Spitze sortiert sich vor dem GipfeltreffenBeide deutsche Teams gewinnen hochvon Harald Fietz, Oktober 2003 |
Garry Kasparow ist nicht nur für seine Teamkollegen ein Vorbild an Einsatzwillen, sondern zauberte dabei noch eine exzellente Endspielleistung auf das Brett. Foto: Harald Fietz
Die Zahl der Top-Begegnungen beim Europacup für Vereinsmannschaften für Herren nimmt zu. In Runde drei setzten sich Ladia Kasan und NAO Paris mannschaftspunktfrei von den Verfolgern ab und treffen jetzt in der vierten Runde aufeinander. Kasan hielt sich gegen St. Petersburg mit 4:2 schadlos (Garry Kasparow kombinierte mit Endspieltechnik a la Capablanca Konstantin Sakajew auseinander!), während NAO das polnische Spitzenteam Polonia Plus Warschau mit 3,5:2,5 bezwang. Einen Mannschaftspunkt abgegeben hat das Überraschungsteam Beer-Sheva aus Israel, das den zweiten Vertreter Polens, Polfa Grodzisk, 4:2 schlug, sowie der Sieger von 2001, Norilsk Nikel, welcher Alkaloid Skopje ebenfalls 4:2 besiegte. Die deutschen Teams bewältigten ihre lösbaren Aufgaben sicher. Werder Bremen kam zu einem 5:1 gegen die Engländer von Barbican und die Schachfreunde Neukölln überwanden österreichischen Widerstand beim 4,5:1,5 gegen Austria Graz.
Obwohl die Resultate der deutschen Team relativ klar aussehen, zeigt ein Blick auf das Zustandekommen, wie verbissen es bei diesem Großereignis zugeht. Mannschaftskämpfe stehen oft Spitz auf Knopf und gerade um die siebte Stunde sind einzelne Bretter vielumlagert. Die Deutschen mussten diesmal allerdings weniger um den Sieg zittern, aber eben spät die Führung heimbringen. Bei Werder legte das tschechische Duo Zbynek Hracek und Vlastimil Babula vor der Zeitkontrolle vor. Das Spitzenbrett Luke McShane holte gegen seinen Landsmann Jonathan Parker nach vier Stunden und 30 Minuten ein Unentschieden heraus und Gerlef Meins brachte kurz vor Ende der fünften Stunde die 3,5:0,5 Führung heim. Der Rest ließ noch einige Zeit auf sich warten: Rainer Knaak teilte den Punkt nach über sechs Stunden und Jakob Heissler steuerte nach sechseinviertel Stunden einen Gewinn zum 5:1 Sieg bei.
Jan-Dietrich Wendt, der Ergänzungsspieler des Berliner Bundesligisten Neukölln, feierte ein erfolgreiches Europacup-Debüt. Foto: Harald Fietz
Ähnlich langsam entwickelt sich der Berliner Erfolg. Einem ersten Remis von Stephan Berndt nach knapp drei Stunden fügten vor Ablauf der vierten Uhrenumdrehung Rainer Polzin einen Sieg, Dirk Poldauf ein Remis und Jan-Dietrich Wendt einen vollen Punkt hinzu. Wendt bereitete mit seinem perfekten Europacup-Debüt die Steilvorlage zum 3:1-Zwischenstand, wobei Martin Borriss und Lars Thiede beide prächtige Stellungen auf der Platte hatten. Nun blieb viel Zeit zum Kiebitzen, was die Konkurrenz so treibt. Überraschungen zeigen dabei erneut, wie das schachliche Niveau generell gestiegen ist. Kein Spieler, kein Team darf mehr auf die leichte Schulter genommen werden. Parterre holte die vom Hamburger Großmeister Karsten Müller angeführte österreichische Mannschaft von Gleisdorf nur ein 3:3 gegen ein irisches Team mit drei Spielern ohne Elo-Zahl, bei den Spitzenbegegnungen erlebte Tomsk-400 eine Ernüchterung, als der ukrainische Nachwuchs mit ihrem Trainer Gennadi Kuzmin an der Spitze ein Mannschaftsremis erkämpfte. Umlagert dabei das Brett der erst 13-jährigen Kateryna Lahno, die den einzigen echten "Sibirer" im Tomsker Team, Großmeister Andrei Belozerov, mit den schwarzen Steinen niederrang. Inzwischen klärten sich auch - nach sechseinhalb Stunden - die verbliebenen Stellungen der Neuköllner. Borriss musste trotz Mehrbauer und zwischenzeitlicher Initiative gegen den "Schach-Aktiv"-Redakteur Hubert Ebner ins Remis einwilligen, während Lars Thiede endlich seinen ersten vollen Punkt sicher verbuchte. Bester Mann im Team der Hauptstädter bleibt Spitzenbrett Rainer Polzin, der nach drei Unentschieden (u.a. gegen Alexander Chalifman und Jewgeni Barejew) durch den ersten Sieg einen günstigen Plus-Eins-Zwischenstand erreichte.
Die im Oktober in der Frauen-Weltrangliste auf Platz sechs hochgeschossene Kateryna Lahno, einer der Stars im ukrainischen "Jugendteam" von A.V. Momot, schickte einen Tomsker Herren-Großmeister aus Sibirien in die Wüste. Foto: Harald Fietz
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Belozerov,A (2541) - Lahno,K (2431)
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In Runde fünf werden die Neuköllner einige Bekannte treffen, denn die beiden Spitzenbretter der Schweden von Limhamns SK, Johan Hellsten und Stellan Brynell, spielten oder spielen in der Berliner Bundesliga-Mannschaft. Andere "Neuköllner", die Slowaken Sergei Movsesian aus dem tschechischen Pardubice und Igor Stohl aus der slowakischen Hauptstadt Bratislava, werden zusammen mit weiteren slowakischen Nationalmannschaftskollegen (Lubomir Ftacnik, David Navara und Gennadi Timoscenko) plus Ex-Europameister Emil Sutovsky für den slowakischen Pokalsieger Corpora Martin versuchen, Werder Bremen zu ärgern. Die Hansestädter liegen derzeit mit sechs Mannschaftspunkten (15,5 BP) auf einem geteilten 9./10. Platz, während Neukölln mit vier Mannschaftspunkten (11 BP) Platz 26./27. belegt. Aktuelle Details finden sich auf der offiziellen Seite www.venizelia.gr/ecc2003. Die Vor-Ort-Berichterstattung kann - aufgrund eines fehlenden Pressezentrums und mangelhafter Kommunikation zwischen den Herren- und Damenspielorten - leider nur selten auf vollständige Informationen zugreifen. Turnierdirektor de Ridder erlebte gestern einen anstrengenden Tag (u.a. Bus-Transfers zu spät, Schiedsrichter ohne Abmeldung nicht bei ihren Matches). Im Gespräch resümierte er, nicht ohne Unterton, dass die organisatorischen Defizite zwar anno 2001 - als AO Kydon Chania ebenfalls Ausrichter war - in einer Mängelliste bilanziert wurden, doch diesmal fast genau die gleiche "Erscheinungen" auftreten. Aber auf den Brettern immer kontinuierlich viel Spannung zu finden!