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Sydney lockt mit mehr als Schach

Selbst die Profis wie die Turniersieger Ganguly und Jones machen für eine Turnierteilnahme in Australien Abstriche

Von FM Hartmut Metz, 3. August 2008

 

"Es ist eben die 18. Runde! Das ist das Problem!" Wie Gary Lane erging es vielen beim Sydney International Open (SIO). Vom rund 250 Kilometer entfernten Canberra eilten die meisten Teilnehmer am einzigen freien Tag nach Ostern in die Vier-Millionen-Metropole, um das nächste Turnier mit neun Runden an fünf Tagen auf sich zu nehmen. Manch einer ließ am Schluss nach beim am stärksten besetzten Schach-Wettbewerb aller Zeiten auf dem fünften Kontinent. Die erst wenige Tage zuvor aufgestellte Marke in der australischen Hauptstadt mit acht Großmeistern wurde beim SIO mit deren 10,5 und insgesamt 30 Titelträgern unter 106 Spielern (plus 44 im "Challenger") aus 21 Nationen "pulverisiert". Mit dem Neuseeländer Murray Chandler, dem Filipino Antonio Rogelio jr. und Zhao Zong-Yuan stiegen zweieinhalb weitere Großmeister in der Stadthalle von Paramatta ins Rennen um die 15.000 australische Dollar (8.820 Euro) - davon ein Drittel für den Sieger - ein.

Zweieinhalb deshalb, weil Zhao in der FIDE-Liste noch nicht mit einem "GM" geführt wird. Der australische Verband überreichte dem 21-Jährigen jedoch feierlich vor dem ersten Zug eine Medaille für den erspielten Titel. Die neue Nummer eins des Landes, die den zurückgetretenen und als exzellenten Kommentator fungierenden Ian Rogers beerbte, schoss in der April-Liste nicht nur um 54 Elo nach oben auf 2541. Er erfüllte auch binnen kurzer Zeit alle Normen. "Ich hätte das nie erwartet. Die letzten drei, vier Monate verliefen unglaublich", berichtet der gebürtige Pekinger und ergänzt kopfschüttelnd, "im Vorjahr hätte ich sogar fast aufgehört, obwohl ich Schach liebe!" Auch wenn sich der mit sieben Jahren mit seinen Eltern nach Coffshabour (ein kleines Städtchen zwischen Sydney und Brisbane) eingewanderte "Aussie" durchaus die "2600 Elo zutraute", verschwendete er nur kurze Zeit an eine Schach-Karriere: "Nein, nein, das geht hier nicht. Mit 15 dachte ich darüber anders. Ich versuchte mich 2001 ein halbes Jahr als Profi." Das Experiment beendete der bei seinen Landsleuten ob seiner Freundlichkeit beliebte Zhao auch, "weil Schach nie alles für mich war". Als weitere Hobbys gibt der Pharmazie-Student Flöte, Tennis, Badminton und Tischtennis an. "Wenn du als Chinese nicht Tischtennis spielst, stimmt etwas nicht mit dir", bemerkt der frisch gebackene Großmeister augenzwinkernd. Die plötzliche Leistungsexplosion erklärt sich Zhao ausgerechnet dadurch, "dass ich das Schach aufgeben wollte. So setzte ich mich nicht mehr unter Druck. Dem ungarischen Trainer Laszlo Hazai verdanke ich viele psychologische Fortschritte und bin nun ruhiger. Wenn ich schlecht spiele, was soll's? Das nächste Turnier kommt bestimmt".

Eine Einstellung die dem Sydneysider auch beim SIO einen Spitzenplatz bescherte. Nur nach Buchholz lagen Surya Ganguly, Zhang Zhong und Gawain Jones vor ihm. Das Trio hatte im Vergleich zu Canberra mit nun jeweils sieben Punkten einen halben Zähler in neun Runden draufgesattelt. Im Feld der Geschlagenen landete diesmal der Doeberl-Cup-Sieger Varuzhan Akobian mit 6,5 Punkten. Den fünften Rang teilte sich der Amerikaner mit Merab Gagunaschwili, Rogelio, Igor Bitansky (Israel), Wadim Malachatko (Belgien) und den drei Australiern Stephen Solomon, dem zweiten aktiven australischen Großmeister Darryl Johansen und Lane. Der Brite, den die Heirat mit der Tochter von SIO-Organisator und Schachhändler Brian Jones in die ehemalige Kolonie zog, hatte in der Schlussrunde Glück. Er schlug den besten Deutschen beim SIO - was bedeutet, dass der Berichterstatter schlechtester Deutscher war mit ebenfalls 5,5 Punkten, aber nur Platz 25. Drei Ränge weiter vorne kam Velimir Kresovic ein. Schien im letzten Durchgang zunächst die Frage, wer schneller von den beiden Kuppenheimer Vereinskameraden gegen Lane beziehungsweise Malachatko aufgeben musste, rettete sich Kresovic trotz einer Figur weniger in ein Remis-Endspiel mit zwei Bauern für einen Springer. Doch dann fiel er auf den letzten Trick herein und unterlag noch. Trotzdem darf er mit seinem Abschneiden zufrieden sein. Niederlagen gegen Ganguly und Rogelio sind zu verschmerzen. Vor allem aber bezwang Kresovic den australischen Champion Solomon.

Akobian zeigte sich mit seinem Abschneiden in Sydney nicht zufrieden. "Ich spielte hier weniger gut und holte mit Weiß fast nichts raus. 3/5 ist zu wenig", konstatierte der US-Großmeister, der als einziger nach Bangkok weiterflog. Bei der dritten Station des neu geschaffenen Grand-Prix-Wettbewerbs belegte der 25-Jährige Platz vier mit sieben Punkten. Es dominierten dort drei Chinesen mit Xiu Deshun, der trotz seiner Außenseiter-Zahl von 2371 Elo auf beachtliche 8/9 kam, Zhang Ziyang (7,5) und Li Shilong (7). Der Georgier Gagunaschwili schenkte sich Teil drei in Thailand und wertete die beiden durchschnittlich dotierten Open in Down Under wie alle anderen Profis aus touristischer Sicht als attraktiv! "Ich bin schließlich hierher gekommen, um Australien zu sehen. Mit meinen soliden +8 und zehn Remis kann ich zufrieden sein", meint Gagunaschwili zu seinen zwei 6,5/9-Resultaten und eilte weiter gen Dubai zum nächsten Turnier. Kosieger Gawain Jones dehnte seinen Urlaub gleich auf einen Monat aus und gedachte nach dem SIO mit seiner Freundin ausgiebig den Kontinent zu bereisen. Die 2.500 Dollar Preisgeld (rund 1.450 Euro) kamen ihm dazu gerade recht, kletterten doch die Preise in Australien deutlich und liegen mittlerweile über denen in Deutschland. Sein gutes Abschneiden führt der Engländer weniger auf sein Können zurück als auf "mehrfaches Dusel. So konnte ich noch mehrere Weiß-Partien retten. Gegen Gagunaschwili und Anna Zozulia hatte ich Glück". Der in Canberra wie Sydney stärksten Frau, die zweimal sechs Zähler verbuchte, entging laut Jones "eine dreifache Stellungswiederholung, so dass ich diese Partie hielt". Zu Fortunas Füllhorn, das sich über ihn ergoss, fiel dem Briten dann vor allem nochmal sein 109-Züger gegen Zozulias Partner Malachatko ein, den er in der Hauptstadt in einem Endspiel mit zwei Türmen und drei Bauern gegen Dame, Turm und zwei Bauern schlug. "Ich hatte einfach mehr Glück als in den vorherigen schrecklichen Turnieren", betont Jones.

Kamen den grausigen Stellungen des Drittplatzierten die mehreren kurzen Lichtausfälle in der Stadthalle von Paramatta eher entgegen, behielten die Sieger Zhang Zhong und Ganguly stets einen hellen Kopf und den Überblick. "Es war ein starkes Turnier. Ich traf auf sechs GM", berichtet der Topfavorit aus dem südchinesischen Shenzhen. Auch wenn er "einen halben Punkt mehr hätte holen müssen - gegen Gagunaschwili und Chandler vergab ich Vorteile -, bin ich zufrieden". Nach neun Siegen und neun Remis in den beiden größten Turnieren Australiens schenkte sich Zhang Zhong aber auch Bangkok: "Ich bin jetzt zu müde - und zu alt! Mit 20 hätte ich dort auch noch gespielt", scherzt der 30-Jährige. Seit 2007 tritt er unter neuer Flagge an. "Ich kam in China nicht in die Nationalmannschaft, weil wir viele junge, gute Spieler haben. Die Anerkennung ist für meine Leistungen daher in Singapur größer, auch wenn die Förderung dort besser sein könnte", begründet Zhang Zhong seinen Verbandswechsel.

Selbst der Turniersieger schleppte sich nach fünf Turnieren zu zwei weiteren - "weil ich unbedingt Australien sehen wollte". Während sein Landsmann Kunte Abihijit wegen eines tödlichen Unfalls in der Familie beide Wettbewerbe absagen musste und zurückflog, nutzte Ganguly die Einladung eines indischstämmigen Geschäftsmannes, der den Trip des vierfachen Landesmeisters sponserte. "Ich bin jetzt echt fertig nach sieben Turnieren und brauche dringend eine Pause. Aber es war hier in Sydney großartig für mich", bekennt der Vielspieler, der sich durch seinen Marathon von 2579 auf etwa 2630 Elo geschoben haben dürfte. "Das bedeutet aber heutzutage nichts mehr!", weiß der 25-Jährige und plädiert dafür, einen "weiteren Titel für Super-GM über 2700 einzuführen". Ganguly bedauert seine beiden Kurzremis am Ende, "aber ich war so schlapp. Ich würde deshalb zwei Dinge bei den hiesigen Open ändern: Erstens nur eine Partie pro Tag, zweitens sollte das Preisgeld erhöht werden."

Die weiteren Probleme der Veranstaltung dürften immerhin nächstes Jahr beseitigt sein. Diesmal war die für australische Verhältnisse steinalte Town Hall aus dem Jahre 1880 nämlich eine Bauruine! Sie wird gegenwärtig renoviert. Der Spielsaal mit der hohen Decke war dadurch im Eingangsbereich beeinträchtigt. Als Zumutung erwiesen sich in einem der ältesten Stadtteile Sydneys vor allem die sanitären Einrichtungen: Wegen des Umbaus mussten die Teilnehmer die an das Gebäude angrenzenden öffentlichen Toiletten benutzen. Spielte man mal wieder in der Phase mit 30 Sekunden Zeitzugabe pro Zug einen Sch..., fragte man sich, wo es eigentlich schlimmer ist ... Was die beiden größten Open auf dem fünften Kontinent anlangt, gilt für deutsche Schach-Touristen: Das Ambiente in Canberra war um Klassen besser als in Sydney. Das Zentrum Australiens macht dies aber durch all die Sehenswürdigkeiten wett, die die malerisch am Meer gelegene Hafenstadt bietet. Spieler sollten aber genügend Zeit vor oder nach den Turnieren einplanen, um diese zu genießen - während der Doppel-Spieltage fehlt leider die Zeit dafür. "Die 18 Runden sind das Problem", hat Lane schließlich gewarnt.

Australien Endstand Sydney 2008
Australien Endstand Sydney 2008

Australien Sydney 2008
"Kiwi" Murray Chandler, der wieder für Neuseeland statt für England antritt, konzentrierte sich auf das Turnier in Sydney
Australien Sydney 2008
Der neue australische Hoffnungsträger Zhao Zong-Yuan wollte mit Schach schon aufhören - wurde aber jetzt Kosieger in Sydney


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