Israelischer Außenseiter plötzlich im RampenlichtDeutsche Teams weiter auf dem Vormarschvon Harald Fietz, Oktober 2003 |
Bisher hatte sie keiner auf der Rechnung, das an zwölf der Rangliste gesetzte Team von Beer-Sheva mit den Großmeistern Alexander Huzman, Michael Roiz, Boris Avrukh, Alon Greenfeld, Vitali Golod, Mark Tseitlin und dem Internationalen Meister Alik Vydeslaver. Doch nach dem 3,5:2,5-Sieg gegen Norilsk Nikel, den Cup-Gewinner von 2001, mischten sich die Israelis unter das Führungstrio mit Ladia Kasan und NAO Paris. Da das Spitzenduell zwischen diesen beiden Konkurrenten unentschieden ausging, trennt nur die Brettpunktzahl die Titelanwärter (Kasan 23,5, NAO 21,5 und Berr-Sheva 20,5). Die deutschen Teams erzielten beide sichere Erfolge. Werder Bremen bezwang das starke slowakische Team von Corpora Martin und die Schachfreunde Neukölln besiegten den schwedischen Vertreter SK Limhamns.
Dicht umlagert die Endphase zwischen Kasparow und Grischuk. Die Schiedsrichterin hatte alle Mühe, die Zuschauer auf Distanz zu halten, während der schwarz gekleidete Sekundant Juri Dochojan noch kritisch schaut. Foto: Harald Fietz
Der fünfte Tag stand ganz im Zeichen der Gipfeltreffens zwischen den topgesetzten Super-Großmeistern von NAO Paris und der von Garry Kasparow zu Höchstleistungen mitgerissenen Truppe von Ladia Kasan. Nach frühen Punkteteilungen zwischen Sergei Rublewski und Michael Adams, Ilja Smirin und Joel Lautier sowie Artyom Timofeev und Etienne Bacrot schien kurz vor Vollendung der vierten Spielstunde, eine Vorentscheidung zugunsten der Franzosen gefallen zu sein. Russlands neuer Landesmeister in französischen Diensten bezwang den Dortmund-Sieger Viorel Bologan an Brett zwei und der Spanier Francisco Vallejo Pons drohte nach Bauerngewinn Andrei Charlow eine schwere Zeit zu bereiten. Hätte der hochaufgeschossene Mann von der iberischen Halbinsel gewonnen, dann hätte auch Garry Kasparow nichts mehr ausrichten können. Aber Charlow befreite sich allmählich und der Weltranglistenerste wühlte sich - abgeschirmt durch die ständig Zuschauer zurückdrängenden Schiedsrichterinnen - in seinen Fight gegen einen seiner potentiellen Nachfolger, Alexander Grischuk. Dieser hatte allerdings schon nach einem Dutzend Zügen nur noch 40 Minuten bis zur ersten Zeitkontrolle übrig. Als Pons Vallejo ins Remis einwilligen musste, stand auch Kasparow - wesentlich durch die Stärke seines Läuferpaars - auf Gewinn. Seine makellose Zwischenbilanz verbesserte er damit auf vier aus vier und überhaupt scheint sein Siegeswille auch die übrigen Mannschaftskollegen noch um einen Tick zu motivieren. Am zweiten Tisch drängte Beer-Sheva Norilsk Nikel ins Mittelfeld. Alexander Huzman hielt dabei gegen Alexei Drejew ein Turmendspiel mit Minusbauer remis. Im innerrussischen Duell behielt Tomsk-400 gegen St. Petersburg ebenfalls knapp mit 3,5:2,5 die Oberhand. Das gleiche Ergebnis erzielte Polonia Plus Warschau gegen die georgische Truppe von Tiblissi und Kiseljak gegen die ukrainische Jugendmannschaft (plus Trainer Gennadi Kuzmin) von A.V. Momot. Mit klaren Erfolgen rückten Bosna Sarajevo (5:1 gegen die Belgier von SK Eynatten) und Werder Bremen (4,5:1,5 gegen Corpora Martin) rückten alle Gewinnermannschaften bis auf einen Mannschaftspunkt an das Führungstrio ran. Das Finale verspricht ein Showdown der Extra-Klasse zu werden, obwohl sich alle einig sind, dass sieben Runden eigentlich zwei Spieltage zu wenig sind, um einen gerechten Sieger zu ermitteln. Kasan profitiert noch immer von seinem 6:0 gegen Chess Club Belfast in der zweiten Runde, da sie dort ihr Brettpunktepolster aufstockten, während die Mitbewerber sich mit hartnäckigerem Widerstand auseinandersetzen mussten.
Der Dortmund-Sieger Viorel Bologan musste sich Peter Swidler beugen. Foto: Harald Fietz
Erfreulich aus deutscher Sicht die Erfolge der beiden Bundesliga-Repräsentanten im Gleichschritt. Werder Bremen kam zu einem in dieser Höhe sicher überraschenden Erfolg gegen die an Rang neun gesetzten Slowaken (Bremen auf Startplatz 15 und mit durchschnittlich 70 Elo-Punkten weniger ausgestattet). Doch Luke McShane fertigte Ex-Europameister Emil Sutovsky ohne Mühe ab, während hinten der Laden dicht blieb: Gerlef Meins teilte die Punkte mit Gennadi Timoscenko, Sven Joachim mit Igor Stohl und die "interne Meisterschaft der ChessBase-Mitarbeiter" Rainer Knaak und Lubomir Ftacnik fand ebenfalls keinen Sieger. Dafür schnappte das Tschechen-Duo zu. Vlastimil Babula machte sich gegen die tschechische Nachwuchshoffnung David Navara eine Qualitätseinsteller zum Nutzen und bescherte sich damit ein schönes Geburtstagsgeschenk; Zbynek Hracek profitierte - trotz Minusqualität - von einer Unachtsamkeit von Sergei Movsesian und schob dann zwei verbundene Freibauern unaufhaltsam nach vorne. Der Bremer wird für den in der Bundesliga für Neukölln spielenden "Mov" allmählich zum Angstgegner, denn diesen März gab es in der höchsten deutschen Liga bereits eine deftige Kurzniederlage.
ChessBase-Mann Rainer Knaak teilte gegen seinen Arbeitskollegen Ftacnik den Punkt. Foto: Harald Fietz
Die Hauptstädter haben jedoch noch andere Vereinskollegen in Europa - und genau die saßen ihnen in Runde fünf gleich als Schweden-Trio gegenüber. Mit 1,5:1,5 teilte man die Punkte aber keineswegs friedlich. Stephan Berndt, der sich am Morgen am Strand durch eine großen spitzen Stein eine klaffende Wunde am Fuß zugezogen hatte, die beim Arzt in Rethymnon mit mehreren Skalpellschnitten behandelt wurde, unterlag unter Schmerzen Stellan Brynell. Derweil rollte an Brett drei Martin Borriss' Figurenpower gegen Björn Ahlander nach knapp über fünf Stunden zum letzten Sieg beim 4:2-Erfolg. Zu diesem Zeitpunkt schüttelte Spitzenmann Rainer Polzin bereits häufig den Kopf, denn er hatte gegen Johan Hellsten eine "fette" Stellung nicht zum Gewinn verdichtet. Des einen Freud, des anderen Leid. Der schwedische Weltenbummler, der in der dunklen Jahreszeit in Chile Heimat nimmt, bleibt im Soll für die GM-Norm, während der Neuköllner Rechtsanwalt in der sechsten Runde mit den schwarzen Steinen kräftige Indizien für die GM-Tauglichkeit gegen den Vizeweltmeister von 1999, Vladimir Akopian nachweisen muss. In der hinteren Hälfte ließen die Berliner nichts anbrennen. Dirk Poldauf und Lars Thiede sorgten für volle Punkte und Jan-Dietrich Wendt kannte seinen Sizilianer gut, was aber - trotz Mehrbauern im Turmendspiel - wegen der aktiveren Stellung seines Gegenüber nur zum Remis reichte.
Heute ist eine Art erster Tag der Wahrheit. Die Deutschen müssen Angriffe von Balkan abwehren: Werder Bremen gegen Kiseljak und Schachfreunde Neukölln gegen Skopje Alkaloid. Vorne werden sich die Fronten möglicherweise bereits klären, denn Beer-Sheva hat den ultimativen Test gegen Ladia Kasan, während NAO Paris Tomsk-400 in die Schranken weisen möchte. Bosna Sarajewo und Polonia Warschau müssen für die Positionierung auf einem Medaillenplatz auf Sieg spielen. Möglicherweise würde ein Erfolg sogar noch das Tor zum absoluten Erfolg aufstossen. Ob Garry Kasparow und seinen Mannen wohl etwas dagegen haben?
Bei den Damen gab zwar der Tabellenführer NTN Tiblissi gegen Ladia Kasan (mit Alisa Galljamova an Brett eins) ein 2:2 ab, aber noch hält ein Vorsprung von einem Mannschaftspunkt. Internet Podgorica mit Svetlana Mateeva und Alexandra Kosteniuk sind mit der gleichen Brettpunktzahl in Lauerposition. Titelverteidiger BAS Belgrad hat bereits zwei Mannschaftspunkte Rückstand und der eigentliche Favorit, ULIM Chisenau mit Almira Skripchenko, Antoneta Stefannova an den Top-Brettern ist überhaupt kein Faktor mehr. Sicher hätten die Damen mehr Aufmerksamkeit verdient als die Seelenruhe, die in der fünf Kilometer entfernten Anlage herrscht, wo der Herrenwettbewerb 2001 stattfand. Wenigstens werden bei der Siegerehrung am Samstag einige hübsche Gesichter mehr im Creta Star auftauchen.