxd6!-+
30.exd6
Lxc3
31.bxc3
f6
32.g5!
Der Anziehende will die schwarzen Felder im feindlichen Lager beherrschen und muss daher die Bauernfront knacken.
32...hxg5?!
[ 32...c4
33.Sb4
hxg5
34.fxg5
f5
empfahl Smyslow mit gewinnverheißender Stellung für Schwarz dank des Trumpfs auf a4.]
33.fxg5
f5
34.Lg3
Kf7?
[ Wiederum hat Smyslow eine Verstärkung aus dem Hut gezaubert: 34...a3!
35.Se5
Sxe5
36.Lxe5
Ted8
37.Tf1
Ta4!
Verhindert Tf4 nebst Th4. 38.Kg3
a2-/+
und Weiß hat es schwer, das Gleichgewicht zu halten.]
35.Se5+
Sxe5
36.Lxe5
b5
37.Tf1!
Über f4 und h4 will der Turm ins gegnerische Lager eindringen.
37...Th8!!
[ 37...Tf8
ist zu langsam. 38.Tf4
Ke8
39.c4!
bxc4
40.Th4
Tf7
41.Th6
Kd7
42.Txg6
und Weiß bekommt ebenfalls brandgefährliche Bauern.]
38.Lf6
Lehnt das Qualitätsopfer dankend ab. Nach der Annahme pflückt Schwarz erst den d-Bauern und schiebt dann seine Bauernstreitmacht nach vorne. [ 38.Lxh8
Txh8
39.Kg3
Td8
40.Tb1
Lc6
41.Tfd1
e5
42.Td2
Ke6
43.Tbd1
Td7
44.h4
Le4
45.Tb1
f4+
46.Kg4
Txd6
47.Txd6+
Kxd6
48.Txb5
Lxc2
49.Kf3
Kd5
50.Ta5
Kc4
und die schwarzen Bauern machen das Rennen.]
38...a3
39.Tf4
a2
40.c4!
Aktiviert den Läufer auf f6, damit dieser mit das Umwandlungsfeld auf a1 kontrolliert.
40...Lxc4
41.d7
Ld5?
Auch das missfällt Kasparow. [ 41...e5!
42.Lxe5
Thd8!
43.Lf6
Le2!
44.Te1
Txd7
45.Txe2
a1D
46.Lxa1
Txa1-+
ist seiner Analyse nach gewonnen.]
42.Kg3
Der Abgabezug Spasskis, mit dem er Th4 droht.
42...Ta3+
43.c3
[ Vermeidet eine hübsche Falle: 43.Kf2
Taxh3
44.d8D
Txd8
45.Lxd8
e5!
und der Turm ist mitten auf dem Brett gefangen.]
43...Tha8
IM Oliver Reeh schreibt in seinen Anmerkungen zu der Partie: "Fischer spielt bedingungslos auf Gewinn. Schwarz lässt den Zug 44.Th4 zu, wonach er, um ewiges Schach zu verhindern, mit e6-e5 seinen Läufer hergeben muss. Bis zum 54. Zug verläuft das Geschehen nun praktisch forciert." Sicher hat der Amerikaner diese Stellung ausgiebig im eigenen Kämmerchen nach dem Partieabbruch analysiert. [ 43...Tb8?
44.Le5
Td8
45.Th4
Txd7
46.Th7+
Ke8
47.Th8+
Kf7
48.Th7+
Ke8
49.Th8+
mit Dauerschach.; 43...a1D?
versandet ebenso im Dauerschach: 44.Txa1
Txa1
45.Th4!!
Tg1+
( 45...Taa8
46.Lxh8
Td8
47.Lf6=
) 46.Kf2
Tg2+
47.Kf1
Txh4
48.d8D
Tf4+
49.Ke1
Tg1+
50.Kd2
Tf2+
51.Ke3
Tf3+
52.Ke2
Tg2+
53.Ke1=
untersuchte der einstige Fernschach-Weltmeister Cecil Purdy.]
44.Th4
e5!
45.Th7+
Ke6
46.Te7+
Kd6
47.Txe5
Txc3+
48.Kf2
Tc2+
49.Ke1
Kxd7
50.Texd5+
Kc6
51.Td6+
Kb7
52.Td7+
Ka6
53.T7d2
Txd2
54.Kxd2
b4
Die Lage auf dem Brett hat sich merklich verändert. Der schwarze König muss keine Dauerschachs mehr fürchten und unterstützt die für Weiß gefährliche Bauernkette. Spasski sieht nur eine Chance: Er muss selbst rasch seinen einzigen Trumpf, den g-Bauern, mobilisieren.
55.h4
Kb5
56.h5
c4
57.Ta1
[ 57.h6?
c3+
58.Kd3
a1D
59.Txa1
Txa1
60.h7
Td1+
61.Kc2
Th1
62.h8D
Txh8
63.Lxh8
Kc4-+
verliert nach einer Analyse von Svetozar Gligoric. Gleiches gilt für; 57.hxg6?
c3+
58.Lxc3
Td8+
59.Kc2
Txd1
60.Kxd1
bxc3
61.g7
a1D+
]
57...gxh5
58.g6
h4
59.g7
[ 59.Lxh4?
b3
60.Kc3
Tg8-+
und der g-Bauer fällt.]
59...h3
60.Le7
Tg8
61.Lf8
Eine originelle Stellung! Der Läufer und der Bauer neutralisieren den eingekerkerten Turm. Somit misst sich die fünfköpfige schwarze Bauernlawine mit dem weißen Turm - wobei der Läufer auf f8 bei der Verteidigung noch wichtige zusätzliche Dienste leistet. Er verhindert, dass der König über b4 und a3 einmarschiert!
61...h2
62.Kc2
Kc6
63.Td1
Versperrt dem König den Weg hin zum f-Bauern, den er unterstützen will. [ 63.Txa2
b3+
verbietet sich. Hingegen bietet; 63.Th1
Rettungschancen. 63...b3+
64.Kb2
Kd5
65.Txh2
c3+
( 65...Ke4
66.Th3
f4
67.Tc3
) 66.Ka1
f4
67.Th3!
( 67.Th8
f3!
68.Txg8
f2
69.Th8
f1T#
) 67...c2
68.Th1
( 68.La3
Txg7
69.Txb3
Tg3!
70.Tb5+
Kc4
71.Tb4+
Kc5
72.Tb3+
Kc6
) 68...f3
69.Kb2
Kc4
70.Te1
Kd3
71.Kxb3
f2
72.Tc1
Sichert das Remis. 72...a1D
73.Txa1
Ke2
74.Kxc2
f1D
75.Txf1
Kxf1
]
63...b3+
64.Kc3?!
[ 64.Kb2
macht den Turm, der an die Grundreihe gekettet ist, flexibler.]
64...h1D!
Schwarz muss die d-Linie überqueren, um den f-Bauern zu unterstützen. Das geht jedoch nur bei Ablenkung des Turms. Nur zum Remis reicht [ 64...f4
65.Td6+
Kc7
66.Td1
f3
67.Kb2
f2
68.Kc3
, weil der König nicht über die d-Linie kommt.]
65.Txh1
Kd5
66.Kb2
f4
67.Td1+
Ke4
68.Tc1
Kd3
69.Td1+??
[ Wie Fischer und andere nachwiesen, hätte Spasski an dieser Stelle seine Verteidigungsleistung krönen können mit 69.Tc3+!=
Kd4
( 69...Ke2
70.Txc4
f3
71.Tc1
f2
72.Kxb3
f1D
73.Txf1
Kxf1
74.Kxa2
) 70.Tf3
c3+
( 70...Ke4
71.Tc3
f3
72.Txc4+
Ke3
73.Tc1
f2
74.Kxb3
Ke2
75.Kxa2
f1D
76.Txf1
Kxf1
) 71.Ka1
c2
72.Txf4+
Kc3
73.Tf3+
Kd2
74.La3!
Die erste von zwei Pointen. 74...Txg7
75.Txb3
Tc7
76.Lb2!=
( Nur nicht 76.Kxa2??
Ta7!-+
und Schwarz gewinnt doch.) 76...c1D+
77.Lxc1+
Txc1+
78.Kxa2
Tc2+
79.Tb2
Txb2+
80.Kxb2
]
69...Ke2
70.Tc1
f3
71.Lc5
[ 71.Txc4
f2-+
]
71...Txg7
72.Txc4
Td7
73.Te4+
[ 73.Tc1
Td1-+
]
73...Kf1
74.Ld4
[ 74.Tf4
Td2+
75.Ka1
Td1+
76.Kb2
a1D+
]
74...f2
Weiß gab auf wegen [ 74...f2
75.Tf4
Txd4!
76.Txd4
Ke2
77.Te4+
Kf3
78.Te8
f1D
] 0-1
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