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Der Roger Federer des Schachs muss zuschauen

Merkwürdiger Vertrag kostet herausragenden Topalow Teilnahme an der nächsten WM

von FM Hartmut Metz, 16. Juni 2007

 

   Tennis-Ass Roger Federer verliert das Traum-Finale der French Open gegen Rafael Nadal und darf deswegen anschließend nicht in Wimbledon starten – im Gegensatz zu den vorher Ausgeschiedenen. Die sonst so gemütlichen Schweizer würden in solch einem Fall erstmals seit dem Rütlischwur wieder auf die Barrikaden gehen für ihren Landsmann Federer.

   Unvorstellbarer Kokolores? Nicht im Schach. Die Bulgaren sehen ihren Nationalhelden Wesselin Topalow aufs Abstellgleis geschoben und wittern „schreiende Ungerechtigkeit“. Topalow hatte Ende 2006 das WM-Wiedervereinigungs-Match gegen Wladimir Kramnik verloren und zuvor einen Vertrag signiert. Laut diesem verzichtet der 32-Jährige im Falle einer Niederlage auf eine Teilnahme an der nächsten WM im Herbst. Jetzt rumort es in der Schachwelt, besonders aber in Bulgarien bis hoch zum Staatspräsidenten Georgi Parwanow, der sich immer gerne mit der heimischen Sport-Ikone schmückt.

 

Wesselin Topalow

Wesselin Topalow

 

   Die Kandidaten-Wettkämpfe in der russischen Teilrepublik Kalmückien waren überschattet von der Forderung, dass Topalow als neunter Großmeister für die WM in Mexiko qualifiziert sein sollte. Die von ihm bei der Weltmeisterschaft des Schach-Weltverbandes FIDE anno 2005 deklassierten Viswanathan Anand (Indien), Peter Swidler und Alexander Morosewitsch (beide Russland) sind als Zweit- bis Viertplatzierte gesetzt. „Das entbehrt doch jeglicher Logik“, argumentiert nicht nur Bulgariens Schachverbands-Chef Stefan Sergiew. Nach Titelverteidiger Kramnik sicherten sich nun im kalmückischen Elista auch Peter Leko (Ungarn), Lewon Aronjan (Armenien), Boris Gelfand (Israel) und Alexander Grischuk (Russland) die weiteren Plätze.

   Kirsan Iljumschinow bat die WM-Kandidaten erneut zu sich in die von ihm errichtete Schach-Stadt. Mangels Sponsoren pumpte der Präsident Kalmückiens und der FIDE einmal mehr die Dollars in die Wettkämpfe. Diesmal 40.000 pro Zweikampf. Leko überzeugte dabei am meisten mit zwei Kantersiegen, einem 3,5:0,5 über den Belgier Michail Gurewitsch zum Auftakt und einem 3,5:1,5 gegen Jewgeni Barejew. Der Russe hatte zuvor sensationell Lekos Landsmännin, die einzige Schachspielerin von Weltklasseformat, Judit Polgar, mit 3,5:2,5 ausgeschaltet. Weltcup-Sieger Aronjan hatte einige Mühe: Der Berliner konnte das norwegische Wunderkind Magnus Carlsen, das sich mit 15 Jahren als jüngster Spieler aller Zeiten für den WM-Zyklus qualifiziert hatte, erst nach zweimaliger Verlängerung mit 7:5 bezwingen. Gegen den Wahl-Spanier Alexej Schirow reichten Aronjan in Runde zwei die sechs regulären Partien zu einem 3,5:2,5. Deutlicher setzte sich Gelfand gegen Gata Kamsky (USA) mit 3,5:1,5 durch. Grischuk schlug Sergej Rublewski (Russland) nach Verlängerung 5,5:3,5.

   Für Topalows nachträgliche Nominierung sprechen seine Leistungen: Hinter Anand ist der ehemalige Weltranglistenerste noch immer die Nummer zwei zusammen mit Kramnik. Topalow spielt nicht nur mit ähnlichem Feuer Schach wie Federer Tennis – er dominierte die Szene auch ähnlich wie der Schweizer bei den Grand-Slam-Höhepunkten. Der Bulldozer („La topadora Topalov“), wie ihn seine spanischen Fans nennen, überrollte die Konkurrenz in „den vergangenen zwei Jahren in sieben Super-Turnieren“, betont sein Verbandschef Sergiew. Nur gegen Kramnik geriet eben bei der WM in der Steppe von Elista fatalerweise Sand ins Getriebe. Wie bei Nadal muss man gegen den ausdauernden Zweikämpfer aus Russland jeden Punkt dreimal hart erarbeiten.

   Selbst Kramnik wertet das Aus für den unterlegenen Weltmeister „als seltsam“. Er habe dies den Funktionären der FIDE vor der WM-Wiedervereinigung klar zum Ausdruck gebracht. Aber auch wenn die Entscheidung „unlogisch“ sei, stünde es eben nun so in den Verträgen. Nach den abstrusen Vorwürfen Topalows bei der „WM-Toiletten-Affäre“ bricht der Russe schließlich keine Lanze mehr für seinen Erzfeind. „Wenn man einen Kontrakt unterschreibt, ist er unterschrieben und zu akzeptieren, fertig. Ich würde dann nicht mehr lamentieren.“ Angenehmer für Kramnik ist dagegen der Vertragspassus, dass er im Falle einer Niederlage bei der WM in Mexiko gegen den Sieger eine zweite Chance bekommt – und einen WM-Zweikampf austragen darf. Das wäre etwa so, wie wenn Nadal in Wimbledon frühzeitig scheitert - der Gewinner aber dann seinen Sieg gegen den Sandplatz-Spezialisten noch einmal bestätigen muss. Glücklicherweise sind Tennis-Funktionäre logischer gestrickt als jene beim Denksport Schach.

   Die erste Partie des Zweikampfs Grischuk – Rublewski ist die interessanteste der zweiten Kandidaten-Runde, in der es an spektakulären Kombinationen mangelte.

 










Grischuk,Alexander (2717) - Rublewski,Sergej (2680) [B85]
WM-Kandidatenturnier Elista (Russland) (1), 06.05.2007

1.e4 c5 2.Sf3 e6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sc6 5.Sc3 a6 6.Le2 d6 7.0-0 Sf6 8.Le3 Ld7 9.a4 Le7 10.f4 Sxd4 11.Dxd4 Lc6 12.b4!? Weiß forciert die Ereignisse am Damenflügel. 12...0-0 13.b5 Le8 Der Rückzug nach e8 sieht merkwürdig aus, erfreut sich aber derzeit im Scheveninger großer Beliebtheit. Sinn dahinter: Der Läufer lässt dem Springer die Rückzugsmöglichkeit nach d7. 14.e5 14...Dc7 Der Übergang ins Endspiel belässt Weiß die besseren Chancen: [14...dxe5 15.Dxd8 Txd8 (Zu Schwierigkeiten führt 15...Lxd8?! 16.fxe5 Sd7 17.Se4 Le7 (17...Sxe5? 18.Lc5 ) 18.Sd6 Sxe5 19.Sxb7 axb5 20.axb5 und die weißen Freibauern entscheiden.) 16.fxe5 Sd5 17.Sxd5 Txd5 18.bxa6 bxa6 19.Lxa6 Txe5 20.Lb6 und Schwarz gerät wegen der gegnerischen Freibauern erneut in die Bredouille.] 15.b6 Dc6 16.Lf3! Mit diesem Zug umgeht Grischuk einige Vorläuferpartien aus Rublewskis Repertoire. In der russischen Meisterschaft 2005 erreichte Peter Swidler mit [16.exd6 Dxd6 17.Lf3 Db8! 18.De5 Ld6 19.Dd4 Le7 20.De5 nichts und begnügte sich folglich mit einer Punkteteilung.] 16...d5 17.Tae1 Sd7 [Auf 17...Tc8 hat Weiß nach dem offensichtlichen 18.exf6 Lxf6 nun 19.Sxd5! im Köcher. 19...exd5 (19...Lxd4? 20.Se7+ Kh8 21.Lxc6 kostet eine Qualität.) 20.Dxd5 Dxa4 (20...Dxd5 21.Lxd5 Lc6 22.c4 mit weißem Mehrbauern.) 21.Dxb7 Lb5 Maxim Notkin gibt in "Chess Today" folgende hübsche Variante an: 22.Le2! Txc2 23.Lxb5 axb5 24.Dd7! Td8 25.Lc5! Da8 26.b7 Db8 27.Ld6! Txd7 28.Lxb8 Ld4+ ist einen Versuch wert, ändert wohl aber auch nichts am Partieausgang. (28...Txb7?? 29.Te8# ; 28...h6? 29.Lc7! Ld4+ 30.Kh1 La7 31.b8D+ Lxb8 32.Lxb8+- ) 29.Kh1 f6 30.Te8+ Kf7 31.Tf8+! Kg6 (31...Kxf8 32.Ld6+ Txd6 33.b8D+ ) 32.Lc7 La7 33.b8D Lxb8 34.Lxb8 Tf2 (34...Tdd2 35.f5+ Kh5 36.g4+! Kxg4 37.Tf7 Tf2 38.Txg7+ Kxf5 39.Txf2+ Txf2 40.Txh7 ) 35.Tg1 h5 und die Mehrfigur sollte sich bemerkbar machen, obwohl Schwarz noch gewisse Remischancen besitzt. ] 18.Sxd5! exd5 19.Lxd5 Der Anziehende erhält zwar zunächst nur zwei Bauern für die Figur, aber seine Figuren stehen alle weit aktiver als die feindlichen. 19...Dc5 [19...Dxc2!? 20.Tc1! Dg6! Alles andere verliert. 21.Tc7! und Weiß steht überlegen. (21.f5? gestattet 21...Dxb6! 22.Dxb6 Sxb6 23.Lxb6 Lxa4 24.Tc7 Ld8 25.Txb7 Lxb6+ 26.Txb6 Lb5 27.Te1 Tab8 28.Txb8 Txb8 und Schwarz kann sich wohl halten.) ; 19...Dc8 sieht zu passiv aus.] 20.e6! Dxd4 [20...fxe6? 21.Lxe6+ Kh8 22.Lxd7 Dxd4 23.Lxd4 Lf6 24.Lxf6 Lxd7 25.Te7 Txf6 26.Txd7 Txb6 27.Te1 Tg8 28.Tee7 macht angesichts der fürchterlich auf der siebten Reihe wütenden Türme wenig Freude.; 20...Sxb6!? könnte zum Remis reichen: 21.Dxc5 Lxc5 22.Lxc5 Sxd5 23.c4! fxe6 24.Lxf8 Kxf8 25.cxd5 exd5 26.a5 Lb5 27.Tf2 d4 28.Tb2 d3 29.Kf2 und Weiß hat es nicht leicht, einen Gewinnweg nachzuweisen.] 21.Lxd4 Sf6 22.Lb3! [Besser als 22.exf7+? Txf7! (Bloß nicht 22...Lxf7? 23.Lxb7 ) ] 22...Td8 Noch am stärksten. 23.Lxf6 Lc5+!? [23...Lxf6 24.e7 Lxe7 25.Txe7 Lc6 26.Tfe1 bereitet Weiß wenig Kopfzerbrechen angesichts des Mehrbauern.] 24.Kh1 gxf6 25.e7 Lxe7 26.Txe7 Lc6 27.Tc7 Td2 28.Te1 Tf2?! [28...Txg2 verliert sofort wegen 29.Txc6 ; 28...Lxg2+!? stellt Grischuk am ehesten vor Probleme. 29.Kg1 Lf3 30.Te3 Lc6 31.Tee7 Tg2+ 32.Kf1 Txh2 33.Lxf7+ Kh8 Nun gewinnt allerdings 34.c4! ] 29.h3 Txf4 30.Tee7 Tf1+ 31.Kh2 Tf2 32.Txc6! Leitet einen hübschen Schluss ein. 32...bxc6 33.Txf7! Tf4 [33...Txf7 34.b7 ] 34.c3! und der b-Bauer ist nicht mehr zu stoppen. 1-0


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