Kortschnoi knockt Titelverteidiger ausDeutsche Teams verlieren gegen Spitzenteamsvon Harald Fietz, September 2003 |
Obwohl erst zwei Runden gespielt sind, ist wahrscheinlich, dass es beim Europacup der Vereinsmannschaften keine Titelverteidigung geben wird. Nach dramatischen siebeneinhalb Stunden unterlag Vorjahressieger Bosna Sarajewo St. Petersburg mit 2,5:3,5. Heiße Anwärter auf die Krone bleiben damit die russischen Mannschaften und das französische Superteam von NAO Paris. Die deutschen Vertreter, Werder Bremen und Schachfreunde Neukölln, unterlagen gegen NAO Paris bzw. Tomsk-400 deutlich.
Die Poleposition nach zwei von sieben Runden hat Ladia Kazan inne, obwohl Garry Kasparow gegen die Außenseiter von Chess Club Belfast nicht gegen einen Spieler mit einer Elo-Zahl unter 2200 antrat. Aber Viktor Bologan, Sergei Rublewski, Ilja Smirin, Andrei Kharlow, Artyom Timofeev und Ramil Hasangatin besorgten das zweite 6:0-Ergebnis, so dass der russische Mannschaftsmeister das einzige Team ist, welches alle zwölf Partien gewonnen hat. Ebenfalls optimale Mannschaftspunktzahl weisen NAO Paris, St. Petersburg, Norilsk Nikel, Tomsk-400, Polonia Plus Warschau, Tibilissi, Clichy Echecs 92, A.V. Momot CC aus der Ukraine, Beer-Sheva und die Belgier von Eynatten auf.
Die Begegnung der zweiten Runde lieferte ohne Zweifel die Schachlegende Viktor Kortschnoi. Die Bedenkzeitregelung im Fischer-Modus, bei der der Spieler jeweils 30 Sekunden Zeitbonus pro Zug erhält, macht es möglich, dass länger als sieben Stunden gespielt werden kann. Als andere bereits eine Stunde am Pool und das Abendessen hinter sich hatten, versuchte Ivan Sokolov immer noch, Bosna Sarajewo auf Titelkurs zu halten. Nach ca. fünf Stunden stand es 2:3, da Kiril Georgiev gegen Aleksei Lugovoi unterlag und die übrigen Begegnungen alle Remis endeten (Konstantin Sakajew gegen Jewgeni Barejew, Sergei Volkow gegen Alexei Shirov, Pavel Smirnov gegen Rustam Kasimdzhanaov und Sergei Ivanov Bojan Kurajica - St. Peterburger Spieler erstgenannt). In einer normalen Turnierpartie hätte Sokolov mit Turm und Springer gegen Dame und Bauern nur am Königsflügel sicher einfach ein Festung aufgebaut, aber unter dem Druck des Mannschaftsstandes musste er irgendwie einen Gewinnweg suchen. Nach sechs Stunden ergaben sich dazu mit seinen schwarzen Steinen erste Chancen (W: Kg1, Db1, h3 S: Kg6, Te4, Sf6, f7, g5, h5). In der Folgezeit marschierte der in den Niederlanden lebende Bosnier mit dem König nach vorne und unter den Augen von mindestens hundert Zuschauern tauchte schließlich sogar der f-Bauer - unterstützt vom Springer auf d2 - auf dem vorletzten Feld auf. Als die Umwandlung zur Dame und das Matt für den auf h1 eingekeilten König drohte, fand der 72-jährige Kortschnoi alle Damenschachs, die allein die Punkteteilung und den Sieg für die Ostsee-Metropole sicherten. Eine Stunde lang scheuchte der Wahl-Schweizer die schwarze Majestät über das Brett und nach siebeneinhalb Stunden willigte Sokolov in das Unvermeidbare ein. Applaus von den dicht gedrängten Zuschauerreihen interessierten den hastig flüchtenden Bosnier nicht mehr, ebenso wenig wie das herzliche Schulterklopfen der jüngeren St. Petersburger Mannschaftskollegen für den Altmeister, dessen unbändiger Einsatz immer noch mit viel Sympathie respektvoll verfolgt wird - eine vorbildliche Energieleistung mit großer Ausdauer.
Vlastimil Babula holte letztlich die beste Performance im Trikot der Hansestädter. Foto: Harald Fietz
Kämpferische Einstellung versuchten auch die beiden deutschen Teams, aber die Gegner erwiesen sich als eine Nummer zu groß. Zwar hielt Werder Bremen gegen NAO zunächst alles unter Kontrolle. Nach drei Stunden stand es 1,5:1,5, weil Luke McShane gegen Alexander Grischuk, Vlastimil Babula gegen Michael Adams und Sven Joachim gegen Etienne Bacrot remisiert hatten, aber kurz vor der Zeitkontrolle wendete sich das Blatt. Zbynek Hracek unterlag Peter Swidler und Jakob Heissler streckte gegen Laurent Fressinet die Waffen. Letztlich musste auch Rainer Knaak gegen Francisco Vallejo Pons in einem hochinteressanten Endspiel nach etwa sechs Stunden den Punkt abgeben, so dass es eine erwartete 1,5:4,5-Niederlage wurde.
Laurent Fressinet erwies sich für den Bremer Jakob Heissler eine Nummer zu groß. Foto: Harald Fietz
Den Schachfreunden Neukölln ging es gegen Tomsk-400 ähnlich. Henrik Rudolf parkte gegen Konstantin Landa an Brett sechs eine Figur ein und Dirk Poldauf erspähte in einem aufregenden, eröffnungstheoretischen bedeutsamen Königsinder, der sogar mehrfach die Aufmerksamkeit des kiebitzenden Kasparow fand, nicht die optimale Fortsetzung. Nachdem Stephan Berndt von Alexander Morosewitsch überspielt worden war, schob Ex-Weltmeister Alexander Chalifman gegen Rainer Polzin in ausgeglichener Stellung sofort ein Remisangebot nach, welches die 3,5:0,5 Führung perfekt machten sollte. Ein Blick auf die anderen Brett genügte dem Neuköllner Vorkämpfer, um einzuwilligen. Martin Borriss hatte inzwischen die Initiative in einer optisch schönen Stellung gegen Mikhail Kobalia eingebüßt, so dass die Punkteteilung unvermeidbar wurde, und Lars Thiede musste nach verpassten Chancen gegen Valeri Filippov die Hand reichen. Statt des 1:5 war diesmal wirklich mehr drin.
Wie auch bei den Werder-Partien sollten sich Interessierte alle Berliner Partien auf der exzellenten, offiziellen Internet-Seite www.venizelia.gr/ecc2003 anschauen. Dort finden sich auch die Ergebnisse von Damenwettbewerb, von dem bis Mitternacht noch keine Details (kein Pressezentrum, wenige Hotelzimmer mit Internet-Anschluss) durchgedrungen waren. Allerdings ist inzwischen ein umfangreiches Bulletin der ersten Runde in Heftform erschienen. Trotz einiger organisatorischer Mängel kommt das Turnier nun in Fahrt.
Die dritte Runde hat für die deutschen Mannschaften völlig unterschiedliche Herausforderungen parat. Werder wird sich sicher am "Aufbaugegner" von SK Asker aus Norwegen für die französische Abfuhr revanchieren wollen; die Schachfreude Neukölln erwartet dagegen der geballte Zorn von Bosna Sarajewo. Zum Abschluss noch drei Tipps zu bemerkenswerten Partien aus Runde zwei: Im polnischen Mannschaftsduell zwischen Polonia Plus Warschau und Polfa Grodzisk Mazowiecki ereignete sich ein spannendes Endspiel zwischen Wassili Iwantschuk in Reihen der Hauptstädter und dem ehemaligen ungarischen Jugendweltmeister Peter Acs, Shirov kombinierte sich in typischer Manier letztlich zum Remis gegen Volkov und Arkadi Naiditsch (SK Eynatten) unterlag dem FIDE-Vizeweltmeister von 1999, Vladimir Akopian, der für die mazedonische Mannschaft Alkaoid Skopje antritt. Der Knaller der dritten Runde wird wahrscheinlich das innerrussische Duell Tomsk-400 gegen Norilsky Nikel, während die restlichen Titelaspiranten erneut versuchen müssen, gegen Außenseiter zu bestehen. Für Spannung ist weiterhin reichlich gesorgt.
Vorbild für alle kämpferischen Schachspieler: Nach siebeneinhalb Stunden sicherte der frühere Weltmeisteranwärter mit einem Dauerschach den Mannschaftssieg seiner St. Petersburger gegen Titelverteidiger Bosna Sarajewo. Foto: Harald Fietz
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Shirov,A (2732) - Volkov,S (2620)
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Acs,P (2605) - Ivanchuk,V (2710)
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Naiditsch,A (2574) - Akopian,V (2703)
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