Neuköllner Dauerkämpfer ärgern WeltklassespielerFavoriten beginnen sich abzusetzenvon Harald Fietz, Oktober 2003 |
Almira Skripchenko und ihre favorisierten moldawischen Teamkolleginnen Stefanova, Petrenko und Partac haben den Anschluss an die Spitzenmannschaften im Frauenwettbewerb verloren. Foto: Harald Fietz
Nach der dritten Runde bei den Europacups für Vereinsmannschaften kristallisieren sich allmählich die Favoriten heraus. Bei den Herren liegen vier Teams nach Mannschaftspunkten verlustpunktfrei an der Spitze, wobei das gestern wieder von Garry Kasparow angeführte Team von Ladia Kasan bereits einen kleinen Brettpunktevorsprung besitzt (1. Kasan 16,5 2./3. NAO Paris und Polonia Plus Warschau 15 sowie St. Petersburg 13). Bei den Frauen enttäuscht das hoch eingeschätzte moldawische Team von ULIM Chisenau mit Almira Skripchenko, Antoneta Stefanova, Svetlana Petrenko und Elena Partac, welches mit einem Sieg, einem Remis und einer Niederlage wohl alle Chancen auf den Titel eingebüsst hat. Einziges Team mit optimalen drei Mannschaftssiegen ist NTN Tbilissi mit Nana Dzagnidze, Maja Lomineishvili, Lela Javakishvili und Sopio Gvetadze. In Lauerposition bleiben mit einem Mannschaftspunkt dahinter Internet Podgorica (u.a. mit Svetlana Matveeva und Alexandra Kosteniuk) und Ladia Kasan (u.a. mit Alisa Galliamova). Da die Damen sich auf die verkürzte FIDE-Bedenkzeit verständigt haben, beginnen sie später und schafften es vielfach, in der dritten Runde mit einem Busshuttle zum fünf Kilometer entfernten Herrenwettbewerb vorbeizuschauen.
Hier ging es gestern teilweise wieder länger als sieben Stunden zur Sache. Einige Teams schafften jedoch schnelle Siege: Kasan fertigte Tiblissi 4,5:1,5 ab, wobei Kasparow die georgische Nachwuchshoffnung Baadur Jobava besiegte. NAO kam zu einem 5:1 Sieg gegen die Weißrussen von Vesnianka Minsk, wobei der gerade in der Vorwoche zum U-14 Europameister gekürte Sergei Zhigalko ein Turmendspiel mit Minusbauer gegen den Spitzen-Großmeister Michael Adams sicher hielt. Kantersiege fuhren Polonia Plus Warschau mit 5,5:0,5 gegen das zweite französische Team von Clichy ein, ebenso wie Alkaloid Skopje, die sich mit einem 6:0 gegen Chess Club Belfast schadlos hielten.
Sergei Zigalko schaffte es, mit Glück und Geschick ein Turmendspiel mit Minusbauer gegen Michael Adams Remis zu halten. Foto: Harald Fietz
Die deutschen Mannschaften bewältigten höchst unterschiedliche Aufgaben. Werder Bremen hatte schon nach vier Stunden gegen die norwegischen Außenseiter von SK Asker alles unter Dach und Fach. Hinten zwei Siege von Jakob Heissler und Gerlef Meins und dann reihten sich die Unentschieden von Luke McShane (der nach vielen Erfolgen im letzten Halbjahr auf Kreta etwas von der Rolle wirkt und gegen die Nachwuchshoffnung, den 13-jährigen Magnus Carlsen, nur die Punkte teilte), Zbynek Hracek, Vlastimil Babula und Sven Joachim problemlos zum 4:2 aneinander.
Trotz einer ehrenwerten 2:4 Niederlage gegen den vierfache Europapokalsieger und Titelverteidiger Bosan Sarajewo brachen die Schachfreunde Neukölln frohgelaunt zur "Tavernen-Analyse" auf: (von links) Jan-Dietrich Wendt, Dirk Poldauf, Stephan Berndt, Lars Thiede, Rainer Polzin, Martin Borriss und Henrik Rudolf. Foto: Harald Fietz
Andere Kaliber bekamen die Schachfreunde Neukölln vorgesetzt. Titelverteidiger Bosna Sarajeva patzte am Vortag gegen St. Petersburg und auch gegen die Berliner bedurfte es vollen Einsatzes. Kurz vor der ersten Zeitkontrolle stand erst eine entschiedene Partie zu Buche. Martin Borriss wurde von Ivan Sokolov sauber überspielt. Aber an den übrigen Brettern tobte der Kampf. Nach vier Stunden und 40 Minuten krönte Dirk Poldauf seine Leistung mit einem feinen positionellen Sieg gegen Rustam Kasimdzhanov. Bereits nach 1.c4 e5 2.Sc3 Lb4 3.Sd5 Lc5 4.Sf3 e4 5.d4 Le7 6.Sxe7 Dxe7 7.Sg5 e3 8.Sf3 exf2 9.Kxf2 d6 10.h3! verfiel der Russe in ein halbstündiges Nachdenken. "Poldi" hingegen erinnerte sich noch an alte Empor-Berlin-Zeiten, als Wladimir Kramnik anno 1993 die damals sehr populäre Variante bei einem Trainingsabend vorführte. In der Folgezeit gelang es Schwarz nicht, das weiße Bauernzentrum aufzubrechen und einige unglückliche Positionsmanöver führten in die Niederlage. Leider musste sich Stephan Berndt nach fünf Stunden und 20 Minuten dem Kombinationsdruck von Alexei Shirov beugen. Hier zeigte der Lette hinterher in einer Ecke des Vorraums zu zweiten Spielsaal "nette" Idee, wo der Berliner hätte kräftiger fortsetzen können (leider stellen die Organisatoren keinen Analyseraum zur Verfügung, was für ein Event dieser Kategorie eigentlich ein Unding ist!). Als die sechste Stunde voll war, einigte man sich an Brett sechs zwischen Henrik Rudolf und Bojan Kurajica auf Remis, denn außer jeweils Turm und Springer stand nur noch ein unverwertbarer Bauer beim Rostocker in Berliner Reihen auf dem Brett. Mit dieser Leistung verabschiedete sich Rudolf in den schon länger gebuchten Türkei-Urlaub und Jan-Dietrich Wendt, das Spitzenbrett der Oberliga-Mannschaft Neukölln 2, rückt die letzten vier Runden nach. Blieben beim Stand von 1,5:2,5 noch zwei Bretter: Rainer Polzin schaffte dabei am Spitzenbrett ein beachtenswertes Unentschieden gegen den ab der Oktober in der Weltrangliste an Nummer vier geführten Jewgeni Barejew. Diese Leistung fand auch die anerkennenden Blicke der kiebitzenden russischen Experten, denn eigentlich ist der Moskauer Top-Spieler ein gefürchteter Königsindisch-Killer. Diesmal wurde zwar auch bis zum Anschlag gekämpft, aber mit reduzierten Material (König und Turm gegen König, Läufer und Bauer) war das theoretische Remis unvermeidlich. Sein Endspiel mit zwei Minusbauern und ungleichfarbigen Läufern hätte auch Lars Thiede halten können, wie Kiril Georgiev freimütig gestand. Aber irgendwo kam innerhalb der sechseinhalb Stunden die Konzentration abhanden. 2:4 ist zwar kein schönes Ergebnis, aber Potential für ein besseres Resultat war ohne Zweifel vorhanden.
Rustam Kasimdzhanov fand gegen Dirk Poldauf trotz intensiver Suche keinen befriedigenden Plan. Foto: Harald Fietz
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Poldauf,D (2404) - Kasimdzhanov,R (2664)
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Kasparov,G (2830) - Jobava,B (2596)
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