Viele Favoritensiege zum Auftakt der Europacups für VereinsmannschaftenKasparow mischt sich unter das Schachvolk, deutsche Teams gewinnenvon Harald Fietz, September 2003 |
Die 16-jährige Französin Marie Sebag sorgte auch gegen die Ex-Europameisterin Stefanova für Furore. Foto: Harald Fietz
Das Mekka der Schachwelt liegt derzeit in Kreta. Nahe der Stadt Rethymnon findet vom 28.9. bis 4.10.2003 der Europacup für Vereinsmannschaften der Herren zum 19. Mal statt, bei den Damen trifft man sich zum 8. Mal. Trotz organisatorischer Schwierigkeiten (überbuchte Hotels, Auslagerung des Damenwettbewerbs in eine andere Hotelanlage, Teilung des Turniersaals auf zwei Etagen mit teilweise ungenügender Klimaanlage, fehlendem Pressezentrum) sind erst einmal alle froh, dass die Sprache der Züge das Regime übernommen hat. In der ersten Runde gab es - bis auf einige Ausnahmen - nur deutliche Mannschaftsergebnisse. Der Weltranglistenerste Garry Kasparow setzte sich - dicht umringt von Schachfans und gewöhnlichen Touristen - für das russische Team von Ladia Kazan an das Spitzenbrett. Gegen Wladimir Chuchelov von belgischen Vertreter Rochade Eupen eröffnete das "Zugpferd" der Veranstaltung mit 1.d4 und führte den russischen Mannschaftsmeister zu einem glatten 6:0-Sieg. Die Bundesligavertreter gewannen beide - Werder Bremen locker, die Schachfreunde Neukölln knapp.
Der gebürtige Ukrainer Wladimir Chuchelov unterlag Kasparow chancenlos. Foto: Harald Fietz
Unter den Spitzenteams tat sich ausgerechnet Titelverteidiger Bosna Sarajewo mit einem 4:2 gegen SK Linhamns schwer. Hier boten insbesondere die Schweden mit Kontakten zum Berliner Bundesligist Schachfreunde Neukölln, Johan Hellsten (früher im Einsatz, aber jetzt während der Wintermonate in Chile beheimatet) und Stellan Brynell (aktuell im Team), Paroli, so dass es den Spitzenbrettern für Jewgeni Barejew und Alexei Shirow nur jeweils zu Remis reichte. Auch Ivan Sokolov und Kiril Georgiev mussten in die Punkteteilung einwilligen. Ein 5:1 holte der Sieger von 2001, Noriksky Nikel, gegen die Dänen von Skolernes Skakklub Aarhus. Einen halben Brettpunkt büßte die wertungsbeste Mannschaft NAO Paris gegen den tschechischen Vertreter TZ Trinec ein, sowie Corpora Martin (quasi die slowakische Nationalmannschaft plus Ex-Europameister Emil Sutovski aus Israel) gegen die Norweger von Asker Schakklubb. Hundertprozentige Sollerfüllung leisteten dagegen - neben Kazan - die Russen von Tomsk-400 (gegen die Finnen von Joensuun Shakkikerko Joensuu), die Bosnier von SK Kisejak (gegen die Österreicher von Sparkasse Gleisdorf, wo der Hamburger Kasten Müller am Spitzenbrett Chancen gegen den amtierenden Europameister Zurab Azmaiparashwili verpasste) sowie Polonia Plus Warschau (gegen die Isländer von Hellir Chess Club).
Fast hätte sich der Drittplatzierte der letzten Bundesliga-Saison, Werder Bremen, in die "Sweeps" eingereiht. Nach einer 5:0-Führung durch Zbynek Hracek, Vlastimil Babula, Rainer Knaak, Sven Joachim und Gerlef Meins musste ausgerechnet der momentan erfolgreichste Spieler der internationalen Turnierszene, Luke McShane, gegen Yuri Boidman, das Spitzenbrett des C.E. "de Sprenger" Echternach, aufgeben. Zwar hatte er eine Qualität mehr, doch der Deutsche in Reihen der Luxemburger verfügte über drei verbundene Freibauern. Eine undankbare Aufgabe hatten dagegen die Schachfreunde Neukölln mit Klubi i shahut "Drita" Therande, einem albanischen Team aus den Kosovo, welches unter neutraler ECU-Fahne antritt. Obwohl die Spieler vom Balkan teilweise niedrige oder keine Elo-Zahlen haben, merkte man ihnen die langjährige Schacherfahrung an. Durch kriegsbedingte Inaktivität ging nicht viel Schachwissen verloren. Insbesondere mit Kampfgeist wird versucht, an frühere Spielstärke anzuknüpfen. Zwar sicherte Martin Borriss schnell die Führung, doch Dirk Poldaufs Königssturm verlief sich, so das der elolose amtierende Landesmeister Myrtez Hondozi, der in der nächsten FIDE-Liste mit einer Wertungszahl von ca. 2370 erscheinen wird, siegreich konterte. Nach Remisen aus der Position der Stärke durch die Spitzenbretter mit Rainer Polzin und Stephan Berndt, fügte Lars Thiede einen glücklichen halben Punkt nach wechselhaften Spielverlauf hinzu. Henrik Rudolf blieb es am hinteren Brett vorbehalten, den 3,5:2,5-Gewinn einzufahren.
Dr. Martin Borriss erzielte die schnelle Führung der Schachfreunde Neukölln. Foto: Harald Fietz
In Runde zwei warten echte Herausforderungen auf die beiden deutschen Repräsentanten. Werder Bremen setzt sich NAO Paris gegenüber, die Schachfreunde Neukölln haben es mit Tomsk-400 zu tun. Diese Ansetzungen entstehen daher, weil nicht punktgleiche Teams nach der Anzahl ihrer Brettpunkte aufeinander treffen, sondern weiterhin obere gegen untere Hälfte bei den Teams mit gleichen Mannschaftspunkten gepaart werden. Trotz der "heftigen" Gegner muss man froh sein, dass überhaupt zwei deutsche Team die Ehre der Bundesliga in diesem prestigeträchtigen Konzert der Großen hochhalten!
Bei den Damen ist leider kein deutscher Vertreter angetreten. Am späten Abend sickerten über die einzige, vom Bulletin-Team geräumte, langsame Internetleitung erste Ergebnisse von fünf Kilometer entfernt stattfindenden Frauenwettbewerb durch. Zwei Anwärter auf den Titel spielten gemäß der Erwartungen: Internet CG Podgorica gewann 4:0 und Titelverteidiger BAS Belgrad holte ein 3,5:0,5, während das moldawische Team von ULIM Chisinau mit Almira Skripchenko, Antoneta Stefanova und Svetlana Petrenko an den Spitzenbrettern gegen Cannes mit Peng Zaoquin, Marie Sebag, Maria Leconte und der Deutschen Bettina Trabert bereits mit einem 2:2 patzte. Erwähnenswert ist, dass die Frauen - aus welchen Gründen auch immer - in der Sitzung der Mannschaftsführer am Vormittag eine Regelung durchsetzten, die viele als schädlich für die Qualität des klassischen Schach erachten. Statt der üblichen Bedenkzeit, die die Herren bevorzugen (100 Minuten plus 30 Sekunden pro Zug für 40 Züge, dann 50 Minuten plus 30 Sekunden pro Zug für die nächsten 20 Züge und abschließend 30 Sekunden pro Zug), gab es hier eine deutliche Mehrheit für die Zeitregelung einiger FIDE-Veranstaltungen (z.B. WM 2001/02 und Olympiade 2002, wo nur mit 90 Basis-Minuten plus 30 Sekunden Zuschlag für den gesamten Rest gespielt wurde). Ob hier nicht einige Schachspielerin der Aufenthalt bei einem europäischen Spitzenturnier mit einem Urlaubswettbewerb verwechselt haben?
Turnierdirektor Stubenvoll musste sich mit den ganz eigenen Spielvorstellungen der Damenmannschaftsführerinnen befassen. Ob kürzere Bedenkzeiten dem klassischen Schach wirklich gute Qualität sichern? Foto: Harald Fietz |
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Wir werden auch hier in den kommenden Tagen vor Ort sein. Die offizielle Seite www.venizelia.gr/ecc2003 offeriert aktuelle Einblicke in die Großveranstaltung. Neben der Kasparow-Partie lohnt es sich bestimmt, bereits jetzt unter den vielen interessanten Partien nach gefundenen oder verpassten Chancen zu fahnden. Die Sonne ist Europas Schachelite auch am zweiten Tag mit ca. 26 Grad gewogen. Hoffentlich inspiriert dies weitere gute Leistungen.