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Erfolg methodisch profilieren

Wie Miroslav Shvartz am Dresdner Sportgymnasium Schachwissen für das Abitur lehrt und den sächsischen Jugendkader fit macht

von Harald Fietz, Juli 2003

mehr Schachtexte von Harald Fietz

 

   "Keine Ahnung haben wir am Anfang alle", versucht Miroslav Shvartz seinen an diesem Morgen lustlosen Schüler Elias Mikhaiel zu ermutigen, sich mit der Stellung auf dem Demonstrationsbrett intensiver zu beschäftigen. Montags fällt die Konzentration immer ein wenig schwerer und auch der Schachlehrer ist an diesem Tag voll gefordert. In acht Schulstunden muss er sich auf vier verschiedene Alters- und Leistungsklassen einstellen. Neben seiner Tätigkeit als sächsischer Landestrainer erteilt er 22 Wochenstunden am Dresdner Sportgymnasium (im Internet unter www.sportgymnasium.de). Hier wird Schach seit dem Schuljahr 2002/03 erstmals in Deutschland als offizielles Unterrichtsfach gelehrt. Dies bedeutet gegenüber fakultativen Schulschachnachmittagen eine zweifache Herausforderung: Einerseits muss ein Lehrer mit hoher schachlicher und didaktischer Qualifikation zur Verfügung stehen, andererseits muss für ein Fach, welches wie anderer Schulstoff geprüft wird, entsprechendes Lehrmaterial zusammengestellt werden. Für beides ist der seit 1999 in Dresden beheimatete Shvartz prädestiniert.

   Der Internationale Meister wuchs in der ukrainischen Hauptstadt Kiew auf. Gelernt hat er das Spiel auf den 64 Feldern durch die Eltern im Alter von fünf Jahren. Der Vater übte den Arztberuf aus, während die Mutter als Geschäftsführerin der ukrainischen Schachjugend tätig war. Zweimal in der Woche spielte er in den frühen Jahren im Schachverein und bald gelang das so gut, dass er 1984 als Neunjähriger - und jüngster Spieler jemals - in die berühmte Botwinnik-Schule aufgenommen wurde. Der Aufnahmetest bestand darin, klassische Partien zu erkennen. Zwei Jahre besuchte er dreimal im Jahr für jeweils zwei Wochen das Moskauer Intensivtraining. Als Instruktoren standen die Großmeister Igor Platonow und Anatoli Lutikow zur Seite. Doch als Garry Kasparow 1985 den Weltmeistertitel errungen hatte, begann auch in der Botwinnik-Schule ein personeller Wechsel, der sich ebenfalls auf die zu fördernden Talente erstreckte. Allerdings blieb man in der Ukraine nicht untätig und Platonow führte 1987 bis 1993 in Kiew eine ähnliche Schule. Aus dieser Talentschmiede gingen vor allem viele der heutigen ukrainischen Spitzenspielerinnen hervor (u.a. Natalia Zhukova, Tatjana Vasilevich und Natalia Kiseleva). Für den Heranwachsenden, der sowohl einmal die sowjetische U-12- bzw. U-18-Meisterschaft erringen konnte, stellte sich im Alter von 16 Jahren - genau im Jahr der Auflösung der Sowjetunion - die Frage, ob er Berufspieler werden sollte oder nicht. Mit dem Studium zum Diplomsportlehrer 1991-95 an der Kiewer Sportuniversität ließ sich die Schachpassion mit einer anerkannten Ausbildung verbinden. Danach hieß es zunächst, sich durch Training für Privatpersonen und Vereine über Wasser zu halten, derweil die Jagd nach Titelehren begann. 1998 klappte es mit dem IM-Titel und auch 1999 wurde ein erfolgreiches Jahr mit Kiewer Heimspielen und geteilten ersten Plätzen beim Unabhängigkeitsturnier und dem Platonow-Gedenkturnier (hier mit GM-Norm). Durch den geographischen Wechsel als Spätaussiedler kam es zum Einschnitt in der Schachkarriere.

   Mit Antritt der Stelle als sächsischer Landestrainer verlagerte sich seit August 2000 der Schwerpunkt auf die Schachbetreuung. Und hier feiert der heute 28-Jährige beachtliche Erfolge. Seine Schützlinge holten 2001 und 2002 bei den Deutschen Meisterschaften der Jugend in den zehn Alterklassen fünf der neun Goldmedaillen, drei der vier Silbermedaillen und eine der zwei Bronzemedaillen, die der Landesverband Sachsen insgesamt errang. Auch international trug sein Training Früchte: bei Jugendeuropameisterschaften landete Anne Czäczine 2001 auf dem 12.-19. Platz und Evgenija Shmirina wurde 2002 Vize-Europameisterin; bei Jugendweltmeisterschaften belegte Elena Winkelmann 2001 Platz fünf und Elisabeth Pähtz' WM-Triumph sorgte Ende 2002 bundesweit für Medieninteresse. Die 18-jährige gebürtige Erfurterin erfüllte beim Dresdner ZMD-Open 2002 eine IM-Norm der Herren und der 17-jährige Dresdner Bundesligaspieler Volker Seifert schaffte nach Fürth 2002 beim Open in Bad Wörishofen 2003 seine zweite IM-Norm.

 

IM Miroslav Shvartz und seine Schülerin FGM Elisabeth Pähtz

Ohne Fleiß kein Preis: IM Miroslav Shvartz und seine Schülerin FGM Elisabeth Pähtz nach dem U-18-WM-Gewinn auf Kreta im November 2002 Foto: Thomas Pähtz

 

Lehren braucht Methode

   Solche Erfolge fußen auf der Bereitschaft zur Leistung, stetiger, systematischer Arbeit und dem Zugang zu umfassendem Schachwissen. Diese Elemente der Schachausbildung sind auch im Unterricht am Dresdner Gymnasium präsent, einer Lehrstätte "mit vertieftem sportlichen Profil". Was in der Schulschach-AG oder dem Vereinstraining eher mittels "lockerer" Methodik freiwillig gelehrt wird, muss für eine schulische Unterrichtssituation bestimmten didaktischen Grundsätzen folgen. Schließlich ist die Struktur dieses Schultyps, der in der Außendarstellung mit dem Prädikat "Eliteschule des Sports" firmiert, eine, die den Spagat zwischen Schulpflicht und Wettbewerbstraining schaffen will. In einen Werbeflyer heißt es: "Es soll talentierten jungen Sportlern an dieser Schule ermöglich werden, leistungsorientiertes, intensives Training mit der gymnasialen Ausbildung zu verbinden."

   Was sich in anderen Sportarten schon lange bewährt hat, bedeutet für das königliche Spiel Neuland. Welche Ausbildungsphilosophie soll hier der leistungsorientierten Ausrichtung zugrunde liegen? Ein unschätzbarer Vorteil ist die flexible Gestaltung der Zeitplanung in der Oberstufe, die jüngst der Jugendweltmeisterin Elisabeth Pähtz das Pendeln zwischen herausragenden Wettkämpfen und Schulalltag ermöglichte (siehe SM 64, Nr. 1/2003, S. 14-17). Doch - wie die Tabelle zeigt - wird das Fundament eines umfangreichen Schacharsenals in den Klassen fünf bis zehn gelegt. Wo die Anfang des Jahres volljährig gewordene Vorzeigegroßmeisterin noch vom familiären Umfeld profitierte, werden die nächste Generation stärker in Trainingskonzepte eingebunden sein. Im Lehrplan-Deutsch sind die Perspektiven skizziert: "Die Grundkenntnisse und Grundfertigkeiten aus den einzelnen Themenbereichen werden aufgegriffen und systematisiert. Auf dieser Basis werden entsprechend der Altersstufe die zugehörigen Schwerpunktthemen der schachlichen Entwicklung herausgegriffen und bearbeitet. Im Laufe der Entwicklung erhalten die Schülern damit ein komplexes System von vernetzten Kenntnissen und Fähigkeiten. Das versetzt diese Sportler zunehmend in die Lage, sich selbst zu analysieren und Entwicklungsstrategien festzulegen. Diese Fähigkeiten werden dann auch in den anderen Disziplinen der gymnasialen Bildung zu einem Entwicklungsschub führen, da die Schüler mit der Sportart Schach befähigt sein werden, Probleme zu erkennen, zu analysieren und nach geeigneten Lösungsstrategien zu suchen. Der Profilsport Schach wird somit einerseits die individuelle sportliche Entwicklung der Schüler fördern als auch die allseitige Bildung unterstützen." Diese Zielsetzung wurde - auch in Anlehnung am Trainingskonzepte des DSB - in folgende Lehrbereiche und Stundenplanungen heruntergebrochen.

Lehrbereiche 5,6,7 8,9,10

11,12

Eröffnungen

80

80

25

Taktik

35

25

10

Endspiele

65

75

20

Klassische Partien

50

50

15

Turnier- und Wettkampfvorbereitung (für 5-10) bzw. Strategie (nur 11,12)

15

15

10

Analyse selbstgespielter Partien

70

70

20

Schach und Wissenschaft

15

15

10

Festigung und Kontrolle

30

30

10

 

360

360

120

Lehrbereiche der verschiedenen Klassenstufen (nach Lehrplan vom 1.8.2002)

 

   Hier muss allerdings angemerkt werden, dass dies eine vorläufige Orientierung ist, die im laufenden Schuljahr mit Erfahrungswerten aus dem Schulalltag abgeglichen wird. Falk Sempert, Mathematik-Lehrer und Schachkoordinator, merkt dazu an: "Natürlich werden die Inhalte je nach Schülergruppe spezifiziert. Die Beschreibung der Vermittlungstiefen ist muss noch mit Vorsicht genossen werden, da zum Zeitpunkt der Einreichung die verbindlichen Operatorbeschreibungen durch das Comenius-Institut noch nicht bekannt waren."

   Kernelemente der Unterrichtsgestaltung lassen sich gleichwohl fassen: Erkennen, analysieren, systematisieren, vernetzen, vertiefen, unterstützen, intensivieren, auswerten sind als Schlagworte gefallen. Alles konzeptionelle Ziele vieler Bildungsoffensiven und immer mit der Überlegung, dass Wissensstände ständig neu hinterfragt und entsprechend geänderten Situationen bewertet müssen. Gerade im Jugendschach, wo die Entwicklungsschübe groß sind, kann mit einer verbesserten Didaktik noch manches bewegt werden, wenn die Erziehung zu selbständiger Reflektion stetig gefördert wird. "Es gibt nichts Wichtigeres auf der Welt, als die Menschen zum Nachdenken zu bringen", meinte bereits der deutsche Aphoristiker Sigmund Graff im letzten Jahrhundert. Was sich aber theoretisch so schlüssig einleuchtet, ist in der Praxis kein leichtes Unterfangen. Welche Materialen nutzt man, welche Schwerpunkte setzt man? Allein die grundsätzlichen Herangehensweisen können unterschiedlich sein.

   Für das Nachdenken über Schach im benoteten Schulunterricht gibt es leider noch kein Lehrbuch. Zwei Standardwerke tragen das DSB-Gütesiegel. Ein methodisches Handbuch wie das von Dr. Ernst Bönsch und dem jetzigen Bundestrainer Uwe Bönsch (Sportverlag 2000) bietet in anschaulicher, komprimierter Art Grundlagen der Didaktik und Trainingsaufbau sowie reichlich Lektionen - vor allem für Anfängerniveau. "Das systematische Schachtraining" des früheren Bundestrainers Sergiu Samarian (Neuauflage bei Edition Olms 2001) eignet sich ergänzend für fortgeschrittenen Unterricht und autodidaktische Vorgehensweise. Doch für seinen Unterricht erstellt Shvartz lieber neue Materialien. Einerseits gilt es hier - für insgesamt neun Schüler von Anfängerlevel bis IM-Anwärterlevel - auf individuelle Vorkenntnisse der jeweiligen Altersklassen und Lernverhalten innerhalb der Gruppen einzugehen, andererseits bietet natürlich der Erfahrungsschatz aus seinem Studium und der Trainertätigkeit in der Ukraine einen Fundus, der im deutschsprachigen Raum bekannt ist.

   Seine Situation ist delikat und herausfordernd zugleich. Gerade in Westeuropa, in Ländern mit wenigen Trainerstellen und keinem zu hohen gesellschaftlichen Status des Schachsport, legen Verbände und Übungsleiter häufig früh großen Stellenwert auf einzelne Partiephasen und dem Eröffnungstraining wird nicht selten spezielle Aufmerksamkeit gewidmet. Wer kennt nicht die vielen mit Theoriewissen vollgepumpten Jugendlichen, die im Mittel- und Endspiel schlingern? In Osteuropa baute man mit breiter staatlicher Förderung auf eine andere, keineswegs weniger leistungsorientierte Ausbildungsphilosophie, die eher die Grundlagen für Positionsverständnis im Mittel- und Endspiel schafft. Wie oft hat schon mancher erfahrende Spieler auf einem Open in Westeuropa die Häme russischer Titelträger gehört, wenn er ein technisch lösbares Endspiel misshandelt hat. "Das können die Kinder bei uns im Pionierpalast", gilt als freundlich-sarkastische Antwort in Erinnerung an "goldene Schachzeiten". Heute heißt es für Shvartz, die Gratwanderung zwischen deutschem Curriculumplan und Kenntnissen aus früheren Ausbildungsformen zu überbrücken. Ein spannender Prozess, der sowohl seinen Schülern als auch in Perspektive deutschen Jugendtrainingskonzepten innovative Impulse verleihen kann. Ein Tag im Klassenzimmer am Ende des ersten Schulhalbjahres gibt einen Eindruck der Bemühungen um eine verbesserte schachliche Allgemeinbildung bzw. Förderung des Spitzenschachs. Es ist eine Momentaufnahme des neuen Unterrichtsangebots, und kann möglicherweise Anregung für die eigene Trainingsgruppe bringen.

 

Von Vorbildern lernen

   Montagmorgen sind "die Kleinen" die erste Gruppe. Für die Klassen fünf und sechs räumt Shvartz im zweiten Schulhalbjahr den thematischen Aspekten der Spielführung einen höheren Stellwert ein als konkreten Fragen zu einzelnen Partiephasen. Für die 12- bis 13-Jährigen geht es um Grundsätzliches wie:
 

  1. Isolierte Bauern

  2. Rückständige Bauern

  3. Geschichte des Schachs Steinitz bis Botwinnik

  4. Schwache und starke Felder

  5. Figurenaktivität

   An den Klassikern als Vorbildern darf - wie die Stundenaufteilung zeigt - kein Leistungslevel vorbei. In diesem Unterrichtsblock werden die jüngsten Schüler selbständig Lebensläufe, Erfolge und markante Partien früherer Heroen präsentieren. Solche kleinen Projekte kann - unabhängig von der Spielstärke - jeder mit entsprechender Sorgfalt bewältigen.

   Zuvor muss erlernt werden, wie und wo Wendepunkte einer Partie hinterfragt werden. In dieser Altersstufe ist, um alle Schüler zu erreichen, frontales Lernen die probate Methode. In der Klasse sitzen mit Elena Winkelmann (12 Jahre, DWZ 1673) und Evgenija Shmirina (13 Jahre, DWZ 2070) zwei Spielerinnen mit internationaler Erfahrung ebenso wie mit Nicole Lorenz (12 Jahre Jahre, DWZ 1309) und Elias Mikhaiel (12 Jahre, 880 DWZ) zwei Schüler mit geringerer Spielstärke. Da die arrivierten Spielerinnen häufig die Wortführerschaft übernehmen, versucht der Lehrer mit auffordernden oder zügelnden Fragen eine Balance zu erreichen, die alle gleichermaßen mitzieht. Jeder Schüler muss die Züge auf seinem Brett nachspielen; vier Aufgaben erfassen Problemsituationen. In Rücksprache mit dem Lehrer erklärt jeder mal eine Idee. Die gemeinsam formulierten Lösungen werden mitnotiert. 45 Minuten reichen gerade aus, alle Beiträge zu erarbeiten und ein zweites Aufgabenblatt auszuteilen, auf dem der Lehrer seine Antworten formuliert hat. Zuhause ist das Unterrichtsinhalt zur Festigung des Wissens nochmals zu überdenken. Ohne konkrete Varianten soll die "Geschichte" der Partie schriftlich rekapituliert werden.

 










Damengambit
A. Rubinstein - G. Salwe [D33]

 

1.d4 d5 2.Sf3 c5 3.c4 e6 4.cxd5 exd5 5.Sc3 Aufgabe 1: Wie heißt diese Eröffnung? 5...Sf6 6.g3 Sc6 7.Lg2 cxd4 8.Sxd4 Db6 Aufgabe 2: Was würdest Du ziehen (mit Begründung)? 9.Sxc6 bxc6 10.0-0 Le7 11.Sa4 Db5 12.Le3 0-0 13.Tc1 Lg4 14.f3 Le6 15.Lc5 Tfe8 Aufgabe 3: Welche Figur muss Weiß verbessern und wie ist das praktisch erreichbar? 16.Tf2 Sd7 17.Lxe7 Txe7 18.Dd4 Tee8 Aufgabe 4: Wie lautet (mit Begründung) deine Fortsetzung für Weiß? 19.Lf1 Tec8 20.e3 Db7 21.Sc5 Sxc5 22.Txc5 Tc7 23.Tfc2 Db6 [ 23...a5 wäre für Schwarz besser gewesen, kann aber die Stellungseinschätzung - Weiß steht klar besser - nicht beeinflussen.] 24.b4 a6 25.Ta5 Tb8 [ Auf 25...Dxd4 26.exd4 gewinnt Weiß einen Bauern.] 26.a3 Ta7 27.Txc6 Dxc6 28.Dxa7 Ta8 29.Dc5 Db7 30.Kf2 h5 31.Le2 g6 32.Dd6 Dc8 33.Tc5 Db7 34.h4 a5 35.Tc7 Db8 36.b5 a4 37.b6 Ta5 38.b7 Hausaufgabe: Schreibe eine Zusammenfassung, was in der Partie passierte! 1-0

 

   Im Unterricht sollten die Antworten einige Höhepunkte erfassen:

Aufgabe 1: Die Tarrasch-Verteidigung
Aufgabe 2: 9. Sxc6! Eine interessante Möglichkeit, gegen den isolierten Bauern vorzugehen. Weiß ändert die Bauernstruktur, um danach den Bauern auf c6 angreifen zu können.
Aufgabe 3: 16.Tf2! Mit dem Zug deckt Weiß seine einzige Schwäche, den Bauern auf e2, und bereitet die verbesserte Aufstellung des Läufers vor, der auf der Diagonalen a8-h1 keine Chancen mehr hat.
Aufgabe 4: 19.Lf1! Der Läufer, die zur Zeit am schlechtesten postierte weiße Figur, kommt ins Spiel.

   Eine Zusammenfassung des Partieverlaufs als Hausaufgabe lautete wie folgt:

1. Schwarz hat die Eröffnung so gespielt, dass Weiß sich schnell entscheiden musste.
2. Weiß hat sich entschieden, die Bauernstruktur (und damit verbundene Pläne) zu ändern.
3. Salwe hat den Plan von Rubinstein, der auf eine Verbesserung seiner Figuren mit Tf2, e3 und Lf1 zielte, nicht erkannt und damit seinen Gegenspielchancen verpasst.
4. In der technischen Phase (vom Bauerngewinn bis zur Aufgabe) musste Weiß bloß ein bischen auf eventuelle Taktik aufpassen.

   In ihrem Handbuch führen Bönsch/Bönsch die Bedeutung eines weiteren Lerneffekts der schriftlichen Kontrolle aus: "Beim Arbeiten mit jüngeren Kindern im ersten und zweiten Schuljahr bietet die Information durch Wissensspeicher-Blätter den schachinteressierten Eltern die Möglichkeit, den Wissenstand ihrer Kinder zu überprüfen und gegebenenfalls ihre eigenen Schachkenntnisse zu vervollständigen." (S. 87)

   Was in den ersten gymnasialen Klassen verhältnismäßig leicht zu vermitteln ist, verlangt beim Einzeltraining größeres Beharren. Eine Gruppendynamik kann immer wieder durch gegenseitiges Motivieren stimuliert werden. Sitzt die nach dem Vormittagsunterricht etwas ausgepowerte Jugendweltmeisterin zu ihrer Doppelstunde vor der Nachmittagsfreizeit allein am Brett, muss Miroslav Shvartz bei allem Verständnis freundlich-insistierend vorgehen. Eine nicht sonderlich überzeugende Partie zeigt Elisabeth Pähtz mit Kopfschütteln über schwächere Züge. Das Klassikstudium der zweiten Schachstunde bringt sie fahrig-lässig rum. Aber da der Lehrer auch ihr Trainer bei wichtigen Wettkämpfen ist, weiß er, dass es wieder konzentriertere Phasen geben wird. Doch die modernen Klassiker sind ihm heilig, ohne Ansicht, wer diesen Stoff verdauen muss. Da muss auch die Musterschülerin durch. Shvartz unterstreicht die Vorbildfunktion seines 1934 geborenen ukrainischen Landsmanns Leonid Stein, dem dreimaligen Sieger der UdSSR-Meisterschaft (1964, 1965, 1967), der 1973 früh verstarb: "Großmeister Stein, der in den 60er bis Anfang der 70er Jahre einer der stärksten Schachspieler der Welt war, hatte einige Spielbesonderheiten in seinem Stil, die für mich als Trainer wichtig sind: Kampfgeist, was sich besonders in einer schlechten Turniersituation zeigte, und was für viele Jugendliche ein Problem ist, eine sehr gute Berechnungsfunktion und ein entsprechend aufgebautes Eröffnungsrepertoire (z.B. Königsindisch, Sizilianisch) und eine gute Endspieltechnik. Seine Partien gegen die damals besten Schachspieler bringen leistungsstarken bzw. leistungsorientierten Schülern viele wichtige Schachinformationen bei."

   Doch manchmal ist Schach trivialer, nämlich das einfache Ausnutzen mangelhaften Schachwissens des Gegners. Besonders junge Spieler haben ihre helle Freude an solchen Überraschungscoups. Auch die ehemalige U-14 Vize-Europameisterin ist da nicht anders.

 

Lernen kann Matt bedeuten

   Mit dem Slogan "Wissen ist Matt" wirbt ein bekanntes Hamburger Schachsoftwarehaus in Anlehnung an Francis Bacons "Wissen ist Macht". Am ersten Februar-Wochenende gelang der gebürtigen Ukrainerin, die seit dem Jahr 2000 mit ihrer Familie in Dresden lebt (siehe www.shmirina.com), gegen ihre Leipziger Gegnerin, die eine DWZ von 2044 (bzw. Elo 2130) aufweist, eine Partie dieser Kategorie. Wie einst der 19-jährige Bobby Fischer in seiner komplizierten Partie gegen Istvan Bilek beim Interzonenturnier in Stockholm 1962 27 Schwarzzüge in der vergifteten Bauern-Variante im Najdorf in sieben Minuten herunterspulte, so zog die 13-Jährige hier ohne viel Nachdenken eine andere Sizilianischvariante durch. Alles Heimarbeit, kein Anstrengung erforderlich. Beide Vorfälle sind jedoch auch Warnung. Gerade die "großen" Varianten wie Najdorf und Sweschnikow werden von Jugendlichen am liebsten entlang der Hauptvarianten gepaukt. Meist reicht schon ein wenig angewendeter Zug und sie sind mit ihrem Latein am Ende. Wenn man dann noch die gängigen Opfer nicht kennt, ist das Ende schnell da.

 

Evgenija Shmirina

Freudiges Präsentieren: Evgenija Shmirina weiß verschmitzt, dass nach diesem Eröffnungszug eine kurzweilige Opferpartie folgen wird. Foto: Harald Fietz

 










E. Shmirina - B. Bielicki
Sizilianisch [B33]

 

1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 e5 6.Sdb5 d6 7.Lg5 a6 8.Sa3 b5 9.Lxf6 gxf6 10.Sd5 f5 11.c3 fxe4?! [ Gebräuchlich ist 11...Lg7 12.exf5 Lxf5 13.Sc2 0-0 14.Sce3 Le6 und jetzt wird zumeist das raumgreifende 15.g4 gespielt. Kasparow bevorzugte 1977 gegen Dolmatov ( 15.g3 f5 16.Lh3 Se7 17.0-0 Sxd5 18.Sxd5 Tc8 19.a4 Tc5 20.Se3 Db6 , was Weiß aber keinen Vorteil brachte.) ] 12.Lxb5 axb5 13.Sxb5 Dg5 [ Danach ist alles forciert. Alternativen helfen nicht: 13...Le6 14.Sbc7+ Kd7 15.Sxa8 Lxd5 16.Dxd5 Dxa8 17.Dxf7+ Le7 18.Df5+ Kc7 19.Dxe4 Db7 20.b4 Sd8 21.Dxb7+ Kxb7 22.Ke2 und Weiß realisierte seinen materiellen Vorteil in Polzin- Lindner, Bundesliga 2001/02.] 14.Sbc7+ Kd8 15.Sxa8 Dxg2 16.Tf1 La6 17.Se3 Dxh2 18.Db3 Lxf1 19.Db6+ Kd7 20.Dc7+ Ke6 21.Dc8+ Ke7 22.Sd5# Weiß verbrauchte nur acht Minuten Bedenkzeit! 1-0

 

   Eine solche Partie am Demonstrationsbrett vorführen zu lassen, bietet sich in der Unterrichtsgestaltung - abseits der daraus zu lernenden Vorsicht - als Höhepunkt am Ende einer Stunde an. Das Präsentieren stärkt das Selbstbewusstsein und die Zuhörer sind wegen der Spannungsmomente eifrig dabei. Fallen prägen sich gut ein, werden anderen vorgeführt und hoffentlich künftig vermieden.

Lernen ist Kreativität

   Nachdenklicher geht es bei den älteren Schülern im Nachmittagunterricht ans Werk. Hier steht komplexe Stellungsbewertung und Varianten aus Sicht der eigenen und der anderen Farbe auf dem Programm. Volker Seifert (DWZ 2343) und Paul Hoffmann (DWZ 2165) sind ein gutes Gespann für die Methode des Partnerlernens. Der stärkere Spieler tendiert dahin, seine Spielauffassung umfassend einzubringen, wovon der Mitschüler profitiert. Konkurrenzgedanke und Teamfähigkeit sind bei der Lösungssuche gleichermaßen im Spiel. In der Kombination provozieren sie im Idealfall einen kreativen Denkprozess. Miroslav Shvartz hat einen besonderen Prüfstein ausgesucht. In der Sowjetunion waren die Vergleichswettkämpfe zwischen aufstrebenden Talenten und altgedienten Staatsprofis einerseits immer prestigeträchtig, andererseits mit einem besonderen erzieherischen Anspruch verbunden. Das ausgewählte Beispiel kann - wie Tals Einschätzung klarstellt - charakteristisch hierfür stehen. Gefragt ist die Fähigkeit, in der entscheidenden Phase für vier, fünf Züge eine große Rechentiefe bzw. eine dynamische Stellungsbeurteilung zu erreichen.

 

Paul Hoffmann und Volker Seifert bei der Schachanalyse

Gemeinsames Denken macht stark: Paul Hoffmann (links) und Volker Seifert tüfteln über einer denkwürdigen Tal-Partie. Foto: Harald Fietz

 










B. Gulko - M. Tal
Grünfeld-Indisch [D87]

 

1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 d5 4.cxd5 Sxd5 5.e4 Sxc3 6.bxc3 Lg7 7.Lc4 0-0 8.Se2 c5 9.0-0 Sc6 10.Le3 Dc7 11.Dc1 Ld7 12.Tb1 cxd4 13.cxd4 Tac8 14.Lb5 Da5 15.Db2 Tfd8 16.Ld2 Db6 17.Da3 Eine der lehrreichsten Stellungen, um das Genie Tal zu erfassen - sowohl seine Gabe, eine Stellung unorthodox, mit dem Risiko der materiellen Unausgewogenheit zu bewerten, als auch sein Gespür, ein psychologisches Kalkül in Betracht zu ziehen. Hier gilt es eine Stellung mit vollem Brett bis in ihre Endspielkonsequenzen zu analysieren. 17...Lxd4 [ Komplizierter als 17...Sxd4 18.Lxd7 Sxe2+ 19.Kh1 Dxb1 20.Txb1 mit Ausgleich.] 18.Lxc6 Lc5 19.Txb6 Lxa3 20.Lxd7 Txd7 Tals Einschätzung seines jungen Gegenspielers (Autobiographie "The Life and Games of Mikhail Tal", Cadogan 1997) verdient Beachtung: "Gulko ist ein Spieler, der einen konkreten Plan braucht. Er ist unsicher, wenn es an die Bewertung einer Stellung geht. Hier sieht er eine taktische Möglichkeit, seinen materiellen Vorteil zu behalten, und schätzt dies als günstig ein. Ein erfahrenerer Spieler hätte wahrscheinlich 21.Tb3 gespielt. Nach den Abtäuschen hat Schwarz nur geringen Vorteil." 21.Lb4 [ Tal hatte 21.Tb3 Txd2 22.Txa3 Txe2 23.Txa7 als Weg zur Balance erwogen. Jetzt zeigt sich in der Partie, dass die Aktivität der schwarzen Türme eine entscheidende Rolle spielt.] 21...axb6 22.Lxa3 Tc4 23.Sg3 Ta4 24.Lc1 Txa2 25.Le3 Tb2 26.Tc1 b5 27.Kf1 b4 28.Ke1 b3 29.Tc3 h5 30.e5 Td5 31.Se4 Tb5 32.e6 Tb1+ 33.Kd2 b2 34.Ld4 Td1+ 0-1

 

   Solche Stellungen weitgehend richtig zu erfassen, zeichnet fortgeschrittenes Leistungsniveau aus. Trefflich geeignet für eine Vervollkommnung des Verständnisses der Übergange zwischen Eröffnung und Mittelspiel ist daneben das Ausspielen von vorgegebenen Eröffnungsvarianten. In einer Unterrichtsstunde kann Shvartz zwei Partien a zehn Minuten pro Spieler durchführen lassen. Dabei müssen sich die beiden Spieler vom Dresdner SC auf unterschiedliche Blickwinkel einrichten. Mal starten sie in die Variante ohne Vorkenntnisse (z.B. der e4-Spieler Paul Hoffmann muss mit Weiß die 4.f3-Variante in der Nimzowitsch-indisch Verteidigung gegen den Nimzo-Spieler Seifert spielen). Dann geht es primär darum, zu testen, wie der Eröffnungsexperte mit einer Nebenvariante zurecht kommt. Eine andere Herangehensweise ist, beide Spieler ihre Farbe und ihre Eröffnung spielen zu lassen, aber ein System, die sie üblicherweise nicht wählen. Hier kann ausgelotet werden, ob sich ein benachbartes System vielleicht in das eigene Repertoire einpassen lässt. Das Beispiel zeigt, wie Jugendliche in solchen Konstellationen dazu neigen, taktische Spitzfindigkeiten auszuprobieren.

 










P. Hoffmann - V. Seifert
Sizilianisch [B95]

 

1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6 6.Lg5 e6 7.Dd2 Le7 8.0-0-0 Dc7 9.Kb1 Sbd7 10.f3 Tb8 Eine ungewöhnliche Idee, da üblicherweise der Aufmarsch an entgegengesetzten Flügel mit 10... b5 weiter forciert wird. 11.g4 b5 12.Le3 b4 13.Sce2 Se5 14.Sg3 Lb7 15.g5 Sfd7 16.Sh5 Lf8 [ Taktik springt jungen Spielern sofort ins Auge: 16...g6 17.Sg7+ Kf8 18.Sgxe6+ fxe6 19.Sxe6+ mit Damengewinn.] 17.Tg1 Sb6 18.Dxb4 Sbc4 Obwohl die Restzeit (W: 2:20 S: 1:46) knapp wird, suchen beide Spieler weiterhin die taktische Finesse. Ein Dauerschachschaukel folgt als gerechte Lösung. 19.Lc1 Lc6 20.Dc3 d5 21.f4 Sa3+ 22.Ka1 Lb4 23.Sxg7+ Ke7 24.Sdf5+ exf5 25.Sxf5+ Kf8 26.Dxe5 Sxc2+ 27.Kb1 Sa3+ 28.Ka1 Sc2+ 1/2-1/2

 

Lernen ist Selbsterkenntnis

   Die Unterrichtsstunde der beiden Oberstufenschüler hätte auch unter ein Leitbild eines wichtigen humanistischen Aufklärers des 19. Jahrhunderts, dem Philosoph Ludwig Feuerbach, gestellt werden: "Was der Mensch nicht aus sich selbst erkennt, das erkennt er gar nicht." Schachspieler unterziehen sich ständig bewusst oder unbewusst einem Erkenntnisprozess und fördern dabei ihre Kreativität zutage. Am Spätnachmittag geht es für Shvartz in die vierte Doppelstunde. Das Gespräch und die Übungen mit Maria Schöne (DWZ 2006) von SC 1911 Großröhrsdorf sollen nicht nur die individuelle Leistungsbereitschaft motivieren, sondern dienen ebenfalls dazu, die Ansprüche höher zu legen: "Einzeltraining ist wichtig, um über Schwächen zu sprechen. Das will und kann aus verständlichen Gründen nicht jeder in der Gruppe", weiß der Ausbilder, diesmal in seiner Funktion als sächsischer Landestrainer. Für die 16-Jährige aus dem D-Kader des DSB wird es keine leichte Übung.

   Eine Bundesligapartie, die nur Remis wurde, zu bewerten ist zwar nicht besonders angenehm. Gerade weil die Drachenexpertin von 1.e4 c5 2. Sf3 d6 3.Lb5 abgefangen wurde, und nicht optimal reagierte als sie eine besser Stellung erreichen hätte können. Eine akzeptable Entgegnung für das nächste Mal ist mit Hilfe einer großen Datenbank schnell festgelegt. Übungsziele werden im Trainingsheft festgehalten, eine Diskette mit Musterpartien wandert über den Tisch. Doch dann kommt Endspieltraining - Stellungen mit wenigen Steinen und studienartigen Gewinn- und Remiswegen. Die hohe Kunst des finalen Entscheidungsprozesses über ganze und halbe Punkte bedeuten nicht nur in der Turnierpartie Stress. Zwar versucht die Deutsche U-14-Meisterin von 2001 bzw. Deutsche U-16-Meisterin von 2002 in beiden Stellungen die Lösungsetappen zusammenzupuzzeln, doch die Probleme sind diffizil. In der ersten Stellung muss der Mechanismus erkannt werden, mit dem der König ein entscheidendes Tempi im vierten Zug gewinnt. In der zweiten Stellung muss gleich der erste Zug richtig sein, sonst ist die Option passe. Die junge Sächsin tut sich schwer; nach und nach schiebt Shvartz Hinweise nach. Abschließend werden alle Züge nochmals nachgespielt und im Notizheft festgehalten. Ob das Brett daheim darauf wartet?

Maria Schöne und Miroslav Shvartz beim Schachtraining

Notebook gegen Notizheft: Maria Schöne kann nach der schrittweise Analyse viele Züge und Kommentare in ihr Trainingsbuch notieren. Foto: Harald Fietz

 










A. Zubcenko - V. Gudok
UdSSR 1989

 

Schwarz zieht!

 

1...Kg4 Jetzt kann Weiß nicht verhindern, dass Schwarz seine optimale Figurenaufstellung erhält und dann mit seinem König Zugzwang herbeiführt. 2.Kb3 Ld2 3.Kc4 Lc3 4.Kb3 [ Entfernt sich der weiße König vom b-Bauern, fällt der g-Bauern: 4.Kd3 Kxg3 ] 4...Kf3 Ein Zug mit zweifacher Wirkung: Der h-Bauer kann nicht marschieren, da der schwarze König sonst rechtzeitig c5 erreicht und die Strecke an den Königsflügel ist nun ausreichend kurz. [ Nicht 4...Kxg3 und es ist Remis.] 5.Kc4 [ Der skizzierte Plan sollte einmal durchgespielt werden, um die Idee für die folgenden Züge verinnerlicht zu haben: 5.h5 Ke3 6.h6 ( Nach 6.Kc4 Kd2 7.Kb3 Kd3 8.h6 Kd4 entsteht die Stellung der Partie.) 6...Kd4 7.h7 ( 7.g4 Kc5 8.g5 Ld2 ) 7...Kc5 ] 5...Ke3 6.h5 Kd2 7.Kb3 Kd3 8.h6 [ Oder 8.g4 Kd4 9.g5 Kc5 10.g6 ( 10.h6 Ld2 ) 10...Lg7 mit Stop für die Bauern.] 8...Kd4 9.g4 Kc5 10.g5 Ld2 11.h7 Lc3

 

   Nach dieser ungewöhnlichen Materialverteilung folgt Basisarbeit in einem Turmendspiel. Selbst die jugoslawischen Großmeister haben seinerzeit die rettende Ressource übersehen.

 










L. Ljubojevic - S. Gligoric
Belgrad 1979

 

Weiß zieht!

 

1.g7 [ SM64-Leser Harald Faber (www.harald-faber.de) wies zurecht darauf hin, dass - wie seinerzeit Milic und Bozic im Informator 27 - der Autor einen falschen Rettungsweg angeben hat. Der schwarze König kann eine aktive Rolle bei der Eroberung des g-Bauern spielen, da resultierende Bauern- und Turmendspiele jeweils Remis sind. 1.c4 Tg3+ 2.Kc2 Kd7! ( Fehlerhaft ist eben 2...Kb7 3.g7 Ka7 4.Kd2 Kb7 5.Ke2 Ka7 6.Kf2 Tg5 7.Kf3 Kb7 8.Kf4 Tg1 9.Ke5 Tg2 10.Kd5 Tg5+ 11.Kd6 Ka7 12.Kc6 wodurch Schwarz nicht verhindern kann, dass Weiß über die dritte Reihe zum Bauer c5 gelangt.) 3.g7 Ke7 4.Ta8 ( 4.Tc8 Txg7 5.Txc5= ) 4...Txg7 5.Ta7+ Kf6 6.Txg7 Kxg7= ] 1...c4+! diese Rettung übersah Gligoric. [ Die Partiefortsetzung war 1...Kb7? 2.c4! Tg2 3.Kc3 1-0 "Der weiße König läuft durch das Zentrum zum Bauern c5, der wegen Zugzwang verloren geht." (Dworetzki)] Nach diesem Zwischenschach ist die Situation völlig verändert: 2.Kb4 Kb7 3.Kb5 Ka7 Denn "der weiße König kann nicht gleichzeitig den Bauern c4 attackieren und dem König das Feld b7 verwehren." (Dworetzki) 4.Kc6 Tg6+ da der Turm nicht an der Verteidigung des c4-Bauern kleben muss, ist dieses Schach möglich 5.Kc5 Tg4 und es gibt kein Weiterkommen.

 

   Nach einem langen Tag wird das Notebook zugeklappt, die russische Stein-Biographie wandert ebenso in die Tasche. Diese Woche werden noch Antonia Schneider (17 Jahre, DWZ 1630) und der neu dazugekommene Achtklässler Lukas Böttger (13 Jahre, DWZ ca. 1500) ihre individuellen Unterrichte bekommen. Und für die anderen stehen dann wieder benotete Aufgaben auf dem Stundenplan. In schriftlichen Tests müssen vier bis fünf Fragen beantwortet werden (z.B. zwei Fragen zur Schachgeschichte und drei Fragen zu einer Modellpartie). Die Zensuren orientieren sich an der Spielstärke. So wird - bei fast 800 DWZ-Punkten Differenz - von Evgenija Shmirina in der Partienanalyse mehr erwartet als von Nicole Lorenz. Mündliche Aufgaben können bei "den Großen" recht umfangreich sein (z.B. ein Vortrag über einen Weltmeister mit Lebenslauf, Erfolgen, Beiträgen zur Theorie - etwa Wassili Smyslows Behandlung der Spanischen Partie beim WM-Turnier 1948). Außerdem müssen jeweils zwei Weiß- und Schwarzpartien vorgeführt werden. Sicher ist das Gebiet der Prüfungsfragen und Benotung relativ neu im Schulkontext. Miroslav Shvartz steht daher Interessieren gerne zum Erfahrungsaustausch zur Verfügung (Kontakt: Tel. 0351/4759665 oder 0173/7434718 bzw. m.shvarts@web.de). Vielleicht ermuntern dann, mit den neuen praktischen Erfahrungen aus Dresden, bald mehr Trainer ihre Schüler herausfordernd, dass am Anfang wenig Ahnung war, aber jeder mit dem Willen zum Nachdenken Leistung bringen kann.

 

 

(korrigierte Fassung, erschien zuerst in Schachmagazin 64, Nr. 11/2003, S. 296 - 300)


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