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Ich habe selten so viel Wasser schlucken müssen."

Wie sich zwei Berliner auf Kreta durchbissen

von Harald Fietz, Oktober 2001

Europacup Kreta 2001

 

   Die beiden Internationalen Meister Stephan Berndt und Lars Thiede waren die herausragenden Spieler beim ersten Neuköllner Europaauftritt. Während Berndt am Spitzenbrett nur knapp eine GM-Norm verpasste, gelang Thiede ein sensationelles Turnier und - zusammen mit dem isländischen IM Bjorgvin Jonsson - erreichte er mit sechs Punkten aus sieben Partien die höchste Punkteausbeute unter allen 234 Spielern. Beide erhielten zu Recht die Goldmedaille an ihren Brettern.

   Eine Woche nach Kreta kehrte der Bundesliga-Alltag ein. Berndt verlor gegen Solingen am dritten Brett gegen den für Solingen spielenden Artur Jussupow und gewann gegen Heiligenhaus die Partie mit dem niederländischen FM Bastian van der Plassche. Lars Thiede setzte auf Grund des Rotationsprinzips im Neuköllner Bundesligateam - wie schon länger geplant - aus und bezwang in der zweiten Mannschaft am ersten Brett in der Oberliga Nord-Ost den ehemaligen Fernschachweltmeister Fritz Baumbach.

 

Figo goes Kreta

Figo goes Kreta

 

Harald Fietz, auf Kreta Kapitän der Berliner Sechs, sprach nach dem ersten Oktober-Wochenende mit den beiden gelernten Juristen.

Welche Erwartungen gab es vor dem Turnier auf Kreta?

Thiede: Ich wusste, dass wir vom Eloschnitt her in der zweiten Hälfte gesetzt sein und insofern einen schweren Stand haben würden. Perspektivisch hatte ich mit einem Platz unter den ersten 20 Teams gerechnet und bei grandiosem Verlauf auf einen einstelligen Tabellenplatz geschielt. So wie uns letztlich zwei Schlussrundenniederlagen ganz nach unten gespült haben, hätte es Schweizer-System bedingt ja auch glücklich ausgehen können. Persönlich hatte ich mir keine bestimmten Ziele gesteckt. Meine letzte Turnierpartie war Ende April in der vergangenen Bundesligasaison, so dass es vor allem galt, mich einzuspielen, um in das Schachdenken wieder hineinzukommen.

Berndt: Konkrete Erwartungen bezüglich der Platzierung hatte ich eigentlich nicht. Natürlich wussten wir, dass es sehr schwer werden würde, als reine Amateurmannschaft weiter vorne zu landen, zumal wir alle nicht die "Vielspieler" sind. Für die meisten von uns war Kreta wohl neben der Bundesliga das einzige Turnier im Jahr. Daher diente es vor allen Dingen als Vorbereitung für die kommende Bundesligasaison.

Was waren für die Mannschaft der wichtigsten Höhepunkte im Turnier?

Thiede: Das Auftaktmatch gegen St. Petersburg war sportlich natürlich eine große Sache. Außer gegen die großen Drei in der Bundesliga spielt man nicht täglich gegen ausschließlich mit Großmeistern - teilweise mit Supergroßmeistern wie Swidler, Sakajew und Kortschnoi - gespickte Teams. Die erwartungsgemäße 1:5-Niederlage ändert an dieser Bewertung nichts. Ansonsten waren die Mannschaftsremisen gegen Herzlia und Alkaloid Skopje sehr gute Leistungen.

Berndt: Genau, hervorzuheben ist natürlich zunächst die erste Runde, in der wir gegen die Nummer zwei der Setzliste, St. Petersburg, antreten mussten. Es machte einfach riesigen Spaß, mit solchen Topleuten wie Swidler, Kortschnoi und Sakajew spielen zu dürfen. Besonders angenehm überraschte mich zudem, dass man zu mindestens mit Swidler und Kortschnoi sehr gut analysieren konnte - ohne jegliche Überheblichkeit, falls man einmal einen dummen Zug vorgeschlagen hatte. Schöne Erfolge waren - wie Lars bereits sagte - sicherlich auch die beiden Unentschieden gegen Herzlia und Alkaloid, auch wenn in beiden Fällen mehr drin gewesen wäre. Phänomenal war natürlich auch die jeweilige Vorbereitung, die zumeist mit einer Wasserballschlacht im Pool endete. Ich habe selten soviel Wasser schlucken müssen.

Wie war bei diesem Auswärtstrip die Mannschaftschemie?

Thiede: Ich glaube, dass uns diese Schachreise noch enger zusammengeschmiedet hat. Die meisten von uns sind schon knapp eine Woche vor dem Turnier angereist. Bei gemeinsamen Ausflügen, der täglichen Analyse oder auch einfach nur dem geselligen Beisammensein beim Essen usw. stärkt man die Mannschaftsmoral enorm, die meines Erachtens auch bei einer Individualsportart wie Schach sehr wichtig ist. Wir haben uns vor, während und nach dem Turnier hervorragend verstanden und ich würde mit allen jederzeit wieder gerne eine Schach- oder sonstige Reise unternehmen.

 

Schachfreunde Neukölln auf Knossoss

 Schachfreunde Neukölln auf Knossos


Berndt: Stimmt, trotz der teils unfreiwilligen Flüssigkeitsaufnahme haben wir uns hervorragend verstanden. Auch der etwas unglückliche Abschluss konnte die Stimmung nur unwesentlich trüben.

Welche Ergebnisse und eigene Partien werden in Erinnerung bleiben? Was gefiel sonst noch?

Thiede: In Erinnerung bleiben wird mir gewiss Stephans großartiger Sieg gegen Nedev und der Spaß, den wir die ganze Zeit hatten. Obwohl ich natürlich mehr als zufrieden mit meinem Resultat war, kann ich keine meiner Partien als herausragend bezeichnen und werde sie bestimmt bald wieder vergessen haben. Gerne erinnern werde ich mich natürlich an die Siegerehrung, wo es mir "Schachmaus" vergönnt war, mit Größen wie Iwantschuk, Grischuk und unzähligen anderen 2600ern auf der Bühne zu stehen, und mir die Goldmedaille um den Hals hängen zu lassen.

 

Lars Thiede

Lars Thiede mit Goldmedaille

 










Thiede,L (2410) - Colovic,A (2384) [A25]
ECC Panormo, 2001

 

1.g3 g6 2.c4 Lg7 3.Lg2 e5 4.Sc3 Sc6 5.d3 Sf6 6.Tb1 a5 7.a3 0-0 8.b4 axb4 9.axb4 Sd4 10.e3 Sf5 11.Sge2 c6 12.e4 Sd4 13.0-0 d6 14.Sxd4 exd4 15.Se2 Se8 16.Lb2 Db6 17.Db3 Sc7 18.Lc1 Lg4 19.f3 Le6 20.Lf4 Sb5 21.Kh1 Tfd8 22.Lg5 Te8 23.Ld2 Sc7 24.Ta1 Ld7 25.Lf4 Le5 26.Txa8 Sxa8 27.Ld2 Sc7 28.f4 Lg7 29.f5 Lxf5 30.exf5 Txe2 31.fxg6 Se6 32.gxf7+ Kf8 33.Dd1 Te5 34.Le4 d5 35.cxd5 cxd5 36.Lxh7 Sg5 37.Lg8 Se4 38.dxe4 dxe4 39.Dg4 Dd8 40.Tc1 Df6 41.Dc8+ 1-0

 
Berndt: Schachlich wird mir sicherlich das hervorragende Ergebnis von Lars, unserem Goldmedaillengewinner, in Erinnerung bleiben. Wahrscheinlich werde ich auch der verpassten GM-Norm etwas nachtrauern, gelindert allerdings durch die nette Partie gegen Nedev. Vielleicht war rückblickend betrachtet der verpasste halbe Punkt gegen Thomas Pähtz entscheidend. Ansonsten wird mir die großartige Stimmung in der Mannschaft und die gute griechische Küche in Panormo im Gedächtnis bleiben - nicht zu vergessen natürlich der Hotelpool.

 

Stephan Berndt

Stephan Berndt

 










Berndt,S (2479) - Paehtz,T (2451) [B09]
ECC Panormo, 2001
[Stephan Berndt]

 

1.e4 g6 2.d4 Lg7 3.Sc3 d6 4.f4 Sf6 5.Sf3 0-0 6.Ld3 Sa6 7.0-0 c5 8.d5 Lg4 9.a3 Tc8 10.Lc4 Sd7 11.De1 Lxf3 12.Txf3 Sb6 13.De2 Sxc4 14.Dxc4 Sc7 15.f5 Tb8 16.Sb5 a6 17.Sxc7 Dxc7 18.c3 [Besser war 18.De2 mit der Idee De1, Dh4 und Th3 und Angriff.] 18...b5 19.De2 b4 20.c4 bxa3 21.Tfxa3 Tb6 22.Txa6 Ld4+ [Genauer war gleich 22...Tfb8 ] 23.Kh1 Tfb8 24.Txb6 Dxb6 25.h4 Dd8 26.h5 e6 27.Dg4 exf5 28.exf5 De8 29.Lh6 Txb2 30.fxg6 hxg6 31.hxg6 fxg6 32.Tf1 Tf2 33.Txf2 De1+ 34.Kh2 Dxf2 35.Dxg6+ Kh8 36.Dh5 Dg1+ 37.Kg3 [Im Gewinnsinne sollte 37.Kh3 Dh1+ 38.Kg4 Dxg2+ 39.Kf5 Kg8 (39...Dc2+ 40.Ke6 Le5 41.Lf4+ Kg8 42.Lxe5 dxe5 43.Dg4+ ) 40.Ke6 Le5 41.Dg5+ Dxg5 42.Lxg5 folgen.] 37...De1+ 38.Kh2 Dg1+ 39.Kg3 De1+ 40.Kh2 1/2-1/2

 
Welche Prognose gibt es für die Schachfreunde Neukölln in der kommenden Bundesliga-Saison?

Thiede: Da ich bereits die Ergebnisse des ersten Spieltages kenne, würde ich meinen, dass es mir nach einem 4:4 gegen Solingen schwer fällt, zu glauben, Neukölln könnte in den Abstiegskampf verwickelt werden. Tatsächlich sind wir aber wohl eines von vielen Teams, welches den nach dem Rückzug Magdeburgs und den nahezu sicheren Abstiegskandidaten Heiligenhaus sowie Königsspringer Hamburg verbleibenden vierten Abstiegsplatz ausspielt. Da außer den großen Drei und vielleicht noch Hamburger SK, Tegernsee und Bremen alle verbleibenden Mannschaften das gleiche Schicksal teilen, können wir jedoch auch ebenso gut Siebenter werden.

Berndt: Ja, wir haben bereits die ersten beiden Runden gespielt, so dass ich keine ganz unverfälschte Prognose mehr geben kann. Das Unentschieden gegen Solingen war natürlich ein großer Erfolg, dennoch glaube ich, dass wir immer noch zu den abstiegsgefährdeten Teams zählen. Ganz entscheidend werden die nächsten zwei Doppelrunden gegen Wattenscheid/Castrop-Rauxel und gegen Plauen/Erfurt sein - alles Mannschaften, die sich auch nicht sicher fühlen können. Ich hoffe, dass wir danach einen beruhigenden Vorsprung auf den 13. Platz haben werden. Dann könnte man auch weiter nach vorne gucken, sprich Platz fünf bis acht.


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